WEIHNACHTEN IN MOSKAU?
- EINE BEDRÜCKENDE NACHLESE
(aus den "Mitteilungen
an Freunde und Förderer" der Internationalen Gesellschaft für
Menschenrechte, Deutsche Sektion - November 1986)
Ein westlicher Tourist kann in Moskau ohne weiteres einem
Weihnachtsgottesdienst beiwohnen. Ein Russe, Litauer oder Deutscher aus
Kasachstan muß viel Mut zeigen und bereit sein, viele Opfer zu bringen,
um Gottesdienste besuchen und nach seinem Glauben leben zu können.
Denn: - Seit 1917 werden Kirchen systematisch zerstört, aber keine
neuen gebaut. Die wenigen restaurierten Kirchen in den Großstädten
haben reine Alibifunktion. In der Provinz sind loo bis 3oo km zur
nächsten Kirche keine Seltenheit. - Tausende Priester sind h Lagern und
Gefängnissen umgekommen, viele sind auch heute der Verfolgung
ausgesetzt. Es gibt nur sehr wenige Priesterseminare und die Zahl der
Seminaristen wird streng begrenzt gehalten. - Die Teilnahme am
Gottesdienst bedeutet oft den Ausschluß vom Studium. Ein bekennender
Christ, und sei er noch so hochqualifiziert, darf nur die einfachste
Arbeit verrichten. Er hat keinerlei Chance voranzukommen. - Die
kirchliche Hierarchie ist der Regierung unterstellt. Sie wird für
Propagandazwecke benutzt, ja sogar zur Bekämpfung der Religion
mißbraucht. In der Presse, im Fernsehen und Rundfunk werden Gläubige
regelmäßig als "Zurückgebliebene, unzuverlässige Bürger" verunglimpft.
Resumé: Das Recht auf freie
Ausübung der Religion wird in der Sowjetunion durch Gesetze,
Verordnungen und Praktiken aufs Gröbste verletzt. Im Leben des
einzelnen Menschen bedeutet dies ein Leiden im Gefängnis oder Lager,
eine ruinierte Gesundheit, eine zerstörte Familie und einen frühen Tod.
Hier einige Beispiele aus dem Leben: (...)
Sigitas Tamkevicius, ein katholischer Pfarrer aus Litauen, wird sei
über 3 Jahren im Straflager festgehalten. In seinen Predigten forderte
er immer wieder das Recht auf freie Ausübung des katholischen Glaubens.
Seine besondere Sorge galt dabei den Kinder und Jugendlichen, denen er
Religionsunterricht erteilte. Was für den Pfarrer Teil seiner Berufung
war, bewertete das KGB als Agitation und Gefahr für den Staat. Es
folgten Morddrohungen und ständige Versetzungen, bis Pfarrer
Tamkevicius schließlich am 6. Mai 1983 verhaftet wurde. Die Richter
kannten bei ihrem Urteilsspruch keine Milde: sie hielten lo Jahre
Straflager und Verbannung für die "gerechte" Strafe. Nur selten
gelaigen Nachrichten über Sigitas Tamkevicius in den Westen. Doch auch
im Lager ist der Priester seinem Glauben treu geblieben. Wir zitieren
aus seinem Brief: "Seit zwei Monaten lebe ich nun unter diesen neuen
Verhältnissen. Ich verrichte in der Küche einfache Arbeiten (...).
Gottes Vorsehung gab mir die Gelegenheit eine solche Arbeit
auszuführen, damit ich diejenigen schätzen lerne, welche - auf den
ersten Blick - sehr unbedeutende Arbeiten verrichten. Diese sind jedoch
in den Augen Gottes nicht weniger wertvoll als große Taten."
Wladimir Russak, ein Absolvent der Moskauer Geistlichen Akademie, war
ein Mitarbeiter der Verlagsabteilung des Moskauer Patriarchats. Während
seiner Freizeit arbeitete er auch Jahre lang an einem Buch über den
Leidensweg der russisch-orthodoxen Kirche nach der Revolution von 1917.
Kurz bevor sein Werk fertig war, offenbarte er sich dem Verlagsleiter
Erzbischof Pitirim, in der Hoffnung, von ihm bei der Herausgabe des
Buches unterstützt zu werden. Dies sollte aber ein tragsicher Irrtum
sein. Rigoros forderte der Erzbischof die sofortige Vernichtung des
Manuskripts. Als Diakon Russak dies ablehnte, wurde ihm auf der Stelle
gekündigt. Damit begann sein Martyrium, denn nun trat das KGB in
Aktion. Es folgten Verhöre, Verhaftungen, Durchsuchungen.
Wladimir Russak durfte kein kirchliches Amt mehr bekleiden. Nicht
einmal mehr als Nachtwächter durfte er seiner Kirche dienen. In großer
Verzweiflung und von der kirchlichen Würdenträgern im Stich gelassen,
schrieb er ein offenen Brief an den Ökumenischen Rat der Kirchen (OeRK)
in Vancouver: "Ich wende mich an die Delegierten der 6. Vollversammlung
des OeRK als die letzte und höchst autorisierte kirchliche Instanz,
solange ich noch in Freiheit bin. Das tue ich in der Hoffnung, daß die
tiefen theologischen Fragen das Schicksal eines einzelnen Menschen vor
Ihnen nicht abschirmen (...). Ich glaube an Gott, liebe die Kirche,
leide wegen ihres Schicksals und möchte ihr dienen - nicht jedoch um
den Preis der Anpassung, um diesen schrecklichen Preis, den die
Kirchenleitung bezahlt und den zu bezahlen man nun auch von mir
verlangt." Die Delegierten blieben taub für den Hilferuf des russichen
Diakons. Das KGB hatte nun freie Hand. Verfolgungen aller Art nahmen
kein Ende, u.a. beschlagnahmte man bei ihm 3ooo Seiten Manuskritpe. Im
September 19˙6 wurde der mutige Christ Wladimir Russak zu 12 Jahren
Lager und Verbannung verurteilt. Hinter Gittern wird das Weihnachtsfest
1986 Für Ihn wohl kein Fest der Freude werden.
Für Alexander Ogorodnikow aus Moskau sind hohe christliche Feiertage
immer mit besonderen Qualen verbunden. Dann wird er von der
Lagerleitung über Wochen hinweg in den Strafbunker gesteckt - eine enge
dunkle Betonzelle. Im Winter sind die Wände vereist, und trotzdem darf
der Häftling nur die Unterwäsche anbehalten. Tag und Nacht zittert er
vor Kälte am ganzen Körper. Essen gibt es nur jeden zweiten Tag. Auf
diese Weise verbringt Alexander Ogorodnikow jetzt schon sein neuntes
Weihnachtsfest. Wie aber kam es dazu? Bald nachdem Alexander sich hatte
taufen lassen, wurde er von der Universität verwiesen. Danach konnte er
nur noch Gelegenheitsarbeiten finden. 1978 gründete er ein religiöses
Seminar für junge Menschen. Nach einigen Monaten wurden die Teilnehmer
verhaftet. A. Ogorodnikow ist seither in Haft. Seine Strafe wurde
wiederholt verlängert, so daß er noch immer 8 Jahre Straflager und
Verbannung fern von Frau und Sohn durchstehen muß. In einem Brief an
seine Mutter, der vor kurzem auf Umwegen zu uns gelangte schreibt er:
"Ich wiederhole meine Bitte - das Präsidium des Obersten Sowjet der
UdSSR möge mir einen Gnadenakt erweisen und mich hinrichten lassen, um
mich endlich von den acht schrecklich langen Jahren der Qual, ohne
jegliche menschenwürdigen Bedingungen, zu erlösen. Acht Jahre ohne
Bücher, ohne Kultur, mit Kälte- und Hungerfolter, Erniedrigung,
Gesetzlosigkeit und völliger Verlassenheit. Nicht einmal beten darf
ich; ständig wird mir mein kleines Kreuz vom Hals gerissen. Ich habe
viele Hungerstreiks durchgeführt, um eine Bibel und ein Gebetbuch haben
zu dürfen; 411 Tage verbrachte ich im Strafbunker. Tropfen für Tropfen
preßt man den letzten Rest von Gesundheit, Hoffnung und Leben aus mir
heraus. Mein Leben ist eine einzige Qual geworden; ich werde nach und
nach hinter diesen finsteren gewaltigen Mauern ermordet." |