KIRCHE OHNE RELIGION
UND RELIGIONSLOSE KIRCHEN
von
Prof.Dr. Diether Wendland
Ein Engel erschien und sprach:
Selig die Glaubenden, denn sie werden erleuchtet werden.
Selig die Erleuchteten, denn sie werden Gott begegnen.
Selig die Unwissenden, denn sie werden getröstet werden.
Selig die keine Religion haben, denn sie werden frei sein.
Vorbemerkung:
Es wäre an der Zeit, sich in einem größeren Zusammenhang mit einer
falschen Prophétie zu befassen, die viele Geister verwirrt und die
spezifisch christliche Religion von innen heraus zersetzt, weltweit und
mit Erfolg. Die Sache selbst, um die es geht, ist kein Problem des
religiösen Glaubens, sondern ein Gegenstand der geistigen Erkenntnis,
sowohl der natürlichen im allgemeinen als auch der philosophischen im
besonderen. Deshalb kann sie auch von jedem Menschen, der noch ein
wenig Vernunft und Verstand besitzt, erfaßt werden. Einfach ist das
allerdings nicht und vor allem dann nicht, wenn jemand dazu neigt,
etwas für selbstverständlich zu halten, was gar nicht
selbstverständlich ist. Dazu aber gehört die Religion.
Das Christentum ist doch sicherlich eine Religion, auch wenn so manche
aies bestreiten oder anzuzweifeln genötigt werden, wenn sie sich ihre
Mitbürger, die Christen, etwas näher betrachten in ihrer
Christlichkeit, die so wenig vom Christentum in Erscheinung treten
lassen. Bei Katholiken, die doch auch Christen sind (oder etwa nicht?),
aber wird es noch etwas heikler, wenn man sie über das Christentum oder
über "Christentum und Kirche" reden hört und worüber man sich nur noch
wundern kann. Es ist nämlich das Christentum weder eine "katholische
Religion" noch eine Sache irgendeines "katholischen Glaubens" noch die
eines religiösen"Bekenntnisses", zumal man sich ja zu vielem und auch
vieles bekennen kann, ohne dabei jemals etwas wirklich erkannt zu
haben.
Außerdem kann man leicht und überall die Erfahrung machen: Wer sich zu
Gott bekennt, der weiß oft gar nichts von Ihm und kann Ihn gar nicht
meinen, sondern ganz etwas anderes, das überhaupt nicht Gott ist.
Dennoch aber sind solche Katholiken sogar davon überzeugt, im
christlichen Sinne "religiös" zu sein. Wer zudem immer noch an das
protestantische Märchen glaubt, daß es im Christentum immer mehrere
Konfessionen gegeben habe und auch geben müsse, der irrt sich genau so
gründlich wie diejenigen, die heute in ihrem dunklen Drange einen neuen
Tempel suchen, einen "heiligen Bezirk", der irgendwo zwischen den
("inter-konfessionell") oder oberhalb der Konfessionen
("überkonfessionell") liegt. Manche hören sogar schon die Glocken, die
von dort her tönen ein "neues Zeitalter" (New Age) einläuten mit einem
neuen Christentum. Dem gegenüber erscheint der Ökumenismus-Zirkus noch
harmlos. Das Christentum aber war nie eine Konfession, sondern eine
Religion.
Schon Nietzsche machte sich über die "Christenthümler" seiner Zeit
lustig und meinte dann ironisch, aber nicht ohne Grund: "Um Menschen zu
ärgern preist ihr 'Gott und seine Heiligen1, und wiederum, wenn ihr
Menschen preisen wollt, so treibt ihr es so weit, daß Gott und seine
Heiligen sich ärgern müssen. Ich wollte, ihr lerntet wenigstens die
christlichen Manieren, da es euch so an der Manierlichkeit des
christlichen Herzens gebricht." Dieser Pastorensohn kannte seine
protestantischen Pappenheimer in der konfessionellen "Christenheit". Es
klang sogar prophetisch, als er schrieb "So wie wir die Moral (gemeint:
den verlogenen Moralismus) nicht mehr nötig haben, so auch nicht mehr
die Religion (gemeint: das religiöse Gefühl dekadenter Liebe). Das 'ich
liebe Gott'... ist in die Liebe meines Ideals umgesetzt, ist
schöpferisch (= kreativ) geworden: lauter Gott-Menschen!" Und die
christliche Demut? Was war aus ihr schon damals geworden bzw. gemacht
worden? Nun, diese hatte auch nichts mehr zu tun mit hochherzigem Mut
(magnanimitas), wohl aber eine ganze Menge mit Feigheit und frömmelnder
Sklavenmoral. Besonders die Superreligiösen glaubten, Demut (=
Dien-Mut) zu besitzen und demütig zu sein, indem sie sich angeblich
selbst, aber mehr noch die anderen zu "verdemütigen" trachteten. Die
Zeit war bereits reif, um für das Christentum ein großes
Staatsbegräbnis vorzubereiten - am besten auf demokratischer Grundlage,
versteht sich, und was sich auch sehr bald zeigen sollte. Denn man
hatte (zuerst verdeckt, dann aber offen) "die Demokratie"
verabsolutiert und mit göttlichen Attributen ausgestattet, so daß sie
heute zu einem religiösen Tabu geworden ist und eine geradezu göttliche
Verehrung genießt - im Gegensatz zu den 'Kirchen', die so gar nichts
'Göttliches' und Verehrungswürdiges mehr an sich haben. Echte
moralische Autorität hat keine mehr, sondern nur noch eine mehr oder
weniger politische auf Grund der Anzahl ihrer Mitglieder und nach
Maßgabe ihrer Vorsteher oder Obrigkeiten, die unter verschiedenen Namen
in der Öffentlichkeit auftreten. Ansonsten steckt, wenn man vom Gott
des Geldes und einigen Besitztümern, die als Kulturgut fungieren,
absieht, nichts dahinter. Ein kritischer Blick hinter die Kulissen
genügt, um dies festzustellen.
Es ist den wahren und unwahren Prophetien gemeinsam, daß sie sich auf
glaubensbereite und glaubenswillige (nicht auf gläubige oder
ungläubige) Menschen beziehen und eine Heilsverheißung zu ihrem Inhalt
haben, verbunden mit einem Heilsversprechen. Darum sollte man sich die
Propheten und das, was sie verkünden, sehr genau anschauen und vor
allem diesen Leuten nichts glauben, auch wenn sie in der Öffentlichkeit
ein großes Ansehen genießen. Es gab sogar katholische Theologen, die
das Vatikanum 2, das von einem nachweislich falschen Propheten
einberufen wurde und auf dem es dann gleich mehrere große und kleine
Propheten gab, als ein prophetisches Konzil ausgaben.
Verständlicherweise sprach dann auch der gesamte Klerus von dem Konzil
und bezeichnetes es als das Konzil schlechthin, als habe es eine so
einzigartige und tolle Sache noch nie gegeben. Doch nur die
Glaubensbereiten und Glaubenswilligen glaubten das, Christgläubige mit
kritischem Verstand aber glaubten das nicht, weil sie erkannten, daß
und warum dies unmöglich und purer Nonsens war; sie wunderten sich nur
darüber, daß es so viele geistig minderbemittelte Bischöfe gab, die
doch wohl auch die "heilige Theologie" studiert hatten oder zumindest
tiefere Erkenntnisse in das Wesen der christlichen Religion besitzen
mußten als die naiven und alles glaubenden "Priester und Gläubigen". Es
wäre gewiß kein Nachteil, sich an dieses in alle Welt ausgestrahlte
römische Welttheater zu erinnern. Denn was wir heute sehen, das sind
doch nur die zwangsläufigen Folgen. Die realen Ursachen aber liegen
ganz woanders. Woher kommt es denn, daß ein Papst kein Papst, Bischöfe
keine Bischöfe, Priester keine Priester und katholische Laien nicht
katholisch sind? Glaubt man denn immer noch, dies alles habe nichts mit
der Religion zu tun?
Wo eigentlich findet man noch in Staat und Gesellschaft die christliche
Religion verwirklicht und wirksam? Oder haben sich inzwischen die
friedliebenden Christen schon von Gott befreit und beten fremde Götter
an, Götter, die viele noch gar nicht kennen und die ihnen, den Menschen
ihrer Huld, das Heil verheißen? Nicht wenige dieser katholisierenden
Christen haben sogar eine Art Göttin, die vielerorts erscheint,
Botschaften in Ohren flüstert und lange Predigten hält, die zwar
theologische Irrtümer beinhalten, aber das macht ja nichts, denn
Prophetien sind eben "dunkel und geheimnisvoll" und verständlich nur
den 'Eingeweihten'. Offenbar weiß man nicht mehr, daß falsche Propheten
im biblischen Sinne de facto wirkliche und dem Anschein nach echte
Propheten sind, die jedoch Unwahres verkünden und verheißen, wie dies
in jeder dämonischen Mantik der Fall ist. Der vielleicht größte falsche
Prophet war der Stifter des Islam, Mohammed, dessen primitiver
Monotheismus wohl ziemlich einmalig ist.
Wenn man in Ruhe bedenkt und sich dessen wirklich bewußt wird, daß die
christliche Religion überhaupt keine Selbstverständlichkeit ist und
dies auch nie sein kann, ja sogar eine viel schwierigere Sache ist, als
man gewöhnlich annimmt, und daß es bei ihr um das Heil geht, d.h. um
das übernatürlich-ewige Leben in Gott eines jeden einzelnen, dann wird
man bald damit aufhören, sich selbst und andere zu betrügen oder der
Lüge Vorschub zu leisten, es ginge auch ohne sie und sogar noch viel
besser. Diejenigen, die diese Propaganda betreiben oder sie mittragen,
wissen noch im Gegensatz zu vielen Christen und Katholiken, daß die
Religion ein soziales Macht-Phänomen in der Welt ist. Dabei ist es
gleichgültig, ob eine Religion nun wahr oder unwahr ist. Denn die
Wirkung auf ein soziales Ganzes ist die gleiche. Daraus aber folgt
nicht, daß sie auch gleich gut oder gleichermaßen berechtigt ist. Ein
demokratischer Staat, der verschiedene Religionen in aer Gesellschaft
zuläßt und sie als gleichwertig behandelt bzw. ihnen den gleichen
sittlichen Wert zumißt, ist kein Rechtsstaat, sondern ein Staat, der
seine Macht und das Recht mißbraucht. Denn jeder Staat ist dem
Sittengesetz unterworfen und kann von sich aus nicht bestimmen, was
sittlich gut oder schlecht ist, ja nicht einmal, was dem Gemeinwohl
dient und was nicht. Das Gebot Christi, "gebt dem Kaiser, was des
Kaisers ist", impliziert auch die Pflicht: gebt dem Kaiser nicht, was
ihm nicht zusteht, und entzieht ihm alles, was er sich unrechtmäßig
angeeignet hat.
Es steht auch nirgendwo geschrieben, daß man der staatlichen Autortität
bedingungslosen Gehorsam schuldet. Im übrigen gilt das gleiche auch
gegenüber der kirchlichen Autorität oder sonstigen "geistlichen
Autoritäten", die in Religionsgemeinschaften auftreten.
Schließlich aber sei noch auf etwas hingewiesen, das nicht nur eine
große Verwirrung hervorgerufen hatte, sondern auch prinzipiell gegen
die christliche Religion und gegen die römisch-katholische Kirche
gerichtet war. Wir meinen das Spiel mit den begriffsleeren Worten
"Religionsfreiheit", "religiöse Freiheit" und "Menschenwürde". Es ist
nämlich nicht bloß unwahr, sondern eine Häresie zu behaupten: Was das
Vatikanum 2 "über das Recht des Menschen auf religiöse Freiheit
erklärt, hat seine Grundlage in der Würde der Person, deren Forderungen
der menschlichen Vernunft durch die Erfahrungen der Jahrhunderte
vollständiger bekannt geworden sind (innotuerant)". (Vgl. Declaratio de
libértate religiosa, Nr.9) Denn die religiöse Freiheit hat ihr
Fundament nur in der personalen Existenz der sittlichen Persönlichkeit,
die ein Höchstwert und ein unantastbares Gut des Menschen ist. Außerdem
gibt es keine Würde der Person, wohl aber eine Personwürde, die einen
bestimmten geistigen Existenzialwert bedeutet, der dem Menschen auf
Grund seiner Wesens-Natur notwendig zukommt. Im übrigen sollte man
damit aufhören, ständig von der religiösen Freiheit zu reden und sie in
den Himmel zu heben. Es wäre nützlicher, sich mit der religiösen
Willkür zu befassen, die seit dem Vatikanum 2 auch im Neukatholizismus
ihre Triumphe feiert. Zudem hat es immer schon einen religiösen
Despotismus gegeben, der sich heute wieder ausbreitet und in dem sich
große und kleine Tyrannen tummeln, die von der Macht der Religion
fasziniert sind und sie für ihre Zwecke mißbrauchen.
Dies kann auf die verschiedenste Weise geschehen, da der Mensch nicht
bloß faktisch, sondern notwendig ein religiöses und soziales Wesen ist.
Wer behauptet, zwischen Religion und Gesellschaft oder Religion und
Staat bestehe kein innerer Wesenszusammenhang, der ist nich bloß ein
großer Schwätzer und maßlos dumm, sondern bereits ein ausgemachter
Feind des Menschen, auch wenn er sich noch so menschenfreundlich
aufspielt. Auch sollte man lieber nicht von der Menschenwürde reden,
wenn man von der Würde des Menschen nichts weiß oder sich von derselben
nur falsche Vorstellungen macht. Es wird und kann auch nie gelingen,
das menschliche Dasein in die säkularisierte Zwangsjacke von "Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit" zu pressen, denn der Mensch neigt von Natur
aus, wie die Erfahrung lehrt, zum Bösen sowie zum ständigen Mißbrauch
der Macht und des Rechts.
Diese Folgen der Erbsünde sind allen gemeinsam, auch wenn viele dies
nicht wahr haben wollen, einschließlich derjenigen, die in ihrer
sentimentalen Religiosität und naiven "Gläubigkeit" realitätsblind
geworden sind, so daß sie auch eine wahre Religion von einer falschen
oder unwahren nicht mehr unterscheiden können. Dies jedoch ist immer
die hohe Stunde (Kairos) des Auftretens falscher Propheten und falscher
Prophetien, bei denen oft nicht einmal festgestellt werden kann, von
woher sie ihren Ausgang nahmen. Sie waren gleichsam plötzlich da und in
aller Munde. Auch dies gehört zu der Eigenart solcher und ähnlicher
geistiger Realitäten, die auf viele einwirken und in ihren Bann ziehen.
So geschah es auch beim sog. "Pastoralkonzil", das sich völlig zu
Unrecht als "Sacrosanctum concilium oecumenicum Vaticanum (!) II"
bezeichnete, da es alle früheren Konzilien unterlief und
neutralisierte. So etwas aber ist nur möglich durch die Häresie einer
"Religion der Macht" (Gustav E. Kafka"), die ja nicht dasselbe ist wie
die Macht der Religion.
Das möge als Vorbemerkung genügen für unsere Thamatik, die in einem
solchen Rahmen ihren ontologischen Topos (Ort) hat. Und wenn man sich
zudem noch darüber klar wird, daß Christus kein Religionsstifters,
sondern der Gründer (conditor) einer Kirche, die Sein Werk ist, dann
folgt daraus, daß Christentum und Kirche nich identisch sind, sondern
zwei verschiedene Sachverhalte, die allerdings nicht voneinander
getrennt werden können. Nur die Unwissenden und die alles Glaubenden
haben keine Probleme und verhalten sich auch dementsprechend,
gleichgültig, ob sie nun (vermeintlich) "religiös" sind oder nicht.
HINWEISE DER REDAKTION:
Bei vorstehendem Artikel handelt es sich um die Einleitung einer
ausführlicheren Stellung aus der Feder von Herrn Prof. Wendland -
sie umfaßt insgesamt 22 Seiten -, die in diesem Heft als Vorabdruck
erscheint, um die Leser mit dem Thema der als Sonderdruck geplanten
Abhandlung bekannt zu machen. Dieses Sonderheft erscheint zwar erst in
einigen Wochen, kann aber bereits jetzt schon bei der Redaktion
bestellt werden. (Um eine entsprechende Spende wird gebeten.)
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