DER HL. ANTONIUS VON PADUA
von
Manfred Jacobs
Fortsetzung: (Vgl. EINSICHT vom September 1986, S.86 ff.)
Es traf sich daher ganz gut, daß der als Provinzialminister für
Oberitalien neu gewählte Bruder Gratian einen Priester suchte, den er
für die sechs Laienbrüder, die in der Einsiedelei von Monte Paolo bei
Forli stationiert waren, dringend benötigte. Antonius bot sich an,
diese Stelle zu übernehmen, und Bruder Gratian stimmte zu. Nun hatte
Antonius wieder ein Ziel vor Augen. Sein Weg führte mit den anderen
über den Apennin.
Auf einem Hügel 4oo Meter über dem Meer lag das kleine Kirchlein, in
dem Antonius nunmehr die hl. Messe lesen sollte. Auch das Kloster, zu
dem diese Kirche gehörte, war klein, hatte aber genügend Zellen für
alle. Aber Antonius wollte noch weiter in die Einsamkeit, in der er
noch besser schweigend und dem Gebet ergeben seinen Geist zu Gott
erheben konnte. So bezog er eine Höhle, die mitten im Wald lag. Hier
oblag er sehr harten Bußübungen, der Betrachtung und dem Gebet. Obwohl
sein Körper durch diese außerordentlich strenge Lebensweise sehr
geschwächt war, ja sogar so geschwächt war, daß er teilweise getragen
werden mußte, weil er nicht mehr die Kraft hatte zu gehen, nahm er
trotzdem noch zusätzlich an den gemeinsamen Übungen im Kloster teil,
und er bat die Brüder darüber hinaus, noch deren Zellen und das
Küchengeschirr reinigen zu dürfen.
In der Einsamkeit und der Stille, die nicht frei war von "Angriffen und
Drohungen der Dämonen" reifte nun die geistige Größe des Antonius
heran, wie ja überhaupt nur die Stille das echte und wahre Große
hervorbringt und wie sich dieses auch nur dort voll und ganz entfalten
kann. "Das Tor zum Himmel ist niedrig, und wer eintreten will, muß sich
beugen." Antonius wuchs hier seiner eigentlichen, von Gott gesetzten
Aufgabe entgegen, ohne daß er es wußte. In der Abgeschiedenheit wollte
er Gott dienen, aber "jedermann gilt das, was er vor Gott gilt, und um
nichts mehr" schreibt er einmal, und so war es ihm nur ein Jahr
vergönnt, in seiner geliebten Einsamkeit in Monte Paolo zu verweilen.
"Gott behält seine Tröstungen jenen vor, die Buße tun für ihre Sünden
und für jene des Nächsten, für die Traurigkeiten dieser Welt oder für
die Verbreitung des Reiches Christi". Auch für Antonius galt das Wort
des Herrn: "Ich will dich führen, wohin du nicht willst."
Es war das Jahr 1222. In Forli fand bei den beiden Bettelorden, dem der
Franziskaner und dem der Dominikaner, in der alten Kirche von San
Mercuriale eine gemeinsame Priesterweihe statt. Das war immer ein
großes Ereignis, und es war Sitte, daß alle Ordensmitglieder dieser
beiden Orden daran teilnahmen. Antonius hatte sein Einsamkeit verlassen
und wohnte ebenfalls der Feierlichkeit bei. Das anschließende Essen
wurde im Refektorium der Dominikaner in Anwesenheit des Bischofs
Ricciardello Belmonti eingenommen. Auch hier waren beide Konvente
vollzählig versammelt. Um die Bedeutung des Tages noch besonders zu
unterstreichen, hielt es Bruder Gratian für angebracht und
wünschenswert, daß noch eine Ansprache an die Primizianten im
besonderen und an die anderen Anwesenden im allgemeinen gehalten werden
sollte. Er wandte sich deshalb an die Dominikaner als Predigerorden.
Aber alle Angesprochenen entschuldigten sich. Ohne entsprechende
Vorbereitung sähen sie sich nicht in der Lage, eine solche Bitte
erfüllen zu können. Bruder Gratian möge hierfür Verständnis haben.
Was den Bruder Gratian dazu bewogen hat, ausgerechnet den stillen und
besonders zurückgezogenen Bruder Antonius zu beauftragen, die Aufgabe
zu übernehmen, eine Rede zu halten, wird wohl immer ungeklärt bleiben,
hatte doch Bruder Gratian Antonius noch nie predigen oder lateinisch
sprechen gehört. Wie zuvor die Dominikaner bat auch Antonius, von
diesem Auftrag entbunden zu werden. Aber der franziskanische Superior
bestand hartnäckig auf seiner Anweisung. Im gelobten Gehorsam erhob
sich Antonius, betete um Erleuchtung und nach einigen Minuten der
Sammlung begann er, zuerst vielleicht noch zögernd, zu sprechen. Seine
Ansprache wurde zum Erlebnis. Wie gebannt lauschte die Versammlung den
Worten des Redners. Eine solche Begeisterung hatte sie selten gepackt.
Wen hatte man da vor sich? Woher nahm dieser unbekannte Franziskaner
das Feuer, die Beredsamkeit und die Tiefe der theologischen Denkens?
Ohne Vorbereitung? Bruder Gratian war beglückt und stolz auf seine
Entdeckung. Ihm war es vorbehalten gewesen, das Licht unter dem
Scheffel hervorzuholen und auf den Leuchter zu stellen. Das war genau
das, was man suchte und brauchte. Gewiß, in Umbrien war es noch
möglich, mit guten Beispielen und frommen Ermahnungen die dortigen
Christenmenschen nicht auf Abwege kommen zu lassen. Anders im
nördlichen Italien. Dort trieben Häretiker ihr Unwesen, zungenfertig
und mit betörenden Reden. Diesen galt es, die Klarheit und
Unwiderlegbarkeit der christlichen Glaubenslehre entgegenzusetzen, und
dies in einer kräftigen Sprache, die jeder verstehen konnte.
Bruder Gratian nahm kurz Rücksprache mit Bruder Elias, dem eigentlichen
Oberhaupt des Ordens, und dieser besprach sich mit Franziskus. Dieser,
gelehrten Disputationen nicht gerade wohlwollend gegenüber, sah die
Notwendigkeit einer gezielen, massierten geistigen Auseinandersetzung
und somit die Bekämpfung der Irrlehrer ein und gab seine Zustimmung zu
diesem Unternehmen. So erhielt Antonius mit 27 bzw. 28 Jahren bei dem
Kapitel am Fest des hl. Erzengels Michael den Auftrag, als Prediger in
der Romagna zu wirken. Hier war die Sekte der Katarer weit verbreitet,
und hier wird Antonius zum "Häretikerhammer": "Ihr Heuchler und
falschen Propheten, gegen die uns Jesus Christus zur Wachsamkeit mahnt,
ihr werdet keinen Anteil am Reiche Gottes haben, weil ihr euch von
seinem mystischen Leib getrennt habt. Ihr seid dürre Zweige geworden,
bestimmt, ins Feuer geworfen zu werden. Ihr seid Bäume ohne Frucht, da
eure Tugend und eure Rechtschaffenheit nur aus Worten besteht. (...) 0,
ihr Häretiker, ihr unbeschreiblichen Bestien, ihr seid Tiere mit
menschlichem Antlitz, aber der Rest des Körpers ist tierisch."
In einem Gebiet, aus dem heiligmäßige Pröbste und Bischöfe hals über
Kopf fliehen mußten, war gefährlich zu leben, und der ersehnte Erfolg
blieb Antonius so manchesmal versagt. Ja, man versuchte sogar, ihn zu
vergiften. So verkannt, mißverstanden, verachtet, verhöhnt, verlacht
und weil ihn die Menschen nicht hören wollten, wandte sich Antonius in
Rimini den Fischen zu und es kam zu der berühmten "Fischpredigt". Diese
Legende hat sogar in der Dichtung ihren Niederschlag gefunden. In
Rimini, der Hochburg der Katharer, war es auch, wo sich das Haupt
dieser Sekte, Bonville, der schon 3o Jahre in der Irrlehre gelebt
hatte, wieder dem wahren Glauben zuwandte. Viele schlössen sich ihm an.
Diese Bekehrung des Bonville wurde später mit der Legende des sog.
"Eselswunder" ausgeschmückt.
Wenn Antonius auch Mißerfolge hinnehmen mußte, so war doch das Gelingen
seiner Tätigkeit insgesamt gesehen so frappierend, daß spätere
Generationen verwunderliche Erzählungen schufen, um ihrem Erstaunen
darüber Ausdruck zu verleihen.
Es blieb nicht aus, daß viele, aufgerüttelt durch die Predigten des
Antonius, dem Priesterstand zustrebten. Sie mußten aber zuvor eine gute
theologische Ausbildung erhalten, um den Irrlehrern mit guten
Argumenten entgegentreten zu können. Der Provinzial der Romagna
informierte Franziskus von der Gelehrsamkeit des Antonius und bat,
diesen auch als Lehrer der Theologie einzusetzen. Franziskus große
Befürchtung im allgemeinen war die, daß die Lehrer und Schüler über der
Wissenschaft Demut und Gebetsgeist verlieren könnten. Andererseits sah
er aber auch ein, daß Kultur, Bildung und vor allem theologische
Studien in seinem sich bisher vielfach aus einfachen und oftmals
unbedarften, aber gutmütigen und wohlmeinenden Laienbrüdern
zusammengesetzten Orden Eingang finden müsse. So schrieb er einen Brief
an Antonius: "Dem Bruder Antonius wünsche ich, Bruder Franz Heil. Es
gefällt mir, daß Du den Brüdern die heilige Theologie vorträgst, wenn
sie nur nicht bei diesem Studium den Geist des Gebetes und der Andacht
auslöschen, wie es in der Regel steht. Lebe wohl."
Nun eröffnete Antonius die erste Ordensschule in Bologna. Im Konvent
der Minderbrüder von Santa Maria della Pugliola unterrichtete er von
1223 bis 1224. In dieser Zeit lernte er auch den Dominikaner Albertus
Magnus kennen. Als erster Magisteri seines Ordens nahm Antonius Kontakt
auf mit dem namhaften Augustiner-Prior Thomas, genannt der "Gallier",
aus der berühmten Abtei Saint-Victor in Paris. Thomas der Gallier war
der Autor der Kommentare zur mystischen Theologie des Dionysius
Areopagita, die im Mittelalter berühmt waren. Jetzt lebte er in der
Abtei in Vercelli neben der Basilika des hl. Andreas. Antonius nahm mit
diesem Prior Thomas Kontakt auf, um die eigene Bildung auf den neuesten
Stand zu bringen und um sich von diesem auch in anderen Fragen beraten
zu lassen. Die Zusammenarbeit der beiden Ordensmänner gestaltete sich
so, daß Thomas schrieb: "Bruder Antonius von den Minderbrüdern, mein
guter Freund, strebte danach, die mystische Theologie kennenzulernen.
Er eignete sie sich so gut an, daß ich von ihm sagen kann, was man von
Johannes dem Täufer sagte: Er war ein helles Licht, das durch das gute
Beispiel nach außen strahlt." Antonius war darauf bedacht, lediglich
ein getreuer Vermittler des göttlichen Wortes zu sein - ohne jeglichen
Gelehrtendünkel. Er schreibt: "Wir müssen den Glanz menschlichen Lohnes
fürchten. Wir müssen uns sammeln und uns selbst einschließen, um im
Lärm der Welt den kostbaren Schatz nicht zu verlieren, der im Innersten
unserer Seele reift."
Nicht nur in Oberitalien hatten sich die Katharer sich festgesetzt.
Auch in Südfrankreich waren sie zahlenmäßig stark vertreten. Ihre
stärkste Bastion hatten sie dort in Albi. Wie groß ihre Macht war,
zeigt sich allein schon darin, daß sie sogar imstande waren, Bischöfe
und andere kirchlichen Würdenträger aus ihren Ämtern zu vertreiben.
Diesen "Albingensern" oder auch "Waldensern - so benannt nach ihrem
Anführer Petrus Waldes aus Lyon, der schon seit 12o9 aktiv war - trat
Antonius mit dem "Schwert des Geistes", d.i. dem Wort Gottes entgegen.
Es war wichtig, daß Antonius hier in Frankreich unmittelbar zum Volke
predigte. Die damalige GelehrtoeiÁrache war das Latein, welches ihm
aber bei den Volkspredigten wenig genutzt haben dürfte. Antonius
beherrschte außer seiner Muttersprache Portugiesisch Latein, welches er
in Lissabon und Coimbra studiert hatte. Eine einheitliche
Nationalsprache, wie wir sie von heute her kennen, gab es damals weder
in Italien noch in Frankreich. So wurde z.B. in Bourges anders
gesprochen als in der Provence. Dazu kamen noch die verschiedenen
Dialekte. Wenn also Antonius direkt zum Volke sprechen konnte, wie das
überliefert ist, mußte er sich sehr schnell die italienische und
französische Sprache nebst einer ganzen Reihe von Dialekten angeeignet
haben und sie beherrscht haben!
Die Auseinandersetzung mit den Albingensern war ganz besonders
schwierig in der Provence. So ergab sich die Notwendigkeit, eine
besonders gelehrte Persönlichkeit zu finden, die auch in der Lage war,
komplizierte theologische Sachverhalte einfach und
allgemeinverständlich vorzutragen. Franziskus hatte für diese
schwierige Aufgabe Antonius Bruder Antonius ausersehen. Ganz einfach
mag ihm dieser Entschluß nicht gefallen sein, mußte er damit doch
indirekt zugeben, daß es auch in Glaubensdingen auf präzises Wissen und
Allgemeinbildung ankommt, was Antonius schon immer behauptet hatte.
Franziskus, der einen Horror vor der Arroganz und Eingebildetheit der
Gelehrten hatte, die, wie er richtig sah, nur das Seelenheil
gefährdeten, mußte hier einsehen, daß theologisches Wissen und
Gelehrsamkeit auch unabdingbar sein können, gerade um Seelen zu retten.
Die unterschiedlichen Auffassungen blieben bestehen, und vielleicht mag
das ein Grund mit dafür gewesen sein, daß die beiden tragenden Säulen
des Ordens, Franziskus und Antonius persönlich kaum Kontakt miteinander
pflegten, sich womöglich sogar etwas aus dem Wege gingen.
In Frankreich angekommen, nahm Antonius gleich an einem
Provinzialkapitel teil, welches am Fest des hl. Michael 1224 nach Arles
einberufen worden war. Der Provinzial Giovanni Bonelli ersuchte den
bekannten Redner Antonius eine Ansprache an die versammelten Mitbrüder
zu halten. Während der Predigt über die Inschrift am Kreuze Christi
"Jesus von Nazareth, König der Juden" erschien auf einmal Franziskus,
der zu dieser Zeit in Italien weilte, am Eingang des Hauses schwebend
in der Luft, die Hände in Kreuzesform ausgespannt, und segnete die
Brüder. Thomas von Celano, der erste Biograph des hl. Franziskus,
berichtete von dieser Bilokation, und Augustinus nahm sie sicherlich
als Zustimmung seines Ordensvater für sein Vorhaben auf. Bruder Monaldo
erblickte die Erscheinung des hl. Franzikus ebenfalls und
benachrichtigte daraufhin seine Mitbrüder.
Die kirchlichen und weltlichen Verhältnisse waren ein guter Nährboden
für das Aufkommen und Gedeihen von Häresien. Antonius unterrichtete
deshalb mit Weisheit Priester und Brüder in der Glaubenslehre. Er griff
auch direkt die kirchliche und weltliche Hierarchie scharf an wie z.B.
auf der Synode in Bourges 1225. Mächtige Herren, Bischöfe, Prälaten und
der weltliche Adel waren dort versammelt. Antonius zeigte weder Furcht
noch Unterwürfigkeit, und es ist bezeugt, daß der Erzbischof Simone de
Sulfy nach der schockierenden Rede des Minderbruders in sich ging und
zerknirscht und weinend Antonius darum bat, ihm, dem Erzbischof, die
Beichte abzunehmen. "Selten soll man zum Tadel greifen und nur, wenn es
notwendig ist und wir uns selbst gebessert haben" hält Antonius fest.
Aber in Bourges war der Tadel unumgänglich gewesen.
Der Historiker Rigauld schreibt über das Wirken des hl. Antonius in
Frankreich: "Die gebildeten Leute bewunderten die Schärfe seines
Geistes und seine große Beredsamkeit. (...) Er verstand es, seine Rede
auf die jeweiligen Zuhörer abzustimmen, so daß der Irrende den falschen
Weg verließ, der Sünder bereute und umkehrte, der Gute sich aufgerufen
fühlte, noch besser zu werden. Alles in allem ging keiner unzufrieden
nach Hause". In Frankreich war es auch, wo Antonius zunächst Guardian
des Konventes in Le Puy wurde und dann einer Reihe von Klöstern als
Oberer vorstand, in Limoges und den umliegenden Gebieten. Als
Vorgesetzter galt Antonius als besonders rücksichtsvoll, höflich und
entgegenkommend. Zum Abschluß seiner Mission in Frankreich lebte er in
einer Höhle in Brive, wo er "es liebte, sich allein zurückzuziehen, in
großer Einfachheit und Strenge des Lebens, um sich der Betrachtung zu
widmen." Brive hält noch heute die Verehrung des hl. Antonius sehr
hoch.
Nach dem Tode des hl. Franziskus wurde Bruder Giovanni Parenti zum
Generaloberen der Franziskaner gewählt. Auch Parenti kannte die
großartigen Fähigkeiten des Bruders Antonius. Er zog ihn zu Rate, um
ihn mit den wichtigsten und heikelsten Aufgaben zu betrauen, darunter
auch das Amt des Generalministers. Antonius wurde zunächst
Provinzialminister für Norditalien, der bedeutendsten Ordensprovinz. Zu
ihr gehörten die Einflußgebiete von Mailand, Genua, Bologna und
Venedig.
Hier mußte die Franziskaner harte Kämpfe gegen aufkommende Häresien
ausfechten, in die auch politische Auseinandersetzungen mit
hineingespielt haben. Antonius oblag die Visite der Klöster mit ihren
vielen, vielen Brüdern. Hinzu kam die Betreuung der Klarissinen, des
Dritten Ordens, die Eröffnung neuer Häuser, Förderung von Berufungen,
Gründung von Klöstern u.a. in Triest, Pula, Muggia, Porec. Nicht immer
hatte Antonius Erfolg. In Udine bekam er große Schwierigkeiten, ebenso
in Pracchiuso, wo er schließlich seine Mission abbrechen mußte.
Antonius besuchte dann das Veneto und die Lombardei, kehrte aber wieder
ins Veneto zurück, wo er sich in Padua niederließ und mit der Abfassung
der Sermones (den Predigten) auf alle Sonntage des Jahres begann. Eine
besondere Rolle spielte in diesen Abhandlungen die Mariologie. Antonius
hat der Mutter Gottes, die er tief verehrte, sechs Predigten gewidmet.
Maria ist der mystische Thron Gottes. Sie ist der elfenbeinerne Thron
wegen seiner Reinheit. Zu ihm steigt man auf in sechs Stufen, indem man
die sechs marianischen Tugenden übt: die Schamhaftigkeit, die Klugheit,
die Bescheidenheit, die Ausdauer, die Demut und den Gehorsam. "Der Sohn
Gottes, selbst Gott, hat von der seligen Jungfrau die menschliche Natur
in der Einheit seiner Person erhalten. Der Vater hat ihm die
Göttlichkeit, die Mutter die Menschlichkeit verliehen; vom Vater
erhielt er die Majestät, von der Mutter die Schwachheit. Weil er Gott
war, konnte er Wasser in Wein verwandeln, den Blinden das Augenlicht
geben, die Toten wieder aufwecken; weil er ein schwacher Mensch war,
konnte er Hunger und Durst leiden, gefangen genommen, verhöhnt und ans
Kreuz geschlagen werden." - "Wie der Sonnenstrahl heruntersteigt und
die Welt erleuchtet und dennoch niemals von der Sonne sich trennt, so
steigt I der Sohn vom Vater herab, erhellt die Welt und trennt sich
doch niemals vom Vater. Der höchste Ursprung ist der Vater, von dem
alle Dinge stammen. Die vollkommene Schönheit ist der Sohn, der die
Wahrheit des Vaters ist, in nichts Ihm unähnlich. Der seligste Genuß
und das höchste Gut ist der Hl. Geist, der das Geschenk des Vaters an
den Sohn ist."
Damit seine Gedanken leichter verständlich sind, vergleicht Antonius
die Dreifaltigkeit mit der menschlichen Seele, die eins ist in der
Natur, und dreifach in ihren Fähigkeiten: "Durch das Gedächtnis ist der
gläubige Mensch dem Vater ähnlich, seine Erkenntniskraft spiegelt den
Sohn wider, und durch die Liebe ahmt er den Hl. Geist nach."
Schon bald mußte Antonius die Arbeit an den Sermones unterbrechen. Am
Gründonnerstag des Jahres 123o wurde von Papst Gregor IX. kurzfristig
ein kleines Konzil einberufen, auf dem die Erneuerung der
Exkommunikation Kaiser Friedrichs II. erneuert werden sollte. So kam
es, daß neben vielen Gläubigen, die die Ablässe der Karwoche erhalten
wollten, sich auch viele kirchliche Würdenträger in Rom aufhielten.
Auch Antonius weilte zu dieser Zeit in Rom, allerdings aus einem
anderen Anlaß. Es war nämlieh ein Streit unter den Franziskanern
darüber ausgebrochen, wie die Ordensregel auszulegen sei, ob neben der
Einfachheit auch die Gelehrsamkeit ihren Platz im Orden haben könne.
Antonius, der einerseits als Redner und Theologe den Mitgliedern den
Weg zum Studium ermöglicht, was in den Anfängen der Ordensgründung als
schier unmöglich erachtet worden war, und andererseits durch sein Leben
in der Einsamkeit und durch seine Askese auch das Vertrauen der
Richtung hatte, die nach unbedingter Einfachheit strebte, war mit einer
Abordnung des Generalkapitels in Assisi mit der Aufgabe betraut worden,
in Rom den Schiedsspruch des Papstes in dieser Angelegenheit
einzuholen.
Der Papst, über die Person des Minderbruders Antonius vorab sehr wohl
unterrichtet, bestimmte ihn zum Prediger für sich und die versammelten
Kurienkardinäle. Beeindruckt von der Tiefe der theologischen Weisheit
des Bruders, die in dessen Ansprachen aufstrahlte, nannte der greise
85jährige Pontifex den Redner öffentlich "Arche des Testamentes" und
"Schatztruhe der Heiligen Schrift". Diese Begeisterung des Papstes
teilte sich allen - nicht nur dem Klerus - mit. So kam es, daß Antonius
nun auch noch vor einer erwartungsvoll gespannten Menge aus allen
Volksschichten, allen Gegenden und Ländern, die wegen der Kar- und
Ostertage als Pilger in der hl. Stadt weilten, predigte. Und alle
verstanden ihn!
(Schluß folgt)
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