DIE VERHÜTETE ZUKUNFT
von
Pierre Chaunu
Auszug aus dessen Buch "Die verhütete Zukunft" Stuttgart 1986 (Seewald-Verlag);
zitiert nach "Medizin und Ideologie" Dez. 86
Seit zwanzig Jahren verläuft alles jederzeit und überall nach demselben
schizophrenen Plan. Um der als Missetat und Geißel der Menschheit
abgekanzelten Abtreibung einen Riegel vorzuschieben, verbessert man das
Angebot empfängnisverhütender Techniken, öffnet den freien Zugang zur
vollen Information, verabfolgt in der Schule Sexualerziehung. Sobald
nun die verstärkte Empfängnisverhütung unter dem Vorwand durchgesetzt
ist, man wolle damit die Geißel der heimlichen Abtreibung beseitigen,
ertönt sofort der Ruf nach dem Recht auf Abtreibung. Binnen weniger
Tage schlägt der vorherige Diskurs ins Gegenteil um. Plötzlich ist die
Abtreibung keine Missetat mehr, ist nicht mehr die Zerstörung eines
Lebens, das sich noch gar nicht entfalten konnte, ist nicht mehr sie
verbrecherisch, sondern das Übel liegt in der Heimlichkeit. Das
Schicksal des Kindes ist Nebensache - wer wollte sich auch daran
kehren? Man sehe nur das französische Gesetz vom 17. Januar 1975 an,
das nicht einmal mehr auf die Meinung des Vaters Rücksicht nimmt.
Solange das Massaker in klinischem Rahmen unter Aufsicht von Ärzten
stattfindet, die den Eid des Hippokrates brechen, ist alles in bester
Ordnung.
Und genauso gelangt man von der Abteibung zur Sterilisierung. Die
hormonale Empfängnisverhütung oder das Intrauterinpessar sind nicht ein
ganzes Leben lang erträglich, man kann auch nicht unbegrenzt abteiben
ohne Schaden für Gesundheit und Leben; bleibt also die Sterilisierung -
4o Millionen binnen fünf Jahren -, die den Organismus viel
tiefreichender zerstört und schnell jede Sexualappetenz (d.i. das
Verlangen nach sexueller Erfüllung - Terminus aus der
Verhaltensforschung; Anm.d.Red.) beseitigt. Der Kreis der Zerstörung
schließt sich.
Indessen stellt die Abtreibung das Kernstück des Unternehmens dar.
Empfängnisverhütung gibt es schon lange. In der einen oder anderen Form
war sie seit jeher zugelassen und wurde praktiziert. Die Sterilisierung
andererseits bildet Schlußglied der Kette. Den Wendepunkt bildet die
Legalisierung der Abtreibung, des totalen Mords, des Kindermords mit
langem Vorbedacht, der absoluten Ausrottung eines Wesens, das sich
weder wehren noch auch nur äußern kann. Ist man einmal durch diese Tür
gegangen, sind alle Brücken zur Vergangenheit abgebrochen, kann es
weder Recht noch Gerechtigkeit mehr geben, ist alles nur noch jederzeit
widerrufliche Hybris.
Immer fängt der Feldzug für die Legalisierung der Abtreibung mit einer
enormen Lüge an. Das Phänomen der heimlichen Abtreibung wird grob
übertrieben. In Frankfreich reichte die Lüge von 2oo.ooo bis 1.5oo.oo.
Dabei ist eindeutig beweisen, daß es vor 196o in Frankreich nicht mehr
als loo.ooo Abtreibungen gab.
In England sprach man von 2oo.ooo Abtreibungen vor Verabschiedung des
Gesetzes vom 27. April 1968. Dabei steht nachweislich fest, daß die
Zahl der Abtreibungen I5.ooo - 2o.ooo nicht überstieg. Unsere liebe
lateinische Schwester Italien ließ noch groteskere Zahlen
veröffentlichen. 5oo.ooo bis 2.ooo.ooo, bevor auch sie 1978 kuschte.
Diese Vorgehensweisen sind so erbärmlich, daß sie weniger diejenigen
entehren, die sie anwenden, als diejenigen, die sich durch sie täuschen
lassen. Abtreibung gibt es in großem Maßstab immer erst von dem
Augenblick an, da sie gefördert wird. Man kann getrost davon ausgehen,
daß sie - ausgenommen in Deutschland und Österreich in den dreißiger
Jahren - den Anteil von lo vom Hundert der durchschnittlichen
Geburtenzahl nie übersteigt.
Sie steigt erst an, wenn mit ihr kein Schuldgefühl mehr einhergeht. Um
das Schuldgefühl wegzunehmen, muß sie straffrei gemacht werden, und
damit schnellt die Abtreibung auch schon auf das Vier- bis Fünffache
hoch. Drei Ebenen lassen sich erkennen. Das ist zunächst die Ebene vor
Beginn der Kampagne. Mit Einsetzen der Kampagne dann verdoppelt bis
verdreifacht sich die Zahl der Abtreibungen, und mit Wirksamwerden des
Freigabegesetzes und Bereitstellung des notwendigen Apparats verdrei-
bis vervierfacht sie sich erneut. Am Ende ist man dann etwa beim
Zehnfachen der Zahl angelangt, die es vor Aufhebung der
strafrechtlichen Verfolgung gegeben hatte. Das heißt nicht mehr und
nicht weniger, als daß - wie die englischen Demographen kürzlich
bewiesen und wie Ungarn und Rumänienfestgestellt hatten - die
genetische Schädigung der weiblichen Bevölkerung trotz weniger
ungünstiger hygienischer Bedingungen am Ende der Freigabe zwei- bis
dreimal größer ist als vor der "Befreiungs"- Kampagne. Dieser Verlauf
hat mittlerweile die Beständigkeit einer wissenschaftlichen
Gesetzmäßigkeit erlangt. Das beängstigende Beispiel Italien hat soeben
wieder einmal gezeigt, daß das Unglück des einen dem andern nicht zur
Lehre dient. Wie in Frankreich war in Italien die Verniedlichung der
Abtreibung noch lange vor ihrer Legalisierung durch einen
Geburtenrückgang von jährlich 4o.ooo in den Jahren 1976 und 1977
gekennzeichnet. Für das Jahr 1978 ist mit einer Abnahme von loo.ooo zu
rechnen. Italien, das 1977 noch 1,91 Geburten pro Frau lag, wird also
im Jahr 1978 denselben Wert wie Frankreich aufweisen. Das System ist
erbarmungslos, es duldet keine Ausnahme.
Ausschlaggebende Elemente in dieser Manipulation sind die
Fadenscheinigkeit der Argumente und die nachgerade karikaturhafte
Verfälschung der Information. Dies um so mehr, als unsere
Informationsmöglichkeiten und die Solidität des verfügbaren
statistischen Materials dazu in flagrantem Widerspruch stehen.
Hirnverblendet haben sich unsere Gesellschaften dazu hinreißen lassen,
das Kind zu morden, das sie nicht mehr großziehen wollen, und hoffen
insgeheim, die Dritte Welt werde ihnen in zwanzig Jahren fertig
ausgebildete Arbeitskräfte liefern, die danndie Renten unserer alt
gewordenen, sterilen Paare bezahlen sollen. Die Abtreibungsgesetze
werden gemacht, um die Belastungen durch die Kinder zu verringern.
Ihnen geht es weder um die Freiheit des Paares noch um die Gesundheit
der Frau, sondern um schieren Mord. Einst bedeckte man das Gesicht des
Elternmörder mit einem schwarzen Schleier. Hinrichtung war Ausnahme,
war Sache des Henkers. In unseren Industriegesellschaften tötet man
durch den Schleier des Mutterleibes, und die Henker üben den Arztberuf
aus, einen Beruf, der geachtet war, als er sich noch ausschließlich dem
Leben widmete. Die Abtreibungsgesetzgebung war 1919 ein Geschenk der
bolschewistischen Revolution. Die Legalisierung der Abtreibung ist ein
Zeitgenosse der Geburt des Gulag. 1936 war sie abgeschafft worden, 1955
wurde sie wieder eingeführt. Die Nazis ließen sie zu als Teil ihres
Arsenals gegen die minderwertigen Rassen. 1949 legte sie der Sieger im
sogenannten eugenischen Gesetz dem besiegten Japan auf. Den Wunsch des
Herrn Dr. Wetzel für die Ukraine und die besetzten russischen Gebiete
erfüllte in Japan das siegreiche Amerika. Das hat kein Nürnberger
Gerichtshof geahndet. (...) |