AUS DEM RELIGIONSEDIKT DES PROTESTANTISCHEN PREUSSISCHEN KÖNIGS FRIEDRICH WILHELM II. VOM 9.7.1788
(aus: "Annalen der neuesten Theologischen Litteratur und Kirchengeschichte" 1789.)
Wir, Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen, Markgraf
von Brandenburg, u.u.u. thun kund und fügen hiermit jedermann zu
wissen, daß, nachdem Wir lange vor Unserer Thronbesteigung bereits
eingesehen und bemerkt haben, wie nötig es dereinst seyn dürfte, nach
dem Exempel Unserer Durchlauchtigsten Vorfahren, besonders aber Unsers
in Gott ruhenden Großvaters Majestät darauf bedacht zu seyn, daß in den
Preußischen Landen die Christliche Religion der Protestantischen
Kirche, in ihrer alten ursprünglichen Reinigkeit und Aechtheit
erhalten, und zum Theil wieder hergestellt werde, auch dem Unglauben
eben so wie dem Aberglauben, mithin der Verfälschung der
Grundwahrheiten des Glaubens der Christen, und der daraus
entstehender(n) Zügellosigkeit der Sitten, so viel an Uns ist, Einhalt
geschehe; und dadurch zugleich unsern getreuen Unterthanen ein
überzeugender Beweis gegeben werde, wessen sie in Absicht ihrer
wichtigsten Angelegenheit, nehmlich der völligen Gewissensfreyheit, der
ungestörten Ruhe und Sicherheit bey ihrer einmal angenommenen
Confession und dem Glauben ihrer Väter, wie auch des Schutzes gegen
alle Störer ihres Gottesdienstes und ihrer kirchlichen Verfassungen, zu
Uns als ihrem Landesherrn, sich zu versehen haben (...) Also befehlen,
wollen, und verordnen Wir demnach, daß alle drey Haupt-Confessionen der
Christlichen Religion, nehmlich Reformirte, Lutherische und
Römisch-Catholische, in ihrer bisherigen Verfassung, nach den von
Unsern gottseligen Vorfahren vielfältig erlassenen Edicten und
Verordnungen, in Unsern sämmtlichen Landen verbleiben, aufrecht
erhalten und geschätzt werden sollen. Daneben aber soll die den
Preußischen Staaten von jeher eigenthümlich gewesene Toleranz der
übrigen Secten und Religions-Partheyen, ferner aufrecht erhalten, und
Niemanden der mindeste Gewissenszwang zu keiner Zeit angethan werden,
so lange ein jeder ruhig als ein guter Bürger des Staates seine
Pflichten erfüllet, seine jedesmalige besondere Meinung aber für sich
behält, und sich sorgfältig hütet, solche nicht auszubreiten oder
andere dazu zu überreden, und in ihrem Glauben irre oder wankend zu
machen. Denn,, da jeder Mensch für seine eigene Seele allein zu sorgen
bat, so muß er hierin ganz frey handeln können, und nach Unserm
Dafürhalten, hat ein jeder Christliche Regent nur dahin zu sehen und
dafür zu sorgen das Volk in dem wahren Christenthum treu und
unverfälscht durch Lehrer und Prediger unterrichten zu lassen, und
mithin einem jeden die Gelegenheit zu verschaffen, selbiges zu erlernen
und anzunehmen. Ob ein Unterthan nun aber diese gute ihm so reichlich
dargebotene Gelegenheit zu seiner Ueberzeugung nutzen und gebrauchen
will oder nicht, muß seinem eigenen Gewissen völlig frey anheim
gestellet bleiben. (...)
In der Folge aber soll Unser geistliches Departement dafür sorgen, daß
nicht andere, der Christlichen Religion und dem Staate schädliche
ConventÌcula, unter dem Namen, gottesdienstlicher Versammlungen,
gehalten werden, durch welches Mittel, allerley der Ruhe gefährliche
Menschen und neue Lehrer, sich Anhänger und Proselyten zu machen, im
Sinne haben möchten, wodurch aber die Toleranz sehr gemißbraucht werden
würde. (...)
Wir verordnen zugleich, daß bey der Reformirten sowohl, als
Lutherischen Kirche die alten Kirchenagenden und Lithurgien (liturgien)
ferner beybehalten werden sollen; nur wollen Wir bey beiden
Confessionen nachgeben, daß die damals noch nicht ausgebildete deutsche
Sprache darin abgeändert und mehr nach dem Gebrauch der jetzigen Zeiten
eingerichtet werde; desgleichen einige alte außer wesentliche
Ceremonien und Gebräuche abgestellt werden, als welches unserm
Geistlichen Departement beider Protestantischen Confessionen überlassen
bleibt. Dieses Unser Geistliches Departement hat aber sorgfältig dahin
zu sehen, daß dabey in dem Wesentlichen des alten Lehrbegriffs einer
jeden Confession keine weitere Abänderung geschehe. Dieser Befehl
scheinet Uns um so nöthiger zu seyn, weil Wir bereits einige Jahre vor
Unserer Thronbesteigung mit Leidwesen bemerkt haben, daß manche
Geistliche der Protestantischen Kirche sich ganz zügellose Freyheiten,
in Absicht des Lehrbegriffs ihrer Confession, erlauben; verschiedene
wesentliche Stücke und Grundwahrheiten der Protestantischen Kirche und
der christlichen Religion überhaupt wegläugnen, und in ihrer Lehrart
einen Modethon-(ton) annehmen, der dem Geiste des wahren Christenthums
völlig zuwider ist, und die Grundsäulen des Glaubens der Christen am
Ende wankend machen würde. Man entblödet sich nicht, die elenden,
längst widerlegten Irrthümer der Socinianer, Deisten, Naturalisten und
anderer Secten mehr, wiederum aufzuwärmen, und solche mit vieler
Dreistigkeit und Unverschämtheit durch den äußerst gemißbrauchten
Namen:
A U F K L Ä R U N G
unter das Volk auszubreiten; das Ansehen der Bibel, als des
geoffenbarten Wortes Gottes, immer mehr herabzuwürdigen, und diese
göttliche Urkunde der Wohlfahrt des Menschengeschlechtes zu
verfälschen, zu verdrehen, oder gar wegzuwerfen: den Glauben an die
Geheimnisse der geoffenbarten Religion überhaupt, und vornehmlich an
das Geheimniß des Versöhnungswerks und der Genugthuung des Welterlösers
den Leuten verdächtig oder doch überflüßig, mithin sie darin irre zu
machen, und auf diese Weise dem Christenthum auf dem ganzen Erdboden
gleichsam Hohn zu bieten. Diesem Unwesen wollen Wir nun in Unsern
Landen schlechterdings um so mehr gesteuert wissen, da Wir es für eine
der ersten Pflichten eines Christlichen Regenten halten, in seinen
Staaten die Christliche Religion, deren Vorzug und Vortrefflichkeit
längst erwiesen und außer allen Zweifel gesetzt ist, bey ihrer ganzen
hohen Würde und in ihrer ursprünglichen Reinigkeit, so wie sie in der
Bibel gelehret wird, und nach der Ueberzeugung einer jeden Confession
der Christlichen Kirche in ihren jedesmaligen Symbolischen Büchern
einmal vestgesezt ist, gegen alle Verfälschung zu schützen und aufrecht
zu erhalten, damit die arme Volksmenge nicht den Vorspiegelungen der
Modelehrer preiß gegeben, und dadurch den Millionen Unserer guten
Unterthanen die Ruhe ihres Lebens und ihr Trost auf dem Sterbebette
nicht geraubet und sie also unglücklich gemacht werden.
Als Landesherr und als alleiniger Gesetzgeber in Unsern Staaten
befehlen und ordnen Wir also, daß hinführo kein Geistlicher, Prediger,
oder Schullehrer der protestantischen Religion bey unausbleiblicher
Cassation, und nach Befinden noch härterer Strafe und Ahndung, sich der
(...) angezeigten oder noch mehrerer Irrthümer in so fern schuldig
machen soll, daß er solche Irrthümer bey der Führung seines Amtes oder
auf andere Weise öffentlich oder heimlich auszubreiten sich unterfange.
Denn so wie Wir zur Wohlfahrt des Staates und zur Glückseligkeit
Unserer Unterthanen die bürgerlichen Gesetze in ihrem ganzen Ansehen
aufrecht erhalten müssen, und keinem Richter oder Handhaber dieser
Gesetze erlauben können, an dem Inhalt derselben zu klügeln, und
selbigen nach seinem Gefallen abzuändern; eben so wenig und noch viel
weniger dürfen Wir zugeben, daß ein jeder Geistlicher in
Religionssachen nach seinem Kopf und Gutdünken handele, und es ihm
freystehen könne, die einmal in der Kirche angenommenen Grundwahrheiten
des Christenthums das Volk so oder anders zu lehren, sie nach bloßer
Willkühr beyzubehalten oder wegzuwerfen, die Glaubensartikel nach
Belieben in ihrem wahren Lichte vorzutragen, oder seine eigene Grillen
an ihre Stelle zu setzen. (...)
Ein jeder Lehrer des Christenthums in Unsern Landen, der sich zu einer
von diesen drey Confessionen (d.i. Reformierte, Lutheraner und
Katholiken) bekennet, muß und soll vielmehr dasjenige lehren, was der
einmal bestimmte und festgesetzte Lehrbegriff seiner jedesmaligen
Religions-Parthey mit sich bringet, denn hiezu verbindet ihn sein Amt,
seine Pflicht, und die Bedingung, unter welcher er in seinem besonderen
Posten angestellet ist. Lehret er etwas anders, so ist er schon nach
bürgerlichen Gesetzen straffällig, und kann eigentlich seinen Posten
nicht länger behalten. Unser ernster Wille ist daher, auf die
Festhaltung dieser unabänderlichen Ordnung gerichtet, ob Wir schon den
Geistlichen in Unsern Landen gleiche Gewissensfreyheit mit Unsern
übrigen Unterthanen gern zugestehen, und weit entfernt sind, ihnen bey
ihrer innern Ueberzeugung den mindesten Zwang anzuthun. Welcher Lehrer
der christlichen Religion also eine andere Ueberzeugung in
Glaubenssachen hat, als ihm der Lehrbegriff seiher Confession
vorschreibt, der kann diese Ueberzeugung auf seine Gefahr sicher
behalten, denn Wir wollen Uns keine Herrschaft über sein Gewissen
anmaßen; allein, selbst nach seinem Gewissen müßte er aufhören, ein
Lehrer seiner Kirche zu seyn; er müßte sein Amt niederlegen, wozu er
sich selbst aus obiger Ursache unbrauchbar und untüchtig fühlet. Denn
der Lehrbegriff der Kirche muß sich nicht nach der jedesmaligen
Ueberzeugung dieses oder jenes Geistlichen richten, sondern umgekehrt,
oder es kann von Rechtswegen ein solcher Geistlicher nicht mehr das
seyn und bleiben, wofür er sich ausgiebt. (...)
Dem Vorigen gemäß, befehlen Wir also den jedesmaligen Chefs der beiden
geistlichen Departements so gnädig als ernstlich, ihre vornehmste Sorge
dahin gerichtet seyn zu lassen, daß die Besetzung der Pfarren sowol,
als auch der Lehrstühle der Gottesgelahrtheit auf Unsern Universitäten,
nicht minder der Schul-Aemter durch solche Subjecte geschehe, an deren
innern Ueberzeugungen von dem, was sie öffentlich lehren sollen, man
nicht zu zweifeln Ursache habe; alle übrige Aspiranten und Candidaten
aber, die andere Grundsätze äußern, müssen und sollen davon ohne
Anstand zurückgewiesen werden, als worinn Wir besagten beiden Ministres
stets freye Macht und Gewalt lassen wollen. (...) |