DIE HEILIGE BRIGITTA
von
Eugen Golia
Die Kirche des sich seinem Ende zuneigenden Mittelalters hat unter
ihren berühmten Heiligen zwei Frauen: Mystikerinnen und unbequeme
Mahnerinnen, die ihre ganze Kraft einsetzten, um die immer
reformbedürftiger gewordene Christenheit aufzurütteln und hart zu
tadeln. Die eine ist Katharina von Siena, die andere Brigitta, die
Nationalheilige eines protestantisch gewordenen Volkes, Schwedens
größte Frau, die berühmteste Tochter des Nordens.
13o2 oder 13o3 auf einem Herrenhof in der Provinz Upsala unweit
Stockholms als Tochter vornehmer und frommer Eltern geboren - der
Vater, Birger Persson, zählte nicht nur zu den größten Grundherrn des
Reiches, sondern hatte als Lagmann (Landrichter und königlicher Rat)
eine einflußreiche Stellung -, hatte sie schon im Alter von zehn Jahren
ihre erste Vision: Sie sah Jesus im Traum und hörte, wie er zu ihr
sagte: "Sieh nur, wie ich gepeinigt werde." Auf ihre im Schlaf
gestellte Frage: "0, Herr, wer hat Dir das angetan?" gab ihr der
Heiland zur Antwort: "Die, welche meine Liebe verachten und vergessen,
haben mir dies angetan."
Nach dem frühzeitigen Tod ihrer Mutter wurde Brigitta ihrer Tante,
einer herben und strengen Frau zur weiteren Erziehung übergeben.
Brigitta ging an dieser Härte nicht seelisch zugrunde. An ihr formte
sie eher die sie ihr ganzes späteres Leben auszeichnende asketische
Einstellung und Willensstärke.
Aus Gehorsam ihrem Vater gegenüber, dessen Wunsch es war, daß seine
Tochter eine standesgemäße und politisch opportune Ehe eingehen solle,
heiratete Brigitta bereits 1316 Ulf Gudmarsson, den fünf Jahre älteren
Sohn eines Gerichtsherrn. Sie konnte zwar während ihrer 27 Jahre
dauernden, im ganzen gesehen harmonischen Ehe das Leben einer vornehmen
Dame führen, da Ulf wie sein Vater und Schwiegervater das Amt eines
Lagmann innehatte. An vorderster Stelle sah sie aber ihre Aufgabe
darin, die vielen Pflichten, denen sie gegenüberstand, zu erfüllen,
nicht zuletzt auch aus Gehorsam ihrem Gatten gegenüber, was sie einst
zu folgenden Worten inspirierte: "Die Jungfräulichkeit verdient die
Krone, der Witwenstand nähert sich Gott und die Ehe ist nicht vom
Himmel ausgeschlossen, der Gehorsam aber führt sie alle zur
Herrlichkeit."
Brigitta sorgte sich nicht nur unermüdlich um die Erziehung ihrer acht
Kinder, von denen vier das Erwachsenenalter erreichten. Sie leitete
auch den umfangreichen Haushalt des Gutshofes, war den Bedürftigen eine
treusorgende Helferin und eine Pflegerin der Kranken, auch solcher, die
von einem ekelerregenden Leiden befallen waren, wobei sie ihre Töchter
unterstützen mußten.
Nachdem der junge Schwedenkönig Magnus die flämische Grafentochter
Blanche von Namur geheiratet hatte, wurde Brigitta als Hofmeisterin an
die Residenz berufen. Die starke Persönlichkeit Brigittas übte
zweifellos einen nicht unbedeutenden Einfluß auf das Königspaar aus,
und für ihr späteres Wirken waren die Einblicke, die sie im Laufe der
Zeit in die Staatsgeschäfte nehmen durfte, sehr wertvoll.
1341/42 unternahm sie mit ihrem Mann gemäß einer seit Generationen
bestehenden Familientradition eine Wallfahrt nach Sant Jago di
Compostella. Auf dem Rückweg erkrankte Ulf schwer. In der Heimat
angelangt, zog er sich in das Zisterzienserkloster Alvastra in
Üstergötland zurück, wo er, ohne die Mönchsgelübde abgelegt zu haben,
wenige Jahre später starb.
Die Witwe verbrachte die folgenden vier Jahre ebenfalls in dieser
Abtei. Es war dies die Zeit, in welcher sie ihre ersten eigentlichen
Offenbarungen erhielt. So ließ sie der Heiland wissen: "Als deine Seele
beim Tode deines Mannes von schwerer Trübsal befallen wurde, da sprang
plötzlich ein Funke meiner Liebe, der in dir verborgen gelegen hat,
auf. Denn nachdem du die Eitelkeit der Welt betrachtet hattest,
übergabst du mir deinen ganzen Willen und trachtetest nach mir mehr als
nach irgend etwas anderem. Dank diesem Liebesfunken schmeckte dir das
Wort der Evangelien und der Umgang mit meinen Gelehrten, und die
Enthaltsamkeit gefiel dir so gut, daß alles, was dir bisher als bitter
erschienen war, dir jetzt süß zu werden begann."
Gehorsam einem Befehl Gottes, sich wieder an den königlichen Hof zu
begeben, verließ Brigitta das Kloster AVastra, um wieder dem
leichtsinnigen, von schlechten Ratgebern umgarnten Herrscher
schonungslos die Wahrheit zu sagen und ihn sittlich wie religiös wieder
zu festigen. Es war ihr nicht vergönnt, aus Magnus das Muster eines
christlichen Regenten zu machen. Dennoch war ihr Einfluß so bedeutend,
daß sie ihn zu bitten vermochte, ihr bei der Ausführung der ihr von
Christus aufgetragenen Botschaften an die Großen der Welt behilflich zu
sein. So wurden auf Initiative des Königs ein Bischof und ein Abt an
die Herrscher Englands und Frankreichs gesandt, um den zwischen beiden
Reichen entbrannten Krieg, der schließlich loo Jahre dauern sollte, zu
beendigen. Leider war diesen Vermittlungsversuchen kein Erfolg
beschieden, ebensowenig Brigittas selbst verfaßten Briefen an den in
Avignon residierenden Papst mit dem Aufruf zur Buße, Kirchenreform und
Rückkehr nach Rom - so lange Gott hierzu noch Zeit gewähren würde. Das
Mißlingen dieser Aufträge, aber auch die wachsende Gleichgültigkeit
sowie die zahlreichen Anfeindungen, denen die kompromißlose
Bußpredigerin ausgesetzt wat; ließ sie immer mehr das Unheil, das
Schweden treffen sollte, ahnen. "Drei Sünden" schrieb sie, "sind in
diesem Reich im Übermaß vorhanden: Hochmut, Schwelgerei und
Gewinnsucht."
Im Jahre 1349 brach Brigitta1 zu einer Pilgerfahrt nach Rom auf, deren
unmittelbarer Zweck das für 135o angekündigte Jubeljahr zu sein schien.
In Wirklichkeit war aber der eigentliche Beweggrund eine Vision, die
ihr eingab, in die ewige Stadt zu pilgern und dort zu bleiben, bis sie
das Zusammentreffen von Kaiser und Papst gesehen habe. Viele Jahre
sollten noch vergehen, ehe dieses Ereignis eintreten sollte, und
Brigitta war es dann nichc mehr vergönnt, nochmals ihr nordisches
Vaterland wiederzusehen.
Rom beherbergte seit 13o9 in seinen Mauern keinen Papst. Dennoch darf
die damalige Lage der Kirche nicht mit der unsrigen verglichen werden;
denn es gab einen rechtgläubigen und daher wahren Nachfolger des hl.
Petrus, dem Stellvertreter Christi auf Erden, nur hatte dieser an den
Ufern der Rhone, in Avignon, seine Residenz, während das ewige Rom,
seit den ältesten Zeiten der natürliche und historische Sitz des
Christentums, gleichsam dessen Herz, im wahrsten Sinne des Wortes
verwaist war. Noch prägten das Aussehen dieser Stadt nicht die Fassaden
und mächtigen Kuppeln des Barock, vielmehr hatten die meisten
Gotteshäuser ihr ehrwürdiges Aussehen aus dem ersten christlichen
Jahrtausend bewahrt. Aber die Regierung in Avignon zeigte kein
besonderes Interesse, diese herrlichen Bauwerke ihrer
'Provinzhauptstadt', denen außer dem Zahn der Zeit auch Erdbeben
schwere Schäden zugefügt hatten, wieder herzustellen. Die Gebäude,
welche am meisten auffielen, gleichsam der Stadt ihr Gepräge gaben,
waren die mächtigen, von Befestigungstürmen umgebenen Paläste der sich
im ständigen Bürgerkrieg befehdenden mächtigen Adelsgeschlechter. Was
aber Brigitta besonders mißfiel, worunter sie direkt litt, war der
geistige und sittliche Verfall der Kirche Roms. Immer wieder mußte sie
erleben, wie sich Mönche und Nonnen rücksichtslos über Pflichten
hinwegsetzten, Unzucht trieben, an ihrer Kleidung nicht zu erkennen
waren und der Gottesdienst vernachlässigt wurde.
Die ersten Jahre wohnte Brigitta mit ihrem Gefolge in einem Haus, das
ihr der Bruder des Papstes, Kardinal Hugo de Beaufort, überlassen
hatte. Nach einigen Jahren bezog sie mit ihrer Tochter Katharina - der
späteren hl. Katharina von Schweden -, die jung verwitwet, ihr nach Rom
folgte und schließlich ihr Lebenswerk fortsetzte, ein Haus am damaligen
Campo di Fiori, der heutigen Piazza Farnese, das bis zur Zeit der
Reformation das Zentrum der schwedischen Rompilger blieb. Die
Tagesordnung, der sich Brigitta in Rom unterwarf, entsprach der in
einem strengen Kloster: eine Matratze am Boden, später nur noch Stroh,
diente als Bett; die Nachtruhe kurz und häufig von Andachten
unterbrochen, während der Mahlzeiten wurde das Leiden Christi
betrachtet, der Vormittag sowie die Zeit nach der Vesper waren dem
Besuch von Kirchen gewidmet. In der Heiligen Stadt blieben bisweilen
auch finanzielle Schwierigkeiten der vornehmen Witwe aus Schweden nicht
erspart. Dann schreckte sie aber auch nicht davor zurück, für die
Ärmsten der Armen betteln zu gehen.
1367 wurde ein Jahr des Triumphes für Brigitta: am 3o. April verließ
Papst Urban V. - der dritte Papst, an den sie die dringende Botschaft
richtete zurückzukehren - trotz heftigen Widerstandes des
verweltlichten, meist aus Franzosen bestehenden Kardinalskollegiums
Avignon, um in langsamer Reise nach Rom zurückzukehren. Sie durfte den
unbeschreiblichen Jubel der Römer miterleben, die nach fast 6o Jahren
wieder einen Papst den Boden der ewigen Stadt betreten sahen. Den
Höhepunkt bildete schließlich die am Allerheiligentage 1368
vorgenommene Krönung Kaiser Karls IV. durch Urban. Nach vieler Mühe
erlangte es aber Brigitta auch, daß der Papst ihre, auf Grund von
Privatoffenbarungen entworfene Klosterregel, wenn auch teilweise
abgeändert und bloß als Anhang der Augustinerregel, anerkannte.
Gewiß ließen die Römer es nicht an gutem Willen fehlen, Urban das
Regieren möglichst leicht zu machen, doch bedurften die Nachwehen lang
herrschender chaotischer Zustände eines begabten Organisators und einer
starken Persönlichkeit, und eine solche war dieser Papst nicht, obwohl
er zu den besten der sieben avignonesischen Päpste gehörte und 187o
seliggesprochen wurde. Hinzu kam, daß er, der Südfranzose, immer mehr
und mehr von Heimweh befallen wurde, so daß weder das Flehen von
Brigitta, noch ihre später ausgesprochene Drohung, daß er bald sterben
müsse, falls er Rom verlassen würde, fruchteten. Mitte September des
Jahres 137o betrat der Pontifex nach drei-jähriger Residenz in Rom
wieder französischen Boden. Im Dezember des gleichen Jahres erfolgte
sein Tod.
Ein sehnlicher Wunsch der Heiligen ging 1372 in Erfüllung: Die
inzwischen etwa 7ojährige konnte eine Pilgerfahrt ins Heilige Land
antreten, wo sie besonderer Offenbarungsgnaden teilhaftig wurde. So
durfte sie am Kalvarienberg in großartigen Visionen das Leiden und
Sterben des Heilandes schauen und in Bethlehem das gnadenreiche
Geschehen der Zeit der Geburt Christi miterleben. Nach ihrer Rückkehr
verschlimmerte sich ihrer schon längere Zeit labiler Gesundheitszustand
und am 23. Juli 1373 holte sie der Herr während der Frühmesse in Sein
Reich. Ihre letzten Worte waren: "Herr, in Deine Hände befehle ich
meinen Geist." Beigesetzt wurde sie in dem von ihr errichteten Kloster
zu Vadstena in Schweden, die Heiligsprechung erfolgte bereits 1391. Ihr
Festtag - ursprünglich der Tag ihrer Beisetzung: der 7. Oktober - wurde
1623 wegen des auf dieses Datum fallenden Rosenkranzfestes auf den 8.
Oktober verlegt.
Zwei große Werke sind die Frucht dieses Heiligenlebens: die Gründung
des Birgittenordens (Ordo Sanctissimi Salvatoris - OSSalv -) und die
Offenbarungen. Bald nach dem Ableben ihres Mannes erhielt die hl.
Birgitta in einer Offenbarung den Auftrag, in Vadstena ein Kloster zu
errichten und es der Muttergottes zu weihen. Christus gab aber auch
viele Einzelheiten an. So sollte die Predigt schlicht sein und die
Schriftlesung als Grundlage haben, Orgelspiel darf nicht vorkommen, da
es ablenke, der Gesang hat einfach zu sein, ähnlich dem in den
Karthäuserklöstern. Schließlich sind an den Kirchenwänden Gemälde mit
Ausnahme solcher, die das Leiden Christi oder das Gedächtnis der
heiligen Birgitta zum Gegenstand haben, verboten.
Die Klöster, die Birgitta gründete, waren sog. Doppelklöster, d.h.
Mönchs- und Nonnenklöster zugleich. Die Zahl der Insassen sollte der
Anzahl der Apostel mit dem hl. Paulus sowie den 7o Jüngern entsprechen,
abgesehen von einigen Laienbrüdern und Diakonen dreizehn Mönchspriester
und 6o Nonnen. Die oberste Leitung oblag der Äbtissin, der Oberste der
Mönche hatte den Titel eines Generalkonfessors. Beide Kommunitäten
besaßen zwei durch hohe Mauern getrennte Konvente, auch hielten sie
ihre Offizien zu verschiedenen Zeiten in abgesonderten Chören ab. Den
Mönchen war das Betreten der Zelle einer Nonne nur beim Spenden der
Sterbesakramente sowie dem Hinaustragen des Leichnams erlaubt. Die
Beschäftigung der Mönche und Nonnen bestand ähnlich wie in vielen
Klöstern des Abendlandes teils in Handarbeiten, in Bücherabschreiben,
im Unterricht Erteilen, in Studien usw.
Die Romtreue seiner Gründerin lebte auch in den Zeiten der Reformation
im Orden weiter. Zu den Allerersten, die unter Heinrich VIII. das
Martyrium erlitten, weil sie sich seiner Suprematsakte, die ihn zum
Oberhaupt der Kirche Englands gemacht hatte, nicht unterwarfen, gehörte
der englische Brigittinermönch Reynold. Er wurde mit vier anderen
Geistlichen gehängt, noch lebend abgeschnitten und dann gevierteilt.
Heroisch war auch der Untergang des ehrwürdigen Mutterhauses zu
Vadstena. Unter den schwersten Bedingungen konnten sich im rein
protestantisch gewordenen Lande bis 1595 noch elf Birgittiner-Nonnen
halten. In diesem Jahre wurden sie vom Vater Gustav Adolphs, Herzog
Karl, dem späteren König Karl IX., vertrieben, nachdem man sie mit
allen erdenklichen Mitteln zum Abfall bringen wollte. Acht fanden in
Polen eine Zufluchtsstätte, drei blieben in Schweden, wo dann eine vom
Glauben abfiel. Anders ist der Birgittiner Petrus Magni, Bischof von
Vesteräs, zu beurteilen, der die ersten, von Rom nicht mehr bestätigten
Bischöfe Schwedens weihte, was zur Folge hatte, daß im protestantisch
gewordenen Schweden die apostolische Sukzession nicht erlosch...
Der Orden soll in seiner Glanzzeit bis zu achtzig Klöster besessen
haben, spielte aber in der Weltkirche niemals eine bedeutende Rolle.
Anders verhält es sich aber in Schweden. Ein protestantischer Autor,
Hermann Lundström, schreibt in seinem Artikel über Birgitta in der
"Realenzyklpädie für protestantische Theologie und Kirche": "Die
Bedeutung des Birgittenordens für die Kultur des Nordens, besonders
Schwedens, während des späten Mittelalters kann gewiß nicht überschätzt
werden. Das Kloster zu Vadstena ward zum Mittelpunkt des religiösen
Lebens in Schweden und ein Hauptort der Kultur. Aus dem vorbildlichen
Leben der Mitglieder des Klosters, aus ihrer Tätigkeit für Verbesserung
der Landwirtschaft u.s.w. und nicht am wenigsten aus der eifrigen
Wirksamkeit der Ordenspriester als Volksprediger entsprangen große
Wirkungen sowohl zur materiellen Verbesserung als auch besonders zur
Hebung des religiösen und sittlichen Zustandes. Wicht ohne Grund ist
das Vadstena-Kloster die erste Hochschule des Nordens genannt worden."
- Heute gibt es weniger als ein Dutzend Frauenklöster dieses Ordens.
Eines der bedeutendsten ist Altomünster in Oberbayern, das nach der
Säkularisierung im Jahre 1841 wieder erstand.
Das schriftliche Werk Birgittas setzt sich in der Hauptsache zusammen
aus den acht Büchern, die die Privatoffenbarungen enthalten, sowie der
Regula S. Salvatoris (d.i. der Klosterregel) und dem Sermo Angelicus,
einem Buch liturgischer Lesungen für ihren Orden. Die meisten ihrer
Revelationen wurden von der Heiligen in schwedischer Sprache selbst
niedergeschrieben oder diktiert und danach ins Lateinische übersetzt.
Kurzgefaßt kann man sagen, daß ihre Mystik unsentimental und
realistisch ist, zwar Einblicke in den Zustand der Gottseligkeit
gewährt, aber selten rein kontemplative Mysterien zum Gegenstand hat.
Das, was sie auszeichnet, ist ein Drang nach Tätigkeit. So verkündet
der Heiland schon in seiner Berufungsoffenbarung: "Ich spreche nicht zu
dir allein, sondern für das Heil anderer." Voll Tatkraft ist auch die
visionäre Schau des Christus- und Marienlebens, die sich von
Einzelschilderungen aus dem Tagesablauf der Hl. Familie bis zu
apokalyptisch gefärbten Bildern steigert. Diese Visionen waren daher
besonders dazu geeignet, die bildende Kunst zu inspirieren. So geht
z.B. die vor dem Chrirstuskind knieende Muttergottes auf Birgittas
Vision der Geburt Jesu, die sie im Heiligen Land hatte, zurück. Reich
an birgittinischer Symbolik sind auch Grünewalds Marienbilder, vor
allem die sog. Stuppacher Madonna, der Isenheimer Altar, und das
Kolmarer Weihnachtsbild. Überhaupt sind viele Gebiete der Mariologie
von Birgittas Visionen beeinflußt worden. So trugen die Stellen, wo sie
davon spricht, daß Maria die Menschen unter ihren Schutzmantel nimmt,
zur Verbreitung der Schutzmantel-Madonna bei. Auch ist es interessant
zu wissen, daß Birgitta bereits das von Pius XII. definierte Dogma von
der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel verteidigte, denn ihren
Offenbarungen ist zu entnehmen, daß der Leib der Gottesmutter zwar im
Tale Josaphat begraben, fünfzehn Tage später aber in den Himmel
aufgenommen wurde.
Es ist von Seiten der Protestanten, z.B. von einem der bedeutendsten
Vertreter des Ökumenismus, dem evangelischen Erzbischof von Uppsala,
Nathan Söderblom (1866-1931) der vergebliche Versuch unternommen
worden, die heilige Birgitta unter die Vorläufer der Reformation
einzureihen. Hierbei wurde naturgemäß neben ihrem vorwiegend auf das
Praktische ausgerichteten Charakter, dem teilweisen Gebrauch der
Muttersprache bei den Klostergottesdiensten für die Laien -
selbstverständlich während der hl. Messe! - besonders ihr mutiges
Anprangern der schweren Verfehlungen des Klerus, das auch vor den
höchsten Vertretern der Hierarchie keine Hemmungen kannte,
hervorgehoben. Dabei ließ man aber außer Acht, daß dieser bittere Tadel
auf ihre glühende Liebe zur Kirche zurückzuführen war und nicht auf das
Verlangen, sie dogmatisch und liturgisch zu verändern, d.h. zu
zerstören.
Oberflächlich betrachtet schloß sich im Leben dieser faszinierenden
Frau eine Enttäuschung an die andere. Will man aber ihr wahres Wesen
erfassen, darf man hierbei nicht stehen bleiben, sondern die brennende
Gottesliebe und tiefe Demut zu begreifen suchen, die sie einst zu
folgendem Gebet inspirierten:
"Empfinde ich die Gnade, Dich zu lieben, wie ich sollte, so empfinge
ich gleichzeitig eine rechte Reue über meine Sünden. Du bist der
gleiche Gott, der Du warst, als Du am Kreuze dem Schacher antwortetest
und seine Bitte erhörtest. Mein Herr Jesus Christus, hör' mein Gebet,
wenngleich ich es mit meinen Taten nicht verdient habe. Aber tu1 es
dennoch; denn Du bist der wahre Gott: Mache mein Herz brennend vom
Feuer der Liebe, so daß alles, was darin Deiner Liebe zuwider ist,
fortgeweht werde wie Asche in wehendem Sturm!"
Benützte Literatur:
"Die Heilige Birgitta in ihren Offenbarungen und Botschaften" Steyler Verlag 1981.
"Die Offenbarungen der heiligen Birgitta von Schweden" Frankfurt a.M. 1961.
"Kexikon der Marienkunde" Bd.1, Regensburg 1967.
"Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche" 3.Bd., Leipzig 1897.
"Vie des Saints" Bd. lo, Paris 1954.
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