EINIGES ZUM NACHDENKEN
von
S.E. Bischof Louis Vezelis OFM
übers. von Eugen Golla
Vorbemerkung der Redaktion:
Im diesjährigen Oktober-Heft des SERAPH erschien ein längerer Artikel
aus der Feder von S.E. Mgr. Vezelis, in dem dieser neben
grundsätzlichen und aktuellen Stellungnahmen zur religiösen Krise und
ihren Ursachen auch auf die von S.E. Mgr. Guerard des Lauriers OP
vertretene These vom materialiter Papst Johannes Paul II. eingeht und
diese kritisiert. Im Zusammenhang mit dem von unserer Zeitschrift
diskutierten Thema "Die Wiederhastellung der kirchlichen Hierarchie"
hat Herr Eugen Golia dankenswerterweise die wichtigsten Passagen dieses
Beitrages übersetzt. - Ich darf vorab sagen, daß diese Abhandlung eine
eingehendere Kommentierung benötigt, die an die Ausführungen angehängt
wird.
E. Heller
***
Die gegenwärtige Krise in der katholischen Kirche ist eine Krise des
Glaubens und eine des Gehorsams. Man ist beinahe versucht zu sagen, daß
wir einer Art von modernem Manichäismus gegenüberstehen: einer Zweiheit
von Kirchen - die eine eine häretische Kirche (in dieser Hinsicht
'schlecht'), der man teilweise Glauben schenkt und sie akzeptiert
hinsichtlich der Glaubenspunkte, in denen sie die wahre Kirche
widerspiegelt (in diesem Punkt 'gut'), und der gegenüber Gehorsam nur
ein Lippenbekenntnis ist. Das ist die Novus-Ordo-'Kirche' mit ihren
unterschiedlich abgestuften Mitgliedern. Diese haben alle eines
gemeinsam: sie können nicht verstehen, wieso e i n e Häresie alles zu
negieren vermag. Sie wünschen zu glauben, den Rest eines Apfels
besitzen zu können, wenn sie den häretischen Teil des Apfels -
sozusagen den 'Wurm' - zurückweisen. Was bei Äpfeln möglich ist, läßt
sich mit dem Glauben nicht praktizieren.
Die andere Kirche wird durch eine sehr kleine Anzahl von rechtgläubigen
Bischöfen, Priestern und Laien, welche treu zu ihren Bischöfen stehen,
verkörpert. Dies ist die treu gebliebene (Rest)Kirche. Dies ist die
Kirche, in welcher die hierarchische Struktur wahr und als wirksam
anerkannt wird. (...)
Es gibt genügend Information über die unhaltbare und unmögliche
Position von Mgr. Lefebvre. Der zugrundeliegende hauptsächliche Fehler
von Mgr. Lefebvre ist der, daß er sich vorsätzlich weigert, die
objektive Wahrheit anzunehmen, und so seine Vertrauenswürdigkeit in den
Augen derer, welche den Glauben im wahren katholischen Geiste
aufnehmen, zerstört. Die Haltung jener läßt sich am besten mit den
Worten des hl. Anselm ausdrücken: Credo, ut intelligam; intelligo, ut
credam. ("Ich glaube, um einzusehen, und ich sehe ein, um zu glauben.")
Dies bedeutet, daß wir mit dem übernatürlichen Glauben beginnen, der
immer das Werk von Gottes Gnade ist. Dann bemüht sich die natürliche
Vernunft, erleuchtet durch Gottes Gnade, die geoffenbarte Wahrheit zu
begreifen, soweit wie die Vernunft mit Hilfe der Gnade die Wahrheit zu
begreifen vermag: und dies ist mit ein Grund, das auch weiterhin
anzunehmen, was der Verstand allein nicht zu ergründen vermag. Aber
immer muß eine logische Begründung für den Glauben vorhanden sein. Ein
Glaube, der die wahre Vernunft verletzt, ist ein falscher Glaube. Ein
Glaube, der der wahren Vernunft widerspricht, ist ein irriger Glaube.
Was als wahr mittels der allgemeinen Vernunft erkannt wurde, kann nicht
mit einer geoffenbarten Wahrheit in Widerspruch stehen. Ebenso kann
wahre Vernunft niemals dem geoffenbarten Glauben widersprechen. Daher
kann alles, was der schon immer bekannten und angenommenen Wahrheit
widerspricht, nicht in Ordnung, d.h. nicht wahr sein. Was in die
Absurdität führt, kann nicht wahr sein. Und der Grund hierfür ist der:
Gott ist Gott der wahren Ordnung, und die wahre Ordnung fordert, daß
alles, was begann, auch in Wahrheit und Güte endigen kann. Alles, was
von der von Gott eingericheten Ordnung abweicht, ist notwendigerweise
falsch und verkehrt.
Gott versprach, uns nicht als Waisen zurück zu lassen. Er versprach
auch, daß Seine Kirche, die von Seinem Sohn, Jesus Christus gestiftet
worden ist, bis zum Ende der Zeiten bestehen bleiben werde. Dieser
Gedanke ist - zugegebenermaßen - in unseren Tagen oft falsch erklärt
worden. Er wird oft verwendet, um die Zugehörigkeit zur neu
entstandenen apostatischen 'Kirche' von Vatikanum II zu rechtfertigen,
so, als ob dieses Versprechen ein Beweis wäre dafür, daß der Gott der
Wahrheit Seine Kirche auch in den Unglauben führen würde. Dies ist
natürlich eindeutig absurd. Der Gott der Wahrheit kann allein von einer
Wahrheit zur anderen in Fülle der Wahrheit führen, I denn außerhalb der
Wahrheit ist nichts. Aber die römisch-katholische Kirche muß bestehen!
bleiben und standhalten bis zum Ende der Zeiten. Sie bleibt bestehen in
ihrer transzendenten Dimension im Himmel als die triumphierende Kirche.
Wenigstens eine Zeit lang besteht die römisch-katholische Kirche im
Fegefeuer als die leidende Kirche. Hier sind wir verbunden mit der
streitenden Kirche - als der sichtbaren / unsichtbaren Gemeinschaft der
gläubigen Nachfolger Jesu Christi auf Erden, in den Dimensionen von
Raum und Zeit. Wir sprechen nicht von einer völlig unsichtbaren
'Kirche', so wie es von den getauften Nicht-Katholiken behauptet wird.
Wir sprechen von der einzigen Kirche, die Gott wollte und die von Jesus
Christus, wahrem Gott und wahrem Mensch, gestiftet wurde. Wir sprechen
von dem einzigen Mittel des Heiles, das Gott von Ewigkeit an wollte:
der römisch-katholischen Kirche, der Kirche, die auf sichtbaren
Strukturen errichtet wurde und die darüber hinaus in unsichtbare
Wirklichkeiten hineinreicht. Diese Kirche allein wird bis zum Ende der
Zeiten bestehen bleiben, denn diese Kirche allein wird in Ewigkeit
fortdauern.
Wie soll nun aber die römisch-katholische Kirche angesichts der
wachsenden Angriffe bei all dem Unglauben weiter bestehen bleiben? Wie
kann diese römisch-katholische Kirche fortgesetzt werden, wenn ihre
Feinde heimlich und mittels Verstellung eindringen, um Verwüstung,
Verwirrung und Unordnung zu verursachen? Wie vermag der Mystische Leib
Jesu Christi solche Angriffe zu überleben? Genau gesagt: weil die
Kirche der Mystische Leib Christi ist, wird die Kirche überleben.
Darüber sind wir uns einig. Die Frage ist nur: wie? Und hier stoßen wir
auf so viele widerstreitende und eigenartige Theorien - einige sind
sorgfältig ausgearbeitet, doch dabei abstrus in ihrer angeblichen
Tiefe; andere sind so einfach, daß sie in Wirklichkeit auf Kapitulation
und Untergang hinauslaufen. Die zugrunde liegende Tatsache ist in
beiden Fällen die Furcht und die Abneigung, die peinliche
Herausforderung anzunehmen. Viele wollen Christus folgen bis zum
Letzten Abendmahl, ein paar in den Garten Gethsemane, nicht viele sind
es, die Ihn zum Kreuz begleiten. Nach dem Mahle gehen viele heim mit
den Worten: "Gott wird direkt eingreifen." Diejenigen, welche noch mit
in den Garten gehen, finden eine Ausrede, um sich davonzuschleichen.
Nur die, die Christus mehr lieben als sich selbst, begleiten Ihn auf
den Kalvarienberg und stehen mit Seiner Mutter unter dem Kreuz. Und
offen gesagt, dies ist der Punkt, an dem wir uns heutzutage befinden.
(...)
Es gibt noch eine große Menge Katholiken, die es nicht glauben wollen,
daß wir uns in der großen Apostasie befinden. Sie wollen es nicht
glauben, weil sie nicht die Realität vor ihren Augen akzeptieren
wollen. Und gerade deshalb gibt es die vielen Verwirrungen und
Verdrehungen der Wahrheit: es fehlt einfach die Liebe zur Wahrheit.
Hier ist die Selbstliebe nur notdürftig als Liebe zu Gott und zur
Kirche verkleidet. Gäbe es wirklich so viel Liebe zu Gott und zur
Kirche als da vorgegeben wird, versichere ich Ihnen, daß dann eine
Einigkeit unter den Gläubigen, den Priestern und unter den Bischöfen,
ja schließlich mit einem wahren Papst bestehen würde. Ich muß daher,
wenn ich darüber spreche, wie die Kirche fortgesetzt werden soll, die
Struktur berücksichtigen, welche von Jesus Christus errichtet wurde und
die unter Führung der legitimen Autorität die Jahrhunderte hindurch der
Hl. Geist inspiriert hat. Ich glaube, dies ist der einzig ehrenhafte
Weg fortzuschreiten. Ich bin davon überzeugt, daß dies auch der Weg
war, den Erzbischof Ngo-dinh-Thuc einschlug, obwohl er von manchen
hintergangen und von anderen verraten wurde. Der Heilige Geist schützt
nicht die Kirche vor der gewöhnlichen Schwäche. (...)
Es ist nicht nötig, sämtliche Taten und Worte des Erzbischofs zu
durchforschen - als ob es um die Reinheit des Wassers ginge -, um zu
bestimmen, ob dieser Prälat zu irgend einem Zeitpunkt Zweifel hegte,
auf eine Art handelte, die seinen Kritikern mißfiel, oder ob er sogar
menschliche Motive mit dem Übernatürlichen vermischte. Was nötig ist
und für eine Wertung ausreicht, ist das Eingeständnis, daß die Lage der
Kirche verzweifelt wurde. Dies vermag niemand bei wahrer Gesinnung
abzuleugnen.
Hier möchte ich nun eine harte Bemerkung machen. Im Lichte aller
außerordentlichen Vollmachten, welche sich heutzutage Kleriker und
Laien selber verleihen, finde ich es sehr unfair, daß dieselben Leute
sich weigern, den Bischöfen das zuzugestehen, was diese mittels der
gewöhnlichen Weihegewalt erhielten. Klerus und Laien beanspruchen
unrechtmäßig und ohne die geringsten Skrupel Autorität und lehren ohne
jede Ermächtigung. Sie versuchen Gnaden zu erteilen mit wirkungslosen
Sakramenten und regieren mit einer despotischen und anmaßenden
Entschiedenheit, die jede legitime Autorität schaudern läßt. Wenn
indessen ein erfahrener Erzbischof - weit erfahrener als Mgr. Lefebvre
- eine Situation erfaßt und eine harte und riskante Entscheidung zum
Wohl der römisch-katholischen Kirche trifft, werden die Bemühungen
dieses Mannes verspottet, geschmäht, verleumdet und abgelehnt. Wir
fragen einmal, zu wessen Gunsten? Zu Gunsten der vorsätzlichen
Verwirrung und der Anarchie jener, welche ihre bösen Absichten mittels
Angriffen auf diesen Unschuldigen verbergen wollen.
Von dem, was Erzbischof Ngo-dinh-Thuc in Europa getan hat, weiß ich
nicht viel. Ich besitze authentische Dokumente über die Existenz
weiterer Bischöfe - hauptsächlich in Frankreich -, welche direkt vom
Erzbischof geweiht wurden. Es handelt sich dabei nicht um Mgr. Guerard
des Lauriers - auf diesen komme ich später noch zu sprechen. Mein
eigenes Wissen über das, was von den Weihen in Palmar de Troya /
Spanien durchsickerte, stützt sich auf das, was in des Erzbischofs
Autobiographie enthalten ist und auf die Auskünfte derer, die direkt in
die Angelegenheit von Palmar verwickelt sind. Es genügt für uns, die
Auffassung von Erzbischof Ngo-dinh-Thuc zu akzeptieren, daß das, was er
in Palmar tat, geschah, weil er ein Mann des Glaubens war und die
gegenwärtige Not kannte.
Erzbischof Ngo-dinh-Thuc wußte, wie nötig es war, die
römisch-katholische Kirche mit rechtgläubigen Bischöfen zu versorgen.
Er, selbst ein Opfer von Montinis Linkskurs, wußte, was sich weiter
abspielen sollte. Gemäß dem Bericht über Palmar kam der Erzbischof
Ngo-dinh-Thuc dort am 25. Dezember 1975 an. Das waren also lo Jahre
nach Beendigung des II. Vatikanums. Nun machten Clemente DomÌnguez und
seine Gemeinschaft aufgrund ihrer anscheinend ehrlichen und asketischen
Lebensweise einen tiefen Eindruck auf den Erzbischof. Meine
persönlichen Gespräche mit ihm während seines Aufenthaltes bei uns (in
Rochester) bestätigten mir, daß er intensiv darüber nachgedacht hatte,
ehe er zu den Ordinationen und Konsekrationen in dieser Karmeliter
Gemeinschaft schritt. (...) Man sollte bedenken, daß, nachdem alles
durchgesickert war, Mgr. Ngo-dinh-Thuc nicht wußte, was diese Leute
alles getan haben. In meinen Gesprächen mit ihm gab es keinen Hinweis
auf irgendeine Empfänglichkeit für auf Inspiration beruhende
Aktivitäten. Im Gegenteil, der Erzbischof stand solcher Art von
Empfänglichkeit skeptisch gegenüber. Seine Intention war vom
praktischen Tun her bestimmt. Er mußte daher schwer enttäuscht gewesen
sein, als er entdeckte, daß diese Leute in Palmar sich mit dem
selbsternannten 'Papst' Clemente DomÌnguez als ihrem Oberhaupt als neue
'Kirche' präsentierten. Nachdem er dies erfahren hatte, brach Mgr.
Ngo-dinh-Thuc jede Verbindung mit ihnen ab.
Es war Erzbischof Ngo-dinh-Thucs Absicht, die Kirche in ihrer
göttlichen Struktur zu erhalten. Allein aus diesem Grunde nahm er das
Risiko auf sich, Leute zu konsekrieren, die er teilweise kaum kannte.
Die Lage war derart, daß er dem Urteil anderer vertrauen mußte. Gerade
in dieser Hinsicht war der jetzt so hochgerühmte Mgr. Guerard des
Lauriers seinerseits keine glückliche Wahl. Der Erzbischof lehnte die
bizarre und unbegründete Theorie Mgr. des Lauriers ab und machte über
sie eine sehr wenig schmeichelhafte Bemerkung, die man besser unerwähnt
läßt. Es besteht kein Zweifel, daß Erzbischof Ngo-dinh-Thuc die Theorie
des Dominikaners nicht akzeptierte.*) Ich frug ihn in Toulon, wie es
nun mit den Priestern stünde, die unsere Autorität als Bischöfe nicht
anerkennen würden. Seine Antwort ließ keinen Zweifel aufkommen: "Dann
steht es sehr schlimm für sie!" (...) Man sagt, Mgr. Ngo-dinh-Thuc habe
Bischöfe geweiht, weil er sah, daß die Kirche sich im Zustand der
"sedis vacantis" befand (und noch immer befindet). Dies besagt, daß es
keinen legitimen Papst gab und gibt. Diese Erklärung ist
zugegebenermaßen sehr radikal. Aber Existenz oder Nicht-Existenz sind
auch sehr radikal.
In Frankreich wurde (von Mgr. Guerard des Lauriers) die Theorie
entwickelt, die davon ausgeht, daß "ein Papst, der ein Nicht-Papst
ist", existiert. Oder, um ein Schulbeispiel metaphysischer
Unmöglichkeit anzuführen: Wir sind nunmehr mit dem viereckigen Kreis
konfrontiert. Der Vorteil einer solch lächerlichen Theorie ist es, daß
man niemals unrecht hat! Weist einer auf das Viereck hin, kann der
andere sagen: "Du irrst dich! Es ist ein Kreis!" Und sollte man den
Kreis ansprechen, so folgt die Antwort: "Ach, du irrst dich, es ist ein
Viereck!" Sollte aber nun jemand die Kühnheit haben zu behaupten, die
Theorie sei so nackt wie der Kaiser, der sein "neues Gewand" anhabe, so
kommt die Antwort zurück: "Ach, Sie erfassen unsere Tiefe nicht!" Das
mag vielleicht der Fall sein. Ich für meinen Teil möchte es vorziehen,
zu denken, daß das kleine Kind eher auf der Seite der Wahrheit stand
als die lügnerischen und törichten Schmeichler, welche sich dazu
verführen ließen zu glauben, daß der Kaiser schöne Gewänder anhabe,
während er in Wirklichkeit splitternackt war. Deshalb sagte ich, daß es
der Einfalt und Ehrlichkeit eines Kindes bedarf, um in das Königreich
der Philosophie einzugehen - so wie es der Einfalt des Kindes bedarf,
um in das himmlische Königreich einzutreten.
Es handelt sich einfach um eine Frage der Autorität. Das Schwierigste
für einen Menschen ist es, einem anderen Menschen zu gehorchen. Jesus
wußte dies und bestand darauf, daß das Heil verbunden ist mit dem
Gehorsam gegenüber Seinen Aposteln und den Bischöfen, die diese
Autorität haben sollen. Im Bewußtsein, daß die Kirche ohne Nachfolger
der Apostel nicht überleben kann, denen Jesus Seine Autorität verliehen
hatte, tat Erzbischof Ngo-dinh-Thuc das einzig Vernünftige, was ein
Mensch tun konnte: er weihte Bischöfe. Es ist klar, daß diese Bischöfe
die bischöfliche Autorität besitzen müssen, wenn sie den Dienst
verrichten sollen, weswegen Christus selbst Bischöfe einsetzte. Wenn
sie diese Funktionen nicht ausüben können, können sie nicht Bischöfe
und im Besitz der Fülle der priesterlichen Gewalt sein. Entweder sind
sie im Besitz alles dessen, was sie mittels ihrer Weihe erhalten, oder
sie haben überhaupt nichts. Haben sie nichts, dann ist klar: niemand
braucht sie zu beachten. Sind sie aber im Besitz der Autorität, die
Christus Seinen Aposteln verlieh, sind die, welche ihnen widerstehen,
sicherlich außerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen, denn sie sind dann
- um den terminus technicus zu gebrauchen - Schismatiker. Es ist unnütz
und beleidigend, Gehorsam und Respekt zu verlangen, wenn dieser
Gehorsam eingeschränkt wird je nach Belieben. Es geht hier nicht um die
Frage der praktischen Ausübung der Autorität: der Ernst liegt in der
Tatsache, daß die, welche sich in der Praxis weigern zu gehorchen,
ihren Ungehorsam mittels eines Prinzips rechtfertigen werden: sie
verweigern die Annahme des Prinzips, daß ein Bischof Autorität besitzt.
Im Zuge dieser Verweigerung berufen sie sich dann auf die Tatsache, daß
die von Erzbischof Ngo-dinh-Thuc geweihten Bischöfe - wenigstens die,
welche nicht 'exkommuniziert' wurden - kein Mandat vom 'Papsd erhalten
haben. Es ist natürlich unmöglich, einen Auftrag von einem nicht
existierenden Papst zu erhalten. Da nun diese Leute dazu gelangt sind,
zwischen einem Nicht-Papst und einem "materialiter"-Papst zu
unterscheiden, könnte man vorschlagen, um ein materielles Mandat eines
solchen "materialiter"-Papstes nachzusuchen. Wir müßten dann aber
erkennen, daß ein "materialiter"-Papst nicht zu handeln berechtigt
wäre: dies wäre eine Angelegenheit für den "formaliter"-Papst, dennnur
ein solcher könnte die Pflichten eines Papstes erfüllen. Wenn es also
nur einen "materialiter"-Papst gibt, vermag er daher kein "materielles"
Mandat zu erteilen. Warum? Weil auch die Bewilligung eines
"materiellen" Mandats nur von einem "formaliter"-Papst erteilt werden
könnte. Da es aber nun keinen "formaliter"-Papst gibt, besteht keine
Hoffnung, irgend etwas zu erhalten. Man muß vergeblich warten. Dies ist
der Standpunkt von Mgr. Guerard des Lauriers und seiner Stütze in den
Vereinigten Staaten, des Mgr. McKenna 0P. (...)
Wir können vieles zum Zwecke des Studiums tun. Wir können z.B. den
Begriff Mensch in völlig verschiedene Momente aufteilen: Der Mensch ist
ein vernünftiges, fühlendes, lebendiges und materielles Wesen. Wäre
eine von diesen Eigenschaften nicht vorhanden, wäre das Beschriebene
kein Mensch. Lassen wir z.B. "vernünftig" aus, hätten wir keinen
Menschen bestimmt, sondern ein Tier definiert. Wäre der Mensch ohne
materielle Substanz, wäre er ein reiner Geist, ein Engel. Obwohl wir
diese Begriffe gedanklich zergliedern können, können wir sie in
Wirklichkeit nicht real trennen. Betrachten wir die menschliche Seele,
finden wir, daß sie das Bild Gottes widerspiegelt. Indessen ist es
klar, daß sie drei getrennte Fähigkeiten besitzt: Gedächtnis, Intellekt
und Willen. Wir haben hier eine Dreiheit in der Einheit. In der
Realität können sie nicht getrennt werden, obwohl unser Verstand sie
gedanklich unterscheiden vermag. In der Kirche, dem mystischen Leib
Christi, finden wir ebenfalls eine dreifache Einheit. Jesus sprach
hierüber symbolisch, als er sagte: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und
das Leben." Sein Priestertum hat eine dreifache Funktion: zu lehren, zu
heiligen und zu regieren. Er ist der Meister, Priester und König. Diese
drei Momente müssen in Seiner Kirche vorhanden sein, sonst ist es nicht
Seine Kirche. Wohlgemerkt: Seine Kirche ist identisch mit Ihm als Sein
mystischer Leib. Wenn dieser mystische Leib nicht funktioniert und auch
nicht funktionieren kann wie Christus selbst, kann er auch nicht Seine
Kirche sein. Wenn nun die Kirche von Jesus Christus gegründet wurde, um
Seinen Auftrag, zu lehren, zu heiligen und zu regieren, fortzusetzen,
müssen diese drei Gesichtspunkte seines Auftrages auch vorhanden sein.
Wenn nur einer fehlen würde, fehlten alle. Denn Christus kann nicht
geteilt werden, ohne daß man auch die Heilige Dreifaltigkeit aufteilt.
Ebenso müssen daher die dreifachen Kräfte der Kirche, die absolut
notwendig sind, um den von Christus gesetzten Zweck zu erfüllen, auch
vorhanden sein. Die Seelen können nicht ohne die Autorität der
Unfehlbarkeit unterrichtet werden; die Seelen können nicht geheiligt
werden ohne die Kraft gültiger und wirksamer Sakramente; die Seelen
können nicht geführt werden ohne die Gewalt zu regieren - die Gewalt,
zum Wohle der Allgemeinheit Gesetze zu erlassen und diese mittels
geeigneter Strafen auch durchzusetzen.
Die Heiligung wirkt auf das Gedächtnis des Menschen; die geoffenbarte
Wahrheit wirkt auf den Intellekt; die Liebe (Gehorsam) wirkt auf den
Willen ein. Hierdurch wird die Dreifaltigkeit Gottes, Vater, Sohn und
Hl. Geist, mystisch und real in der erschaffenen Seele, die ein Abbild
ihres Schöpfers ist, widergespiegelt. Es ist undenkbar, daß ein Bischof
durch die Bischofsweihe nur zwei Gewalten erhalten haben soll: die zu
lehren und zu heiligen, aber nicht zu regieren. Er wäre dann kein
wahrer Nachfolger der Apostel, er wäre einfach nichts. (Anm.d.Red.: so
wie Mgr. Vezelis das Problem hier darstellt, geht er an dem
eigentlichen Punkt, um den gerungen wird, auch von Mgr. Guerard des
Lauriers, vorbei. Die ganze Problematik wird von ihm verkürzt
dargestellt. Ich darf hier nur auf den Kommentar am Ende dieser
Darstellung hinweisen.) Zu behaupten, ein Bischof vermöge nur zu lehren
und zu heiligen, aber kraft seiner Weihe nicht auch die Jurisdiktion
auszuüben, ist dasselbe wie wenn man behaupten würde, ein Mensch könne
sich erinnern und denken, aber er sei nicht imstande, gemäß seines
Willens zu handeln. (Auch dieser Vergleich ist schief: Mgr. Guerard des
Lauriers sagt nicht, daß ein Mensch nicht handeln könne gemäß seines
Willens, sondern daß es Situationen gibt, in denen ihm die Hände
gebunden sind - um in dem Vergleich zu bleiben; Anm.d.Red.)
Es besteht kein Zweifel, daß der Papst die oberste und universale
Autorität über die gesamte Kirche besitzt. Es ist auch wahr, daß die
Bischöfe ihre Autorität kraft des von Jesus Christus in Seiner Kirche
eingesetzten Amtes haben. Der Bischof erhält seine Autorität direkt vom
Hl. Geist, wenn er geweiht ist. Diese Autorität kann aber nur im
Zusammenhang mit dem, wozu sie gegeben wurde, wirksam eingesetzt
werden: für den Aufbau und die Heiligung des mystischen Leibes Christi.
(...)
Mgr. Guerard des Lauriers schlug eine Theorie vor, die mehr ist als nur
eine Theorie. Ich sage mehr als eine Theorie, denn eine Theorie ist
etwas, was noch nicht angewandt worden ist. Indessen ist diese Theorie
in die Praxis umgesetzt worden, so daß man nicht mehr länger einfach
von einer Theorie sprechen kann. Wenn es sich bloß um eine Theorie
handeln sollte, dann müßte man so lange der Praxis der Kirche und dem
sichereren Weg folgen, solange sie sich nicht als zweifelsfrei erwiesen
haben sollte. Diejenigen nun, die diese Theorie akzeptierten, erheben
sich mit den Worten: "Beweisen Sie mir, daß ich Ihnen gehorchen muß und
ich werde es tun!" Indessen zeigte die Erfahrung, daß solche Menschen
dies weder aufgrund von Tugend oder Versprechungen tun wollen. Begegnet
man ihrer Unbesonnenheit mit Schweigen, werden sie um so kühner, denn
sie mißverstehen die Antwort, die sie verdienten und die sie für
Unwissenheit halten.
In der vorerwähnten Theorie wird zwischen dem Amt und der Jurisdiktion
unterschieden. Indem Mgr. Guerard des Lauriers die in der
Sakramentenlehre anerkannten Termini "Materie" und "Form" anwendet
(Anm.d.Red.: sie werden auch im Kirchenrecht angewandt, um zwischen
subjektiver Intention und objektivem Tatbestand zu unterscheiden),
kommt er auf die Idee, daß man dies auch hinsichtlich des Papstes und
der Bischöfe tun könne. (Ich sehe keinen Grund, warum man hier schon
Schluß machen soll und nicht auch die Priester mit einbezieht.) Wenn
Mgr. Guerard des Lauriers über seine Theorie, die er in der Praxis
umsetzt, gefragt wurde, kam er nichtsdestoweniger mit der
Unterscheidung von "officium" und "sessio". Was ist der Grund für diese
Unterscheidung, und ist sie legitim? Dabei muß noch eine andere Frage
gestellt werden: Gesetzt den Fall, daß es sich um eine gültige
Unterscheidung handeln würde, inwieweit kann sie legitimerweise
ausgedehnt werden? In seinem Dualismus, der an Manichäismus erinnert,
beruft er sich auf "missio" und "sessio" - die eine schließt die andere
nicht ein, in Wirklichkeit sind sie getrennt. Mgr. Guerard des Lauriers
führt diese Trennung in der Wirklichkeit tatsächlich durch. Warum? Wenn
er gefragt wird, zitiert er Matth. das wörtlich "zu sitzen" bedeutet.
Nach Mgr. 19,28. Hier findet er das Wort "sessio", Guerard des Lauriers
ist die Jurisdiktion durch diesen Text aus dem Matthäus-Evangelium in
der Heiligen Schrift belegt. (...)
Ist diese Theorie (von Mgr. Guerard des Lauriers, wonach wir einen
"Papa materialiter, non formaliter" haben, Anm.d.Red.) korrekt, dann
besitzen wir das Recht, über die Beweise zu ihren Gunsten und die
Widerlegung der Gegenseite unterrichtet zu werden. Da diese Theorie
sich auf alles bezieht, genügt es, sie bezüglich ihrer Aussage
hinsichtlich des Papstes zu prüfen. Die Beweislast liegt bei denen, die
eine Theorie aufstellen. In erster Linie wäre es nötig, klar zu
definieren, was unter "Papst" verstanden wird und worin die "Materie"
und "Form" bei einem "Papst" bestehen. Es muß beachtet werden, daß wir
(im Zusammenhang mit Mgr. Guerard des Lauriers Theorie) von jemand
sprechen, der "Papst" formaliter und materialiter, aber auch nur
materialiter oder allein formaliter sein kann. Es bestünden als hier
drei Möglichkeiten. Gibt es einen Beweis, daß so etwas in Wirklichkeit
bestehen kann? Wenn jemand Papst materialiter, aber nicht formaliter
sein kann, weshalb können wir uns dann nicht auch die Möglichkeit eines
formellen Papstes, der kein materieller Papst ist, vorstellen? Man kann
wirklich von denen, welche die kirchliche Autorität usurpierten, sagen,
sie seien "formelle" Bischöfe, ohne es "materiell" zu sein, und daß
andere "formelle" Priester sind, ohne es "materiell" zu sein. Und um
noch etwas zu diesem lächerlichen Hokuspokus hinzuzufügen: Wir sollten
auch auf die vielen "formellen" Päpste hinweisen, die keine
"materiellen" Päpste sind. Ist das alles nur ein Wortspiel? In der Tat
- in manchen Fällen - nicht, denn wir haben Leute, die keine Bischöfe
sind, aber so handeln, als ob sie es wären. Gemäß der Theorie von Mgr.
McKenna und Mgr. Guerard des Lauriers kann kein besseres Etikett für
solche Aktivitäten als "formaliter" gefunden werden. Ich würde aber im
Gegensatz hierzu solche Aktivitäten als "betrügerisch" bezeichnen.
Genau so wie ich die Aktivitäten von Nicht-Priestern, die sich
verstellen und vorgeben, Priester zu sein, nicht "formelle, aber nicht
materielle Priester" nennen würde. Sie sind einfach Heuchler.
Worauf gründet Mgr. Guerard des Lauriers seine Theorie? Er bezieht
sich, wie bereits gesagt, auf Matth. 19,28. Was besagt dieser Text? Er
legt folgendes dar: "Jesus aber erwiderte ihnen: 'Wahrlich, Ich sage
euch, ihr, die ihr Mir nachgefolgt seid, werdet bei der Welterneuerung,
wenn der Menschensohn auf dem Throne Seiner Herrlichkeit sitzen wird,
ebenfalls auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels
richten.'" - Als man gegenüber Mgr. Guerard des Lauriers einwandte, daß
dieser Text seine Theorie nicht stützte, antwortete er: "Durch das
Sitzen in Ewigkeit wird darauf hingedeutet, daß die Kirche hierarchisch
ist." Auf die Frage: "Monseigneur, glauben Sie, daß dieser Text als
Beweis für die Hierarchie verwendet werden kann?" gab er zur Antwort:
"So glaube ich es." (...)
Im Gegensatz dazu würde ich geradezu sagen, daß die traditionelle
Exegese dieses Textes die unorthodoxe Interpretation von Mgr. Guerard
des Lauriers ausschließt. Betrachtet man den Text als Ganzes, was vor
und nach diesem Satz steht, dann zeigt sich, daß es hier nicht um die
Frage der Jurisdiktion geht. Die Autorität der Kirche wird nicht durch
solche unbestimmten Texte bewiesen. Überdies sagte Mgr. Guerard des
Lauriers, als man ihm zeigte, daß viele Texte oft dazu benützt werden,
um eine These zu stützen, obwohl sie in Wirklichkeit nicht das beweisen
würden, was man zu beweisen sucht: "Was ich rechtfertigen wollte, war
das Wort 'sessio'. Und da das Wort 'sessio' im Text der Hl. Schrift
gebraucht wird ('ihr werdet sitzen'), verwendete ich den Terminus
'sessio', um die Jurisdiktion zu bezeichnen. Dies ist alles." - "Dieser
Text spielt keine maßgebende Rolle in meiner Theorie. Das, was in ihr
maßgebend ist, ist die reale Unterscheidung zwischen 'sessio' und
'missio'. (...)
Das, was der Leser wissen sollte ist, daß das gesamte System von Mgr.
Guerard des Lauriers auf einer nicht bewiesenen Voraussetzung aufgebaut
ist. Es mag als solches interessant sein, ihm fehlt aber die Bewährung.
(...) Verfolgen wir das Gespräch, das zwischen Mgr. Guerard des
Lauriers und mir in dessen Wohnung in Frankreich (Mitte Mai 1984)
stattgefunden hat.
Als ich ihn darauf hinwies, daß wir beim Studium des kanonischen
Rechtes finden, daß die Unterscheidung zwischen der Weihe- und der
Jurisdiktionsgewalt erst vom 6. Jahrhundert ab erwähnt ist, gab er zur
Antwort: "Wir leben aber jetzt im 2o. Jahrhundert." Als Erwiderung wies
ich darauf hin, daß wir jetzt in ganz außergewöhnlichen Zeiten lebten,
Zeiten, die wahrhaft besonderer Art seien, denn die Apostasie sei so
allgemein geworden, daß sie sogar das Haupt, das ist den Mann, den wir
Papst nennen, einschließe. Darauf erwiderte er: "D'accord!" ("Das ist
auch meine Meinung!") Dann fügte ich hinzu: "Um die Kirche zu retten,
ist es konsequenterweise erforderlich, daß wir etwas tun, ohne
gleichzeitig die Kirche zu verlassen. Deshalb kann ich mir die
Möglichkeit nicht vorstellen, der von Unserem Herrn Jesus Christus
gestifteten Kirche anzugehören, ohne die notwendige, gewöhnliche
Jurisdiktion (als Bischof) zu besitzen." Hierauf antwortete Mgr.
G.d.L.: "Der Terminus 'gewöhnlich' ist zweideutig (...). Ich meine, wir
besitzen eine Jurisdiktion, um alle Sakramente den Gläubigen, die sie
erbitten, gültig zu spenden. Auch in dieser Hinsicht besteht ein Text
des Konzils von Trient, der schwierig ist wegen der Notwendigkeit der
Jurisdiktion beim Sakrament der Buße. Aber das Konzil von Trient sagte
niemals, daß die Lossprechung ohne Jurisdiktion unwirksam sei; solch
eine Absolution solle aber nicht in Erwägung gezogen werden. Aber das
Konzil sagte nicht, sie sei ungültig."
Ich möchte nun zu diesem Teil der Erklärung von Mgr. Guerard des
Lauriers einige Bemerkungen machen. Zuallererst sagte er, daß sämtliche
Bischöfe die gewöhnliche Jurisdiktion besitzen, die für die Spendung
der Sakramente erforderlich ist. Das heißt also, daß jeder der von
irgendwem ordiniert wurde, sich anschicken kann, ohne die Notwendigkeit
unter einem Bischof zu stehen, weil solch eine Person die 'gewöhnliche
Jurisdiktion1 nach der ersten Art haben würde, aber nicht nach der
zweiten Art. (Anm.d.Red.: Das gälte natürlich auch vice versa für die
Bischöfe, von denen ohne Legitimierung ihres Amtes durch ein'
päpstliches Mandat jeder dann auch seine eigene 'Kirche' etablieren
könnte, was leider Gottes weithin geschieht.)
Eine andere wichtige Feststellung zu der besonderen Art, die Mgr.
Guerard des Lauriers anwendet: er bezieht sich auf einen Text des
Konzils von Trient, der, wie er zugibt, ein Problem aufwirft. Was ist
das nun für ein fraglicher Text? Es handelt sich um eine Definition,
die besagt, daß ein Priester im Besitze der Jurisdiktion sein müsse, um
dem Beichtkind die Lossprechung erteilen zu können. Der genaue Text
lautet: "Da die Natur und das Wesen eines Urteilsspruches es verlangen,
daß das Urteil nur solchen gegenüber ausgesprochen werden kann, die der
Gewalt unterworfen sind, war die Kirche Gottes immer davon überzeugt,
und die Synode bekräftigt es als wahr, daß diese Absolution, die der
Priester über jemand ausspricht, über den er nicht die gewöhnliche oder
übertragene Jurisdiktion besitzt, wirkungslos ist." (Konzil von Trient,
Kap. 7)
Eine Beichte und Lossprechung, die wirkungslos ist, ist eine in den
Wind gesprochene Lossprechung; dem Pönitenten verbleiben seine Sünden;
sie sind nicht durch das Sakrament vergeben. Wenn das Konzil von Trient
von einer Absolution spricht, die ohne die gewöhnliche Jurisdiktion
gewährt wurde, sagt es korrekt, daß die Absolution wertlos sei. Der
Ausdruck "ungültig" ist vermieden, denn die Absolutionsformel selbst
ist als gültig anerkannt. Indessen ist die Absolution wirkungslos,
trotz Verwendung einer gültigen Formel. Und dies muß in dieser Sache
als sehr wichtig beachtet werden. Ein gültiges, aber wirkungsloses
Sakrament, ist etwas, das nicht die ihm innewohnende Gnade erwirkt.
Eine Million leerer Bierflaschen ergibt keinen Tropfen Bier! Eine
Million Absolutionen ohne die gewöhnliche Jurisdiktion wird keine
einzige Sünde vergeben! Dies mag nicht die Lehre Mgr. Guerard des
Lauriers sein, aber es ist die Lehre der römisch-katholischen Kirche!
(Anm.d.Red.: Mit dem Hinweis auf die Problematik der fehlenden
Jurisdiktion hinsichtlich der Beichte ist das wirkliche Anliegen von
Mgr. Guerard des Lauriers nicht weggefegt.)
Indem Mgr. Guerard des Lauriers eigenmächtig wünscht, die Bischöfe
mittels einer dunklen, persönlichen Theorie der gewöhnlichen
Jurisdiktion zu berauben, bringt er unwissentlich die Kirche in eine
unmögliche und absurde Lage: Jedermann besitzt die "gewöhnliche"
Jurisdiktion, alles hinsichtlich der Lehre und der Sakramente zu
unternehmen, was er will - keine Autorität darf intervenieren!
(Anm.d.Red.: das gleiche gilt natürlich auch für Bischöfe!) Ob Mgr.
Guerard des Lauriers die Konsequenz seiner Theorie erkennt oder nicht:
er errichtete die vollkommen demokratische Kirche! Ob er es erkennt
oder nicht, Mgr. Guerard des Lauriers befindet sich nicht in
Übereinstimmung mit den Päpsten der Vergangenheit, auch nicht mit den
Päpsten Pius X. und Pius XII.
Anmerkung:
*) Vor der Konsekration von Mgr. Guerard des Lauriers hatte uns Herr
Prof. Lauth, der die diesbezüglichen Verhandlungen mit dem
Dominikanerpater führte, versichert, daß dieser seine These vom
"materialiter" Papst, der es "formaliter" nicht sei, fallen gelassen
habe. Wir waren höchst erstaunt, als uns der eben konsekrierte Bischof
erneut mit dieser kuriosen Auffassung konfrontierte.
E. Heller.
(Auszüge aus: "Some things to think about", in THE SERAPH vom Okt.
1986, S.4-15; der Originaltext kann bei der Redaktion bestellt werden.)
***
KOMMENTAR:
Diese Ausführungen bedürfen, wie in der Vorbemerkung angekündigt,
einiger Erläuterungen. Zunächst möchte ich festhalten, daß S.E. Mgr.
Vezelis der erste Bischof ist, der es unternommen hat, neben einer
Würdigung der Absichten und Taten des verstorbenen Erzbischofs
Ngô-dinh-Thuc zu den Thesen von S.E. Mgr. Guerard des Lauriers
öffentlich Stellung zu nehmen. Hinsichtlich der Kritik an der
verwirrenden Auffassung Guerard des Lauriers, wonach Mgr. Wojtyla zwar
"materialiter" Papst sei, "formaliter" aber nicht (woraus der Urheber
dieser Konstruktion völlige Passivität hinsichtlich einer juridischen
Restitution der Kirche ableitet - von mir als das bekannte "Warten auf
Godot" apostrophiert - ) , teilen wir die von Mgr. Vezelis
vorgetragenen Argumente. Seiner Kritik bezüglich der kirchenrechtlichen
Situation in den von Mgr. Guerard des Lauriers vorgetragenen Thesen
kann ich nicht oder nur teilweise zustimmen. Meiner Meinung nach
verfehlt sie das eigentliche Anliegen des französischen
Dominikanerbischofs. Sie wird geführt von etwa dem Standpunkt aus, den
früher Mgr. McKenna einnahm und der hier bereits ausführlich als
unzutreffend expliziert wurde.
Was Mgr. Guerard des Lauriers hinsichtlich der kirchenrechtlichen
Verhältnisse und aer Möglichkeit ihrer Restitution als zu wenig
veranschlagt, beansprucht Mgr. Vezelis in dieser Hinsicht zu viel. Der
eine beschränkt sich auf die bloße Ausübung der Missio (nicht
bedenkend, daß zur Ausübung der Missio immer auch die Bevollmächtigung
durch die Sessio gehört - ansonsten landet man im Sektierertum oder im
Schisma), der andere beansprucht auf Grund der Weihe zum Bischof die
volle Jurisdiktion (vergessend, unter welchen Umständen die
Bischofsweihen, die in den letzten Jahren gespendet wurden, erteilt
werden mußten, nämlich in einer Jurisdiktionellen Notsituation ohne
päpstliches Mandat, durch das dem Geweihten auch die für eine normale
Amtsführung nötige Jurisdiktion verliehen wird).
Mgr. Guerard des Lauriers gibt letztlich zu, daß er - ohne sich mit
diesem Problem eingehender befaßt zu haben - auf die Wiederherstellung
der Sessio, d.h. auf die Wiederherstellung des päpstlichen Stuhles
resigniert, ja er verbietet sogar, "um die Jungfräulichkeit der Sessio"
zu retten (wie er es formuliert) jegliche Versuche in dieser Hinsicht.
Sein Verweis auf Christus, der nach ihm unmittelbar eingreifen sollte
(wie ein "deus ex machina" eingesetzt), bietet allen selbsternannten
'Päpsten', die sich auf unmittelbare Erwählung auf Christus selbst
berufen, eine plausible pseudo-theologische Rechtfertigung. (Ich sage
nicht, daß dies die Absicht von Mgr. Guerard des Lauriers ist, aber
seine diesbezügliche These läßt sich bequem als scheinbare
'Rechtfertigung' für das Auftreten solch unmittelbar Erwählter
benutzen, von denen es bereits einige gibt. Unter der Überschrift
"'Papst' mit Postfach" ließe sich speziell dazu einiges schreiben...)
Auf der anderen Seite beansprucht Mgr. Vezelis für die neu gewählten
Bischöfe volle normale Jurisdiktion, wodurch angeblich - zumindest ein
Großteil verlorenen gegangenen Terrains hinsichtlich der kirchlichen
Hohheit, ihrer hierarchischen Struktur und der Einheit - die
Strukturkrise der kirchlichen hierarcnie zumindest in Ansätzen
überwunden wäre, wenn nur die einfachen Kleriker und Laien die
Jurisdiktion der Bischöfe anerkennen würden. Dabei wird übersehen,
welche umfassende Stellung dem Papsttum und der ihm eigenen Vollmacht
in der kirchlichen Konstitution zukommt. Der Vorwurf des latenten
Schismas, den Mgr. Vezelis erhebt, muß an ihn zurückgegeben werden und
man müßte ihn fragen, wie er selbst sein Amt als Bischof unabhängig von
einem regierenden Papst bestimmen und begrenzen könnte, d.h. ohne ein
ausdrückliches päpstliches Mandat dazu.
Es zeichnet sich hier wiederum ab, daß eine tatsächliche Restitution
der kirchlichen Hierarchie nur dadurch bewerkstelligt werden kann, daß
die Prima Sedes wieder hergestellt wird. (N.b. man muß es geradezu als
bitteren Hohn empfinden, wenn der Herausgeber der SAKA-Informationen,
Herr Eisele, die sicherlich unverstandenen Thesen von Mgr. Guerard des
Lauriers nachplappert und all jene, die bemüht sind, zumindest nach
einem theologisch haltbaren Konzept für die Beendigung der allgemeinen
Anarchie zu suchen, als "Konklavisten" abkanzelt.) Ich hoffe demnächst
die Zeit zu finden, um zu zeigen, wie dies unter den gegebenen
kirchlichen Umständen geschehen könnte.
Eberhard Heller
***
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