BRIEF AN EINEN FRANZÖSISCHEN KATHOLIKEN
24.3.1987
Sehr geehrter Herr,
für Ihren Brief und den Dossier über Mgr. Thuc danke ich Ihnen sehr. Dieser ist natürlich tot, weil Mgr. Thuc tot ist. R.I.P.
Was mich betrifft, so habe ich keine Angst. Ich werde mich niemals
einer anderen Gruppe anschließen als der Einen, Heiligen, Katholischen
und Apostolischen Kirche, deren Mitglied ich mittels der Taufe wurde.
Gegenwärtig vermag niemand mit Sicherheit zu sagen, daß die Bischöfe
der Thuc-Linie kein Mittel sind, um die Kirche wieder zum Leben zu
erwecken. Gottes Wege sind nicht unsere Wege. Blicken wir auf die
Kirchengeschichte, so können wir Gründe für eine Hoffnung sehen. Wir
wissen z.B., daß Unser Herr den Judas Iskariot weihte - doch die Kirche
lebte weiter. Wir wissen, daß die Apostel Ihn verließen und Petrus Ihn
verriet - doch die Kirche lebte weiter. (Anm.d.Red.: die Verwendung des
Terminus "Kirche" ist hier zwar unpassend, dennoch wird richtig auf
einen Vorgang hingewiesen, nämlich auf die Möglichkeit, daß durch solch
gravierende und einschneidende Destruktion das Erlösungswerk Christi
zumindest empfindlich getroffen hätte werden können.) Wir wissen, daß
wir Päpste hatten, die unmoralisch, korrupt, sogar Mörder waren - aber
die Kirche lebte weiter. Wir wissen, daß manche unserer großen Heiligen
in den Feuertod von Ketzern verwickelt waren - doch die Kirche lebte
weiter. Wir wissen, daß ein Großteil der französischen Hierarchie Pius
V. den Gehorsam verweigerte, als er "Quo primum" promulgierte - aber
die Kirche lebte weiter. Wir wissen, daß wir einmal drei 'Päpste'
hatten. Alle diese "konsekrierten" Bischöfe und jeder von ihnen erhielt
Unterstützung von großen heiligen - aber die Kirche lebte weiter. Wir
wissen, daß Kardinal Richelieu Bischöfe weihte - aber die Kirche lebte
weiter. Wir wissen, daß eine große Anzahl französischer Bischöfe den
schismatischen Eid ableistete - indessen die Kirche lebte weiter.
Diese Vorfälle hatten Fehlhaltungen, Irrtümer und Schwächungen zur
Folge und verwirrten viele Menschen. All das ist viel schlimmer als
das, was Mgr. Thuc von seinen Verleumdern nachgesagt wird. Hätten Sie
in diesen Zeiten gelebt, hätten Sie sicherlich alle verurteilt.
Sie klagen Mgr. Thuc an, er habe Roncalli 196o und Montini noch 197o
gehorcht. 196o wurde Roncalli von jedem Katholiken in der Welt, Sie und
mich eingeschlossen, akzeptiert. 197o (vielmehr: 17.2.1968; Anm.d.Red.)
entließ Montini Mgr. Thuc. Kann dies nicht als Beweis gelten, daß Mgr.
Thuc nicht Montinis Mann war... ihm nicht gehorchte? (Anm.d.Red.: Mgr.
Ngo-dinh-Thuc wurde von seinem Amt als Erzbischof von Hue von Montini
'suspendiert', als er im Exil lebte. Sein 'Nachfolger' war
pro-kommunistisch eingestellt und deswegen auch von Montini ausgesucht
worden. Um das Verhältnis zwischen S.E. Mgr. dgo-dinh-Thuc, Erzbischof
von Hue, und Montini zu charakterisieren, mag folgender Hinweis
genügen: Mgr. Ngo-dinh-Thuc wußte, daß Paul VI. der Ermordung seines
Bruders im Auftrag der Kennedys zugestimmt hatte. Der Präsident
Ngo-dinh-Diem war ehemaliger Priesteramtskandidat gewesen, aber wegen
einer Fischallergie on der Weihe ausgeschlossen worden. Ngo-dinh-Diem
ging jeden Tag zur hl. Messe und zur hl. Kommunion. Nach Ablauf seiner
Amtszeit als Präsident wollte er sich von seinem Bruder, Mgr.
Ngo-dinh-Thuc zum Priester weihen lassen und in Rom sein Leben
beschließen. Zu diesem Zweck hatte er sich in Rom ein Haus gekauft, in
dem heute die Witwe seines Bruder Ngo-dinh-Nu mit ihren Kindern lebt.
Insgesamt hat die Familie Ngo-dinh achtmal Blutzoll für ihr Bekenntnis
zum katholischen Glauben bezahlt, d.h. acht Personen wurden wegen ihrer
religiösen Einstellung umgebracht. Mgr. Ngo-dinh-Thuc - und das sollte
auch den böswilligsten Verleumder mundtot machen - wurde, wie allgemein
bekannt, am Schluß seines Lebens entführt... und sicherlich nicht, weil
er ein Freund von Montini oder Wojtyla gewesen war!) Mgr. Thuc wurde
niemals von einem Papst suspendiert. Er behielt daher sämtliche
besonderen Vollmachten, die ihm von Papst Pius XI. übertragen worden
waren. (Es ist noch nicht ganz geklärt, ob diese Vollmachten über den
Tod Pius XI. wirksam geblieben sind.)
Immer wurde gelehrt, daß ein Bischof legitim ohne päpstliche Erlaubnis (Mandatum) einen anderen weihen könne, wenn es
a) unmöglich ist, vom Papst die Erlaubnis einzuholen und
b) unmittelbar die Gefahr besteht, daß sonst die apostolische Sukzession erlöschen werde.
Diese Bedingungen sind heutzutage vorhanden. Auch wurde gelehrt, daß
die (rein) kirchlichen Gesetze außer acht gelassen werden dürfen, falls
ihre Beobachtung den Zweck, dem sie dienen sollten, verhindern würde.
Aus all dem, was gesagt wurde, erscheint es als sicher, daß die von
Mgr. Thuc vollzogenen Weihen legitim und gültig sind. Ich behaupte
nicht einen Augenblick, das sämtliche von ihm geweihten Männer würdige
Kandidaten waren. Aber einige von ihnen sind es! Falls bei Mgr. Thuc
einige Defekte vorhanden waren, haften sie diesen jedoch nicht an. Wir
können nur hoffen, daß sie ihr Amt zum Wohle der Kirche und zur
größeren Ehre des allmächtigen Gottes ausüben werden. Der Weg zum
Wiederaufbau öffnet sich vor uns - ohne Täuschung, Zweideutigkeit oder
Schisma, weil jemand kraft seiner Autorität die Wahrheit verkündet
hatte: "Der Stuhl von Rom ist vakant."
Unser Herr hat uns gesagt: "Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater
nicht pflanzte, wird ausgerissen werden." Falls das Unternehmen der
Thuc-Linie "ausgerissen" werden sollte, werden wir wissen, wo wir uns
befinden. Bis dahin können wir hoffen. Spera in Deo.
Herzlichst
Ihr ergebener
(gez:) Leonhard Hurst (England)
(übersetzt: Eugen Golia)
STIMMEN DER ANDEREN:
EIN ORTHODOXER KOMMENTAR ZUM GEBETSTREFFEN IN ASSISI
(aus: ORTHODOXIE HEUTE Jahrgang 1987, Nr.2, S.25)
WENDE IM VERSTÄNDNIS DER RÖMISCH-KATHOLISCHEN WELTMISSION ?
Wenig beachtet von den einen, mit Genugtuung wahrgenommen von,den
anderen, scheint sich eine Wende im römisch-katholischen Verständnis
der Weltmission zu vollziehen, wie sie symptomatisch am Welttreffen der
Weltreligionen in Assisi (1986) Ausdruck fand. Sie wird von den
Apologeten dieses Treffens als "Anfang einer neuen Zeit", als ein
"ökumenisches Ereignis", als ein "religiös-politisches Weltereignis",
als "eine Symbolhandlung einer neuen Menschheit des 3. Jahrtausends"
bezeichnet (vgl. Prof. Dr. Dörmann, Anfang einer neuen Zeit, in:
Theologisches, Jahrg.17, Nr. und 16). Bereits am lo. Juni 1984 hatte
das Päpstliche Sekretariat für die NichtChristen ein Dokument mit dem
Titel "Gedanken und Weisungen über die Haltung der Kirche gegenüber den
Anhängern anderer Religionen" veröffentlicht. Darin treten Haltungen
hervor, die nicht mit dem Missionsauftrag des Auferstandenen an Seine
Apostel und Jünger, wie ihn die Kirche bislang verstanden und geübt
hat, übereinstimmen. Selbst innerhalb der römischen Konfession wurden
Stimmen des Ärgernisses, des Widerspruchs und der Enttäuschung laut.
Noch kritischer stehen die Orthodoxen Christen dieser Entwicklung
gegenüber. Denn es geht bei der Verkündigung des Evangeliums nicht mehr
um Bekehrung zu Christus und Seiner Offenbarung, nicht mehr um die
Heilsnotwendigkeit von Taufe und den übrigen Sakramenten, sondern
lediglich um Dialog und Austausch. Die Weltökumene, bzw. die ihre
Einheit, ist dann perfekt, wenn jeder Christ ganz Christ, jeder
Buddhist ganz Buddhist, jeder Muslim und jeder Animisi ganz ein solcher
geworden ist. Ist damit nicht der Martyrertod unzähliger Zeugen für die
christliche Wahrheit sinnlos geworden? Man kann ruhig sagen, daß, wenn
diese Wende wirklich vollzogen würde, auch auf diesem Feld eine
irgendwie geartete Union mit der Orthodoxen Kirche unvorstellbar wird.
Selbst der bisherige Begriff von "Ökumene" wäre verfälscht und würde
völlig unglaubwürdig.
Man wird wohl in Zukunft dieser Entwicklung eine größere Aufmerksamkeit als bisher widmen müssen.
S.H.
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