NUR FUR SEIN REICH
von
Léon Bloy
(aus: "Vier Jahre Gefangenschaft in Cochons-sur-Marne" Tagebücher 19oo-19o4, Ntnbg. 1951)
Aus einem Brief an einen Pater (Paul S.J.) vom 18.8.19oI : (S.128-13o)
Ich bin durchaus überzeugt, daß es sowohl innerhalb wie außerhalb der
Ordensgemeinschaften manche vortreffliche, Gott wohlgefällige Seelen
gibt, welche echtes Verlangen nach SEINER Herrlichkeit empfinden. Doch
diese Seelen sind zu wenig zahlreich, um für die endgültige Rettung
Sodoms ernsthaft ins Gewicht zu fallen. Denke ich doch fast - nach dem
Vorgang der wundervollen Anna-Katharina Emmerich - daß es Christen im
wahren Sinne des Wortes überhaupt nicht mehr gibt.
Dies zu beweisen ist nicht eben schwer. Sollte es zu einer
Glaubensverfolgung, wohlgemerkt, einer echten Glaubensverfolgung
kommen, wieviele unserer Katholiken, meinst Du wohl, würden um ihres
Glaubens willen heute noch finstere Not, tiefe Erniedrigung und
qualvolle Martern auf sich nehmen? Einer unter hunderttausend
vielleicht. Die unausbleibliche Folge wäre sofortiger massenhafter
Abfall, eine unvorstellbar furchtbare allgemeine Apostasie. Wer
Besseres erhofft, muß blind oder ein ausgemachter Trottel sein.
Nun, ich weiß, Du wirst mir sofort mit der Gnade kommen, doch schon
hier falle ich Dir in echter Empörung ins Wort: Gottes Gnade ist nicht
für Hunde da, genau so wenig wie SEIN Wort und SEIN anbetungswürdiger
Leib. Hunde nenne ich jene, die sich vermessen, SEINER Gnade teilhaftig
werden zu können, ohne auf sie im mindesten vorbereitet zu sein. Jesus
hat gesagt "Vae vobis divitibus" ("Wehe euch ihr Reichen") und die
heutigen Christen sagen: "Glücklich die Besitzenden". Auch hat ER
gesagt, um IHM nachzufolgen, müsse man alles hinter sich lassen, denn
nur so könne man teilhaben an SEINEM Reich. Niemals jedoch war die
Sucht nach dem Besitz so hemmungslos, so ausschließlich alles andere
überschattend wie heutzutage, selbst in Ordenshäusern. Einige werden
erwidern: "Nun ja, der Orden mag reich sein, doch jeder Ordensbruder
einzeln genommen ist arm". Welch erbärmlicher Sophismus und im Grunde
welch teuflischer Hohn!...
Schon mit der ersten Zeile Deines Briefes stellst Du mich an den Rand
eines tiefen Abgrundes, indem Du mich aufforderst, hinüberzuspringen.
Du sprichst mir von den Wahlen (!!!) von 19o2, von welchen man sich bei
Euch manches erhoffe. Schon wieder muß ich mich gegen Dich wenden! Auch
hier nämlich sprichst Du eine Blasphemie aus, freilich unbewußt, was
darum nicht minder verdammenswert ist. Du behauptest unbesehen, auch
ein schlecher Baum könne gute Frucht tragen, denn Du siehst, um Dir
nicht selbst von vornherein das Zeugnis mangelnder Verstandeskraft
ausstellen zu müssen, Dich genötigt zuzugeben, daß das allgemeine
Stimmrecht ein unbedingtes Übel ist und nichts als eine fluchwürdige
Bemäntelung der Anarchie der Hölle.
Gott, ich weiß es wohl, besitzt die Macht, Gutes aus Bösem hervorgehen
zu lassen, aber nur ER hat diese Macht, denn nur ER allein kann Sein
aus dem Nichts erschaffen, was ja an sich vollkommen unvorstellbar ist.
Welch ungeheuerliche Anmaßung nun, IHM von sich aus das Material zu
diesem unfaßbaren Wunder darreichen zu wollen, IHM einfach zu sagen:
"Hier hast DU die Erfindung der menschlichen Auflehnung gegen DEINEN
Willen, die Erfindung der menschlichen Verstocktheit, diese ruchlose
Tochter der Schelsucht, des Hochmuts und der Verblödung des
Jahrhunderts! Befiehl nun, nicht daß sie vernichtet oder unwirksam
gemacht werde, sondern daß aus ihr der Triumpf DEINER Kirche hervorgehe
und daß diese teufliche Erfindung, die ein ständiges Geifermal auf
DEINEM göttlichen Antlitz ist, in unserer Mitte weiterwuchere, daß ihr
von Tag zu Tag größere Ehre bezeigt werde selbst an DEINEN heiligen
Stätten, selbst auf der Kanzel der Wahrheit, angesichts des Heiligen
Sakraments auf DEINEN Altären!
Nolite confirmari huic saeculo (Paßt euch diesem Jahrhundert nicht an)
hat das "GEFÄSS DER AUSERWÄHLUNG" gesagt. Sich zu seinem Jahrhundert
bekennen hat schon seit undenkbaren Zeiten immer wieder der "Verderber"
gesagt. Ist es nicht zum Aufheulen sich sagen zu müssen, daß es Leo
XIII., welchem die neue sogenannte 'christliche' Politik zu danken ist,
in eigener Person war, der den Heiligen Geist in solcher Form Lügen
strafen will? Einmaliges, auf ewig beklagenswertes Beispiel!
In Zukunft wird es der Ehrgeiz der meisten Katholiken sein, ebenso
demokratisch, wenn nicht demokratischer zu erscheinen als die
blutigsten und verranntesten Jakobiner und das halten sie dann - oh
Kläglichkeit der Kläglichkeiten - für den Gipfelpunkt der
Geschicklichkeit! Wie soll man angesichts eines solchen Maßes von
Verblendung Worte finden für die abgrundtiefe Not, den grauenhaften
Zustand der christlichen Seele? |