DIE PASTORAL-REGELN DES HL. PAPSTES GREGOR D.GR.
(übers. v. Benedikt Sauter O.S.B., Freiburg / Brsg. 1904)
7. DER SEELSORGER DARF ÜBER DER SORGE
FÜR DIE ÄUSSEREN BEDÜRFNISSE DIE SORGE FÜR DAS INNERE NICHT
VERNACHLÄSSIGEN? ABER AUCH NICHT WEGEN DES EIFERS FÜR DAS INNERE LEBEN
DIE FÜRSORGE FÜR DIE ÄUSSEREN BEDÜRFNISSE UNTERLASSEN!
Der Seelsorger soll über der Sorge für die äußern Bedürfnisse die Sorge
für das Innere nicht vernachlässigen, aber auch nicht wegen des Eifers
für das innere Leben die Fürsorge für die äußeren Bedürfnisse
unterlassen, damit er nicht in dem Äußerlichen ganz aufgehe und das
innerliche Leben darob verliere, oder aber ausschließlich mit dem
Innern beschäftigt, den Mitmenschen nicht leiste, was er ihnen in Bezug
auf äußere Dinge schuldet.
Oft muß man wahrnehmen, wie manche es vergessen, daß sie wegen der
Seelen ihrer Brüder Vorgesetzte sind und sich daher mit voller
Herzensgier den zeitlichen Geschäften hingeben. Wenn derartige
Geschäfte vorhanden sind, so betreiben sie dieselben mit Freuden; aber
auch wenn sie fehlen, haschen sie Tag und Nacht in stürmisch
aufgeregten Gedanken nach denselben. Und wenn sie einmal, weil die
Gelegenheit fehlt, in dieser Beziehung Ruhe geben müssen, so bereitet
ihnen die Ruhe die ärgste Ermüdung. Denn für Vergnügungm halten sie es,
von Geschäften erdrückt zu werden; Mühseligkeit ist es ihnen, keine
Weltgeschäfte betreiben zu dürfen. So kommt es alsdann, daß sie vor
lauter Freude am Geräusch des Weltlärmes vom innern Leben nichts
wissen, das sie doch andere lehren sollten. Dadurch wird ohne Zweifel
auch das Leben ihrer Untergebenen ein laues; denn ihr Verlangen nach
geistlichem Fortschritt stößt auf das Beispiel ihres Vorstehers als auf
ein Hindernis mitten im Wege. Wenn nämlich das Haupt hinsiecht, so
regen die Glieder sich vergebens; und umsonst beeilt sich das Heer, den
Feind zu verfolgen, wenn es von dem Führer selbst auf dem Wege irre
geleitet wird. Da unterstützt keine Mahnung die Gemüter der
Untergebenen, kein Tadel züchtigt ihre Vergehen; denn da der Seelsorger
einen weltlichen Beamten spielt, ist das Amt eines Hirten zur Bewachung
der Herde soviel als erledigt. Da dringt das Licht der Wahrheit nicht
zu dem Untergebenen; denn der vom Sturm der Versuchung aufgewirbelte
Staub blendet die Augen der Gemeinde, während des Hirten Seele
zeitlichen Dingen sich hingibt.
Dagegen ist treffend das Wort des Erlösers des Menschengeschlechtes
gerichtet, der von Völlerei abmahnend spricht: "Hütet euch, daß eure
Herzen nicht belastet werden mit Völlerei und Trunkenheit," und
sogleich beifügt "und von den Sorgen dieses Lebens" (Lk 21,34). Im
Anschluß daran flößt er auch mit Absicht Furcht ein: "Damit nicht etwa
jener Tag euch plötzlich überrasche" (Lk 21,34). Auch gibt er an, wie
dieser Tag erscheinen werde: "Wie eine Schlinge wird er kommen über
alle, die auf dem ganzen Erdboden wohnen" (Lk 21,35). Darum sagt er
auch: "Niemand kann zwei Herren dienen" (Lk 16,13).
Deshalb hält Paulus die Seelen der Gottgeweihten vom Weltverkehr
zurück, indem er versichernd oder vielmehr vergleichsweise spricht:
"Kein Streiter Gottes verwickelt sich in weltliche Geschäfte, damit er
dem gefalle, dem er sich ergeben" (2 Tim 2,4). Und darum befiehlt er
den Vorstehern der Kirche, nach innerer Ruhe zu streben und zeigt ihnen
ein Mittel sich dieselbe zu verschaffen: "Wenn ihr denn irdische
Rechtshändel habet, so setzet untergeordnete Persönlichkeiten, die in
der Gemeinde sind, zu Richtern" (1 Kor 6,4). Jene nämlich sollen den
irdischen Angelegenheit obliegen, welche nicht mit den Gaben des
Heiligen Geistes geziert sind. Offenbar will er damit sagen: Weil sie
in das innere Heiligtum nicht zu dringen vermögen, sollen sie die
äußern Bedürfnisse besorgen.
Darum mußte sich auch Moses, der doch mit Gott reden durfte, von dem
Ausländer Jethro den Tadel gefallen lassen, daß er mit unkluger
Selbstermüdung den irdischen Angelegenheiten des Volkes diene. Dabei
wurde ihm der Rat gegeben, andere zur Schlichtung der Zwistigkeiten
aufzustellen, damit er selbst ungehindert die verborgenen geistigen
Dinge erforschen und das Volk darüber belehren könne (Ez 18, 17.18).
Untergeordnete also sollen das Untergeordnete besorgen, die Vorsteher
aber an das Höchste denken, damit das Auge, welches zur Lenkung der
Schritte eine erhabene Stellung einnimmt, nicht durch Sorge um Staub
verfinstert werde. Das Haupt der Untergebenen sind die Vorgesetzten.
Sollen die Füße den rechten Weg einschlagen, so muß ohne Zweifel das
Haupt von oben herab denselben ausfindig machen; wenn aber der Körper
sich krümmt und das Haupt sich zur Erde neigt, so erlahmen die Füße in
ihrem Wandel auf dem Wege. Mit welchem Rechte kann aber der
Seelenführer die Ehre des Hirten unter den Seinigen beanspruchen, wenn
er selbst in irdische Geschäfte, die er an anern tadeln sollte,
versenkt ist? Daher droht der Herr durch den Propheten in gerecht
bestrafendem Zorne: "Und es wird wie das Volk so der Priester sein" (Os
4,9). Dieser ist nämlich wie das Volk, wenn er als Verwalter
geistlicher Ämter dieselben Dinge betreibt, wie jene, welche nach dem
fleischlichen Sinnen und Trachten gerichtet werden.
Dies sah mit großem Liebesschmerz der Prophet JeremÌas und beweinte es
unter dem Bilde der Tempelzerstörung, indem er sprach: "Wie ist
verdunkelt das Gold, verändert die schönste Farbe! Zerstreut liegen die
Steine des Heiligtums an allen Straßenecken" (Klgl 4,1). Was bedeutet
das G o l d , das alle Metalle übertrifft? Was anders als den Vorzug
der Heiligkeit? Was die schönste Farbe anders als die jedermann
liebenswürdige Ehrfurcht vor der Religion! Was die Steine des
Heiligtums anders als die in den Heiligen Weihen stehenden Personen?
Was wird unter den Namen der Straßen anders gesinnbildet als die Breite
des gegenwärtigen Lebens? Denn da das griechische Wort so viel bedeutet
als Breite, so haben die Straßen (plateae) ihren Namen von der Breite.
Die ewige Wahrheit aber spricht aus eigenem Munde: "Breit und geräumig
ist der Weg, der zum Verderben führt" (Mt 7,13).
Das Gold wird also verdunkelt, wenn das Leben der Heiligkeit von
irdischem Treiben befleckt wird. Die schönste Farbe wird verändert,
wenn der bisherige Ruf derer, deren Leben man für gottesfürchtig hielt,
sich mindert. Denn wenn man im Gewände der Heiligkeit sich in irdische
Dinge einläßt, so schwindet auch die Ehre vor demselben in den Augen
der Menschen, als ob es seine Farbe verlöre, dahin und geht in
Verachtung über. Die S t e i n e des Heiligtums sind auf den Straßen
zerstreut, wenn diejenigen, welche zur Zierde der Kirche den
Geheimnissen des innern Lebens gleichsam wie in der unzugänglichen
Stiftshütte obliegen sollten, wegen weltlicher Streitsachen weite
Reisen unternehmen. Denn dazu sind sie Steine des Heiligtums geworden,
damit sie im hohepriesterlichen Gewände innerhalb des Allerheiligsten
sich aufhalten. Wenn aber die Diener der Religion sich nicht durch
verdienstliches Leben bei ihren Untergebenen einen Anteil an der Ehre
erwerben, die dem Erlöser selbst gebührt, so sind die Steine des
Heiligtums nicht am Schmuck des Hohenpriesters; vielmehr liegen diese
Steine des Heiligtums in den Straßen zerstreut umher, da ja die
Personen, die mit den heiligen Weihen bekleidet sind, sich auf dem
weiten Feld ihrer Vergnügungen herumtummeln und irdischen Geschäften
nachgehen. Auch ist zu bemerken, daß sie nicht einfach als in den
Straßen, sondern als an den S t r a ß e n e c k e n zerstreut
bezeichnet werden; denn auch während sie Irdisches treiben, möchten sie
das höchste Ansehen genießen und so einerseits nach Herzenslust den
breiten Weg einhalten, anderseits aber doch die Ehre eines heiligen
Lebens an den Straßenecken genießen.
Auch hindert uns nichts gerade diejenigen, fürweiche das Heiligtum
erbaut wurde, als die Steine desselben zu betrachten; zerstreut liegen
diese Steine an den Straßenecken, wenn jene Männer, welche mit den
heiligen Weihen geschmückt sind, irdischem Treiben mit Befriedigung
sich hingeben, da doch sonst der Ruhm der Heiligkeit von ihrem Amte
unzertrennlich schien. Aus mitleidiger Liebe muß man freilich manchmal
den weltlichen Geschäften sich unterziehen, niemals aber darf man aus
Vorliebe sie aufsuchen, damit sie nicht das Herz, das an ihnen
Geschmack findet, beschweren, dasselbe mit ihrem Gewicht erdrücken und
vom Himmel in den tiefsten Abgrund hinunterziehen.
Dagegen gibt es wiederum einige, die zwar die Sorge für die Herde
übernehmen, aber so viele Zeit für ihre eigenen geistlichen Übungen
beanspruchen, daß sie sich mit äußern Dingen gar nicht beschäftigen
mögen. Da sie nun die Sorge für das Leibliche ganz vernachlässigen,
entsprechen sie den Bedürfnissen ihrer Untergebenen keineswegs. Ihre
Predigt wird meistens geringgeschätzt; denn weil sie zwar die Werke der
Sünder tadeln, um ihre notwendigen Lebensbedürfnisse aber sich nicht
kümmern, so werden auch ihre Predigten gar nicht gerne angehört. Die
weise Lehre dringt nicht in die Seele des Dürftigen ein, wenn sie nicht
von der Hand der Barmherzigkeit auch bei seinem Herzen empfohlen ist.
Dann erst kommt der Same des Wortes leicht ins Keimen, wenn ihn im
Herzen des Hörers die mitleidige Liebe des Predigers bewässert.
Deshalb muß der Seelsorger, um das innere Leben einpflanzen zu können,
auch für das äußere Leben, soweit es seine'Gedanken nicht zu sehr in
Anspruch nimmt, Sorge tragen. So also müssen sich die Hirten die Pflege
des innern Lebens bei ihren Untergebenen angelegen sein lassen, daß sie
darüber die Sorge für deren äußeres Leben nicht vernachlässigen. Denn
die Herde verliert, wie gesagt, fast mit Recht die Lust, die Predigt
anzunehmen, wenn der Hirte die Sorge für ihr leibliches Wohl
vernachlässigt. Deshalb ermahnt auch der erste Oberhirte
angelegentlich: "Die Priester, die unter euch sind, bitte ich darum als
ihr Mitpriester und Zeuge der Leiden Christi, der auch Mitgenosse der
Herrlichkeit ist, die einst offenbar werden soll, weidet die euch
anvertraute Herde Gottes" (1 Petr 5,1). Ob er in dieser Stelle zur
geistigen oder zur leiblichen Weide ermahne, das zeigt der unmittelbar
darauf folgende Zusatz: "Besorget sie nicht aus Zwang, sondern
freiwillig nach Gottes Willen, nicht um schändlichen Gewinnes willen,
sondern aus Liebe." Diese Worte enthalten wahrlich für die Hirten eine
heilsame Warnung, sich nicht mit dem Schwerte der Ehrfurcht zu töten,
während sie den Hunger ihrer Schafe stillen, und nicht selbst am Brote
der Gerechtigkeit zu darben, während sie den irdischen Nöten ihrer
Nebenmenschen abhelfen. Zu dieser Sorgfalt fordert Paulus die Hirten
auf mit dem Worten: "Wer für die Seinigen und besonders für die
Hausgenossen nicht Sorge trägt, der hat den Glauben verleugnet und ist
schlimmer als ein Ungläubiger" (1 Tim 5,8). Hierbei ist aber immer zu
fürchten und sorgfältig darüber zu wachen, daß man nicht über der Sorge
für die äußeren Dinge die innere Geistesrichtung verliere. Denn häufig,
wie gesagt, erkaltet im Herzen der Vorsteher, wenn sie sich
unvorsichtig zeitlichen Sorgen hingeben, die Glut der Liebe, und bei
ihrer Veräußerlichung fürchten sie nicht einmal, es zu vergessen, daß
sie die Seelenleitung übernommen. Daher muß bei der Sorge für die
äußern Bedürfnisse der Untergebenen Maß gehalten werden.
Treffend heißt es daher bei Ezechiel (44,2o): "Die Priester sollen ihr
Haupt nicht kahl scheren, noch sich das Haar wachsen lassen, sondern
sie sollen sich die Haare ringsherum zuschneiden." Priester heißen
nämlich mit Recht diejenigen, welche zum Zwecke heiliger Leitung über
die Gläubigen gesetzt sind. Die Haupthaare aber bedeuten die auf das
Äußere gerichteten Gedanken in der Seele; da die Haare unempfindsam
über den Scheitel wachsen, so bedeuten sie die Sorgen für dieses
zeitliche Leben, welche unzeitig aus dem unbewachten Geiste zu
entspringen pflegen, ohne daß wir es sonderlich empfinden oder
beachten. Weil also alle Vorsteher mit weltlichen Sorgen sich befassen
müssen, sich aber doch ihnen nicht zu viel hingeben dürfen, darum wird
bedeutunsvoll den Priestern ebensowohl verboten, das Haupt kahl zu
scheren, als die Haare wachsen zu lassen, denn sie sollen die irdischen
Gedanken hinsichtlich der Lebensweise ihrer Untergebenen weder ganz von
sich ferne halten, noch denselben allzu freien Spielraum lassen. Nicht
ohne Grund heißt es daher bei Ezechiel (44,2o): "Ringsherum sollen sie
sich die Haare abschneiden," weil man irdische Sorgen, soweit es
notwendig ist, zulassen, sie aber rechtzeitig beseitigen muß, damit sie
nicht zu sehr überhand nehmen. Wenn also einerseits durch sorgfältige
Verwaltung der äußeren Güter das zeitliche Leben der Untergebenen vor
Schaden bewahrt und anderseits dem Schwung der Seele kein Hindernis
bereitet wird, weil man das Zeitliche mit weiser Mäßigung besorgt, dann
bleiben gleichsam die Haare auf dem Haupte des Priester zu Bedeckung
der Haut, werden aber beschnitten, damit sie nicht die Augen am Sehen
verhindern .
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