WIEDERVEREINIGUNGSVERSUCHE
BIS ZUM PONTIFIKAT PIUS XII.
von
Eugen Golla
Bereits 2o Jahre war im Deutschen Reich die lutherische Reformation auf
dem Vormarsch. Kaiser Karl V., ein überzeugter Katholik, sah im
Protestantismus allerdings nicht nur eine religiöse Angelegenheit,
sondern auch einen wichtigen Faktor im politischen Bereich, denn die
neuen protestantischen Stände drohten, sich Frankreich anzuschließen,
das seit Jahrzehnten in ständiger Fehde mit dem Reich lag, und
erklärten sich nur gegen ständig wachsende Konzessionen bereit, Hilfe
gegen die Türken zu leisten. Um diesen bürgerkriegsähnlichen Zuständen
ein Ende zu bereiten, versuchte nun Karl V. mittels Religionsgesprächen
den konfessionellen Frieden wieder herzustellen, um dadurch die
Konsolidierung der politischen Verhältnisse zu erreichen.
Naturgemäß mußte der Papst gegenüber solchen Aktivitäten äußerst
zurückhaltend sein, da solche den Glauben betreffende Verhandlungen in
das Zuständigkeitsgebiet der Kirche fallen. Vergebens warnte der in
Deutschland weilende Nuntius vor solchen Versuchen, zumal die
Protestanten nur an der Beseitigung des Papsttums, nicht aber an der
Beseitigung der Mißbräuche interessiert seien und die
Religionsgespräche ihnen nur die willkommene Gelegenheit böten, ihre
Lehren weiterhin bekanntzumachen und zu verbreiten. Schweren Herzens
sandte schließlich der Papst einen sehr angesehenen Kirchenfürsten, den
Nuntius Morone, 154o nach Hagenau / Elsaß, den Tagungsort, wo er Zeuge
der Uneinigkeit auf katholischer Seite - ein Teil der katholischen
Fürsten war nicht erschienen, andere nur dem Namen nach katholisch -
und der Hartnäckigkeit der Protestanten wurde. Bereits im Stadium der
Vorverhandlungen endete das Kolloquium. 1541 fand in Worms das zweite
Religionsgespräch statt, das schon nach vier Tagen scheiterte.
Ein großangelegter Versuch einer Einigung sollte im gleichen Jahr auf
dem Reichstag zu Regensburg erfolgen. Rom entsprach dem Wunsche des
Kaisers, diesmal nicht nur einen Nuntius, sondern einen Legaten zu
entsenden. Allein schon die Wahl des Kardinals Contarini bedeutete ein
Entgegenkommen seitens der Kurie, da er wegen seiner versöhnlichen
Gesinnung gerade in Deutschland besonderes Vertrauen besaß. Die
führenden Gesprächsteilnehmer auf katholischer Seite waren außer
Johannes Eck, der seit Luthers Auftreten in der vordersten Linie der
Verteidiger des alten Glaubens stand, die beiden
"Vermittlungstheologen" Johannes Gropper und Julius Pflug, letzterer
erwählter Bischof von Naumburg. Für die Protestanten sprachen vor allem
Melanchton und Bucer. Von Anfang an versuchte Kardinal Contarini nicht
nur auf Eck mäßigend einzuwirken, sondern überhaupt seine Gegner durch
Klugheit und Milde zu gewinnen. Hauptsächlich auf Gropper ging die bei
den Gesprächen angewandte Taktik zurück, den Unterschied in der Lehre
zu mildern und dafür das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen;
dieserhalb wurden die Artikel über den Primat des Papstes vorerst ad
acta gelegt. Die ersten Konflikte drohten bei der Erörterung der Frage
über die Rechtfertigung. Schließlich wurde sie durch die von Gropper
herrührende Formel von der doppelten Gerechtigkeit beigelegt, in der
katholische und protestantische Anschauungen miteinander verbunden
sind: neben der inhärierenden Gerechtigkeit, welche uns durch die Gnade
Christi zuteil wird, nahm man noch eine höhere Gnade an, die dem
Menschen aufgrund seines Glaubens geschenkt und angerechnet wird und
erst die Vollkommene Erneuerung bewirkt. Diese Formel, der sogar Eck,
wenn auch widerstrebend zustimmte, wurde bald von Rom verworfen.
Allerdings muß man berücksichtigen, daß zu diesem Zeitpunkt die Lehre
von der Rechtfertigung noch nicht dogmatisiert war. Dies erfolgte erst
einige Jahre später auf dem Konzil von Trient. Der ergebnislose Verlauf
der Verhandlungen war besiegelt, als die Artikel über das
Altarsakrament behandelt wurden. "Es zeigte sich jetzt, daß die
Protestanten nicht allein den durch das vierte Laterankonzil für den
Begriff der eucharistischen Wesensverwandlung festgestellten Ausdruck
"Transsubstantiation" verwarfen, sondern auch zugleich das Wesen der
Sache, die wahre Verwandlung der Substanz des Brotes und Weines in den
Leib und das Blut Christi, leugneten und damit noch eine andere
Irrlehre verbanden, indem sie behaupteten, daß der Leib Christi nur für
den Genießenden vorhanden sei, und deshalb die Anbetung des heiligen
Sakramentes für Abgötterei erklärten." 1)
Zwei Jahre später reifte bei Kaiser Karl V. der Plan, die immer
geschlossener auftretenden und militärisch gut organisierten
protestantischen Stände mittels Waffengewalt niederzuwerfen. 1546
versuchte er nochmals ein Religionsgespräch in Regensburg, das, wie
nicht anders zu erwarten, keine Einigung herbeiführte. Diesmal kam bei
den Katholiken die strenggläubige Partei zum Zuge, so daß Luthers Lehre
von der Rechtfertigung durch den Glauben allein kompromißlos abgelehnt
wurde. Im Jahre darauf besiegte der Kaiser die Häupter der Protestanten
bei Mühlberg an der Elbe. Spannungen zwischen ihm und dem Papst bewogen
Karl V., den Sieg zur Beilegung der religiösen Streitigkeiten im Sinne
einer Erstarkung der kaiserlichen Macht zu benützen, d.h. Rom wurde zur
Löaung der durch die Niederwerfung der Protestanten entstandenen
religiösen Fragen gar nicht erst herangezogen. Vermittlungstheologen
entwarfen das sog. Interim, das als Zwischenlösung bis zur endgültigen
Klärung der religiösen Zwistigkeiten auf dem Konzil von Trient gedacht
war. Es sollte vor allem für die Reformierten gelten, konnte aber in
größerem Umfang nur in Süddeutschland, hauptsächlich in den
Reichsstädten, durchgesetzt werden. Grundsätzlich sind zwar die
Bestimmungen im Sinne der katholischen Lehre abgefaßt, jedoch vielfach
sehr verschwommen. Um den Protestanten entgegenzukommen, wurde die
Priesterehe und die Kommunion unter beiden Gestalten gestattet. Das
Interim wurde sowohl von den Katholiken als auch von den Protestanten
nur widerwillig angenommen, vielfach sogar strikt abgelehnt. Wie nicht
anders zu erwarten, äußerte auch Rom schwere Bedenken, da der Kaiser,
ein Laie, sich Entscheidungen in Sachen des Glaubens und der Disziplin
anmaßte und zu Formulierungen verpflichten wollte, die nicht streng
katholisch waren.
Der Augsburger Religionsfriede von 1555 regelte die politische Stellung
der Katholiken und Lutheraner, d.h. beide Konfessionen waren als
Religionsgemeinschaften anerkannt. Die konfessionelle Spaltung des
Deutschen Reiches war besiegelt. Der Ausgleich der religiösen
Streitigkeiten sollte dagegen später auf einem Reichstag durch ein
Religionsgespräch gesondert geregelt werden. Dieses fand 1557 in Worms
statt. Die bedeutendsten Sprecher für die Katholiken waren der
kompromißbereite Michael Heiding, Bischof von Merseburg, und Petrus
Canisius aus der erst vor eineinhalb Jahrzehnten gestifteten
Gesellschaft Jesu. Die protestantische Lehre vertraten vor allem
Melanchton und Johannes Brenz. Die Hauptthemen waren die Hl. Schrift
als Glaubensnorm, die Autorität der Kirche und die Lehre über die
Erbsünde. Als besonders eifriger Verteidiger der katholischen Wahrheit
trat Canisius auf. So lauteten einige Sätze aus einer seiner Reden:
"Lassen Sie mich nur ein paar Beispiele anführen, um deutlich zu
machen, daß nicht alle die Lehre betreffenden Stürme, die die Kirche
Gottes erschütterten, durch die bloße Berufung auf die Schrift
besänftigt werden können. Wohl bekannt ist jene Stelle, die die
sakramentalen Worte unseres Herren beim Letzten Abendmahl enthält: 'Das
ist mein Leib', und gleichfalls wohlbekannt ist der heftige Streit, der
lange über die Auslegung dieser Worte tobte. Die eine Schule hält
dafür, daß sie den wahren und lebendigen Leib Christi bedeuten, der mit
der vernünftigen Seele und der Gottheit eine Person ausmacht. Andere
legen sie so aus, daß darunter nur ein Sinnbild, wenn auch ein
wirksames Sinnbild des Leibes Christi gemeint ist, und mit diesen gehen
die Theologen, die lehren, daß der Leib Christi bloß im Augenblick des
Genusses des Brotes und Weines gegenwärtig sei, aber nicht auf eine
andere Weise... Wäre nun die Heilige Schrift für sich genügend gewesen,
den Streit zu schlichten, so wäre die Frage unter gelehrten Männern
nicht so lange unentschieden geblieben. Dasselbe kann man in bezug auf
den Streit über die Zahl der Sakramente sagen..." 2)
Die Versammlung, welche sich zum Schauplatz der sich heftig
bekämpfenden verschiedenen protestantischen Richtungen entwickelte, ist
nach verhältnismäßig kurzer Zeit ohne ein Resultat vertagt worden.
Damit endete für das Deutsche Reich der letzte Versuch, auf
Gesprächsebene eine religiöse Einigung herbeizuführen.
Auch Frankreich brachten die Religionskriege an den Rand des
Verderbens. Auf Initiative der Regentin, der Königinmutter Katharina
von Medici, wurden 1561 zu Poissy Beratungen zwecks Herstellung eines
Religionsfriedens geführt. Empörung erregte dabei Beza, der
bedeutendste Schüler Calvins, als er bei seiner Darlegung der
"calvinischen Abendmahls lehre behauptete, der Leib Christi sei von
Brot und Wein so weit entfernt, als der Himmel von der Erde.
Schließlich warnte der Jesuitengeneral Laynez davor, mittels
mehrdeutiger Formulierungen eine Art Glaubensbekenntnis aufzustellen;
ein solches sei allein die Aufgabe des wiedereröffneten Konzils von
Trient. Katharina von Medici ließ dennoch eine Formel über das
Abendmahl aufstellen, welche beide Parteien befriedigen sollte. Da sie
aber katholischerseits für häretisch erklärt wurde und die Anhänger
Calvins die katholische Lehre über das Altarsakrament weiter ablehnten,
fanden diese Verhandlungen bald eine Ende - ohne positives Ergebnis.
1645 versuchte König Wladislaus IV. von Polen durch ein
Religionsgespräch in Thorn die Vereinigung der Katholiken mit den
verschiednen Gruppen der Evangeliken (Dissidenten) zu erreichen.
Wortführer der katholischen Partei war der Jesuit Schönhofer, welcher
insbesondere nachwies, "daß die bei den meisten Protestanten
herrschenden Vorstellungen über den katholischen Lehrbegriff in den
kirchlich anerkannten Quellen und Darstellungen desselben, namentlich
in den Beschlüssen des Conciliums von Trientund im Catechismus romanus
keine Begründung finden." 3)
Die Disputation konnte allein schon deshalb keinen Erfolg verbuchen,
weil sich auch hier die verschiedenen protestantischen Bekenntnisse auf
das schärfste bekämpften. Am meisten wurde von den strengen Lutheranern
Georg Calixtus, Prof. der Theologie auf der Universität Helmstädt
angegriffen, der auf mehreren Studienreisen den Katholizismus kennen
gelernt und sich frühzeitig dem Studium der Kirchenväter gewidmet
hatte. Seine Bemühungen um die Wiedervereinigung beruhten auf den
Grundlagen des Glaubens der ersten fünf Jahrhunderte, so daß alle,
welche an ihm festhielten als Glaubensbrüder zu betrachten seien. Diese
seine Betonung der Notwendigkeit der altkirchlichen Tradition, die er
für wichtiger hielt als die Bekenntnisschriften der Reformation, führte
dazu, daß man ihn des Kryptokatholizismus und Synkretismus
beschuldigte.
Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges erwies es sich als
aussichtslos, nochmals durch Waffengewalt eine Lösung der religiösen
Fragen zu versuchen. Aber auch die Zeit der großangelegten
Religionsgespräche war vorbei. Dennoch erlosch der Gedanke an eine
friedliche Einigung der verschiedenen Bekenntnisse nicht.
Anfangs nur von Kaiser Leopold hauptsächlich aus politischen Gründen
unterstützt - die Zerfallstendenzen im Reich machten die ständig
drohenden Kriege mit Frankreich und der Türkei immer gefährlicher -
trat seit 1672 der Franziskanerbischof Spinola mit einigen
protestantischen Reichsfürsten in Verbindung, um sie zum katholischen
Glauben zurückzuführen. Dabei beurteilte er die Lage zu optimistisch,
da eine eventuelle Bereitschaft zur Konversion meist durch materielle
Vorteile (Säkularisation) zu erreichen war. Wie weit Spinola in
religiöser Hinsicht Zugeständnisse gemacht hat, ist nicht genau
bekannt. Jedenfalls wurde aber katholischerseits der Vorwurf erhoben,
er ginge in dieser Hinsicht zu weit, während die Protestanten zu
verstehen gaben, sie wollten nicht wieder das päpstliche
antichristliche Joch auf sich nehmen. Papst Innozenz XI. - er hatte
aufgrund übertriebener positiv lautender Berichte für Spinolas
Bemühungen anfangs großes Interesse gezeigt - zog sich einige Jahre
später aus prinzipiellen Bedenken zurück.
Drei Persönlichkeiten sind bei den Reunionsverhandlungen im letzten
Drittel des 17. Jahrhunderts besonders hervorgetreten: Molanus, Leibniz
und Bossuet.
Walter Molanus, ein Schüler von Calixtus, war Abt des ehemaligen
Zisterzienserklosters Loccum (bei Hannover), das im Ausgang des 16.
Jahrhunderts die Reformation angenommen hatte, aber viele klösterliche
Gebräuche beibehielt, so auch den Mönchshabit. Damit aber nicht
zufrieden, betete Molanus als Abt auch das Zisterzienserbrevier und
hielt kraft seines Gelübdes auch den Cölibat. Er beteiligte sich -
teils in enger Verbindung mit Spinola - an den
Wiedervereinigunsversuchen im Glauben, wobei er als Voraussetzung den
Laienkelch und die Priesterehe verlangte. Er erklärte sich bereit zu
einer Anerkennung des päpstlichen Primates, hielt aber zugleich an
einer Wiederaufnahme der Gespräche hinsichtlich der strittigen Lehren
fest. Dieser "irenische Pastor" ist ein Beispiel, ein wie weiter
Schritt noch zu tun war, um vom katholisierenden Protestantismus in den
Schoß der Kirche zurückzufinden: Vorwürfe des Kryptokatholizismus und
Gerüchte über seine Konversion veranlaßten ihn später die Meinung zu
vertreten, "daß die päpstliche Kirche, excepta communione sub una
(ausgenommen die Kommunion unter einer Gestalt) in der Lehre lange
nicht so schlimm sei als in cultu", und wer "im Papsttum geboren und
erzogen sei, selig werden könne, woraus aber nicht folgen solle, daß
ein evangelischer Christ,ohne Sünde gegen sein Gewissen oder nach
Rom.14,auch nur mit zweifelndem Gewissen übertreten dürfe." 4)
Selbst gläubiger Protestant, erstrebte Leibniz, seinem Weltbild
entsprechend die Einigung der Christenheit zu einer universalen Kirche.
Dabei schlug der große Philosoph zuerst die Wiedervereinigung, dann
erst die Lösung der dogmatischen Fragen vor. Auch sah er im Konzil von
Trient den Stein des Anstoßes, sprach ihm folglich den ökumenischen
Charakter ab und verlangte eine Überprüfung seiner Entscheidungen. Der
berühmte französische Bischof und Kanzelredner Bossuet, obwohl eifriger
Gallikaner, trat dieser Auffassung mit Bestimmtheit entgegen. Er legte
dar, daß bei einer Wiedervereinigung die Übereinstimmung im Glauben den
Vorrang haben müsse, da sonst die Anerkennung des Papstes als
geistliches Oberhaupt, wozu in einigen protestantischen Kreisen eine
gewisse Geneigtheit bestand, sinnlos sei. Ebenso betonte er, daß die
erneute Überprüfung, also Infragestellung, der Entscheidungen des
Konzils von Trient, letztlich den Zweifel an sämtlichen Dogmen zur
Folge haben werde.
Im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung, konnte - vielfach
unbehelligt von den Bischöfen, die zum Teil selbst Freimaurer waren
oder zumindest diesen Ideen wohlwollend gegenüberstanden - eine Reihe
von Theologen dogmatisch nicht einwandfreie Unionspläne entwerfen.
Begeisterung erntete bei den Aufklärern der berüchtigte Hirtenbrief des
Salzburger Fürstbischofs Hieronymus Graf von Colloredo (Freimaurer und
wahrscheinlich auch Illuminat) von 1782, dessen Grundgedanke "Friede,
Eintracht und Toleranz gegen Brüder, die über den einen oder anderen
Religionspunkt anders denken als wir" war. Es sollte also an die Stelle
des alten Glaubens und der alten Liturgie ein seichter, verwässerter,
vom Protestantismus beeinflußter Katholizismus treten mit möglichst
wenig "Heiligendienst, Ablaßpredigten und Bußwerken". Papst Pius VI.
verurteite in seiner berühmten Bulle "Auctorem fidei" von 1794 diese
mit der ständigen Praxis der Kirche in Widerspruch stehenden neuen
kirchlichen Gebräuche und Andachten.
Bei den Anglikanern waren infolge ihrer bischöflichen Kirchenverfassung
immer Tendenzen zum Katholizismus vorhanden. Als Reaktion gegen
Rationalismus und Liberalismus erstarkte um 183o diese Richtung in der
sog. Oxfordbewegung, die eine Erneuerung der Anglikanischen Kirche
durch Rückgriff auf mittelalterliche Strukturen, insbesondere die
Wiedereinführung alter Riten (teilweise sogar Meßgewänder und
Weihrauch) erhoffte. Diesem modernen Anglokatholizismus entstammten
auch die zwei bedeutendsten Männer des katholischen England im
vergangenen Jahrhundert: Kardinal Newman und Kardinal Manning,
letzterer katholischer Erzbischof von Westminster, beide anglikanische
Pastoren zunächst, die überzeugt davon, daß nur die Kirche von Rom im
Besitze der wahren Lehre sei, den Mut zur letzten Konsequenz
aufbrachten und konvertierten. Seit 1868 war Präsident der
Anglokatholiken (also einer Organisation innerhalb der englischen
Hochkirche) Lord Halifax. Sein langgehegter Wunsch einer Versöhnung der
Hochkirche mit Rom schien der Erfüllung nahe zu kommen, als er 1893 mit
dem Lazaristenpater Portal versuchte, Leo XIII. für die Anerkennung der
anglikanischen Weihen zu gewinnen, obwohl die katholische Kirche diese
Weihen schon immer als ungültig betrachtet hatte. Der Anspruch der
Anglikaner auf die apostolische Sukzession ihrer Bischöfe beruht auf
den Weihen des 1559 von Königin Elisabeth I. zum Erzbischof von
Canterbury ernannten Matthew Parker, da die meisten anglikanischen
Bischofsweihen auf ihn zurückzuführen sind, feeweiht' wurde Parker,
ursprünglich katholischer Priester, von dem ehemaligen Augustiner
Barlow, damals allerdings längst beweibt und Vater von zwölf Kindern.
Wahrscheinlich dürfte Barlow aber unter Heinrich VIII. noch eine
gültige Bischofsweihe empfangen haben. Rom entschied aber nicht gemäß
den Wünschen von Lord Halifax. Das päpstliche Rundschreiben
"Apostolicae curae" vom 13. Sept. 1896, an dessen Abfassung der spätere
Kardinal-Staatssekretär Pius X., Merry del Val maßgebenden Anteil
hatte, erklärte die anglikanischen Weihen, besonders in Hinsicht auf
die Ordinationsordnung, welche die Gewalt, Opfer darzubringen,
eliminiert hatte, für ungültig. So betont daher diese Bulle
ausdrücklich: "Sobald nämlich ein neuer Ritus eingeführt wird, in dem,
wie wir gesehen haben, das Sakrament der Priesterweihe verfälscht und
geleugnet wird und von dem jeder Gedanke an Wandlung und Opfer
zurückgewiesen wird, dann genügt die Formel "Empfange den Heiligen
Geist" auch nicht mehr; denn der Heilige Geist wird in die Seele
eingegossen mit der Gnade des Sakramentes".
Diese Erklärung wurde in der Kirche Englands als derbe Kränkung
empfunden. Rom aber erwies sich als Hüterin des unversehrten Glaubens.
Von 1921 bis 1925 fand noch ein Versuch einer Annäherung zwischen
Katholiken und Anglikanern statt. Mit Wissen, später mit ausdrücklicher
Billigung des Papstes, lud der Kardinal-Erzbischof von Mechelen,
Mercier, den inzwischen über 8o Jahre alt gewordenen Lord Halifax zu
privaten, vorbereitenden Gesprächen über eine mögliche
Wiedervereinigung ein. Sie blieben aber ohne ein unmittelbares
Ergebnis, da sich die Anglikaner zwar zur Anerkennung eines päpstlichen
Ehrenprimats, aber nicht eines Jurisdiktionsprimates bereit erklärten.
Um diese Zeit hat bereits die aus dem Protestantismus hervorgegangene
ökumenische Bewegung mit ihrem Streben nach einer Einheit aller
christlichen Bekenntnisse eine große Anhängerschaft erworben. Obwohl
ihre Anfänge bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichen,
trugen zu ihrer Entfaltung wesentlich die nach dem Kriegsende sich
mächtig entfaltende Friedenssehnsucht bei, ebenso das gleichzeitig mit
dem Zusammenbruch des Kaiserreiches erfolgte Ende der deutschen
protestantischen Staatskirche sowie das Erstarken liberaler Strömungen.
Die katholische Kirche schätzte zwar die Arbeiten, welche die
A-Katholiken für den Frieden leisteten, lehnte es aber ab, auf gleichem
Fuß mit den anderen Konfessionen zu verhandeln, besonders da, wo die
Kirche bereits entschieden hatte. In diesem Sinne erfolgte auch das
Verbot, an der Weltkirchenkonferenz in Lausanne 1927 teilzunehmen,
sowie an den Zusammenkünften des Weltkirchenrates in Amsterdem 1948.
Die Päpste begnügten sich aber nicht nur mit Verboten. Ihrer
Hirtensorge verdanken wir dieserhalb auch verschiedene Enzykliken. Der
Sorge vor einem falschen Ökumenismus entsprang das berühmte
Apostolische Rundschreiben "Mortalium Animos" vom 6. Januar 1928 des
Papstes Pius XI. Der Inhalt der einzelnen Kapitel ist: "Es geht durch
die Menschheit die Sehnsucht nach gegenseitigem Zusammenschluß. Dieses
Sehnen nach Zusammenschluß findet auch in den modernen
'Religionskongressen' Ausdruck, die freilich nicht zu billigen sind.
Verwerflich sind auch die von den Vertretern eines vagen, 'allgemeinen'
Christentums unternommenen Versuche einer Einigung 'aller, die sich
Christen nennen'. Die Katholiken müssen vor diesen 'panchristlichen'
Bestrebungen gewarnt werden.
Es gibt nur eine wahre Religion: die geoffenbarte, und nur eine wahre
Kirche: die von Christus gestiftete. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, es
gebe heute keine einheitliche Kirche Christi, sondern nur verschiedene
christliche Sonderkirchen, die sich als gleichberechtigte Größen zu
einem Bund zusammenschließen sollten, ohne direkte Unterwerfung unter
den Papst.
Die römisch-katholische Kirche ist die eine wahre Kirche Christi, die
von Gott bestellte Hüterin der geoffenbarten Wahrheit, die nicht auf
den Boden der Diskussionen herabgezogen werden darf. Die Liebe allein
kann die getrennten Christen nicht zusammenführen, wenn nicht der
unverfälschte Glaube das Band der Einheit bildet: der katholische
Glaube ohne Einschränkungen und Abstriche.
Die Einigung aller, die sich Christen nennen, kann nur durch die
Rückkehr der Andersgläubigen zu der einen wahren römisch-katholischen
Kirche erreicht werden, durch die Unterwerfung unter Lehramt und
Leitung des Nachfolgers Petri. Der Papst wir die zum Vaterhaus
Heimkehrenden liebevoll aufnehmen. Die Heimkehr der Getrennten, die
Förderung der wahren Einheit der Religion, ist der Herzenswunsch des
Papstes und soll der Gegenstand des Gebetes aller sein."
Als Gegenstück zu den protestantischen Einheitsbemühungen entwickelte
sich katholischerseits die Una-Sancta-Bewegung. Grundlegend war die
1937 erschienene Schrift "Chretiens Desunis" des französischen
Dominikaners Yves Congar. In Deutschland förderte das Wachsen der
Una-Sancta besonders der gemeinsame Abwehrkampf katholischer und
evangelischer Christen im Dritten Reich.
Im Sinne seines Vorgängers Pius XI. warnte auch Pius XII. vor falschen
ökumenischen Bestrebungen. So schärfte er 1949 in einem Schreiben an
alle Bischöfe den Oberhirten die Grundsätze eines katholischen
Qkumenismus ein, der die Wiedervereinigung der Außenstehenden mit der
katholischen Kirche zum Ziel hat. Insbesondere hebt er die Gefahren des
Indifferentismus und der Anpassung der Dogmen an die verschiedenen
Religionsbekenntnisse hervor und macht es den Bischöfen auch zur
Aufgabe darüber zu wachen, daß in kirchengeschichtlichen Werken über
die Reformation die Fehler der Katholiken nicht übertrieben und die
Schuld der Reformatoren nicht abgeschwächt werde. Allerdings wäre die
Auffassung, daß die späteren Matadoren des Ökumenismus nicht schon
unter dem Pontifikat Pius XII. genau wußten, was sie wollten sehr naiv;
sie waren schon am Werk, aber eben mehr im Untergrund und Geheimen;
daher ist eine gewisse Aktivierung der ökumenischen Bestrebungen in den
letzten Jahren des Pacelli-Papstes festzustellen. So errichtete
Willebrands 1952 die katholische Konferenz für ökumenische Fragen und
im selben Jahr ersuchte der Vatikan den apostolischen Vikar von
Schweden für die Konferenz "Faith and Order" ("Glaube und
Kirchenverfassung", ein Zweig der ökumen. Bewegung) in Lund vier
katholische Beobachter zu bestimmen. 1954 nahmen aber an der
Versammlung des ökumenischen Rates in Evanston bei Chicago keine
katholischen Beobachtteil. Erst Roncalli gab mit der 196o erfolgten
Gründung des Sekretariats für die Einheit der Christen und den
Beschlüssen seines Konzils die Bahn frei zur Gründung einer alle
Religionen umfassenden "Katholischen" Kirche.
Benützte Literatur:
Apostolisches Rundschreiben "Mortalium Animos" (Freude an der Wahrheit, Röm.-kath. Schriften Nr. 51, K.u.H. Haselböck).
Brodrick James; Petrus Cansisius, Band I, Wien 195o.
Bulle Apostolicae Curae (BEDA-KREIS, Januar 1985).
Geschichte d. kath. Kirche, hrsg. v. L.J. Rogier, R. Aubert u. M.D. Knowles, Bd. V/2, Benzinger-Verlag, 1977.
Heyer Friedr., Die katholische Kirche 1648-187o (Die Kirche in ihrer Geschichte, Vandenhoek 5, Ruprecht, Göttingen).
Holzer Ant., Vatikanum II, Saka 1977.
Howson Eugene A.W., Sind die neuen Weiheriten nach Vatikanum II gültig? EINSICHT, 11. Jahrg., Nr.2.
Jedin Hubert, Handbuch der Kirchengeschichte, Band Vl/2, Freiburg 1973.
Pastor L., Geschichte der Päpste, Band V., Freiburg 1909.
Realencyklopädie für Protestantische Theologie und Kirche, Leipzig, Artikel: Calixtus und Molanus.
Theologische Realencyklopädie, Berlin 1978, Artikel: Anglokatholizismus.
Wetzes und Weites Kirchenlexikon, darin die Artikel Disputation, Hugenotten, Molanus, Parker.
Anmerkungen:
1) Pastor, Ludwig: "Geschichte der Päpste" Bd. V, S.311.
2) Brodrick, James: "Petrus Canisius" Bd. I, S.572 f.
3) Wetzes und Weites "Kirchenlexikon", Artikel "Disputation - Gespräche
zu Thorn", Col. 1854. 4) "Realencyklopädie für protestantische
Theologie und Kirche", Artikel "Molanus", S.256. |