VII. KAPITEL
DIE DARSTELLUNG DER PARUSIE IN DEN BRIEFEN DER APOSTEL.
Nachdem man dem Herrn die irrige Meinung über eine nahe bevorstehende
Parusie angedichtet hat, will man dies auch den Aposteln tun. Wenn
schon der Meister geirrt hat, dannmüssen sich erst recht die Apostel
geirrt haben. Nach den Modernisten ist ja das Evangelium nicht die
getreue Wiedergabe der Worte und Taten Jesu, sondern eine im Schoß des
Judaismus entstandene Schrift, wo man an einen baldigen Zusammenbruch
der alten Welt gedacht und eine neue Welt unter der Führung Christi
nach seiner Parusie erhofft hatte. So durfte es nach ihnen keinen
Widerspruch oder einen Unterschied zwischen dem Meister und seinen
Aposteln geben. Deshalb müssen nun die Apostelgeschichte, die Briefe
der Apostel und die Geheime Offenbarung hinsichtlich dieser Problematik
untersucht werden. Zuerst greifen wir die Texte auf, die ausdrücklich -
wie man sagt: ex professo - das Thema der Parusie behandeln.
Bei den Aposteln gibt es drei Textstellen, in denen das Thema der Parusie speziell dargestellt wird.
Die erste befindet sich im ersten Brief des hl. Paulus an die
Thessalonicher (5,1-3): "Über die Zeit und Stunde aber, Brüder, brauche
ich euchnicht zu schreiben. Ihr wißt ja selber genau, daß der Tag des
Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen werden: Frieden
und Sicherheit, dann überfällt sie plötzlich Verderben, wie Wehen über
Schwangere kommen, und sie werden nicht entrinnen."
Die zweite Stelle findet sich im zweiten Brief an die Thessalonicher
(Kap. 2,1-9): "Eine Bitte haben wir noch an euch, Brüder, bezüglich der
Ankunft des Herrn Jesus Christus und unserer Vereinigung mit ihm. Laßt
euch nicht so leicht aus der Fassung bringen und in Schrecken setzen,
weder durch Geistrede noch durch einen Ausspruch oder durch einen
angeblichen Brief von uns, als sei der Tag des Herrn schon da. Niemand
möge euch auf irgendeine Weise täuschen. Denn zuerst muß der Abfall
kommen und der Mensch der Gesetzlosigkeit offenbar werden, der Sohl des
Verderbens, der Widersacher, der sich über alles hinwegsetzt, was Gott
heißt oder Gottesverehrung. (...) Und ihr wißt, was ihn gegenwärtig
noch aufhält, daß er zu seiner Zeit offenbart werde. Zwar ist das
Geheimnis der Gesetzlosigkeit jetzt schon am Werk; doch muß der, der es
bis zur Stunde noch aufhält, erst beseitigt werden. Und dann wird der
Gottlose offenbart werden. Ihn wird der Herr Jesus durch den Hauch
seines Mundes töten und durch den Glanz seiner Ankunft zunichte machen.
Jener kommt in Satans Kraft mit Entfaltung aller Macht, mit
trügerischen Zeichen und Scheinwundern."
Endlich gibt es noch einen dritten Text im zweiten Brief des hl. Petrus
(Kap. 3,8-14): "Dies eine aber, Geliebte, darf euch nicht entgehen: Ein
Tag ist beim Herrn wie tausend Jahre und tausend Jahre sind wie ein
Tag. Der Herr ist nicht säumig mit seiner Verheißung, wie einige es für
Verzögerung halten, sondern er ist langmütig gegen euch, da er nicht
will, daß jemand verloren gehe, sondern daß alle zur Umkehr gelangen.
Kommen aber wird der Tag des Herrn wie ein Dieb. Dann werden die Himmel
mit reißender Geschwindigkeit vergehen, die Elemente aber in Feuersglut
sich auflösen und die Erde mitsamt den Werken, die darauf sind,
verbrennen. Weil nun dies alles sich so auflösen wird, wie sehr muß
euch heiliger Wandel und Frömmigkeit angelegen sein, indes ihr auf das
Kommen des Tages Gottes wartet und ihn beschleunigt, um dessentwillen
der Himmel sich in Feuer auflösen und die Elemente in der Glut
zerschmelzen werden. Einen neuen Himmel aber und eine neue Erde, worin
Gerechtigkeit wohnt, erwarten wir nach seiner Verheißung. Darum
Geliebte, da ihr solches erwartet, seid eifrig darauf bedacht,
untadelig vor ihm erfunden zu werden im Frieden."
Findet man darin - (in diesen drei Textstellen) - ein einziges Wort
oder auch nur eine Andeutung, die eine nahe Wiederkunft Christi
verraten? Steht nicht vielmehr gerade das Gegenteil darin? Der hl.
Paulus erinnert sich daran, daß Jesus, als er die Erde verließ, gesagt
hatte: "Euch ist es nicht gegeben, die Zeit noch die Stunde zu kennen,
die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat." Dies war die Antwort
auf ihre Frage: "Herr, wirst du in dieser Zeit das Reich Israel wieder
aufrichten?" Paulus hatte sie schon genügend darüber unterrichtet, daß
die Stunde der Parusie kommen werde "wie ein Dieb in der Nacht" und daß
es nicht möglich sei, sie vorherzusagen, noch daß es etwas nütze, in
dieses Geheimnis eindringen zu wollen, weswegen es viel nützlicher
wäre, nicht unvorbereitet zu sein und sich durch ein heiligmäßiges
Leben auf das Gericht Gottes einzustellen - zu welches Stunde es auch
sein möge: "Schlafet nicht wie die anderen, die keine Hoffnung haben,
sondern seid wachsam und nüchtern, nehmt als Schild den Glauben und die
Liebe und als Helm die Hoffnung auf das Heil."
Weil jedoch das Gerücht von der nahen Katastrophe umgeht, kommt Paulus
im zweiten Brief darauf zurück und macht weitere Angaben. Dieses Mal
korrigiert er ausdrücklich den Irrtum. Er will, daß man diesen
Gerüchten keinerlei Glauben schenken soll, die so leichtfertig in
Umlauf gesetzt wurden, indem er unter anderem ankündigt, daß zuerst
Ereignisse kommen müssen - über deren Verlauf und deren Verflechtung
untereinander er sich nicht weiter ausläßt, das ist wahr -, die aber
einen beträchtlichen Zeitraum in Anspruch nehmen würden. Denn der
allgemeine Abfall vom Glauben, die Werke der Bosheit, die noch
geheimnisvoll durch ein gewisses Etwas verhindert werden, die Ankunft
des "Bösen", des großen und wirklichen Antichrist, von dem alle andern
nur Vorläufer sind, dies waren alles keine Geschehnisse, die in einer
kurzen Zeitspanne hätten passieren können. (Der große Abfall z.B. setz
ja doch zuerst die Bekehrung der Heidenvölker voraus.)
Hören wir nun noch den hl. Petrus, der ganz im gleichen Sinn noch viel
ausführlicher schreibt, und der sich das zu eigen macht, was sein
vielgeliebter Bruder Paulus formuliert hat. Auch Petrus ist weit davon
entfernt, sich auf eine präzise Zeit festlegen zu wollen. Er hält sich
an das einzige, was wir notwendig wissen müssen: alle, ohne Ausnahme,
werden den Tag des Herrn erleben, wenn er kommt, um die Lebnden und die
Toten zu richten. So müssen denn alle ermahnt werden -jene, die bereits
gestorben sein werden und die, welche am Ende der Zeit noch leben -,
sich ohne Zögern auf diese Ankunft des Herrn vorzubereiten durch die
Übung guter Werke, indem sie sich freimachen von der Liebe zu den
vergänglichen Gütern, die ja ohnehin dazu bestimmt sind, für immer zu
verschwinden. Was aber vor allem herausgestellt wird, ist die Frage
nach dem Zögern Gottes hinsichtlich der Erfüllung seines Versprechens,
da er dafür keinerlei Datum festgelegt hat, weswegen sein Säumen nur
als eine Frist seiner Gnade verstanden werden kam. da er nicht will,
daß jemand verloren geht, sondern alle zur Umkehr gelangen. Dies ist
der tiefste Sinn des Gedankens der Apostel, nicht mehr und nicht
weniger. Man sucht darin vergeblich nach der fixen Idee eines nahen
Weltenendes. Aber diese Texte läßt man unerwähnt und man diskutiert
darüber nicht, weil sie zu offenkundig die falsche These der
Modernisten widerlegen.
Die Texte, die wir jetzt betrachten, nennt man auch p a r e n e t i s c
h e Texte, d.s. Mahnreden zur Übung der christlichen Tugenden im
Hinblick auf die Ankunft des Herrn: "Es ist die Stunde da", sagt der
hl. Paulus, "vom Schlafe aufzustehen". Er meint damit die Schläfrigkeit
nach dem Erkalten des ersten Eifers, oder wie es in der Apokalypse
heißt: "Kehre zurück zu deiner ersten Liebe, sonst komme ich über
dich!" Paulus fährt fort: "Jetzt ist uns das Heil näher als damals, da
wir zum Glauben kamen, die Nacht ist fortgeschritten, der Tag hat sich
genaht. Legen wir ab die Werke der Finsternis und ziehen an die Waffen
des Lichtes." (Rom. 8,11-12) An die Philipper schreibt er: "Freuet euch
allezeit im Herrn, noch einmal sage ich, freuet euch! Der Herr ist
nahe. Seid über nichts beunruhigt, werfet alle eure Sorgen auf den
Herrn!" (Phil. 4,4-6) Die Hebräer läßt er wissen: "Ausdauer ist
vonnöten." (Hebr. lo, 36) Der hl. Jakobus schreibt seinerseits: "Habt
Geduld, meine Brüder bis zur Ankunft des Herrn." (J·k. 5,7) Das sind
die mahnenden Texte,und man könnte noch weitere anführen. Die
Schwierigkeit besteht im Wesentlichen in der Interpretation von
Aussagen wie diesen: "Der Herr ist nahe." ("Dominus prope est.") -
"Siehe, der Richter steht vor der Tür". ("Ecce judex ante janum
assistit.") Aber haben wir nicht schon - in früheren Darstellungen -
die Lösung für die rechte Deutung dieser Texte gefunden? Für jeden
kommt doch der Herr schon, wenn jemand stirbt. Dann "steht er vor der
Tür". Der hl. Paulus spricht ja auch davon, daß er den guten Kampf
gekämpft, den Glauben bewahrt und daß ihn im übrigen die Krone der
Gerechtigkeit erwartet, die ihm der Herr geben wird, "aber nicht nur
mir, sondern allen, die seine Wiederkunft liebend erwarten." Hier sehen
wir wieder den doppelten Aspekt: einerseits das große Gericht am Ende
der Tage und andererseits dessen geheime Vorwegnahme beim Tode jedes
einzelnen. Einmal ist das Allgemeine Gericht und das andere Mal das
besondere Gericht gemeint. Beziehen sich diese Texte auf das erste
Kommen des Herrn zum persönlichen, d.h. besonderen Gericht nach dem
Tode jedes einzelnen, dann schwindet jede Schwierigkeit in der
Auslegung dieser Texte!
Die oben angeführten Mahnreden stehen also nicht im Zusammenhang mit
den Zeichen der Parusie und des letzten Gerichtes. Es handelt sich um
Texte, die das nahe Kommen des Herrn zum Inhalt haben, ohne die Macht,
die Herrlichkeit und die Majestät direkt oder indirekt zu erwähnen, wie
sie am letzten Tag der Welt in Erscheinung treten werden. Man liest
nur, daß der Herr nahe ist, daß der, der da kommen soll, nicht zögern
wird, daß der Richter schon vor der Tür steht - immer verbunden mit der
Mahnung, sich auf seine Ankunft vorzubereiten. An diesen Stellen wird
nicht von der "glorreichen Ankunft" ("adventus gloriae") unseres großen
Gottes und Heilandes Jesus Christus (Tit. 2,13) als solcher gesprochen.
Es handelt sich also nicht um die Offenbarung (apocalypsis) bzw.
Erscheinung (epiphania), worüber Paulus zu den Thessalonichern als von
dem Tag spricht, "da der Herr am Himmel erscheinen wird mit den Boten
seiner Macht, inmitten einer Feuerflamme, um jenen gegenüber
Gerechtigkeit zu üben, die nicht dem Evangelium gehorchen" (2 Thess.
1,7) und als von dem "Tag, an dem er kommen wird und verherrlicht sein
wird in seinen Heiligen u. von allen als bewundernswert anerkannt sein
wird, die geglaubt haben (2 Thess. 5,lo). An einer anderen Stelle
spricht er "von der Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus, die er
zur rechten Zeit herbeiführen wird, er, der selige und alleinige
Herrscher, der König der Könige und der Herr der Herren." (1 Tim.6,15)
Ähnliche Aussagen finden wir in 1 Kor. 1,7; Kol. 3,4; 2 Thess. 2,8; 1
Petr. 4,13 usw. Sicherlich haben wir hier eine ganze Reihe von
Textstellen vor uns, die alle dasselbe bezeugen: den letzten Tag der
Weltenzeit - und in diesen Texten ist nichts zu finden von einer nahen
Wiederkunft. Beide Textgruppen zeigen uns Jesus als den kommenden
Richter: die erstere als persönlichen Richter jedes einzelnen am Tage
des Betreffenden Todes, und die letztgenannte zeigen ihn als Richter am
Tage des Jüngsten Gerichtes für alle insgesamt, d.h. "bis zur
Erscheinung unseres Herrn Jesus", wie der hl. Paulus sagt, "damit zu
seiner Zeit offenbar wird der König der Könige, der Herr der Herren."
"Zu seiner Zeit"... das ist wahrscheinlich alles, was der Apostel
darüber weiß. Bezüglich der Zeit des Kommens des Antichrist drückt sich
Paulus genauso aus: "Und jetzt wißt ihr, was ihn noch zurückhält, damit
er sich zu seiner Zeit offenbare". (2 Thess. 2,6)
In den zuerst zitierten Stellen, in denen von der Parusie des Herrn die
Rede ist, spricht alles im Text von einem Kommen des Herrn, das sich
geheimnisvoll und unsichtbar vollzieht, in dem Maße wie der Tod die
Seelen in die Ewigkeit führt, wo dann über jeden der unwiderrufliche
und unabänderliche Richterspruch gefällt wird. Es bleibt nur noch
übrig, daß er bei der Parusie in Herrlichkeit der großen Öffentlichkeit
bekannt gemacht wird (vgl. 1 Kaor. 4,5). In der Form des Todes klopft
der Richter schon jetzt an jede Tür.
Die Apostel wollten jene mahnen, die schon viel für den Glauben
gelitten hatten (Phil. l,29-3o; Hebr. lo,32-37), die sich nach der
Krone sehnten, da sie schon in Gefahr waren, zu ermatten und die
christlichen Gemeinden zu verlassen (Hebr. lo,25), die nur noch wenig
durchzustehen hatten, um die Früchte so vieler Leiden und Mühen zu
ernten. "Erinnert euch aber der vergangenen Tage, in denen ihr nach
eurer Erleuchtung (gemeint ist die Taufe; Anm.d.Übers.) manch schweren
Leidenskampf bestanden habt (...), habt ihr doch mit den Gefangenen die
Leiden geteilt und den Raub eurer Güter mit Freuden hingenommen in dem
Bewußtsein, einen besseren und bleibenderen Besitz zu haben. So werft
eure Zuversicht nicht weg, die ja einen großen Lohn zu erwarten hat.
Ausdauer tut euch nämlich not, damit ihr, nach Erfüllung des göttlichen
Willens, die Verheißung erlangt. 'Denn nur noch eine kleine Weile, dann
wird kommen, der da kommen soll, und er wird nicht säumen. Mein
Gerechter aber wird aus dem Glauben leben. Wenn er jedoch zurückweicht,
hat meine Seele kein Wohlgefallen an ihm.' Wir aber gehören nicht zu
denen, die zurückweichen zum Verderben, sondern zu denen, die am
Glauben festhalten zur Rettung des Lebens." (Hebr. lo,32-39) Diese
Worte könnte man auch heute sagen, wo der Unglaube immer mehr zunimmt
und die Rechtgläubigen als altmodisch hingestellt werden. Solche Texte
aber kann man doch unmöglich auf die Parusie in Herrlichkeit anwenden!
Der hl. Paulus, der gerade gesagt hat, daß der Herr nahe sei und daß er
nicht zögern würde zu kommen, ermahnt hierauf die Gläubigen, "in Ruhe
zu leben, sich mit den eigenen Angelegenheiten zu beschäftigen" (1 Tim.
2,1), friedlich zu arbeiten, um den Lebensunterhalt zu verdienen (vgl.
2 Thess. 3,12), Gebete und Fürbitten für Könige und alle Würdenträger
zu verrichten, damit sie - die Christen - ein Leben in aller
Frömmigkeit und Ehrenhaftigkeit verbringen könnten (vgl. 1 Tim. 2,1).
Ist das die Sprache von Jemand, der sich am Vorabend des Weltendes
sieht, wo die grollenden Donnerschläge schon das nahe Ende ankündigen?
Paulus weist hier auf ein normal verlaufendes friedfertiges Leben hin,
unter der Norm der sozialen Ordnung, für die die Politiker
verantwortlich sind, für die er zum Gebet aufruft.
Hören wir noch den hl. Jakobus, der die Christen mit folgenden Worten
mahnt: "Seht, der Richter steht vor der Tür" ("Ecce judex ante januam
assistit."). Er sagt ihnen, daß sie nicht einmal wissen, was der
morgige Tag bringen wird, und daß sie trotzdem großartige Zukunftspläne
machen sollten. "Ihr wißt ja nicht, was morgen sein wird! Denn was ist
euer Leben? Ein Hauch seid ihr, der für kurz zu sehen ist und dann
wieder verschwindet. Statt dessen sollt ihr sagen: 'Wenn der Herr es
will, werden wir leben, wollen wir dies oder jenes tun.' Nun aber macht
ihr euch groß in eurem Übermut! Alles Großtun dieser Art ist böse.
(...) So harret geduldig aus, Brüder, bis zur Ankunft des Herrn. Wie
der Landsmann auf die köstliche Frucht des Feldes wartet, so harret
auch ihr geduldig aus. Stärket eure Herzen, denn die Ankunft des Herrn
ist nahe. (Jak. 4,14-16 u. 5,7-8) Dies ist eine einfache Ermahnung
hinsichtlich der Vergänglichkeit und der Kürze des menschlichen Lebens.
Denn die Ernte seines Lebens bringt jeder ein bei seinem Tode.
Auch die anderen Apostel gebrauchen dieses Argument von der Kürze der
Zeit und des menschlichen Lebens und haben dabei nicht eine nahe
Endkatastrophe im Blickfeld. Der hl. Paulus rät zur Jungfräulichkeit,
damit die Christen nicht so viele Sorgen und Bedrängnisse haben, "denn
die Zeit ist kurz". Kairos bedeutet die günstige Zeit, die Zeit der
Gnade. Oder er sagt: "Jetzt ist die Zeit des Heiles", (2 Kor. 4,2) und:
"So lange wir noch Zeit haben, lasset uns allen Gutes tun" (Gal. 4,5).
Weiter empfiehlt er "Erkaufet die Zeit, denn die Tage sind böse...";
"die Gestalt dieser Welt vergeht". Er sagt auch, die Besitzenden sollen
so leben, als besäßen sie nichts, die Verheirateten so als wären sie es
nicht.
Kommen wir zu den Aussagen des hl. Petrus, und zwar zum 4. Kapitel
seines ersten Briefes, in dem er den Gläubigen rät, nicht mehr nach
ihren Begierden zu leben, sondern nach dem Willen Gottes: "Es ist doch
genug, daß ihr früher den Willen der Heiden getan habt, indem ihr dahin
lebtet in Ausschweifungen, Lüsten, Trunkenheit, Schmausereien,
Zechereien und frevelhaftem Götzendienst. Darum sind sie nun befremdet,
daß ihr euch nicht in denselben Strudel des Verderbens mit
hineinstürzt. Deshalb lästern sie euch. Sie werden dem Rechenschaft
geben müssen, der bereitsteht, Lebende und Tote zu richten. (...) Aller
Dinge Ende aber hat sich genaht. Seid also besonnen und nüchtern zum
Gebet1. (1 Petr. 4,3-5 u.7) "Omnium autem finis appropinquavit" ("Das
Ende aller Dinge ist gekommen."). Soll das heißen: das Ende von allem?
Sicher, denn alle müssen sterben, die Heiden, von denen die Rede ist,
und ebenso die Christen. Für sie alle war der Tod nahe und mit dem Tod
das Urteil. Sodann fordert er sie auf: "Seid klug und nüchtern und dem
Gebet ergeben" (5,7-11), und es wird die Verfolgung vorhergesagt, die
über die Kirche Christi hereinbrechen sollte und ununterbrochen fast
dreihundert Jahre dauerte. Dieser Schock, diese Prüfung mußte
verkraftet werden. Deshalb mahnt er sie: "Seid nicht überrascht über
die Hitze der Verfolgung (...), das Gericht muß im Hause Gottes
beginnen." Eine schlimmere Gefahr aber als die Verfolgung seien die
falschen Lehrer und die falschen Propheten, die die christlichen
Gemeinden bedrohen würden. Diesen Prüfungen galt seine ganze Sorge beim
Abschied. Das war übrigens auch der größte Kummer des hl. Paulus.
Hatt sich das Ende aller Dinge genaht? Nein, sondern die Restauration
einer politischen Gemeinschaft (1 Petr. 2,3-17; Rom. 12,1-17), die
Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft (1 Petr. 3,1-7); die
Erneuerung der häuslichen Gemeinschaft in allen ihren Teilen (1 Petr.
2,18-23; Eph. 6,1-9); endlich die Erneuerung der ganzen menschlichen
Gesellschaft in den verschiedenen Ständen, aus denen sie besteht, und
die gegenseitigen Aufgaben der Gerechtigkeit und der Liebe, die diese
untereinander verbinden (Jak. 2,1-17; 1 Joh. 3,11-24 etc.) Man möge
über diese wunderbaren Stellen nachdenken und sagen, ob sie von der
Idee beherrscht sind, daß das Ende der Welt bald nahen würde.
Diejenigen, die dies geschrieben haben, haben vielmehr mit so viel
Klarsicht die Fundamente für eine Wiederherstellung der gesamten
öffentlichen und privaten sozialen Ordnung gelegt, auf der sich in den
kommenden Jahrhunderten nach den Ruinen einer barbarischen Zivilisation
eine christliche Ordnung aufrichten sollte. |