IX. KAPITEL
DIE PARUSIE IN DER GEHEIMEN OFFENBARUNG.
DER WAHRE GEGENSTAND DER GROSSEN PROPHETIE IM NEUEN TESTAMENT.
"Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gab, damit er seinen Knechten zeige, was in Bälde geschehen muß.
Durch Sendung seines Engels gab er sie seinem Knechte Johannes kund,
der Zeugnis ablegte vom Worte Gottes und vom Zeugnis Jesu Christi, von
allem, was er sah. Selig der Leser und Hörer der prophetischen Worte
und die sich an das halten, was darin geschrieben steht. Denn die Zeit ist nahe.
(Apoc. 1,1-3) Und mit folgenden Worten endet schließlich die Geheime
Offenbarung: "Und er sprach zu mir: diese Worte sind zuverlässig und
wahr, und der Herr, der Gott der Geister der Propheten hat seinen Engel
ausgesandt, um seinen Knechten zu weisen, w a s
in B ä l d e g e s c h e h e
n m u ß . ( . . . ) Und der Geist und die Braut
sprechen: 'Komm!' Und wer es hört, soll sprechen: 'Komm!' Und wen es
dürstet, der komme. Wer will, der empfange lebendiges Wasser umsonst.
(...) Der dies bezeugt, spricht: ' Ja, ich komme bald ! '
Amen, Amen, komm Herr Jesus. Die Gnade des Herrn sei mit euch allen.
Amen." (Apoc. 23, 6 f., 17, 2o f.) Die Erklärung vom Anfang wird am
Schluß nur wiederholt. Sie umrahmt die ganze Apokalypse und faßt ihren
gesamten Sinn noch einmal zusammen: "Was in Bälde geschehen muß." Das
ist ihr Inhalt. Dieser Kernsatz ist ein wesentlicher Punkt, auf den
sich die gesamte Offenbarung bezieht, die Johannes durch die
Vermittlung des Engels von Jesus Christus empfangen hat. Er gibt den
allgemeinen Sinn der Prophetie an und ist der Schlüssel zum Geheimnis
des letzten Buches der Hl. Schrift.
Zwei Dinge gehen daraus ganz klar und kategorisch hervor: die
Ereignisse, die der Gegenstand der apokalyptischen Vorhersagen sind,
sollen in Bälde kommen: "quae opportet fieri cito" - und: Jesus wird
bald kommen, seinen Lohn mit sich bringend: "Siehe, ich komme bald, um
einem jeden nach seinen Werken zu vergelten." ("Ecce, cito venio, et
merces mea mecum est reddere unicuique secundum opera sua.") Diese
beiden Aussagen scheinen in den Augen vieler Modernisten die Idee einer
nahe bevorstehenden Parusie zu rechtfertigen, zumal sie sich
gegenseitig ergänzen und erklären.
Das Wort "bald" (in: "ich komme bald") ist hier im eigentlichen Sinne
zu verstehen, inder Bedeutung der Zeit für uns und nicht in dem Sinne,
daß für Gott "tausend Jahre wie ein Tag" sind. Er könnte doch nicht zu
uns sagen, er komme bald, wenn dies noch zweitausend Jahre dauern
würde. Noch viel weniger wäre es zu verstehen, da Gott ja auf die nahe
Erfüllung der Dinge hinweist: "quae opportet fieri cito" ("was bald
geschehen soll" - Apoc. 1,1 u. 22,6), "et ecce venio velociter"
("siehe, ich komme bald" - Apoc. 22,7), "tempus prope est" ("die Zeit
ist nahe" - Apoc. 22,lo), "etiam, venio cito" ("denn ich komme bald" -
Apoc. 22,2o), "ecce venio cito" ("siehe, ich komme bald" - Apoc.
22,12). Vom Antichrist heißt es bei Daniel: "Versiegele es, denn die
Zeit ist noch fern!" (Dan. 8,26; vgl. auch Dan. 12,4 u. 9). Jetzt heißt
es nicht: Versiegele die Worte dieses Buches, denn es soll ja bald
geschehen: "tempus enim prope est" ("denn die Zeit ist nahe"). Dies ist
also ausdrücklich gesagt im Gegensatz zu Daniel, der die Weissagung vom
Ende versiegeln soll. Wir müssen also zwei Dinge klären:
1. die Ankündigung der nahen Erfüllung der apokalyptischen Voraussagen,
2. die ebenfalls nahe Ankunft Jesu, um einem jeden seinen Lohn zu geben nach seinen Werken.
Beide Aussagen erfordern eine eigene Erklärung. Deshalb wollen wir jede
für sich behandeln. Wir beginnen mit dem ersten Problem, d.i. der nahen
Erfüllung der apokalyptischen Weissagungen. Das zweite wurde ja schon
früher behandelt und findet in der Apokalypse nur eine neue
Bestätigung.
Es gibt ein Vorurteil gegenüber der Geheimen Offenbarung, welches
besagt, sie enthalte, wenigstens in ihrem Hauptteil, die Prophetie über
das Ende der Zeiten und auch der Vorzeichen und Ereignisse, die der
Endkatastrophe vorausgehen würden. Die meisten, die man fragt, geben
zur Antwort: die Apokalypse ist ein sibylinisches Buch, das man erst
gar nicht zu enträtseln versuchen sollte, weil alle, die dies bisher
versucht haben, gescheitert sind. Sie denken dabei nur an die Aussagen
über den Antichrist, die letzten Kämpfe und Verfolgungen der Kirche,
das Kommen von Hennoch und Elias, das Erscheinen des Richters der
Lebenden und der Toten, die ewigen Strafen und die ewige Belohnung und
die Vision vom himmlischen Jerusalem. Über das Ende der Welt aber
berichten nur 9 Verse des 2o. Kapitels. So stellt sich denn die Frage:
Was ist der wahre Gegenstand der apokalyptischen Prophezeiungen?
Betreffen sie bloß das Ende der Welt? Dann hätten wir Unrecht. Handelte
es sich aber um etwas anderes, dann verschwände die Schwierigkeit, und
unsere Gegner irrten, weil ihnen das Fundament für ihre Thesen entzogen
wäre. Es lohnt sich also, die Angelegenheit zu untersuchen. Wir werfen
zunächst einen kurzen Blick auf den Plan und die Einteilung der großen
Prophetie des Neuen Testamentes.
Wie Bossuet sagt, haben Propheten drei Aufgaben:
1. zu mahnen und zu tadeln,
2. Zukünftiges vorherzusagen,
3. zu trösten und zu ermutigen durch das Versprechen von Belohnungen.
So ist auch die Apokalypse des hl. Johannes eingeteilt. Nach einem
Prolog im ersten Kapitel gibt er in den beiden folgenden Kapiteln (2 u.
3) Hinweise und Ermahnungen (und Tadel) für die sieben Gemeinden und
ihre Bischöfe in Kleinasien. Dann folgen an zweiter Stelle die
Voraussagen - von Kapitel 4 bis einschließlich Kap. 2o -, die also den
weitaus größten Umfang einnehmen: Das Lamm allein kann das versiegelte
Buch öffnen und tut dies ja Johannes gegenüber. Endlich schließt sich
ein dritter Teil an: die Verheißung der künftigen Seligkeit, deren
hinreißendes Bild uns in den Kapiteln 21 und 22 geschildert wird, wo
das himmlische Jerusalem in seiner ganzen Schönheit als Versammlung
aller Heiligen erscheint. Die Herrlichkeit der himmlischen Stadt wird
in den prächtigsten Bildern geschildert. Der zweite Teil der Apokalypse
beinhaltet also erst den prophetischen Teil, wovon noch Kapitel 4 und 5
ausscheiden, da diese nur als Prolog gelten können, dazu bestimmt, die
himmlische Szenerie ins rechte Licht zu rükken, in der das Lamm das
Buch mit den sieben Siegeln empfängt, so daß die eigentlichen
Weissagungen erst mit dem 6. Kapitel beginnen und mit dem 2o.
schließen. Hier erhebt sich nun die Frage, ob in diesen fünfzehn
Kapiteln die Rede von der letzten Katastrophe und deren Vorzeichen ist.
Wie die folgenden Untersuchungen zeigen werden, ist die Frage zu
verneinen.
Eine Bemerkung zuvor: die Prophetien erschließen sich meist in ihrer
vollen Klarheit erst nach den vorhergesagten Ereignissen. Sie sind
nämlich häufig in Symbole, Bilder oder Metaphern eingehüllt bzw.
verhüllt, so daß der hl. Hieronymus sagt: "Tot verba, tot sacramenta"
("ebenso viele Geheimnisse wie Worte"). Prophetien beziehen sich nicht
auf die künftige Seligkeit, sondern auf zukünftige geschichtliche
Ereignisse. Jede Prophetie muß aber einen Nutzen für die Gläubigen
haben gemäß den Worten des hl. Paulus: "Jede hl. Schrift ist nützlich
zur Belehrung und zur Mahnung und Erziehung zur Gerechtigkeit." Wenn
wir die großen Ereignisse der Geschichte seit der Epoche des hl.
Johannes auf Patmos bis in unsere modernen Zeiten (d.i. bis 192o,
Anm.d.Red.) verfolgen, finden wir wohl kein Ereignis, welches mit dem
Untergang des heidnischen Rom durch die furchtbaren Schläge der
Barbaren im fünften Jahrhundert und seiner nachfolgenden Auflösung
vergleichbar wäre, wo in der Folge gegen alle Erwartung die
christlichen Reiche aus diesem immensen Chaos entstanden sind, nämlich
das christliche Europa. Für den Theologen ist dies die erstaunliche
Verwirklichung der großen Linien des göttlichen Heilsplanes, der schon
in den Prophetien des Alten Testamentes vorhergesagt war, vor allem
beim Propheten Daniel, der die aufeinander folgenden Reiche im Bild
einer großen Statue ankündigte, die sich schließlich in eine große
Staubwolke auflösen würde: "der Staub, den ein Sommerwind davonträgt
(...) und der Stein, der die Statue getroffen hatte, wurde zu einem
großen Berg, der die ganze Erde erfüllte." Diesen Vorgang sehen wir
auch in der Geheimen Offenbarung mit solcher Klarheit, mit einer
solchen Fülle von Beweisen und einer solchen Genauigkeit in den Details
vorausgesagt, daß es auch ein Blinder sehen müßte. Dieses Hauptereignis
nimmt den wichtigsten Platz in der Prophetie des hl. Johannes ein, der
dafür auch den Schlüssel gibt und den zentralen Punkt, an dem er
anzusetzen ist, so daß ihr Sinn völlig klar wird und kein Zweifel mehr
bleibt bezüglich des wahren Gegenstandes der Apokalypse.
Schlagen wir also jene Kapitel auf, die den zentralen Punkt enthalten,
der alles andere erschließt. Es sind jene Stellen, wo unter dem
mysteriösen Namen Babylon das imperialistische heidnische Rom
dargestellt wird, die Mutter des Götzendienstes und die Verfolgerin der
Heiligen. Wir befinden uns bei dem Punkt der Vision, wo die sieben
Engel die sieben Zornesschalen Gottes soeben empfangen haben mit dem
Befehl, sie über die Erde auszugießen: "Die große Hure Babylon, die
allen Völkern den Wein ihrer Unzucht zu trinken gibt" (Apoc. 16,1) und
der Gott nun seinerseits "den Wein seines Unmutes und Zornes" (Apoc.
16,19) zu trinken gibt. Einer der sieben Engel naht sich Johannes und
spricht zu ihm: "Komm, ich werde dir die Verdammung der großen Hure
zeigen, die auf den großen Wassern sitzt, mit welcher sich die Könige
der Erde verdorben haben. (...) Und ich sah eine Frau, sitzend auf
einem scharlachroten Tier, voll blasphemischer Namen; das Tier hatte
sieben Köpfe und zehn Hörner. Die Frau war bekleidet mit scharlachrotem
Purpur, geschmückt mit Gold und kostbaren Perlen; in ihrer Hand hielt
sie eine goldene Vase voll von Abscheulichkeit und Unreinheit und
Hurerei. Und ein Name war auf ihre Stirn geschrieben: Mysterium, das
große Babylon, die Mutter des Ehebruchs und der Greuel der Erde. Und
ich sah diese Frau trunken vom Blute der Heiligen und vom Blute der
Zeugen Jesu. (...) Dann sagte mir der Engel: 'Ich werde dir das
Geheimnis dieser Frau und des Tieres, das sie trägt, das sieben Köpfe
und zehn Hörner hat, sagen. (...) Die sieben Köpfe sind die sieben
Hügel, auf denen die Frau sitzt, und die Frau, die du gesehen hast, ist
die große Stadt, die über die Könige der Erde regiert." (Apoc. 17, 1
ff.)
Es ist nicht schwer, in so vielen charakteristischen Zügen, die sich
auf das mysteriöse Babylon beziehen, das heidnische Rom zu erkennen. Da
ist zum einen die Stadt auf den sieben Hügeln; zweitens ist es die
große Stadt, die allen Königen der Erde gebietet, was z.Zt. des hl.
Johannes noch offenkundiger war als später. Wenn es zudan noch unter
der Gestalt einer Prostituierten dargestellt wird, so erkennen wir
darin die Sprechweise der Hl. Schrift, die den Götzendienst als Hurerei
kennzeichnet. Wenn gesagt wird, daß diese Stadt die stolze Mutter der
Unreinheiten und der Greuel der Erde ist (Vers 5), so ist damit der
Kult der falschen Götter gemeint, die sie alle im Pantheon von Rom
aufnahm. Gold und Edelsteine versinnbildlichen ihren Reichtum. Der
Purpur war das Zeichen der Kaiser und der Ratsherren. Das Wort
"Mysterium", welches sie auf ihrer Stirn trägt, bezeichnet nichts
anderes als die unreinen Mysterienkulte des Heidentums, deren
Beschützerin Rom geworden war. Die anderen Zeichen des Tieres und der
Hure sind noch offenkundiger. Daß sie "trunken war vom Blute der
Heiligen der Märtyrer für Jesus" zeigt ganz klar die großen
Verfolgungen an, die die Kirche durch sie erleiden mußte. Das also war
das Rätsel, welches leicht zu lösen war: unter dem Symbol der Hure
Babylon ist Rom gemeint (Vers 5). So schreibt auch der hl. Petrus: "Es
grüßt euch die Miterwählte, d.i. die, die in Babylon ist, d.h. in Rom
ist. (Vgl. 1 Petr. 5,13) Dieses Gemälde Babylons geht seinem
Strafgericht und seinem Fall voraus,der danach geschildert wird (in
Kapitel 18), wo wir die ersten großen Züge der in Frage kommenden
Prophetie finden. Damals stand das Reich noch in Blüte und zeigte keine
Zeichen des Niedergangs, im Gegenteil: der Gedanke an seine
immerwährende Dauer war so fest in den Gemütern verankert, sowohl bei
den Christen als auch bei den Heiden, daß man glaubte, Rom werde so
lange bestehen, wie die Welt bestehen würde. Dreihundert Jahre vor dem
Fall des Kolosses war dieser dem hl. Johannes also geoffenbart worden.
In Patmos war bereits das Bild gemalt worden, wie Alarich später Rom
belagern, es einnehmen und durch das Schwert und durch Feuer verwüsten
würde und es in der Tat jenen Schlag erhalten sollte, von dem es sich
nie mehr erholen würde. Der hl. Hieronymus und der hl. Augustinus als
Zeitgenossen berichten davon.
Hierauf fährt der hl. Johannes fort: "Danach sah ich einen anderen
Engel vom Himmel herniedersteigen (...), der rief mit lauter Stimme:
'Gefallen ist Babylon, die Große, und sie ist geworden zur Behausung
der Dämonen, zum Schlupfwinkel für allerlei unreine Geister. (...) Denn
vom Wein ihrer Unzucht haben viele Völker getrunken, und die Könige der
Erde haben mit ihr Unzucht getrieben und die Kaufleute der Erde sind an
ihrer maßlosen Üppigkeit reich geworden.' Und ich hörte eine andere
Stimme aus dem Himmel, die sprach: 'Zieht fort aus ihr, mein Volk,
damit ihr keinen Anteil habt an ihren Sünden und nicht mitgetroffen
werdet von ihren Plagen. Denn bis zum Himmel haben sich seine Sünden
aufgetürmt und Gott hat seiner Freveltaten gedacht. Vergeltet ihm.
(...) Zwiefach mischt ihm den Becher, den es gemischt hat. (...) An
einem einzigen Tage sollen seine Plagen kommen: Tod und Trauer und
Hunger, und im Feuer wird es verbrannt werden; denn stark ist der Herr,
Gott, der ihm das Urteil gesprochen hat." (Kap. 18, 1-8) Alle Kaufleute
klagten über den Untergang der Stadt, und alle, die davon hörten, waren
bestürzt. Als der hl. Hieronymus, der in Bethlehem weilte, davon
Nachricht erhielt, schrieb er: "Das Licht der damaligen Welt war
verloschen, oder um es genauer zu sagen, die ganze Welt war gleichsam
umgestürzt in einer einzigen Stadt."
Manche wollen jedoch unter Babylon ganz allgemein die Welt-Stadt
verstanden wissen - Gegensatz zur Gottesstadt -, also als Sinnbild
aller antichristlichen Reiche. Aber es gibt ein Indiz, das unsere
Behauptung zusätzlich stützt, das Geheimnis der Hure und das Tier, auf
dem sie sitzt und welches sieben Köpfe und zehn Hörner hat. Dies sind
Symbole für ein- und dieselbe Sache, wie sich aus dem Kontext ergibt,
nämlich für das götzendienerische Rom und sein Reich. In der Erklärung,
die der Engel gibt, ziehen die verschiedenen Teile des mysteriösen
Bildes vorüber und bleiben endlich bei den zehn Hörnern des Tieres
stehen: "Die zehn Hörner, die du siehst, sind die zehn Könige, und die
Frau, die du gesehen hast, ist die große Stadt, die über die zehn
Könige regiert." (Kap. 17,12-18) Das ist der entscheidende Hinweis für
die zutreffende Interpretation. Was zuerst in die Augen fällt, ist die
Tatsache, daß die zehn Könige, von denen die Rede ist, die Vollstrecker
der Rache gegen das große Babylon sind, welches versinnbildlicht wird
durch die Prostituierte und das Tier, welches sie trägt: sie haben den
Auftrag, sie zu zerstören: "Sie werden die Hure hassen und sie in die
äußerste Verwüstung führen. Sie werden ihr Fleisch verzehren, denn Gott
hat es ihnen eingegeben, das auszuführen, was ihm gefällt."
Sehen wir uns nun diese Zerstörer-Könige an und die Zeichen, unter
denen sie uns vorgestellt werden. Vier Dinge sind hervorzuheben:
1. Die Zahl zehn ("decem reges sunt"). - Man mag darunter eine genaue
oder abgerundete Zahl verstehen, jedenfalls ist es eine stattliche
Zahl. Sie sind wohl Voneinander unabhängig, doch gehen sie gegen
denselben Feind vor wie in einer konzertierten Aktion, wie nach einem
Plane handelnd.
2. Alle zehn Könige sind solche, die noch kein Königreich haben ("qui
regnum nondum accepterunt") und sie sollen zur gleichen Zeit und erst
nach dem Sieg über das "Tier" in den vollen Besitz ihrer königlichen
Macht gelangen ("sed potestatem tamquam reges una hora accipient post
bestiam" - Vers 12).
3. Dies wird zu einem wahren Rätsel, da man nicht weiß, wie man die
Gegebenheiten miteinander in Einklang bringen soll, so widersprüchlich
erscheinen dieselben: dieselben Könige, die das Tier zur letzten
Verwüstung führen, die sein Fleisch verzehren und die also seine
unerbittlichen Feinde sind, werden dennoch dargestellt als die zehn
Hörner des Tieres, und insofern als Beschützer, ja als solche, die dem
Tiere Macht und Stärke verleihen ("et virtutem et potestatem suam
bestiae tradent" - VJ3) 4. Zu allem Übel sind diese Könige, die Rache
an dem "Tier" üben, nichts destowenigerals solche gekennzeichnet, die
gegen Gott selbst kämpfen, oder, was dasselbe ist, gegen das Lamm, das
sie besiegen wird, weil es der König der Könige und der Herr der Herren
ist, und die beim Lamme sind, werden die Auserwählten und Getreuen
genannt ("cum Agno pugnant, et Agnus vincit illos, quoniam Dominus
dominorum est, et qui cum ilio sunt, vocati fidËles et electi" - Vers
14).
Wie sollte man allein auf Grund des Textes in den Sinn dieser scheinbar
widersprüchlichen Aussagen eindringen? Sicher nicht! Wenn wir aber die
geschichtlichen Ereignisse betrachten, die wir ja kennen, so stimmt
diese Darstellung Punkt für Punkt mit ihnen überein und verweist somit
auf den göttlichen Ursprung dieser Prophetie. An Hand der
geschichtlichen Ereignisse werden wir ihre Erfüllung aufzeigen: die
Zerstörung ROMS und die spätere Errichtung eines christlichen Reiches
von Rom aus. Die zehn Könige, die heranziehen, um Rom zu zerstören, das
sind die Barbaren, die aus allen Teilen des römischen Reiches
heranziehen, um es zu zerstören und um sich in seinem Territorium
niederzulassen, fast alle zur gleichen Zeit: die Vandalen, die Hunnen,
die Franken, die Burgunder, die Sueben, die Allemannen, die Lombarden,
die Sachsen und natürlich die Goten, die die größten Zerstörer des
Reiches waren. Es ist recht bemerkenswert, daß sich aus einem einzigen
großen Reich so viele Königreiche in den verschiedensten Provinzen
gebildet haben: in Spanien, in Afrika, im keltischen Gallien, in
Aquitanien, in Großbritannien, in Italien. Als diese Völker auftauchten
und im 4. und 5. Jahrhundert in Rom einfielen, hatte noch keines von
ihnen ein eigenes Königreich errichtet. Erst nach der Vernichtung des
römischen Reiches bzw. dessen Untergang entstanden sie als selbständige
Reiche. Vorher hatten sie noch keinen festen Grundbesitz. Sie mußten
sich also erst ihre Reiche erobern. Und nie gab es so viele Könige als
zur Zeit des römischen Niederganges. Überraschender aber noch ist die
Prophezeiung: Sie werden ihre Macht und ihre Kraft in den Dienst des
Tieres stellen. Wie denn? Dieselben, die es bekämpfen und vernichten
werden? Hier hilft uns wieder die Geschichte weiter: Die Kraft der
Caesaren von Rom war zu schwach, so daß sie kein anderes Mittel fanden,
um ihre Schande zu bedecken, als sich ihre Feinde zu Verbündeten zu
machen und sie in ihren Sold zu nehmen. Man findet unter diesen
Verbündeten Goten und Lombarden, d.h. die künftigen Herren Roms und
Italiens. Unter Theodosius d.Gr. und seinen Söhnen sehen wir die
Franken kämpfen. Aus Burgundern, Sachsen, Goten und Franken besteht die
Armee des Aetius, eines römischen Generals, die im Range von
Hilfstruppen gegen Attila kämpfen. Und was die Goten betrifft, die als
eigentliche Zerstörer Roms gelten, so sehen wir sie in den Armeen von
Konstantin, Julian Apostata und Theodosius d.Gr. Es ist also in
Wahrheit so, daß Rom eine gewisse Zeit lang von denen unterstützt
wurde, die es dann zerstörten: "et virtutem et potentiam suam bestiae
tradent."
Noch ein letzter Punkt ist bemerkenswert, der sich in frappanter Weise
erfüllte: dieselben Könige, die zunächst Rom mit Hilfstruppen
unterstützten, es dann einnahmen und zerstörten und auf dem Territorium
des römischen Reiches ihre eigenen Königreiche aufrichteten, "werden
gegen das Lamm kämpfen, aber das Lamm wird sie besiegen." Sie waren
Feinde des Lammes, weil sie Götzendiener und zum Teil durch die
arianische Irrlehre infiziert waren, oft dessen grausame Verfolger
wurden. Und wie wurden sie vom Lamme besiegt? Nun, indem sie
schlußendlich alle wahre Christen wurden, d.h. katholisch wurden wie
die Goten in Spanien, die Franken und die Burgunder in Gallien und
Germanien, die Lombarden in Italien, die Sachsen in England, die Hunnen
in Ungarn. Das war der glorreiche Sieg des Lammes über all diese
Königreiche. Ganz anders aber wird der Sieg am Ende aussehen, der
später geschildert wird (Kap. 19. 11-2o), wo man den Getreuen und
Wahrhaftigen auf einem weißen Roß sieht, mit Augen wie eine
Feuerflamme, angetan mit blutrotem Gewand, das zweischneidige Schwert
im Munde, bewaffnet für das Gericht und für die Niederwerfung und
Austilgung aller Gottlosen. Vorher war es das sanfte Lamm, das mit
Pfeilen der Liebe die Herzen der Völker trifft und sie von Feinden in
Freunde umwandelt, wie es der hl. Johannes von den Berufenen,
Auserwählten und Gläubigen ("vocati fidËles et electi") ausdrücklich in
Vers 17 sagt. Die Weissagung des hl. Johannes hatte also den Fall des
heidnischen und götzendienerischen Roms zum Gegenstand, das auch nach
seiner Bekehrung immer wieder in Gefahr lief, sich erneut an die
heidnischen Religionen auszuliefern, das z.B. gegen das Interdikt unter
Theodosius protestierte und das durch die Instanzen des Senates für den
Wiederaufbau des Altares der Siegesgöttin plädierte. Diese Idolatrie
erstreckte sich noch bis in die Zeiten des Alarich.
Der endgültige Fall Roms als der götzendienerischen Stadt war die
Vorbedingung für die Errichtung des sozialen Königtums Jesu Christi und
seines Evangeliums in der ganzen Welt. Dies ist das große und
denkwürdige Ereignis, welches der hl. Johannes eigentlich im Auge
hatte. Von daher wird klar, daß dieses Ereignis wiederum der Schlüssel
zum Verständnis für die gesamten übrigen Weissagungen ist, sowohl für
das, was vorausging als auch für das, was folgen sollte.
Zuerst das, was vorausging: es steht in Beziehung zum Untergang Roms,
gemeint ist die Vision, die das 4. Kapitel eröffnet. Gleich nach dem
Erbrechen des ersten Siegels erscheint ein geheimnisvoller Reiter auf
einem weißen Roß, wie es die Sieger am Tage ihrer Heimkehr und ihres
Triumphzuges benutzten: "Ich schaute", sagt der hl. Johannes, "und sah
ein weißes Roß, und der auf ihm saß, hielt einen Bogen, und es wurde
ihm ein Kranz gereicht, und er zog aus als Sieger und um zu siegen "
("et exivit vincens ut vinceret"- Kap. 6,2). Dieser geheimnisvolle
Reiter ist offensichtlich Jesus Christus selbst, der - schon Sieger in
seiner glorreichen Auferstehung - uns hier vorgestellt wird als jemand,
der von Sieg zu Sieg schreiten wird. Was soll mit diesen Siegen anderes
gemeint sein als die Bekehrung der Heidenvölker nach all den
furchtbaren Verfolgungen? Die Strafgerichte Gottes, die sieben
Zornesschalen, beseitigen die furchtbaren Hindernisse, die sich dem
Sieg der christlichen Religion entgegenstellten. Das besagen die
aufeinander folgenden Weissagungen über die sieben Siegel, die sieben
Trompeten, die sieben Schalen und die drei "Wehe"-Rufe oder die
Katastrophen. Das Tier erscheint schon im Kap. 13, zuerst mit seinen
sieben Köpfen und zehn Hörnern, später (Kap. 14 u. 15) unter dem
geheimnisvollen Namen des großen Babylon, und in Kap. 18 als ganz und
gar eins mit der reichen und grausamen Hure, die Mutter aller Greuel
der Erde. Sodann folgt das Gericht über es, seine Verdammung, seine
Züchtigung und seinen Zusammenbruch, der die damalige Welt erschüttern
sollte.
Hierauf folgen als Epilog die Lobgesänge der Heiligen des Himmels zu
Gott für dieses große Werk der Gerechtigkeit und für seine wunderbare
Vorsehung gegenüber der Kirche (Kap. 19,1-8). Endlich, an letzter
Stelle - um das grandiose Bild zu vollenden - erscheint der Reiter
wieder beim Aufziehen des Vorhanges: "Ich sah den Himmel geöffnet, und
siehe da, ein weißes Roß, und der darauf reitet heißt Treu und Wahr,
und mit Gerechtigkeit hält er Gericht und führt Krieg. Seine Augen aber
sind flammende Feuer, und auf seinem Haupte trägt er viele Diademe und
einen Namen geschrieben, den niemand kennt als nur er selbst. Und
angetan ist er mit einem blutgetränkten Mantel, und sein Name wird
genannt: das Wort Gottes. Und es folgten ihm die Heerscharen, die im
Himmel sind, auf weißen Rössern, angetan mit reinem weißen Linnen. Und
aus seinem Munde geht ein scharfes Schwert hervor, auf daß er mit ihm
die Völker schlage. Und er selbst wird sie weiden mit einem eisernen
Stab, und er selbst tritt die Weinkelter des grimmigen Zornes Gottes,
des Allherrschers. Und auf seinem Mantel und an der Hüfte trägt er als
Namen geschrieben: 'König der Könige und Herr der Herren'!"(Kap.
19,11-16) Diese beiden Reiter sind ein- und dieselbe Person, nämlich.
Jesus Christus, nur mit dem Unterschied, daß er beim ersten Mal als
jemand gezeigt wird, der einen siegreichen Kampf beginnt und der als
Krieger auszog, um zu siegen. Jetzt aber erscheint er wieder, noch ganz
vom Kampf erhitzt, um den Endsieg zu erringen, um alle Völker zu
richten (mit dem Schwert seines Mundes). Kapitel 4 bis einschließlich
Kap. 19 zeigen uns Christus als grandiosen Sieger durch den Sturz des
heidnischen Rom, die Christianisierung der Völker: seine Religion
breitet sich siegreich über die ganze Erde aus, seine Kirche umfaßt
alle Völker. Von der Geschichte als Erfüllung der Apokalypse her kann
man sagen: Kap. 6 und 7 schildern die göttliche Rache, zuerst an den
Juden, als den ersten Verfolgern der Kirche und den Urhebern anderer
Verfolgungen, die einen Augenblick ausgesetzt wird um der Auserwählten
willen, der aus allen zwölf Stämmen Israels Bezeichneten, die vom
übrigen jüdischen Volk zu trennen waren, jenem unglücklichen Rest
Israels, welcher einer Verfolgung unter Trajan und vor allem unter
Hadrian und der Zerstörung der Stadt Jerusalem entkommen war. Man muß
dann (in Kap. 9) die rätselhaften Heuschrecken, die aus dem Abgrund
emporsteigen, als eine noch viel gefährlichere Art von Feinden
verstehen, über die die Kirche in ihren Anfängen triumphieren sollte:
die ersten Häresien, meistens aus jüdischen Meinungen hervorgegangen
und deshalb in der Prophetie als an die Juden gebunden, dargestellt.
In Kapitel 9 kommen wir dann zu den römischen Verfolgungen, die der hl.
Johannes in denen des Kaisers Diokletian zusammenfaßt, die von allen
die längsten, heftigsten, umfassendsten und grausamsten waren und die
Johannes mit allen charakteristischen Merkmalen derart genau
beschreibt, daß man den Eindruck gewinnt, als ob sich vor einem da
lebendige Gemälde der Geschichte entrollt. Kapitel 13 wird uns das Tier
zeigen, d.h. die Idolatrie Roms mit seinen Göttern des Pantheons,
tödlich getroffen durch den Sieg des Konstantin, sodann wieder zum
Leben erweckt unter Julian dem Abtrünnigen, der die Religionsfreiheit
verkündete und das Heidentum wieder einführen wollte. Und dies
geschieht durch den Dienst eines anderen Tieres, in welchem man die
pytagoräische Philosophie erkennt, die noch unterstützt wird durch die
Magie, die dem Götzendienst durch ihre erstaunlichen Scheinwunder zu
Hilfe kam. Der übrige Text weist direkt hin auf den Sturz des römischen
Reiches (Kap. 14 bis 19), wie schon bereits erwähnt wurde. Ist dieser
wichtigste Teil erst einmal dargelegt und genau erklärt, so kann der
Rest kaum noch Schwierigkeiten bereiten; denn er ist die Fortführung
und Vollendung dessen, was vorhergegangen ist. Der Rest, das ist das
Kap. 2o, in dem der hl. Johannes wieder seine Prophetie vom Fall des
römischen Imperiums aufnimmt und seine weitere Entwicklung vor zeichnet
bis zum Ende der Zeiten.
Johannes hat zuerst prophetisch die frühe Epoche der Kirche
beschrieben, ihre ersten Prüfungen und ihre erste Inbesitznahme der
Welt, wenn man dies so nennen will. Er beschreibt auch das Schicksal
der Kirche im letzten Zeitenlauf, aber dies nur auf eine eher
summarische Art und Weise, sozusagen mit zwei, drei Pinselstrichen.
Wenn ein Maler zuerst ein farbenprächtiges, sehr detailliertes Bild
über seinen Hauptgegenstand gemalt hat, dann zeichnet er in einem
konfuseren Licht und schemenhaft noch andere Dinge, die sich weiter im
Hintergrund befinden. Wie undeutlich diese Skizze auch ausfiel, so kann
man darin doch recht gut zwei weitere Epochen der Kirche erkennen, die
auf die ersten Anfänge folgen: zunächst ist es das Zeitalter seiner
Herrschaft über die Erde (Vers 7-lo), sodann gefolgt vom allgemeinen
Gericht, von dem uns Johannes ein bruchstückhaftes Bild gibt, um damit
zu schließen (Vers 11-15).
Von der Herrschaft der Kirche auf Erden, die, wie es in Vers 4 heißt,
auch die Zeit der Märtyrer genannt wird - wegen des Ruhmes, mit dem sie
umgeben sind, der großen Ehren, die ihnen erwiesen werden und wegen der
großen Wunder, die auf ihre Fürbitten hin geschehen und die ihre Macht
bei Gott bestätigen -, von dieser Zeit also, da die Märtyrer mit
Christus herrschen, ist uns gesagt, daß sie relativ lange dauern und
verhältnismäßig ruhig verlaufen wird. Es heißt nämlich, daß die
Heiligen mit Christus eintausend Jahre herrschen werden. Diese Zeit ist
deshalb relativ ruhig für die Kirche, weil der "Drache", d.i. Satan im
Abgrund eingeschlossen ist, damit er die Nationen nicht verführe, bis
diese Jahre erfüllt sind. Die Fesselung Satans ist nur eine bedingte im
Vergleich zu früheren Zeiten, wo ihm die Freiheit gelassen war bzw. es
ihm erlaubt war, einen allgemeinen Götzendienst auf der ganzen Welt
aufzurichten und die Christen überall zu unterdrücken und zu verfolgen.
Was die letzte Prüfung betrifft, das Loslassen Satans und die
Verfolgung durch den Antichrist, so ist uns dies wenigstens in vier
Versen beschrieben, deren Sinn man nicht genau festlegen kann, was die
Deutung von Gog und Magog betrifft. Lassen wir den künftigen Zeiten die
Enthüllung dieser Stelle und begnügen wir uns mit dem, was Johannes
ausdrücklich vermerkt: diese äußerste und schlimmste Verfolgung wird
sehr kurz sein (Vers 3), und es wird mehr eine Verfolgung durch
Verführung sein als durch Gewalt (Vers 7). Auf diese folgt dann das
Kommen des Richters der Lebenden und der Toten, d.h. das Jüngste
Gericht (Vers 11 ff.).
Der hl. Augustinus führt in seinem "Gottesstaat" (Kap. 2o) aus, die
Geheime Offenbar rung umfasse die Zeit vom ersten Kommen Jesus bis zum
Ende der Welt, wenn die zweite Ankunft Christi erfolgen wird. Damit ist
auch die Schwierigkeit gelöst, wie die Worte zu verstehen sind: "Was
bald geschehen soll" ("quae opportet fieri cito").: nämlich so, daß
diese angesagten Ereignisse bald beginnen würden. Und in der Tat, die
Geschehnisse rollten ab gemäß den apokalyptischen Aussagen, angefangen
mit der Herrschaft des Domitian, dem Zeitpunkt der Offenbarung an
Johannes, bis zur ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, der Epoche des
Zusammenbruchs des römischen Imperiums, und hernach, wie gezeigt wurde,
bis zum Ende der Zeiten. So ist also die modernistische Exegese in
ihren aufgestellten Thesen völlig unzutreffend. |