VIII. KAPITEL
DIE DARSTELLUNG DER PARUSIE IN DEN BRIEFEN DER APOSTEL:
DIE LETZTEN TAGE, DIE LETZTE STUNDE, DAS ENDE DER WELT.
Bossuet gibt ein schönes Beispiel, wie sich jene, die weder
theologische Kenntnisse haben noch die Regeln der Textkritik kennen und
sich auch nicht von der Tradition führen lassen, sich verirren können
in eine völlig falsche Interpretation hinein, die bis zum Verlust des
Glaubens gehen kann. Dafür führt er als Beispiel Melanchton an, der zu
seiner Zeit einer der angesehendsten Humanisten in Deutschland war und
in seiner Person noch heute den deutschen Protestantismus
repräsentiert. Melanchton, dem man einen gewissen Eifer für die
Religion nicht absprechen konnte, hatte sich zuerst für die Realpräsenz
Christi in der Eucharistie stark gemacht. Er selbst hatte ein Buch mit
dem Titel "Die Auffassungen der Väter über das Abendmahl" verfaßt und
dabei viele Stellen gesammelt, die für das katholische Dogma Zeugnis
geben. Jedoch etwas hatte ihn irritiert: viele Väter sprachen von der
Eucharistie auch als von einem "Bild". Als Nicht-Fachtheologe begriff
er nicht, daß sich uns Christus nicht voll enthüllt, d.h. im Glänze
seiner Gottheit zeigen kann, sondern uns unter einer fremden Gestalt
verborgen begegnet. Damit ist notwendigerweise die Wahrheit in dem
Bilde und die Realpräsenz mit dem äußeren Zeichen v e r h ü l l t .
Daher rührte die offenkundige Differenzierung bei den Vätern, die
Melanchton offensichtlich irritierte. Dies hätte er aber ganz gut
verstehen können, wenn er das Geheimnis der Menschwerdung betrachtet
hätte, und vor allem die Gottheit des Gottessohnes, und was die Väter
dazu sagten, die durch die Häretiker gezwungen waren, dieses Geheimnis
noch genauer zu definieren. So sprach manbeim Geheimnis der Trinität
und der Inkarnation von der Wesensgleichheit von Vater und Sohn und von
der Unterordnung des Sohnes unter den Vater in seiner Menschheit.
Ebenso sprach man vom Wesen der Eucharistie in der Gestalt, d.h. von
der substantiellen leiblichen Gegenwart Christi unter einer fremden
Gestalt. Nur die Lehre der Kirche gibt hier den Schlüssel zum rechten
Verständnis. Als großer Humanist, aber ohne theologische Fachkenntnisse
hatte er das christliche Altertum nicht recht verstehen können, ähnlich
wie Luther auch. So wurde er von einer seltsamen Art angeblicher
Widersprüche gequält, die er bei den Vätern gefunden zu haben glaubte.
Zuerst waren es nur Zweifel, dann folgte Verachtung und schließlich die
Verhöhnung des Dogmas von der realen Gegenwart Christi in der
Eucharistie.
Ähnliches gilt auch für die Modernisten des 2o. Jahrhunderts in der
Auslegung der Texte über die Parusie. So lesen sie einmal beim hl.
Paulus, die Parusie Christi sei nahe, er würde vor der Tür stehen bzw.
nicht zögern würde, bald zu kommen; andererseits aber warnt er die
Gläubigen, daß sie denen keinen Glauben schenken sollten, die das
Kommen des Herrn als unmittelbar bevorstehend ankündigten. Wie könne
man solche Behauptungen annehmen, die doch in einem offenkundigen
Widerspruch zueinander stehen würden: nahe sein und zugleich fern sein?
Noch in Unkenntnis der Zukunft über sein Kommen... und doch soll er
schon vor der Tür stehen?
Der Schlüssel zum rechten Verständnis liegt zum einen in der Lehre der
Kirche und der Väter und zum anderen in der Eigenart der Prophetie: es
gibt eine zweifache Ankunft Christi und ein zweifaches Gericht: beim
Tode eines jeden einzelnen und am Ende für die Gesamtheit aller
Menschen; einmal das besondere Gericht, und dann am Weltende das
allgemeine Gericht, das Jüngste Gericht, in dem endgültig und vor aller
Augen die Gerechtigkeit triumphiert. Der Herr ist nahe, heißt: keiner
weiß die Stunde seines Todes, heißt aber auch: "Jenen Tag und jene
Stunde aber kennt niemand als der Vater allein, nicht einmal die Engel
des Himmels". Die Gerechten werden jedoch, wenn die Vorzeichen
erscheinen, diese als solche erkennen, während die Ungläubigen nichts
begreifen werden. Unlösbare Schwierigkeiten ergeben sich also nur für
die, die nur eine immanente Textkritik gelten lassen und die deshalb -
sogar im Widerspruch zu den Stellen in der Hl. Schrift (!) -
irrigerweise behaupten, der Herr habe seine Parusie in Herrlichkeit als
für nahe bevorstehend gehalten.
Wir müssen uns noch einer weiteren Kategorie von Texten zuwenden, die
angeblich davon redet, schon die Apostel hätten in den letzten Zeiten
gelebt bzw. in der letzten Stunde etc. (vgl. Apoc. 2,16; 2 Tim. 3,1; 1
Petr. 3,3 ff.; 1 Joh. 2,18; 1 Kor. lo und Hebr. 9,26). Die Hl. Schrift
hat eine eigene Art, von der Chronologie der Welt zu reden. Es genügt
schon, die ersten Seiten der Hl. Schrift aufzuschlagen, wo von der
Erschaffung der Welt die Rede ist. Sie wird dargestellt in der Form
eines Sechs-Tage- Werkes. Der Terminus Tag muß hier in einem anderen
Sinn aufgefaßt werden als normalerweise üblich, nämlich als Perioden
der Entwicklung durch immer neues Eingreifen Gottes: die Entstehung der
Erdkruste und der Meere, der Pflanzen- und Tierarten etc. Diese sechs
Tage sind also Epochen einer langen Zeitdauer, die voneinander dadurch
unterschieden sind, daß Gott zuerst die Urmaterie in ungeformtem
Zustand schuf, sie dann Schritt für Schritt heraufführte zum
pflanzlichen und tierischen Leben, um sie zum Schluß mit der
Erschaffung des Menschen zu krönen. Vor Gott sind ja tausend Jahre wie
ein Tag. (Anm.d.Red.: Bezüglich der Erschaffung der Welt, der Schöpfung
insgesamt sind wir angewiesen auf geoffenbarte Darstellungen Gottes.
Die Genesis der Schöpfung können wir unmittelbar nie nachvollziehen, da
wir andernfalls im göttlichen Wissen stehen müssen, was uns absolut
verschlossen ist. Somit ist auch der Versuch von Kard. Billot, den
Schöpfungsbericht zu interpretieren, im eigentlichen Sinne illegitim.
Denn das, was von Gott direkt geschaffen wurde, wird damit nicht
erklärt. E.H.)
In der Geschichtswissenschaft spricht man ja auch von Zeitaltern, in
der Genesis eben von Schöpfungstagen, also von einer
Schöpfungsgeschichte in sechs Zeitaltern. So zählte man später in
Anlehnung an die Schöpfungsgeschichte sechs Zeitalter:
1. von Adam bis zur Sintflut;
2. von der Sintflut bis zu Abraham;
3. von Abraham bis David (nach Matthäus);
4. von David bis zur Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft;
5. von da an bis zur ersten Ankunft des Messias;
6. von der ersten Ankunft des Messias bis zu seiner zweiten Ankunft.
Dies sind aber größere Zeitabschnitte und nicht gleichlange
Zeitspannen; so wie ja auch die "Tage" der Genesis im Hinblick auf den
Fortschritt gesehen werden müssen, den die Religion auf Erden machte,
sich selbst gleichbleibend in ihrem Wesen, aber in verschiedenen
Entfaltungsphasen oder aufeinander folgenden Entwicklungsstufen: unter
dem Naturgesetz, unter dem Gesetz des Moses, unter David und den
Propheten, dann von der Rückkehr aus der Gefangenschaft bis zu Jesus
Christus, dann unter Jesus Christus selbst d.h. unter dem Gesetz der
Gnade und des Evangeliums.
Da ist zuerst die Zeit der Patriarchen, der Beginn der Offenbarung in
ihren beiden Hauptpartien, d.h. dem übernatürlichen Ziel und der
Vorsehung, die zu diesem Ziele führt: "Ohne Glauben aber ist es nicht
möglich, Gott zu gefallen; denn wer zu Gott kommt, muß glauben, daß er
ist und daß er denen, die ihn suchen, ein Vergelter ist." (Hebr. 11,6)
Sodann folgt die Verheißung des Erlösers, nachdem die ersten Menschen
gesündigt hatten (vgl. Gen. 3,15). Von da an also: das Naturgesetz.
Verbunden mit dem Glauben an diesen kommenden Erlöser machte es das
Wesen der Religion aus. Ihre Ausübung war an Familie und Sippe
gebunden. Der Vater war der Herrscher im Haus. Dies war der
Entwicklungsstand der Dinge bis zur Sintflut. Nach der Sintflut kam die
Erneuerung, und die wahre Religion wurde mit einigen zeitbedingten
Zusätzen von neuem in Kraft gesetzt. Aber die Menschen verwirrten immer
mehr die Überlieferung der von den Vätern ererbten Uroffenbarung, und
so entstand das Übel der Götzendienerei, die die ganze Welt anzustecken
drohte. Damals wurde mit der Berufung des Abraham eine neue und
denkwürdige Phase der Religion eingeleitet, die auf die beiden
vorangegangenen folgte, nämlich die Epoche der Patriarchen.
In der Person von Abraham als Stammvater wählte sich Gott ein Volk,
welches er von den andern Völkern absonderte, um durch es seinen Kult
bewahren zu lassen und um es für die Ankunft des Messias, des Erlösers,
vorzubereiten. Wir sehen seine Anfänge unter den Zelten von Mamre
Socoth und Sichern, seine Auswanderung nach Ägypten, seine wunderbare
Vermehrung, seine Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens, seine
Wanderung durch die Wüste, seinen Eintritt in das gelobte Land, die
langen Kriege gegen die umliegenden Völker in Palestina bis zum
friedlichen Besitz des verheißenen Landes. Dieses dritte Zeitalter in
der Religionsgeschichte ist gekennzeichnet durch drei große,
charakteristische Tatsachen: durch die Erneuerung der Verheißung des
Erlösers, dann durch die Einführung der Beschneidung als Bundeszeichen
Gottes mit den Nachkommen Abrahams, aus denen der versprochene Messias
hervorgehen sollte, endlich und vor allem durch die Promulgation des
mosaischen Gesetzes und durch dessen vielfältige Vorschriften, die alle
sinnbildlich sind für den kommenden Messias - jenes Gesetzes, welches
auf der Uroffenbarung basiert.
So wird auf die Religion der Patriarchen die mosaische Religion folgen,
die erst im vierten Alter der Religionsgeschichte zu ihrer vollen
Entfaltung kommen wird, welche mit dem König David beginnt. Tatsächlich
hatte während der ganzen Periode der Richter und des Königs Saul der
kultische Dienst erst eine provisorische Einrichtung. Der Tempel, den
Deut. 12,5 als "Zentrum und Herd" der Religion Israels bezeichnet,
fehlte immer noch. Und es war David, der seine Erbauung beschloß,
nachdem das ganze Land befriedet war. Er sammelte dafür Materialien und
überließ seinem Sohn Salomon die Ausführung des Baus, die er selbst nur
vorbereitet hatte. Dies war der Anfang einer neuen Epoche. Zur selben
Zeit, als der Kult des Alten Bundes zu seiner vollen Entfaltung kam,
stieg am Himmel Israels die volle Sonne der messianischen Prophetie
auf. Das vierte Zeitalter wird die Ära der Propheten sein, angefangen
bei Samuel (Apoc. 3,24). Nacheinander folgen Propheten in einem
Zeitraum von mehr als 5oo Jahren mit wunderbaren Ankündigungen über den
Messias mit immer signifikanteren Wesensmerkmalen. Welches
Fortschreiten zur Fülle der Zeit, wo sich alle Vorhersagen erfüllt
haben werden und die Religion endlich ihren Höhepunkt erreichen wird.
Jedoch sind wir noch nicht ganz dahingelangt. Es bleibt uns noch das
fünfte Zeitalter, welches als letzte Vorbereitung auf die Ankunft des
Messias diente und das den zweiten Bau des Tempels unter Zorobabel nach
der Rückkehr aus der Gefangenschaft umfaßt. Es war die Periode des
Wartens. Man bemerkt vor allem drei Momente:
a) den Abschluß der Prophetie des Alten Testamentes (Mal. 4,4-6);
b) das letzte Signal vor der relativ nahen Ankunft des seit mehr als
viertausend Jaren Ersehnten (Apg. 2,7-lo; Zach. 9,9; Mal. 3,1);
c) endlich die Zerstreuung der Juden über Groß- und Kleinasien,
Ägypten, Griechenland bis hin zum Zentrum des römischen Reiches, um
dort die hl. Schriften zu verbreiten und um den Ruhm Gottes, des Gottes
Israels, aufleuchten zu lassen unter den Heiden, um so die ersten
Fundamente für ihre künftige Bekehrung zum Messias zu legen.
Endlich kommt der Messias, den die Propheten angekündigt haben, und er
erfüllt in seiner Person alle ihre Verheißungen. Er predigt seine
himmlische Lehre, gründet seine Kirche, setzt die Sakramente ein,
opfert sich am Kreuz als Sühnopfer für unsere Sünden auf, steht von den
Toten auf, fährt zum Himmel empor, um kraft seines Blutes die Pforten
des ewigen Lebens zu öffnen. Kaum in den Himmel aufgefahren, sendet er
den Hl. Geist, der die Apostel erleuchtet und stärkt, so daß sie
unfehlbar und ohne Menschenfurcht das Gesetz Christi verkünden. Und
durch sie richtet er es in der ganzen Welt auf. Das ist das sechste
Zeitalter. Es ist die Zeit der abgeschlossenen Offenbarung, die
Erfüllung aller Vor-Bilder, die Zeit der letzten Phase der Religion auf
Erden, des neuen und ewigen Bundes. Das ist das Gesetz des Evangeliums,
das auch das Gesetz der Gnade genannt wird, welches mit der Fülle der
Reichtümer des Erlösers all das mit sich brachte, was alle anderen
vorausgehenden Gesetze an Hoffnungen enthielten und an Verheißungen
einschlössen. Infolgedessen trat es an die Stelle all der früheren und
schaffte sie alle ab, nicht aber, um seinerseits selbst wieder ersetzt
zu werden. Es löste sie ab wegen der umfassenderen Heilsoranung, die
immer gelten soll, ohne Abstriche oder Hinzufügungen, unveränderlich,
bis der Tag des Herrn aufleuchtet und die ganze Reihe der Zeitepochen
abschließt, um das Ende aller Dinge durch den Übergang in die
glorreiche Ewigkeit zu bringen. Das ist es, was der hl. Paulus in
seinem ausgezeichneten Brief an die Hebräer aufzeigt und entfaltet
(vgl. Hebr. , Kap.7-12). Dies ist auch der Schlüssel zu dem Begriff von
den "letzten Tagen", der "letzten Stunde", vom "Ende" oder der
"Vollendung der Jahrhunderte", wie sich die heiligen Schriftsteller
auszudrücken pflegen. Tatsächlich waren dies keineswegs Ausdrücke, um
eine kurze Zeitspanne zu bezeichnen, nämlich vom Ende des Alten Bundes
bis zur letzten Katastrophe, sondern vielmehr, um die letzte Phase der
Religion auf Erden zu bezeichnen, wie die vorhergehenden Darlegungen
zeigen. Es ist also gemeint: das letzte Zeitalter der Menschheit,
dessen Dauer keineswegs genau terminiert ist und dessen Ende im
undurchdringlichen Schleier des Vorherwissens Gottes verborgen bleiben
sollte, bis es ihm gefällt, ihn zu zerreißen. Der hl. Thomas vergleicht
dieses Zeitalter mit dem reifen Alter des Menschen, das ja auch nicht
genau begrenzt ist. So ist es auch mit dem Ende des Zeitalters, nach
dem kein neues mehr kommen wird. Nur in diesem Sinne kann man diese
Zeit bestimmen, indem man sagt, daß es das letzte Alter unseres Lebens
ist, die letzte Phase - die "letzte Stunde" -, die sehr wohl die
Zeitdauer der vorausgehenden Altersstufen übertreffen kann.
Das ist also die Lösung der exegetischen Schwierigkeit, die uns durch
den Rückgriff auf die Tradition der Väter gelang. Es ist eine in sich
einleuchtende Erklärung, die noch eine zusätzliche Bestätigung durch
die Tradition der Synagoge findet. Es ist eine von allen Rabbis
zugegebene Tatsache, daß in der Sprache der Propheten die Formel "die
letzten Tage" schlicht und einfach "die Zeit des Messias und seines
Gesetzes" bezeichnet. "Es ist der Tradition der alten Hebräer gemäß",
sagt Rosenmüller, der hierin kompetent ist, "daß durch die Formel
'novissimi dies' ('die letzten Tage1) die messianische Zeit bezeichnet
wird. Und was muß man unter der messianischen Zeit verstehen? Sicher
doch unwidersprochen dies: die ganze Epoche des Kommens des Messias bis
zum Ende der Jahrhunderte, mit anderen Worten: von der ersten bis zur
zweiten Ankunft des Herrn1.' Wir finden darüber in den Briefen der
Apostel selbst weitere Auskünfte. Wenn z.B. der hl. Petrus am
Pfingstfest zu der herbeigeströmten Menge sagt: "Was ihr hier seht, das
ist, was der Prophet Joel angekündigt hat: 'In den letzten Tagen, sagt
der Herr, werde ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure
Söhne und Töchter werden weissagen.'" Damit aber hatte Petrus zwei
Dinge verkündet:
1. die messianische Zeit war angebrochen, wie es die gegenwärtige
Erfüllung der Prophetie des Joel durch die Ausgießung des Hl. Geistes
in den letzten Tagen (5,14-21) beweist;
2. der Messias war dieser Jesus von Nazareth, kurz zuvor gekreuzigt und
getötet durch die Hand der Gottlosen, doch bestätigt durch die
Auferstehung am dritten Tage (5,22-36).
Das ist der Inhalt der Rede des Apostelfürsten in dieser feierlichen
Promulgation des Gesetztes des Neuen Bundes. Diese "letzten Tage" sind
also die Zeit, da der Messias gekommen war.
Die gleiche Deutung ergibt sich auch aus den apostolischen Briefen. Im
Hebräer-Brief legt der hl. Paulus dar, wie die Priester des Alten
Bundes Jahr für Jahr ins Allerheiligste des irdischen Zeltes eintreten
mußten, um das große Versöhnungsopfer darzubringen, daß aber der wahre
Hohe Priester, Jesus Christus, für immer ins Allerheiligste des Himmels
eingetreten sei, um die ewige Erlösung zu bereiten. Gleich darauf fährt
er fort: "Die vorhergegangenen Zeitalter waren nur die Schattenbilder
des kommenden Zeitalters". (Hebr. 9,1) Erst in Jesus Christus hatten
die Schatten Gestalt angenommen und die Vorbilder waren in die
Verwirklichung übergegangen, und so war das Zeitalter Christi die
Vollendung aller früheren, ihre Erfüllung und ihr Ziel. In 1 Kor. lo,11
spricht Paulus vom Auszug aus Ägypten und vom Aufenthalt in der Wüste
und den Strafen Gottes. Dann erklärt er: "Alle diese Dinge widerfuhren
ihnen zum Vorbild für uns, die wir in den letzten Zeiten leben" ("in
quos fines saeculorum venerunt"). Hier finden wir genau die gleiche
Gegenüberstellung der vorbildhaften Zeiten unter Moses mit der Epoche
ihrer Erfüllung unter Jesus Christus. Wir sehen, daß mit dieser Formel
die messianische Zeit als Ziel und Erfüllung der früheren Zeitalter
bezeichnet wird.
Seinerseits schreibt der hl. Johannes: "Liebe Kinder, es ist die letzte
Stunde, und wie ihr ja gehört habt, daß der Antichrist kommt, so sind
auch jetzt schon viele Antichristen aufgetreten. Daran erkennen wir,
daß es die letzte Stunde ist." (1 Joh. 2,18) Damit bezeichnet er die
messianische Zeit, nun aber durch ein besonderes Merkmal, nämlich durch
das Heraufkommen des Antichrist; denn an anderer Stelle (Kap. 3,8)
spricht er davon, daß der Sohn Gottes gekommen sei, um die Werke des
Teufels zu zerstören. Der Teufel aber wehre sich dagegen und habe dabei
seine Helfer, eben die Antichristen, und nicht schon d e n Antichrist,
der erst für die letzte Katastrophe angekündigt ist. Dieser hat aDer
seine Vorläufer, z.B. Antichristen als Irrlehrer, Häupter von Sekten,
Koriphäen der Gottlosigkeit, die schon gekommen sind und noch kommen
werden, bevor der letzte und endgültige Kampf stattfindet, bei dem
Christus schließlich d e n gottlosen Antichrist "mit dem Hauch seines
Mundes vernichten wird". Der hl. Johannes vertritt also die gleiche
Auffassung wie der hl. Petrus und der hl. Paulus. Sie alle sprechen von
der letzten Epoche der Welt, die schon zu ihrer Zeit begonnen hatte.
Diese letzte Ära ist eben das Zeitalter des christlichen Gesetzes, des
Gesetzes des im Fleisch gekommenen Messias.
Es bleibt noch eine letzte Schwierigkeit zu beheben übrig: man macht
nämlich den Einwand, diese letzte Epoche sei von Paulus an drei Stellen
ausdrücklich auf die erste christliche Generation eingeschränkt worden,
nämlich in 1 Thess. 4,13-18; 1 Kor. 15, 51 ff. Hier spricht der hl.
Paulus jedoch von denen, die noch bei der Wiederkunft Christi leben
werden, oder besser gesagt, von der letzten Generation vor der
Wiederkunft Christi, wobei er die erste Person in der Mehrzahl
gebraucht: "Wir, die noch leben...". Es ist dies die Lesung in der
Sterbemesse: "Wir wollen euch nicht im Unklaren lassen, Brüder, über
die Entschlafenen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine
Hoffnung haben. Denn wir glauben, daß Jesus gestorben und auferstanden
ist. Ebenso wird auch Gott die in Jesus Entschlafenen mit ihm
heimführen; denn das versichern wir euch mit einem Worte des Herrn:
wir, die wir leben und bis zur Ankunft des Herrn noch übrig bleiben,
werden denen, die entschlafen sind, nicht voraus sein. Er selbst, der
Herr, wird bei dem Befehlsruf, wenn die Stimme des Erzengels und die
Posaune Gottes erschallt, herniedersteigen vom Himmel. Dann werden
zunächst die Toten in Christus auferstehen. Darauf werden wir, die noch
leben und übriggeblieben sind, mit ihnen zusammen auf Wolken dem Herrn
entgegen in die Luft entrückt werden und so immerdar mit dem Herrn
sein. So tröstet einander mit diesen Worten." (1 Thess. 4,13- 18)
Paulus spricht hier in der ersten Person für die, die dann am Ende noch
leben werden. Er mußte dies so darlegen, weil das falsche Gerücht
umging, daß die schon Entschlafenen keinen Anteil an der Herrlichkeit
des kommenden Herrn hätten, sondern nur die Lebenden, und sie machten
sich deshalb große Sorgen wegen ihrer Verstorbenen. Der Apostel gibt
ihnen die Sicherheit und den Trost: die glorreiche Auferstehung derer,
die im Glauben und in der Liebe zu Jesus verstorben sind, ist eine
notwendige Folge der Auferstehung Christi selbst. Man brauche sie also
nicht zu beweinen, als ob sie sich nicht aus dem Staube zur glorreichen
Auferstehung und ewigen Unsterblichkeit erheben würden. Dann teilt er
ihnen mit: die Lebenden des letzten Tages, die aufbewahrt sind für die
Ankunft des Herrn, werden keinen Vorteil vor den anderen haben
hinsichtlich der Teilnahme am Triumph Christi. Denn diese Entschlafenen
würden als erste auferstehen, dann die anderen, die durch den
Weltenbrand sterben würden. Sie alle würden verklärt werden. Sie würden
dann gemeinsam zur Begegnung mit dem Herrn entrückt werden, um immerdar
mit ihm zu sein. Es gibt aber auch solche, die der Auferstehung zur
Verdammnis entgegen harren, während die hier erwähnten nur jene sind,
die zum Leben in ewiger Herrlichkeit auferstehen werden. Deshalb
spricht Paulus nicht einfachhin von den "Toten", sondern von den "Toten
in Christus" (Vers 16), womit er die Auserwählten und Vorherbestimmten
meint.
Die am Ende noch Lebenden werden bezeichnet mit den Worten: "Wir, die
Lebenden, der Rest, der noch übrigbleibt...". Es werden also nicht alle
am Ende zu Christus entrückt werden, sondern nur ein Rest. Wir denken
dabei an die Worte des Herrn: "Wird der Menschensohn, wenn er wieder
auf die Erde kommt, noch Glauben finden?" Fenier bemerkt er: "Und wie
es in den Tagen des Noe geschah, so wird es auch bei der Ankunft des
Menschensohnes sein. Die Menschen aßen, tranken, heirateten und gaben
zur Ehe, bis zu dem Tag, da Noe in die Arche trat und die Sintflut sie
überraschte. Dann werden von zwei Menschen, die noch auf dem Felde
sind, der eine aufgenommen werden, der andere zurückgelassen."
Kommen wir noch einmal zurück auf den Ausdruck: "Wir, die noch leben
werden". Gemeint sind diejenigen der Gemeinschaft der Christgläubigen,
die dann leben werden. Man sagt ja auch: wir haben den Krieg gewonnen,
d.h. unsere Leute, unsere Nation. Mit diesen "wir" sind nicht jene
gemeint, die Gott n i c h t kennen, weil sie dem Evangelium nicht
gehorchen wollen und die deshalb das ewige Verderben am Tage der
Ankunft Christi ereilen wird. Dann heißt es noch: "die
Zurückgebliebenen", womit die gemeint sind, die dann noch leben, d.s.
die Gläubigen der letzten Tage. Diese werden eine Minderheit sein,
genau wie die Zahl der Juden, die bei seiner ersten Ankunft an ihn als
den Messias glaubten. Paulus zitiert in diesem Zusammenhang Isaias, der
sagte: "Wäre auch die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres,
so wird nur ein Rest gerettet werden", und später (Kap. 11,5)
vergleicht er die geringe Zahl der Juden, die sich zu Christus
bekehrten mit den 7ooo, die ihre Kniee nicht vor Baal beugten. Dies
trifft in noch stärkerem Maß auf das Ende der Zeiten zu. "Die dann noch
übrig gebliebenen Gläubigen" werden glorreich von Christus aufgenommen
werden. "Qui residui sumus" übersetzt die Vulgata, d.h. die noch
übriggebliebenen, eine Minderheit auch im Vergleich zu denen, die schon
in Christus entschlafen sind.
Also zuerst werden sich die Heidenvölker bekehren; gegen Ende aber
kommt der große Abfall, so daß nur noch ein kleiner Rest übrig bleibt,
der an Christus glaubt, bei denen Christus noch den wahren Glauben
findet, wenn er zum zweiten Male kommt "in Herrlichkeit". |