DIE SAAT IST AUFGEGANGEN -
KINDER WERDEN IMMER SCHUTZLOSER
von
Christa Meves
(aus: DIE WELT AM SONNTAG vom 15.6.1986)
Mit Recht ist das Entsetzen groß: Pro Jahr werden in der Bundesrepublik
Deutschland 3ooooo Kinder sexuell mißbraucht. Die unfaßlich große Zahl
der Täter besteht vornehmlich aus erwachsenen Männern, davon sind zu 75
Prozent Stiefväter und Väter. So berichtete jetzt auf einer Tagung in
Berlin die Rechtsanwältin Ingrid Lohstöter.
Die Stoßrichtung bei Klage und Anklage richtet sich gegen die schlimmen
Männer im allgemeinen und gegen den "Tatort Familie" im besonderen. Zum
Schutz der bedrängten Kinder wird deshalb empfohlen, sie aus den
Familien herauszunehmen.
Gewiß, die alltägliche Praxis kann bestätigen, wieviel schutzloser die
Kinder der 7oer und 8oer Jahre geworden sind. Viele zeigen in Tests
sexualisierte Angst vor dem Mann, und nicht selten läßt sich als
Ursache diffuser psychosomatischer Störungen sexueller Mißbrauch durch
Erwachsene feststellen. Die Zahl schwerster seelischer
Beeinträchtigungen bis hin zu psychoseähnlichen Zuständen, zur Flucht
in lesbische Beziehungen aus Ekel vor dem Mann vermehren sich in nie
dagewesener Weise. Das war vorauszusehen, wo kaum ein Versuch
unterblieb, die Familie in Frage zu stellen.
Nur eins berührt merkwürdig: Warum die plötzliche Erregung? Schließlich
haben die Avantgardisten der heutigen Situation bereits ab Mitte der
6oer Jahre die Auflösung des Inzest-Tabus zwischen Eltern und Kindern
empfohlen und forsch vorangetrieben. Begründung: die Kinder dürften
nicht mehr von der Sexualität der Erwachsenen ausgeschlossen werden.
Helmut Kentier zum Beispiel, heute Professor an der Universität
Hannover, hochgeschätzter Experte in Fragen der Sexualerziehung,
empfahl in seiner Programmschrift von 197o nachdrücklich die sexuelle
Stimulation von Kindern durch Erwachsene mit dem Ziel, das Inzest-Tabu
durch "rationale Einsicht zu ersetzen". Er prangert an, daß in den
bisherigen Gepflogenheiten das Kind unsexuell zu erscheinen habe, "um
keine Verführungswirkung auf die Eltern auszuüben". Und er folgert:
"Die Tabus vor dem Inzest- Tabu sind es meines Erachtens vor allem, die
eine sexualfreundliche Sexualerziehung im Kindesalter verhindern."
Stattdessen wird ein "sexualfreundliches Einüben" in allen "polymorph
perversen" Spielarten von Sexualität vom Säuglingsalter an empfohlen.
Ohne jeglichen ministeriellen Protest wurde zum Beispiel bundesweit mit
hohen Auflagen die Schrift Kommune 2 "Versuch der Revolutionierung des
bürgerlichen Individuums" verbreitet. Darin wird der sexuelle Umgang
eines erwachsenen Mannes mit einer Dreijährigen dargestellt.
Diese Saat ist in der Tat aufgegangen - gedüngt vor allem durch die
immense Zunahme der Scheidungen, durch die zahllose Kinder in die Obhut
von Stiefvätern oder Lebensgefährten der geschiedenen Mütter gerieten.
Besonders in jenen Familien, in denen man sich die
progressiv-liberalistische Theorie: "Erlaubt ist, was gefällt" zu eigen
gemacht hatte, widerstanden die Ersatzväter seltener der Versuchung.
Augenfällig wurde das vor allem in den Fällen, in denen die Mädchen
väterliche und mütterliche Geborgenheit entbehrten und deshalb eine
Sehnsucht nach Zärtlichkeit entwickelten oder durch die sexualisierte
Atmosphäre der "offenen Erwachsenenwelt" selbst zur aktiven Nachahmung
drängten.
Es erscheint mir mehr als zynisch, nach 2ojähriger Bemühung um eine
gezielte Zerrüttung der Familie ihr auch noch die horrenden Zahlen über
den Mißbrauch von Kindern durch Väter anzukreiden. Gerade das viele
"Befreien" der Kinder, Mütter und Väter aus ihren "bourgeoisen
Zwängen", gerade das "Aufbrechen" der Institution Familie (wie im
zweiten Familienbericht der damaligen Bundesregierung empfohlen)
zeitigt jetzt bittere Folgen.
Nicht die Institution Familie trägt die Schuld, sondern ein
triebentfesselter Zeitgeist, dem nun die "zur Sexualität befreiten"
Ersatzväter ebenso ausgeliefert sind wie die vernachlässigten, nach
Elternliebe und mütterlicher Geborgenheit hungernden Kindern. Nur ein
liebevoller Geist in intakten Familien mit einer demütigen Anerkenntnis
notwendiger GrenzSetzungen kann diesem tief eingefressenen neumodischen
Elend Widerstand entgegensetzen...
ROSENKRANZGEBET: WÖCHENTLICH JEDEN DONNERSTAG UM 19 UHR IN ST. MICHAEL. |