DER HL. JOHANNES KAPISTRAN
von
Eugen Golla
Der Hauch eines Geheimnisses liegt über der Abstammung des Johannes von
Kapistran, der 1386 als Sohn eines Landedelmannes in Capestrano in den
Abruzzen geboren wurde. Bis heute ist es umstritten, welcher
Nationalität sein Vater angehörte, der als Krieger dem König von Neapel
diente; möglicherweise war ein Deutscher.
16-jährig bezog Johannes die Universität Perugia, wo er sich mit großen
Eifer der Rechtswissenschaft widmete, um sich auf den Staatsdienst
vorzubereiten. Seine Laufbahn begann er als Rat am königlichen
Gerichtshof zu Neapel. Einige Jahre später wurde er Richter in Perugia,
wo er es verstand, sich beliebt zu machen. "Er versäumte aber auch
nichts, der Welt zu gefallen. Seinem Äußeren widmete er eine
sorgfältige Pflege, besonders seinem Haupthaar, das er über die
Schultern herabwallend trug, schön gekräuselt und mit Goldfäden
gebunden. Nicht um tausend Dukaten hätte er seine Haare hergegeben,
gestand er später. Wenn so die gedrungene, kleine Gestalt des Richters,
elegant gekleidet und festlich geputzt, durch die Starßen der Stadt
schritt, grüßte alles freundlich den 'Messer Giovanni1, wie er sich
nannte." (Vgl. Hofer I, S.48.)
Bald heiratete er, aber die Ehe wurde nie vollzogen, sondern
wahrscheinlich unmittelbar nach seinem "Damaskuserlebnis" gelöst,
welches das Weltkind in einen Mönch verwandelte, der sich im Dienst des
HERRN aufrieb. Und so spielte sich die große Wende in seinem Leben ab.
In diesen Jahren - unmittelbar nach Beendigung des großen Schismas -
wurde Italien von Kämpfen, Fehden und Kriegen heimgesucht. Als
stellvertretender Gouverneur Perugias beauftragt, Friedensverhandlungen
aufzunehmen, fiel Kapistran als Unterhändler in die Gewalt eines der
verbannt gewesenen Adelshäupter. In eine Turmzelle gebracht, versuchte
er, sich mittels eines Stricks aus Bettzeug und Oberkleid in die Tiefe
hinabzulassen. Aber das Seil riß. Von neuem gefangengenommen, wurde er
trotz eines Schenkelbruchs im Turmverließ, bis zu den Knien in Wasser
stehend, mit eisernen Ketten an die Mauer geschmiedet. In dieser Lage
verfiel er in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf, aus dem ihn plötzlich
ein Getöse weckte. Zugleich wurde das Verließ hell und eine Gestalt im
Franziskanerhabit, in der er den hl. Franziskus vermutete, stand vor
ihm. Als er sie umfassen wollte, verschwand sie, aber er mußte
feststellen, daß er eine Tonsur nach Franziskanerart erhalten hatte.
Auf diese Vision folgten Tage schwerer innerer Kämpfe. Mit allen
Kräften sträubte er sich, dem geheimnisvollen Ruf zu folgen und die
Welt zu verlassen. Als aber etwa eine Woche später die Erscheinung -
diesmal drohend - wieder vor ihm stand, erklärte er sich bereit, alles
zu tun, was Gott von ihm verlangen würde. Es war dies am Tage der hl.
Büßerin Magdalena (22. Juli).
Nachdem er bald darauf auffallend leicht seine Freiheit wiedererlangt
hatte, löste er seine Ehe auf und bat um Aufnahme in dem
Franziskanerkloster auf dem Monte Ripida bei Perugia. Dort warteten
seiner harte Prüfungen. Man glaubte anfangs nicht an eine echte
Berufung und sparte gegenüber dem verwöhnten Intellektuellen nicht mit
Spott und Demütigungen. Hinzu kamen n ch seelische Qualen durch
Rückblicke auf sein vergangenes Leben, sowie sinnliche Phantasien und
Versuchungen. Um ihrer Herr zu werden, fügte er sich Brandwunden zu und
stürzte sich in Haufen schmutzstarrender Wäsche, in der Ungeziefer nur
so wimmelte.
Der Franziskanerorden konnte zu dieser Zeit trotz der schweren Krisen,
die durch die Armutsstreitigkeiten im 13. und 14. Jahrhundert über ihn
hereingebrochen waren, bereits auf 2oo Jahre erfolgreiches Wirken
zurückblicken. Ursprünglich hatte der hl. Franziskus nicht die Absicht
gehabt, einen neuen Orden zu gründen, sondern er wollte nur mit einer I
kleinen Schar Gleichgesinnter Christi Wanderleben in vollständiger
Armut bis zur letzten Konsequenz nachahmen. Der große Zulauf zwang
allerdings bald dazu, einen festorganisierten Orden zu gründen, was zur
Folge hatte, daß die Frage, wie weit das Armutsideal gelebt werden
könne, bzw. ob, wie bei anderen Orden,wenigstens gemeinsames Eigentum
erlaubt sei, zu immer neuen Krisen führte. Diese spitzten sich
gefährlich zu, als aus der Richtung der Spiritualen, den Verfechtern
absoluter Armut, die schwärmerische, bald auch kirchlich verurteilte
Sekte der Fraticellen hervorging. Soweit es sich um das echte Anliegen
des Armutsideals handelte, wurde es von den Observanten aufgegriffen,
während im Gegensatz zu diesen reformeifrigen Brüdern die Konventualen
in großen, geräumigen Klöstern lebten. Unser Heiliger erhielt die
Gnade, im Kloster auf dem Monte Ripido eine Stätte gefunden zu haben,
welche die echte Observanz pflegte, und ihm so die Grundlagen mitgab,
die ihn befähigten, einer der führenden Männer im Kampf um die
Observanz zu werden.
Bald nach dem Erhalt der Weihen - wahrscheinlich schon 1418 - begann er
als Inquisitor den Kampf gegen die Fraticellen, die unter dem Schütze
mächtiger Gönner Anarchie in Kirche und Gesellschaft zu verbreiten
drohten. Hier tritt schon deutlich seine Kampfnatur zum Vorschein. So
schreibt er: "Jede andere Beschäftigung muß der Verteidigung des
Glaubens weichen; sie ist mir die angenehmste Tätigkeit, ich schätze
sie höher als jede andere Arbeit." (Hofer I, S.96.) Es wäre aber
einseitig, in Kapistran nur den Inquisitor zu sehen, denn bald sollte
sein Hauptarbeitsfeld auf dem Gebiete der Wanderpredigt liegen.
Für Italien ist insbesondere das 15. Jahrhundert die große Zeit der
Bußprediger gewesen, von denen viele der strengen Richtung der
Franziskanerobservanz angehörten, so auch neben Kapistran der hl.
Bernhardin von Siena. Eine Zeit lang arbeiteten beide zusammen. Als
Redner war wohl Bernhardin der bedeutendere, aber Johannes ergänzte den
kränklichen Sienesen durch sein organisatorisches Talent und seine
juristischen Kenntnisse, denn oft fiel den Bußpredigern die Aufgabe zu,
Fehden und komplizierte Prozesse zu schlichten. 1427 mußte sich der hl.
Bernhardin in Rom wegen Ketzerei verantworten, weil er angeklagt worden
war, beim Einzug in die Städte eine Standarte mit dem Namen Jesu, der
von 12 Sonnenstrahlen umgeben und mit einem Kreuz gekrönt war,
voraustragen zu lassen. Kapistran trug wesentlich dazu bei, daß sein
Gefährte gerechtfertigt aus dem Prozeß hervorging, ja sogar vom Papste
beauftragt wurde, drei Monate in Rom zu predigen.
In den 3o-iger Jahren ist unser Heiliger bereits Oberer und Gesetzgeber
der Observanz, deren positive Entwicklung oft die Besten aus den Reihen
der Konventualen veranlaßte, zu ihr überzutreten, was die
Auseinandersetzung in der Ordensfamilie immer heftiger werden ließ,
zumal die Konventualen durch ihre zahlenmäßige Überlegenheit die Macht
besaßen, Provinzial- und Generalkapitel in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Die franziskanische Askese bis zur letzten Konsequenz verlangte
allerdings der Heilige in erster Linie von sich selbst: "Die ersten
sieben Jahre ging er ganz barfuß, dann trug er offene Sandalen, erst in
den letzten Jahren, dieseits der Alpen, geschlossene Schuhe. (...)
Nächtigte er in Häusern, dann ließ er aus dem Bett bis auf den
Strohsack alles entfernen. Am Mendizieren (= betteln) der Brüder
beteiligte er sich in Italien während seiner Missionen persönlich; mit
dem Brotsack am Halse ging er von Tür zu Tür, die Almosen in Empfang zu
nehmen. (...) Saß er an einer Tafel, dann konnte es vorkommen, daß er
die vorgesetzten Speisen unberührt ließ und sich aus seinem Brotsacke
sättigte mit der Begründung, die selbstgesammelten Stücke mundeten ihm
besser." (Hofer I, S.145 f.)
In diese Zeit fallen auch seine ersten großen Reisen. Infolge der
Übernahme der Kustodie des hl. Grabes durch die Franziskanerobservanten
dürfte er 1439/4o eine Palästinafahrt unternommen haben, über welche
allerdings nichts näher bekannt ist. Danach übte er das Amt eines
Visitators für die Provinzen nördlich der Alpen aus und besuchte die
Konvente in Burgund und Flandern. Nebenbei erübrigte er auch noch Zeit,
schriftstellerisch tätig zu sein. Am bekanntesten wurde sein Traktat
"Klerikerspiegel". In ihm ruft er den Priestern zu: "Wohlan, ehrwürdige
Brüder, beeilt euch, nicht dem Judas, sondern Petrus und den anderen
Aposteln und Jüngern Christi zu folgen; bewahrt diese überragende Würde
in Ehren, daß ihr durch makellose Heiligkeit euch die Achtung der
Könige und Fürsten verdienet." - "Unter Tränen und Schweiß müssen sich
die Priester täglich die Gabe der Frömmigkeit erflehen." (Hofer I,
S.22o/221.) In der Schrift über die päpstliche Machtvollkommenheit wird
gegenüber der seit dem großen Schisma mächtigen Konzilsbewegung die
alte katholische Lehre von der päpstlichen Gewalt bedingungslos
verteidigt.
Das Jahr 1444 brachte für Kapistran eine schwere Erschütterung: den Tod
des hl. Bernhardin von Siena. Obwohl schon zu seinen Lebzeiten wie ein
Heiliger verehrt, nahm der gleich nach seinem Tode beginnende
Kanonisationsprozeß, der zu einem großen Teil in den Händen Kapistrans
lag, mehrere Jahre in Anspruch. Im Jahre von dessen Abschluß, I45o,
erhielt Johannes vom Papst den Auftrag, das Oberhaupt des Deutschen
Reiches, Kaiser Friedrich III. in seiner Residenz in Wiener Neustadt zu
besuchen. Der eigentliche Grund für diese Reise war wohl nicht
missionarische Tätigkeit und die Errichtung von Observantenklöstern in
Österreich, sondern seine Unterstützung bei der Beilegung der
politischen Wirren in Österreich und Böhmen.
Im Juni und Juli 1451 hielt sich Kapistran in Wien auf, wo er fast
täglich predigte. Diese von einer gewaltigen Volksmenge besuchten
Predigten von zwei bis drei Stunden Dauer wurden in Latein gehalten, da
der Heilige des Deutschen nicht mächtig war. Ein Dolmetscher übersetzte
dann für die Zuhörer, die des Latein nicht mächtig waren. Mehr als 15o
dieser Predigten sind uns, wenn auch unvollständig, so doch mindestens
dem Gedankengang nach, überliefert.
Die Hauptthemen des Wiener Predigtenzyklus waren: Gnade, Messianität
Jesu, das Weltgericht, die Gottesmutter Maria, die Vorzüge des
Ordensstandes. Sie kehren auch andernorts wieder. Aber sein beweglicher
Geist wird durch Wünsche der Zuhörer, dazwischenfallende Feste oft zu
Änderungen angeregt, so daß manche Predigtfolge unvollendet blieb. Es
ist von Interesse, daß Kapistran es war, der die Deutschen bei den
Marienpredigten lehrte, den damals im Reiche noch nicht üblichen
zweiten Teil des Ave-Maria zu beten.
Viele seiner Predigten sind wichtige Quellen für seine Biographie: Von
seinem Leben als Weltmensch, seiner Ehe, seiner Bekehrung spricht er
ebenso freimütig, wie er auch nicht unterläßt, von seinen Leistungen
als Ordensmann zu berichten.Natürlich bekämpft er von der Kanzel aus
die schlechten Sitten und moralischen Verfehlungen. Aber er gehört
nicht zu jenen Bußpredigern, deren Hauptstärke das Moralisieren ist.
Andererseits waren seine südländische Art des Vortrages, die lebhaften
Gesten, der Wechsel in der Lautstärke, auch das "Misericordia"-Rufen
bei Bußpredigten dem nüchternen Charakter der Deutschen nicht genehm.
Enea Silvio Piccolomini, der nachmalige Papst Pius II., damals Sekretär
des Kaisers, gibt uns eine in ihrer lapidaren Kürze vortreffliche
Charakteristik des großen Predigers: "Ich habe ihn in Wien gesehen: ein
kleiner, alter Mann, hager, dürr, ganz ausgetrocknet, nur aus Haut und
Knochen zusammengesetzt". (Hofer II, S.39) Und dieser kleine alte Mann
hatte den ganzen Tag aufgeteilt in Beten, Messelesen, Predigen und
Krankenbesuche, letztere oft bis tief in die Nacht. Diese bei ihm Trost
suchenden Kranken waren ihm ein gewisser Ersatz dafür, daß ihm infolge
der Unkenntnis der Landessprache die Seelsorge im Beichtstuhl versagt
blieb. Aber es handelte sich nicht nur um die Fürsorge für die
Leidenden: zu Lebzeiten keines anderen Heiligen wurden urkundlich so
viele Krankenheilungen bezeugt. Natürlich bleibt bei der großen Anzahl
der Wunder - Kapistran berichtet z.B. allein von 7oo Wundern nach
einigen Monaten Aufenthalt in Wien - die Frage offen, ob es sich
wirklich allesamt um dauernde Heilung handelte.
Von Wien aus betrat Johannes v. Kapistran den Boden Böhmens und
Mährens. Der radikale Hussitismus, der mit Feuer und Schwert seine
Lehre verbreitete und noch 1431 ein gegen ihn gesandtes Kreuzzugsheer
in die Flucht geschlagen hatte, sank kurz darauf zur
Bedeutungslosigkeit herab, da es der gemäßigten Richtung, den
Utraquisten gelang, mit der Kirche, d.h. mit dem Basler Konzil, welches
damals allerdings bereits schismatisch war, da es dem rechtmäßigen
Papst den Gehorsam aufgekündigt und einen Gegenpapst aufgestellt hatte,
Frieden zu schließen. Das Hauptzugeständnis, die Spendung der Kommunion
unter beiden Gestalten, war an die Bedingung geknüpft, die Gläubigen
daran zu erinnern, daß unter jeder Gestalt der ganze Christus enthalten
sei. Dies wurde aber von den Utraquisten meist mißachtet, ebenso
verneinten viele von ihnen weiterhin die Lehre vom Fegefeuer, die
Nützlichkeit der Gebete für die Verstorbenen, den Ablaß und die
Heiligenverehrung. Schließlich verboten die Prager Ratsherrn sogar die
Kommunion unter einer Gestalt. Somit war der Utraquismus, an dessen
Spitze zielbewußte und energische Männer standen, im Begriffe, unter
Verdrängung der katholischen Kirche eine national-tschechische
Konfession zu werden.
Nachdem wenige Jahre vorher das Basler Konzil ein unrühmliches Ende
gefunden hatte und Papst Nikolaus V. nunmehr allgemein anerkannt worden
war, zeigten die Utraquisten großes Interesse an einer vollständigen
Aussöhnung mit Rom. Allerdings verstanden sie darunter nichts anderes
als die bedingungslose Anerkennung der ihnen in Basel gewährten
Konzessionen. Im Gegensatz dazu sah aber Kapistran den Zweck seiner
Mission darin, den Utraquismus zu vernichten, der in seinen Augen eine
regelrechte Häresie war, obwohl, rein äußerlich gesehen, die
Unterschiede gegenüber der katholischen Kirche nicht bedeutend waren.
Die wichtigste Abweichung im Kult war der Laienkelch sowie die
Kommunion der unmündigen Kinder. Es wäre daher ein Irrtum zu glauben,
es wäre z.B. anstelle der Messe ein Produkt wie der sog. 'Novus Ordo'
getreten: es wurde der römische Ritus gelesen, nur Epistel und
Evangelium wurden tschechisch vorgetragen.
Kurz zusammengefaßt ist zu sagen, daß sämtliche Bemühungen Kapistrans,
seinen Verhandlungen, Predigten, seinen Hussitentraktaten kein Erfolg
beschieden war. Teilweise mag dies ein Mangel an diplomatischem
Vorgehen gewesen sein, vielleicht war es aber noch schwerwiegender, daß
es damals weder Kaiser noch Papst für opportun hielten, den Utraquismus
bedingungslos zu verwerfen. Der weitere Gang der Geschichte gab
allerdings unserem Heiligen recht. In den 15 Jahren nach seinem Tod
spielte sich die Entlarvung des Utraquismus als Ketzerei sowie der
offene Kampf mit ihm ab, der mit dem Sieg des Katholizismus endete.
Die Periode vom Juli 1452 bis Juli 1454 ist ausgefüllt mit Reisen durch
Franken, Thüringen, Sachsen, Schlesien und Polen. Abwechselnd ist
Kapistrano Missionar, Schiedsrichter, Inquisitor, Visitator der
Observanten und Gründer von Klöstern dieser Richtung. In Nürnberg hielt
er 27 Predigten. In der zweiten teilte er mit, daß auch die Juden
kommen sollten. Oft wurde ihm vorgeworfen, ein grausamer Judenverfolger
gewesen zu sein. Eines steht fest: mag er sich auch bei der
Durchführung der damaligen Judengesetze bedauerlicherweise unnötige
Härten zuschulden kommen lassen haben - wir können ihn von diesem
Vorwurf nicht freisprechen -, so ist es doch falsch, in ihm einen
Wegbereiter des modernen Antisemitismus zu sehen, der sein Dasein
pseudowissenschaftlichen 'Erkenntnissen' des 19. und 2o. Jahrhunderts
verdankte. Durchdrungen von der Polarität der christlichen und
jüdischen Religion sah der mittelalterliche Mensch in den Juden die
Nachkommen derjenigen, welche das "Kreuzige ihn" geschrieen hatten. Es
mußten noch Jahrhunderte vergehen, bis Lessing seinen Nathan das Credo
des Indifferentismus aussprechen läßt und Mgr. Wojtyla verkündet, daß
Juden und Christen denselben Gott haben. Zitieren wir noch kurz den
Biographen unseres Heiligen: "Die Leute mögen geduldig zuhören, mahnt
er am folgenden Tag: 'Ich will diesen Gegenstand fortsetzen; ich hoffe,
er wird unseren Freunden, den Juden von Nutzen sein.1 - 'Unsere
teuersten Juden' nennt er sie ein andermal. Das war durchaus nicht
ironisch gemeint. Von Judenhaß weiß er sich frei. Er bekennt sich zu
den Worten des hl. Hilarius: 'Wenn ich die Juden nicht liebe, bin ich
kein guter Christ. War nicht Christus ein Jude, und die seligste
Jungfrau Maria? Waren nicht auch die Apostel Juden?' Den Juden, aus
deren Geschlecht Christus geboren werden sollte, Gnade zu erwirken,
halte er diese Predigten. (...) Seine christlichen Zuhörer warnt er vor
den Reden der Juden, man könne in jedem Glauben sein Heil finden. 'Wenn
jeder in seiner Religion selig werden kann1 bemerkt er einmal, 'dann
muß es so viele Religionen als Menschen geben.1 'Geh, geh, geh! Dann
darfst Du nicht mehr sagen: Im Namen des Herrn, oder ich glaube an den
einen Gott.' In diesem Streben der Juden, ihren christlichen
Wirtsvölkern den religiösen Indifferentismus einzuträufeln, sieht er
die religiöse Gefahr, die von den Juden ausgeht. Ihr zu begegnen gibt
es für ihn nur zwei Wege: entweder sie bekehren sich zum Christentum
oder, wenn sie in ihrem Unglauben verharren, müssen die zum Schutz der
Christen erlassenen Judengesetze streng durchgeführt werden."(Hofer II,
S.154/55.)
1453 eroberte Sultan Muhamed II. Konstantinopel. Aber der Türke rüstete
weiter, und zwei Jahre später beschloß er, Ungarn anzugreifen. Auf
diese drohende Gefahr hin begab sich Kapistran als Kreuzzugsprediger
dorthin, nahm an den Beratungen des Reichstages teil und wandte sich in
Hilferufen an den Kaiser und den Papst. Die Vorbereitungen zum Krieg
lagen in den Händen des Legaten Kardinal Carvajal, des
Oberbefehlshabers Hunyadi sowie Kapistrans. Dieser schrieb kurz vor
seiner Abreise zum Kriegsschauplatz an seine Verwandten: "Ich hoffe,
mit dem christlichen Heere gegen die Ungläubigen ziehen zu dürfen. Mein
Wunsch ist, mein Leben zu beschließen mit dem Martyrium für den, der
für uns am Kreuze gestorben ist. Nur fürchte ich, einer solchen Gnade
nicht würdig zu sein". (Hofer II, S.365.)
Vor dem belagerten Belgrad wurde Johannes von Capestrano der
eigentliche Feldherr. Als der Angriff der türkischen Übermacht
bevorstand, sahen Hunyadi und Carvajal keinen anderen Ausweg, als die
Stadt zu räumen, denn sie waren der Ansicht, mit der schlecht
ausgebildeten und gerüsteten, bunt zusammengewürfelten Schar der
Kreuzfahrer führe jeder Kampf zur totalen Katastrophe. Aber Kapistran
war in "heiligem Starrsinn" entschlossen, mit seinen Leuten die Festung
zu halten. Infolgedessen durfte es der ungarische Feldherr nicht wagen,
das Kreuzfahrerheer seinem Schicksal zu überlassen. Die folgenden Tage
brachten wechselweise höchste Gefahr und siegreiche Abwehr, bis es
unter der Führung des Heiligen zu dem entscheidenden Ausfall kam, der
die Türken zwang abzuziehen. Wenn er in seinem Bericht an den Papst
schreibt, er habe sich wie ein zweiter Josua an die Spitze des
christlichen Heeres stellen müssen, so ist dies keine eitle Prahlerei.
Die Prüfung sämtlicher Schlachtenberichte gibt vielmehr dem treuen
Begleiter des Heiligen, Johannes von Tagliacozzo recht, wenn er
schreit; daß durch die Verdienste, die unermüdliche Tätigkeit und das
Gebet Kapistrans Belgrad gerettet worden sei.
Gewiß, der Sieg bei Belgrad vermochte es nicht zu verhindern, daß 7o
Jahre später die Heere des Sultans, weit über Belgrad vordringend, die
Hälfte Ungarns überfluteten und 15o Jahre besetzt hielten. Aber eines
müssen wir berücksichtigen: der großartige Plan Muhameds II., ganz
Europa dem Islam zu unterwerfen, wovon Belgrad die erste Etappe sein
sollte, war zunichte gemacht worden, und keiner seiner Nachfolger hatte
den Willen oder die Fähigkeit, ihn konsequent durchzuführen.Vielleicht
könnten wir auch mutmaßen, daß Wien zwar 1529 und 1683, aber nicht 1456
standzuhalten vermochte! Jedenfalls war der HERR mit Seiner Kirche, als
ER es zuließ, daß ein 7o-jähriger, von Askese ausgezehrter Mönch sich
an die Spitze eines kämpfenden Heeres stellte.
Kapistran war für eine möglichst sofortige Ausnützung des Sieges durch
Verfolgung der Türken, ja er hoffte, die hl. Messe am Weihnachtsfeste
in der Grabeskirche zu Jerusalem lesen zu dürfen. Aber es sollte anders
kommen. Abgesehen davon, daß die Gleichgültigkeit der christlichen
Mächte einen solchen Krieg unmöglich machte, brach in dieser heißen
Jahreszeit eine furchtbare Lagerseuche aus, zu deren frühen Opfern auch
Hunyadi gehörte. Aber auch unser Heiliger wurde von dieser Krankheit
befallen. "In einer ruinösen Hütte wurde dem Kranken ein Lager
bereitet; eine Matte auf dem Erdboden, ein Holzklotz als Kissen, mit
seinem eigenen Mantel zugedeckt, so lag er da, vom Fieber geschüttelt,
in der Gesellschaft von Mäusen, Schlangen, Eidechsen und Mükken".
(Hofer II, S.411.) Schließlich wurde er in das zwischen Donau und Save
gelegene Observantenkloster Ilok gebracht, wo er nach vorübergehender
Besserung am 23. Oktober 1456 starb.
Wie über seine Abstammung väterlicherseits, so liegt auch über seinem
Leichnam ein Geheimnis: er ist verschollen. Wahrscheinlich wurde das
Grabmal in Ilok von den Türken zerstört und die sterblichen Überreste
verstreut. Aber Wien darf sich rühmen, ein kostbares Andenken an den
großen Mann zu besitzen. Mitten im Herzen der Weltstadt, auf dem
Stephansplatz, an der Nordost-Seite des Stephansdomes befindet sich,
gekrönt von barocken Siegestrophäen, die schlichte gotische Kanzel, von
der herab er sich so oft an die Menge seiner Zuhörer wandte.
Die Heiligsprechung nahm mehr als 2oo Jahre in Anspruch und erfolgte
erst 169o. Aber schon vorher wußte man, wen man in der Türkennot um
Hilfe anflehen sollte. 1683, in den Wochen des Entscheidungskampfes vor
Wien, stand in der altehrwürdigen Franziskanerkirche St. Maria Ara
Coeli in Rom ein Bild Kapistrans auf dem Hochaltar.
Johannes Kapistran wurde zwar kein so populärer Heiliger wie z.B.
Franziskus. Aber die als Folge des II. Weltkrieges mitten durch Europa
gehende bedrohende Spaltung in Ost und West ließ die Idee eines
friedlich geeinten Europas, sowie des christlichen Abendlandes sich neu
beleben. Hierzu ist unser Heiliger, der über sämtliche Landesgrenzen
hinweg im Dienste Gottes und der Kirche stand, ein besonders geeignetes
Leitbild und in diesem Sinne gab ihm Pius XII. 1956 in einem Schreiben
anläßlich des Doppeljubiläums seines Todes und des Sieges bei Belgrad
den Namen "Apostel Europas". Fest am 28. März.
Benutzte Literatur:
Hofer, Johannes: "Johannes Kapistran" Heidelberg 1965.
Manns, Peter: "Die Heiligen" Mainz 1975.
Pastor, Ludwig v.: "Geschichte der Päpste" Bd.l, Freiburg 1901.
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