DAS TURINER LEICHENTUCH:
MERKWÜRDIGER VORFALL IM DOM VON TURIN
Seit fast 4oo Jahren wird im Dom von Turin, in Italien, das Grablinnen Jesu Christi aufbewahrt.
Millionen Katholiken aus aller Welt haben seitdem vor diesem Heiligtum
gebetet. Dieses Leinentuch wurde Mittelpunkt einer mysteriösen Affäre.
Es hat nämlich seine unheimliche überirdische Macht unter Beweis
gestellt, die auch heute noch wirkt.
Nach biblischer Überlieferung ließ Jesus, als er von den Toten
auferstand, im Höhlengrab auf dem Ölberg ein 1,1 o X 4,36 m großes, mit
Blut und Schweiß bedecktes Laken zurück. Dieses befindet sich heute in
einer Seitenkapelle des Domes von Turin. Dort wird es, durch schwere
Eisengitter abgesichert, in einem Silberschrein hinter dem Altar
aufbewahrt.
Doch nicht alle Menschen glauben daran, daß es sich bei diesem Laken
wirklich um das Leichentuch Christi handelt. Viele Zweifler bezeichnen
diese Reliquie als einen Schwindel: Die Existenz dieses Tuches läßt
sich nämlich bloß bis zum Jahre 1354 zurückverfolgen. Dann verliert
sich die Spur, wie das Tuch nach Italien gekommen sein soll. Daher
erklären Geschichtsforscher immer wieder: "Dieses Tuch ist eine
Fälschung."
Der vatikanische Prälat Giulio Ricci bemüht sich seit Jahren, diese
Gegenstimmen zu widerlegen: Er will nachweisen, daß das Tuch echt ist:
"Die Abdrücke auf dem Stoff stammen tatsächlich von Christus. Bevor man
Ihn ans Kreuz nagelte, wurde Jesus noch unvorstellbar grausam
gefoltert. Das sieht man genau aus dem Tuch. Seine Jünger sagen, daß
Sein Körper über hundert Einschläge von Bleikugeln bekam, die an
Lederpeitschen befestigt waren. Auf dem Tuch kann man über hundert
Wunden zählen, die von solchen Schlägen herrühren."
Ein enger Mitarbeiter des Prälaten erklärte dazu: "Wer bis jetzt
gezweifelt hat, wird nun vielleicht an die Echtheit des Leichentuches
glauben. Bei einer Fälschung hätte es wohl kaum einen derart
ungewöhnlichen und mysteriösen Vorfall in der Kathedrale gegeben wie
diesen."
Was war geschehen? Der 29jährige Casare Lianni aus Verona hatte sich
seit Monaten einen Plan zurechtgelegt. Er wollte das Leichentuch
Christi aus dem Dom von Turin rauben. Er hatte sogar schon einen
Abnehmer dafür, einen reichen Geschäftsmann aus Amerika, der ihm viel
Geld für diese Kostbarkeit bot.
Casares Freundin Maria, die von dem Vorhaben wußte, bettelte immer
wieder: "Laß die Finger davon! Versündige dich nicht an unserem
Heiland. Die Sache wird dir kein Glück bringen. Das läßt sich Jesus
nicht gefallen! Du wirst sehen...". Doch Cäsare lächelte. Eines
Nachmittags ist es dann soweit. Cäsare hat all sein Einbrecherwerkzeug
unauffällig unter seinem Mantel verborgen. Er begibt sich mit einigen
Touristen in die Kathedrale. In einem unbeobachteten Augenblick
versteckt er sich unter einer Gebetsbank. Abends läßt er sich im Dom
einschließen. Er wartet bis Mitternacht. Dann knipst er seine
Taschenlampe an und schleicht über die Galerie des Kuppeldaches durch
eine Dichtungsluke in die Sakristei. Von dort führt sein Weg durch die
schwere verschlossene Tapetentür in jenen mit Eisengittern gesicherten
Raum, in dem sich die Silberschatulle mit dem Leichentuch befindet.
Immer wieder leuchtet der Einbrecher auf das Linnen. Bis hierher ist er
gekommen.
Alles, was jetzt noch zu tun ist, erscheint ihm wie ein Kinderspiel. Er
beugt sich herab, er hebt von der Schatulle die Glasbedeckung ab, er
greift nach dem Leichentuch. In dem Augenblick aber, da er das Tuch
berührt, durchzuckt es ihn wie ein Blitz. Plötzlich scheint es ihm, als
würden sich die auf dem Tuch abgedrückten Gesichtszüge Jesu Christi
bewegen. Auf einmal sehen ihn zwei große Augen an. Und dann hört er
über sich laut hallend die Worte: "Du Sünder, du wagst zuviel!
Vergreife dich nicht an diesem Heiligtum, sonst wird deine Strafe
fürchterlich sein!" Trotzdem greift Cäsare Lianni nach dem Tuch. Doch
im gleichen Moment verdunkeln sich seine Sinne: Schreiend beginnt er im
Raum zu tanzen, dann wirft er sich zu Boden, anschließend flüchtet er
hinüber in die Sakristei und danach zum Altar.
Hier vor dem Altar wirft er sich abermals nieder und betet. Dann
rutscht er auf den Knien immer dichter an den Altar heran. Dabei wirft
er eine von den Kerzen um, die dort ständig brennen. Als kurz darauf
alles lichterloh brennt, flüchtet der Einbrecher. Er läuft zum Tor des
Domes, er hämmert dagegen, und schreit immer wieder wie von Sinnen:
"Gott im Himmel verzeih mir! Gott im Himmel verzeih mir!" Nach einiger
Zeit wird eine Polizeistreife endlich auf den Lärm in der Kathedrale
aufmerksam. Man holt den Mesner. Dieser öffnet den Dom. Mit bleichem
Gesicht, am ganzen Körper zitternd wankt ihnen der junge Mann entgegen.
Dicke Schweißtropfen stehen auf seiner Stirn. Seine Hände zittern, sein
Blick ist irre. Er klammert sich fest an einen Polizisten und schreit
immer wieder: "Helft mir! Helft mir! Ich will nicht in die Hölle!"
Da aus dem tobenden Mann nichts herauszubringen ist, liefert man ihn
erst einmal in eine Nervenklinik ein. Später wird in diesem
Zusammenhang festgestellt, daß dieser Mann versucht hat, das
Leichentuch Christi zu stehlen.
Den Polizisten und Geistlichen, die noch in der gleichen Nacht am
Tatort erscheinen, fällt sofort auf, daß der Luster, der über dem
Schrein gehangen hat, jetzt am Boden liegt und völlig zerbrochen ist.
Niemand kann sich dies erklären. Als man Cäsare Lianni in der Klinik
nach dem Lüster befragt, bekommt er wiederum Schreikrämpfe.
Dann erst berichtet er: "Es war entsetzlich! Als ich ein zweites Mal
nach dem Leichentuch greifen wollte, knirschte es über mir. Gleich
danach kam krachend der Lüster herunter. Um ein Haar wäre ich getroffen
worden. Dann sah ich wieder Jesus vor mir. Er mahnte mich, den Dom
sofort zu verlassen, sonst, so sagte er, würde es mir schrecklich
ergehen. Und er sagte weiter: es sei eine schwere Sünde, sich an dem
Leichentuch zu vergehen. Als die Gestalt vor mir verschwand, verspürte
ich auf meinem Körper entsetzliche Peitschenhiebe. Ich rannte schreiend
aus dem Raum und suchte Schutz vor dem Altar. Doch auch dort hatte sich
alles gegen mich verschworen. Plötzlich brannte die Altardecke
lichterloh. Und in den Flammen sah ich wieder das Gesicht Jesu. Er
blickte mich traurig an. Von da an weiß ich nicht, was ich tat."
Nach dieser Aussage bricht Cäsare Lianni in minutenlanges lautes Weinen aus.
(aus: DER GEFÄHRTE Nr.4, 1982) |