FORMEN, WIE DAS KIRCHLICHE RECHT ANZUWENDEN IST.
von
Jean Perchicot
übers. von Eugen Golla
H.H. P. Barbara versteht keinen Spaß, wenn es sich darum handelt, das
kirchliche Recht anzuwenden. Er durchquert ganz Frankreich mit dem Abbé
Delmasure, einem widerspenstigen Pfarrer aus Theoule (Var), nachdem
dieser sein Vorhaben seinem apostatischen Bischof gemeldet hatte. Die
Patres Delmasure und Barbara erklären nun ihren alten Anhängern, daß
niemand berechtigt sei, neue Bischöfe zu weihen, auch nicht Mgr. Thuc,
der jetzt die Früchte seiner Verwegenheit ernte. Sie wiederholen also
denjenigen, die Widerstand (gegen die Reformer) leisten, das, was
bereits (sehr gut) in der Nr.19 von FORTS DANS LA FOI erläutert wurde,
wo P. Barbara schreibt:
"In Abwesenheit des Papstes bleibt das Gesetz des letzten Papstes
festgefroren, aber nicht tot. Es kann keine neuen Akte der Jurisdiktion
geben, aber die von ihm erlassenen vermögen weitere Wirkungen
hervorzubringen. Wenn also z.B. der Papst entschied, daß eine
Konsekration eines Bischofs ohne seine Erlaubnis ipso facto, allein
schon durch diese Handlung, die Exkommunikation zur Folge haben würde,
werden die Täter, auch wenn dieses Delikt in der Periode der Vakanz des
Hl. Stuhles begangen würde, trotzdem von dieser Zensur betroffen."
Um noch klarer zu sein hinsichtlich dieses Gesetzes von Pius XII.,
antwortet P. Barbara sofort auf die Frage: "Wie sollen die kirchlichen
Gesetze erklärt werden?" - "(...) Es ist zweifellos nötig, darauf zu
bestehen: Interpretieren heißt nicht, sein eigenes Gefühl an die Stelle
der Intention zu setzen, welche der Gesetzgeber in dem Text zum
Ausdruck gebracht hatte; Interpretieren ist nicht erforderlich, da der
Gesetzestext klar ist". Dann, mit derselben Überzeugung: "Erlaubt nicht
die gegenwärtige Lage der Kirche eine gewisse Freiheit gegenüber dem
kanonischen Recht? Ganz im Gegenteil! (...) Der peinlich genaue
Gehorsam gegenüber den Gesetzen der Kirche ist in der Tat um so
nötiger, als es niemand gibt, um die Schuldigen zu bestrafen, weswegen
die Folgen des Ungehorsams um so schwerwiegender sind". Die Katechese
über die Jurisdiktion schließt somit ohne Zweideutigkeit mit dem
Beweis, daß die Bischöfe Carmona, Vezelis und die übrigen Mitbrüder im
Amt exkommuniziert sind.
Wir können durch soviel Glaubenstreue nicht (gänzlich) überzeugt
werden! Nehmen wir vielmehr Bezug auf Nr.9 von (P. Barbaras) FORTS DANS
LA FOI, S.12 f.
Hier finden wir das Gegenteil (der oben gemachten Behauptung) -
gestützt auf die Autorität von Dom Gréa und sein vor mehr als hundert
Jahren veröffentlichtes Werk "Die Kirche und ihre göttliche Verfassung"
("L'…glise et sa Divine Constitution"): "Das Allgemeinwohl der Kirche
forderte also eine Begrenzung des bischöflichen Amtes. Unter
gewöhnlichen Umständen machte sich der Bischof einer schweren
Verfehlung schuldig, wenn er seine begrenzten Vollmachten, die ihm der
Papst anvertraute, überschritt. ANDERERSEITS IST ES OFFENBAR, DASS IN
ZEITEN DER VERWIRRUNG DIE FÜR DAS BISCHÖFLICHE AMT WESENTLICHE
VOLLMACHT ZUR WELTWEITEN VERKÜNDIGUNG DES EVANGELIUMS SICH AUF EINE
NEUE ART WEITERENTFALTEN KANN - ENTWEDER AUF AUSDRÜCKLICHEN WUNSCH DES
OBERSTEN PONTIFEX ODER INFOLGE DER UNMÖGLICHKEIT, IHN ZU BEFRAGEN, UND
INFOLGE EINES AUSSERGEWOHNLICHEN NOTSTANDES, DER SEINE ZUSTIMMUNG
SICHER ERSCHEINEN LÄSST." (Unterstreichung durch den Autor Dom Gréa.)
"Die Anwendung von all dem auf unsere Lage ist leicht und ist in seinem
Prinzip ohne Schwierigkeiten. Weniger schwierige Situationen in
geschichtlicher Zeit können durch Handlungen heiliger Bischöfe in
solchen Lagen veranschaulicht werden." (So P. Barbara), der wiederum
Dom Gréa zitiert, der sein Zeuge und Richter zu sein scheint: "Man
sieht so im vierten Jahrhundert den hl. Eusebius von Samosata die von
den Arianern zerstörten Kirchen des Orients durcheilen und ihnen
rechtgläubige Hirten zu weihen, ohne im Besitz einer speziellen
Jurisdiktion über sie zu sein. (...) Nachdem er erfahren hatte, daß
viele Kirchen ohne Hirten seien, durcheilte er, als Soldat verkleidet,
das Haupt mit einem Helm bedeckt, Syrien, Phönizien und Palästina, um
hier Priester und Diakone zu weihen und die anderen kirchlichen Weihen
zu erteilen."
Das schrieb also P. Barbara zu Beginn des Jahres 1981. Dies war keine
unüberlegte Einstellung, denn er zitierte zu dem gleichen Zweck auch
das Beispiel des hl. Athanasius (FORTS DANS LA FOI, Nr.6, S.63, 1981):
"Der Held der Rechtgläubigkeit während der arianischen Krise war in
besonderer Weise der hl. Athanasius. Seit des Antritts seines
Bischofsamtes wandte er sich gegen die Häresie. Da aber die damaligen
Machthaber, besonders der Kaiser, für sie (d.i. die Arianer) Partei
nahmen, wurde derErzbischof von Alexandria mehrmals von seinem
Bischofsitz vertrieben und mußte vor allem im Verborgenen wirken. Wie
es seine Pflicht war, stützte sich Athanasius anfangs auf Rom. Als er
aber erfahren hatte, daß Papst Liberius der Gewalt wich und eine
zweideutige Formulierung angenommen hatte, setzte er, ohne sich weiter
um ihn zu kümmern, seinen Kampf im Verborgenen fort (...). Überall, wo
er konnte, weihte Athanasius katholische Bischöfe, die auch in halber
Verborgenheit die apostolische Sukzession aufrecht erhielten. Dieser
zweite Punkt ist sehr wichtig. Und tatsächlich, als ein neuer
Herrscher, der nicht Arianer war, den Frieden wieder herstellen wollte
und deshalb eine Synode einberief, konnte Athanasius an ihr in
Begleitung von mehr als fünfzig ägyptischen Bischöfen teilnehmen, die
ihm halfen, den Triumph der Rechtgläubigkeit herbeizuführen."
Wenn die Weihe von Bischöfen wichtig war, obwohl Papst Liberius
außerstande war, tätig zu werden, um wieviel wichtiger ist dann
gegenwärtig das handeln der von Mgr. Thuc geweihten Bischöfe, um die
apostolische Sukzession zu sichern! Die Kirche Roms ist in ihrer
Gesamtheit des Apostasie verfallen. Wir besitzen nicht mehr die
Möglichkeit, nach den rein kirchenrechtlichen Vorschriften einen Papst
zu wählen, während Liberius, obwohl er sich mit dem Druck der
Verfolgung abfand, kein Häretiker war und der Klerus von Rom sich trotz
des (häretischen) Kaisers intakt verhielt.
Warum lehnt also P. Barbara jetzt die Argumentation eines Dom Gréas und
das Beispiel eines Athanasius ab? Wir lassen Sie über seine neue
Rechtgläubigkeit urteilen. Sie hat sichtlich für sich nur das
Verdienst, jeden Bischof abzulehnen, der nicht von P. Barbara
eingesetzt wurde, welcher vergebens für seine Zwecke einen abgefallenen
Bischof zu bekehren sucht. Wetten wir, daß er zu seiner früheren
Meinung mit großer Erleichterung zurückkehren würde, wenn es ihm
gelänge, einen solchen Bischof 'loszuhaken'. (Anm.d.Red.: P. Barbara
hat seine Auffassung zu der Möglichkeit, einen Bischof unter den
gegebenen Umständen auch ohne päpstliches Mandat zu weihen, erst
aufgegeben, als er vergebens Mgr. Ngo-dinh-Thuc gebeten hatte, ihn
selbst zum Bischof zu weihen. Erst der abgewiesene Kandidat Barbara
besann sich auf die strikte Auslegung der kirchlichen
Gesetzesvorschriften. Obwohl dieser klerikale Futterneid viele Momente
der nachherigen Handlungsweise von P. Barbara zu erklären scheint, bin
ich der Auffassung, daß damit noch nicht das eigentliche Motive für
seine verräterischen Aktivitäten gegenüber dem kath. Widerstand
angegeben ist. E.H.)
***
WIE SIND DIE BESTIMMUNEGN DES CIC
UNTER DEN GEGEBENEN UMSTÄNDEN ZU WAHREN ?
von
Eberhard Heller
Im Anschluß an vorstehenden Artikel dürfte folgendes von Wichtigkeit
sein: Die Kritik an der legalistischen Position von H.H. P. Barbara
beinhaltet in sich noch nicht die Lösung des ProblËmes, wie das
Kirchenrecht (von 1917) unter den heutigen Umständen zu handhaben ist.
Mgr. Guerard des Lauriers vertritt die Auffassung, daß das Kirchenrecht
seine Rechtskraft nur durch den jeweils regierenden Papst erhält. Auf
unsere Situation der Sedisvakanz bezogen würde das bedeuten: wir leben
in einer rechtlosen Zeit. Diese Auffassung ist nur bedingt richtig.
Rechtsbestimmungen, die rein kirchlicher, positivistischer Natur sind,
erhalten durch den jeweiligen Papst ihre Rechtskraft. Diejenigen
Bestimmungen, die göttlichen Rechts sind, bestehen schlechthin, d.h.
sie behalten ihre Rechtskraft auch in den Zeiten einer Sedisvakanz. Wie
soll man nun unter den gegebenen Umständen der höchsten Not den CIC
anwenden? Muß man die einzelnen Paragraphen buchstabengetreu einhalten?
Auch die kirchlichen Bestimmungen des CIC werden von uns als
verpflichtend angenommen, antizipierend, daß sie in ihrer Geltendheit
von dem zukünftigen Papst als rechtskräftig bestätigt werden, weil wir
sonst in einem totalen Chaos versinken würden. Ich habe aber auch schon
bei der Rechtfertigung der Bischofsweihen ohne päpstliches Mandat
darauf hingewiesen - und das war auch die Auffassung von S.E. Mgr.
Ngo-dinh-Thuc -, daß in den Fällen, in denen sich die rein kirchlichen
Rechtsbestimmungen gegen das göttliche Recht stellen - z.B. die
Bestimmung, daß ein Bischof nur mit päpstlichem Mandat konsekriert
werden darf, gegen die Verpflichtung, im Sinne des allgemeinen
Seelenheiles der Gläubigen die apostolische Sukzession zu retten -, das
göttliche Recht Vorrang hat und die kirchlichen Rechtsvorschriften für
diesen Fall aufhebt.
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