"NUR" EINE BESTÄTIGUNG?
- ZUR RECHTLICHEN PROBLEMATIK DES BERATUNGSSCHEINES -
von
Eberhard Heller
Zum Abschluß der Frühjahrsversammlung der "Deutschen
Bischofskonferenz", die vom 17.- 2o. Februar 1986 in Mallersdorf bei
Regensburg tagte, gab 'Kard.1 Höffner im Auftrag dieser Konferenz eine
Presseerklärung ab, die in einigen Passagen zu einem Thema Stellung
bezieht, welches nicht nur moralische Probleme aufwirft, sondern auch
rechtliche Aspekte aufweist, die hier angesprochen werden sollen und
die für die Lebensrechtsbewegung von großem Interesse sind: welche
Bedeutung messen die deutschen Bischöfe dem sog. Beratungsschein zu,
den die offiziellen 'kirchlichen' Beratungsstellen schwangeren Frauen
nach erfolgter Konsultation auf Antrag ausstellen (müssen)? (Vgl. den
vollständigen Abdruck dieser Erklärung im OSSERVATORE ROMANO - OR - in
deutscher Sprache vom 7.3.1986, S.8-10.)
Höffner nimmt zunächst Bezug auf von mehreren Seiten erhobene Vorwürfe
gegen die Praxis dieser Beratungsstellen, durch deren Einbeziehung in
die staatlich vorgeschriebenen Maßnahmen im Zusammenhang mit der
Neuregelung des § 218 aus dem Jahr 1976 sich "die Kirche [...] im
Widerspruch zu ihrer Morallehre in das 'staatlich legalisierte
Abtreibungsgeschehen" habe hineinziehen lassen. Man kritisiert, so
fährt er fort, "auch in katholischen Stellen würde 'nur mit halbem
Herzen' das Lebensrecht der Ungeborenen gewahrt, wenn von
'Gewissensentscheidung' und 'Entscheidungsfreiheit' der schwangeren
Frau gesprochen werde. Nach erfolgter Beratung werde auf Wunsch ein
Beratungsschein ausgestellt, der einen Freigabeschein zum Töten'
darstelle."
Die hier formulierten Vorwürfe spiegeln die Tatsache wider, die auch in
einer Veröffentlichung des Deutschen Caritasverbandes über die Arbeit
der sog. "katholischen Beratungsstellen" aus dem Jahre 1981 bestätigt
wird, daß nämlich nur etwa die Hafte der Frauen, die sich dort beraten
lassen, sich tatsächlich für das zu erwartende Kind entschieden. Nach
der Untersuchung des Caritasverbandes hatten sich von 14729 Frauen
lediglich 57% zu ihrer Mutterschaft bekannt. 7% der beratenen Frauen
hatten abgetrieben, "bei 36% war der Ausgang der Schwangerschaft
unbekannt mit starker Tendenz zum Schwangerschaftsabbruch" (vgl.
SCHWARZER BRIEF - SB - Nr.45/1982).
Nachdem der Vorsitzende der "Deutschen Bischofskonferenz" "das
unbedingte Recht eines jeden Menschen auf sein Leben, das mit der
Zeugung beginnt", betont hat, erläutert er die (voigebliche) Aufgabe
der 'kirchlichen' Beratungsstellen: "Die fachlich qualifizierte und
umfassende Beratung der kirchlichen Stellen dient dem Lebensschutz des
ungeborenen Kindes", welcher auch von der Verfassung vorgesehen sei.
Höffner bestätigt ausdrücklich die Verflechtung 'kirchlicher' in
staatlichen Stellen: "Die im staatlichen Strafgesetz vorgeschriebene
Beratung fjdie n.b. u.a. von den angesprochenen 'kirchlichen' Stellen
wahrgenommen wirdQ hat den gesetzlichen Auftrag, über die zur Verfügung
stehenden öffentlichen und privaten Hilfen für Schwangere, Mütter und
Kinder zu beraten, insbesondere über solche Hilfen, die die Fortsetzung
der Schwangerschaft und die Lage von Mutter und Kind erleichtern." Man
erfährt ferner, daß angeblich "nur durch die Einbeziehung unserer
katholischen Beratungsstellen in die gesetzlich vorgesehene
Schwangerschaftsberatung £T.J ein effektives Beratungsangebot in
möglichst vielen Regionen erreichbar" wäre. (Vgl. OR vom 7.3.86, S.9.)
Dies muß ausdrücklich bestritten werden. Selbst in'kirchlichen' Kreisen
weiß man längst, daß durch die staatliche Reglementierung "die Arbeit
der kath. Beratungsstellen erschwert ist, weil sie u.U. auch
Beratungsscheine ausstellen müssen", so ein Fuldaer Domkapitular in
einem Brief vom 4.1.1983 an den Herausgeber des SB (vgl. Nr.13/1983).
Auch Höffner muß eingestehen, daß von den jährlich etwa 25ooo
schwangeren Frauen, die eine 'katholische' Beratungsstelle aufsuchen,
"mehr als die Hälfte mit der Vorentscheidung zu einem
Schwangerschaftsabbruch kommt" (vgl. OR vom 7.3.86).
Halten wir fest: die Beratungstätigkeit der 'kirchlichen' Stellen
geschieht im Zusammenhang mit den vom Staat vorgeschriebenen Maßnahmen
hinsichtlich der Neuregelung des ß218 StGB. Diese Einbeziehung ist
überdies ausdrücklich gewollt!!! Damit werden implizit auch die
einzelnen Bestimmungen dieser Neuregelung anerkannt. Darin wird u.a.
zwingend vorgeschrieben, daß bei einer Abtreibung zunächst die
Bestätigung einer Beratung mittels des umstrittenen BeratungsScheines
vorgelegt werden muß. Erst dann kann ein Arzt die
Indikationsfeststellung vornehmen, die nach geltendem 'Recht' die
Voraussetzung für die Straffreiheit der Abtreibung ist- Die Bedingungen
für eine sog. 'legale' Abtreibung sehen demnach so aus: ohne
Beratungsschein keine Indikationsfeststellung, ohne
Indikationsfeststellung keine straffreie Abtreibung. Somit gehört das
Ausstellen des Beratungsscheines - auch in den sog. 'katholischen'
Beratungsstellen! - eindeutig zu den Voraussetzungen, die vom Staat für
die Neuregelung der Abtreibungspraxis verplichtend vorgeschrieben sind.
Indem sie den Beratungsschein ausstellen, lassen sich die 'kirchlichen'
Stellen in den staatlich manipulierten Rechtsbruch mit hineinziehen.
Und hier liegt die ganze Problematik der Beratungsstellen! Dieser
furchtbaren Konsequenz könnte man leicht dadurch entgehen, indem man
die staatliche Regelung nicht anerkennt und keinen Schein ausstellt.
Doch so ist und bleibt der Beratungsschein Mittel zum Zweck... zur
straffreien Durchführung der Abtreibung. Er ist Glied einer Kette, an
deren Ende der Mord des ungeborenen Lebens steht!
Dies behauptet auch Schw. Hedi Lebert aus Köln in einem Rundbrief der
"Aktion Lebenschance" vom Advent 1985. (Bei der "Aktion Lebenschance"
handelt es sich um eine Bürgerinitiative in privater Trägerschaft zur
Beratung schwangerer Frauen, die keine Beratungsscheine ausstellt.) Im
Zusammenhang mit der Gewährung der sog. "Geißler-Gelder" schreibt Frau
Lebert: "Trotzdem möchten wir sie [d.s. die "Geißler-Gelder"] nicht
haben, denn wir bekämen sie nicht ohne 'Bedingungen'. Und eine davon
wäre das Ausstellen eines Beratungsnachweises, der zu nichts anderem
dient als zur straffreien, d.h. legalen Abtreibung."
Von Schwester Lebert erfährt man zudem von der 'ambivalenten' Haltung
bzw. 'offenen' Einstellung so mancher 'katholischen' Beraterin, die
keinesfalls die Abtreibung als Möglichkeit der Konsultation
ausschlösse, die also, wie Höffner gewisse Vorwürfe selbst formuliert,
"nur mit halbem Herzen" beraten würde.
Diese weitreichende Verstrickung der 'katholischen' Stellen deckt eine
Ordensfrau auf, die wegen ihrer kompromißlosen Beratung vonihrer Oberin
und indirekt von Diensstellen Höffners attackiert wurde, welcher damit
seiner Beteuerung widerspricht, es ginge in den 'kirchlichen' Stellen
um den "Lebensschutz des ungeborenen Kindes". Und Höffner hat in seiner
Eigenschaft als Vorsitzender der "Deutschen Bischofskonferenz" in
Mallersdorf noch die Stirn zu erklären: "Die Ausstellung einer
Beratungsbescheinigung bedeutet nur die Bestätigung, daß nach diesen
Grundsätzen [jenen, die im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom
25.2.1975 festgeschrieben sind] beraten worden ist." (Vgl. OR vom
7.3.1986.)
"Nur" eine Bestätigung? - Um die innere Verdrehtheit und den
versteckten Zynismus dieser Behauptung bloßzulegen bzw. begreiflich zu
machen, ziehe ich zu ihrer Erläuterung ein Beispiel aus dem religiösen
Bereich heran. Als Judas nach dem Letzten Abendmahl an der Spitze einer
bewaffneten Schar am Ölberg erschien und Jesus küßte (vgl. Mt.26,47-5o;
Mk.14,43-46), handelte es sich keineswegs nur um ein
Begrüßungszeremoniell.
Indem sich die 'kirchlichen' Stellen durch das Ausstellen eines
Beratungsscheines (!), der eine der vom 'Gesetz' vorgesehenen
Bedingungen für den straffreien Schwangerschaftsabbruch darstellt,
bewußt und willentlich in den staatlichen Abtreibungsprozeß einspannen
(lassen), versagen sie nicht nur moralisch, sondern es trifft sie m.E.
auch eine bestimmte Mitschuld an der Tötung der ungeborenen Kinder in
rechtlicher Hinsicht.
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