V. KAPITEL
DAS "UNWIDERLEGBARE" ARGUMENT DER MODERNISTEN:
"WACHET UND BETET; DENN IHR WISST NICHT DEN AUGENBLICK!" (MK. 13,33)
Jetzt müssen wir jene Ermahnungen zur Wachsamkeit bei den drei
Synoptikern (Matthäus,Markus und Lukas) betrachten, die auf die
Prophetie der eschatologischen Reden folgen und die als moralische und
praktische Anwendung gemeint sind, die Jesus aus ihnen zieht. Daraus
wollen die Gegner dann den unwiderlegbaren Schluß ableiten: diese
Ermahnungen zur Wachsamkeit beweisen doch, daß Jesus das Ende eben doch
als nahe bevorstehend ansah.
Die Modernisten fragen nun: Richten sich diese Ermahnungen Jesu zur
Wachsamkeit an jene, die damals dabei waren? Wir finden die Mahnrede
einmal bei Matthäus: "Wachet also, denn ihr wißt nicht, zu welchem
Zeitpunkt euer Herr kommen wird. Und dies bedenket wohl: wenn der
Hausvater wüßte, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so würde er
sicherlich wachen und nicht in sein Haus einbrechen lassen. Seid also
bereit; denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr es nicht
vermutet." (Kap.24,42-44) Beim Evangelisten Markus lesen wir (Kap.
13,33-37): "Gebt acht! Wachet! Denn ihr wißt nicht, wann der Augenblick
daist. Es ist wie bei einem Manne, der außer Landes reiste, sein Haus
verließ und seinen Knechten Vollmacht gab, einem jeden für seine
Arbeit, und dem Torhüter befahl, wachsam zu sein. Wachet also, denn ihr
wißt nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder um
Mitternacht oder beim Hahnenschrei oder frühmorgens, damit ihr nicht,
wenn er unvermutet kommt, euch schlafend finde. Was ich euch aber sage,
das sage ich allen: wachet!" Und beim hl. Lukas heißt es (Kap.
21,34-36): "Habt aber acht auf euch, daß eure Herzen nicht von Rausch
und Trunkenheit und irdischen Sorgen belastet werden, damit euch jener
Tag nicht unversehens überfalle wie ein Fallstrick. Denn kommen wird er
über alle, die das Antlitz der Erde bewohnen. Wachet also allezeit und
betet, damit ihr imstande seid, all dem zu entrinnen, was da kommen
wird, und zu bestehen vor dem Menschensohn!"
Sind diese Ermahnungen nur an Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas und
die anderen gerichtet, die am Vorabend der Passion mit Jesus am Ölberg
zusammen waren und seine Antwort auf die beiden Fragen hörten?
Die Modernisten meinen, sie hätten uns mit dieser Frage in ein
auswegloses Dilemma gebracht. Denn ausdrücklich schließt Jesus mit den
Worten: "Was ich euch sage, das sage ich allen!" Wenn auch seine
Ankunft im Augenblick für sie noch ungewiß sein würde, so müßte sie
sich doch noch zu den Lebzeiten der Apostel ereignen, so schlußfolgern
sie. hätte er sie aber dann mit Knechten vergleichen können, die ihren
Herrn erwarten, wenn er zurückkomt von der Hochzeit, damit sie sogleich
öffnen können, wenn er anklopft? (Vgl. Luc. 12,35 ff.) Hätte er ihnen
brennende Lampen und Gürtel gegeben (im Gleichnis), die die Zeit der
Arbeit kennzeichnen, wenn sie schon gestorben wären? Könnten solche
Worte an Tote gerichtet sein, die in ihren Gräbern ruhen?
Diese Mahnung gelte dann doch wohl für alle Generationen, damit sie zur
allgemeinen Wachsamkeit ermahnt würden, nicht aber speziell für die
Parusie. Kann dann eine solche Mahnung wirksam sein, wenn man nicht
weiß, ob etwas in einigen Jahrzehnten oder erst nach tausend Jahren
eintritt? Wenn jedoch dies die erste Generation in Atem gehalten hat,
so doch nur, weil sie wohl der Überzeugung war, daß sich die Ankunft
Christi in naher Zukunft ereignen würde! Hätten die Gläubigen aber
angenommen, daß die Ankunft Christi erst in ferner Zukunft läge, wie
hätte man sie dann zur Wachsamkeit anhalten können? "Was ich euch sage,
das sage ich allen!" Nach diesen Worten mußte doch Jesus seine
Wiederkunft als nahe bevorstehend angesehen haben, meinen sie. Also
täuschte Jesus die andern über die Stunde und den Tag seiner
Wiederkunft - oder aber, er täuschte sich selbst darüber - das ist die
Logik des gesunden Menschenverstandes, sagen die Modernisten. Die erste
Annahme fällt weg. Also bleibt nur noch die zweite: er täuschte sich
selber. Dann aber kann er nicht der Sohn Gottes gewesen sein, der
niemanden täuscht und sich selbst natürlich auch nicht täuschen bzw.
sich irren kann.
Die Einwände, die von den Modernisten vorgebracht werden, sind sehr
alt, schon 15oo Jahre. Bereits der hl. Augustinus widerlegte sie: "Was
zu fürchten ist am letzten Tag der Welt, der wie ein Dieb die Gottlosen
überrascht, das muß jeder von uns am letzten Tage seines Lebens für
sich befürchten aus dem gleichen Grund. In der Tat wird jeder sich am
Tage des letzten Gerichtes in jenem Zustand vorfinden, in dem er sich
am letzten Tage seines Lebens befunden hatte, und wie man an diesem
stirbt, so wird man an jenem gerichtet werden. Darauf bezieht sich, was
im Evangelium des Markus geschrieben steht: 'Wachet also, denn ihr
kennt nicht den Tag, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder
zur Mitternacht, beim Hahnenschrei oder am Morgen, daß er euch nicht
als Schlafende überrasche. Was ich euch sage, das sage ich allen:
wachet!' Wer sind denn 'alle', wenn nicht alle seine Gläubigen, all die
Glieder seines mystischen Leibes, der die Kirche ist, mit einem Wort:
alle Christen. Er sagte es also nicht nur allein für diejenigen, die
ihn damals hörten. Er sagt es auch uns, die wir nach ihnen gekommen
sind, und denen, die nach uns kommen werden bis zum Tage seiner letzten
Ankunft. Aber wie denn? (...) Dann wird für jeden kommen der letzte
Tag, wenn für ihn der Augenblick kommt, aus diesem Leben zu scheiden.
Deshalb muß jeder Christ wachen, damit die Ankunft des Herrn ihn nicht
unvorbereitet finde, wann immer er ihn finden sollte am Ende seines
Lebens. Das also ist die klare Lösung des Problems: der letzte Tag des
Lebens ist für jeden auch der letzte vor der Ankunft des Herrn. Der Weg
des Menschen endet mit seiner irdischen Existenz, und von seiner
irdischen Existenz hängt absolut ab seine ewige. Der Tod läßt uns für
immer in jenem Zustand der schweren Sünde z.B., ohne daß wir noch eine
Möglichkeit hätten, jemals etwas zu ändern. Das Urteil des Herrn ergeht
über das, was wir in unserem Leibe getan haben, sei es Gutes, sei es
Böses... und dies am Tage des Besonderen Gerichtes, von dem das Letzte
Gericht nur eine Wiederholung und feierliche Bestätigung sein wird.
Alles vollzieht sich also für jeden von uns so, als ob es gar keine
Zwischenzeit gäbe zwischen dem Besonderen und dem Letzten Gericht, dem
letzten Tag des Lebens und der Parusie. Daraus folgt, daß vom
Gesichtspunkt der Wachsamkeit aus und der sorgfältigen Vorbereitung,
die für die Parusie zu treffen ist, dieselbe Bedingung für alle
Menschen unterschiedslos gilt, für die Menschen vor uns, für die heute
Lebenden und für die, die morgen leben werden. So ist jene Mahnung für
alle von derselben brennenden Aktualität: 'Wachet also und betet ohne
Unterlaß, damit ihr für würdig befunden werdet, an jenem Tage den Übeln
zu entgehen, die kommen werden, und aufrecht vor dem Menschensohn
erscheinen könnt.'" (Vgl. Augustinus: "Gottesstaat" 2o. Buch "de fine
saeculi" - "vom Ende der Welt".)
Ähnlich treffend formuliert der hl. Hieronymus: "Der Tag des Herrn -
oder die Parusie - wird verstanden als Tag des Gerichtes, sei es für
jeden individuell am Tage des Auszuges aus seinem Körper, oder für die
Allgemeinheit der Tag des Letzten - allgemeinen - Gerichtes; denn was
am Ende sich an allen vollzieht, das vollzieht sich für jeden einzelnen
bei seinem Tode." Ich schlage das Evangelium des hl. Lukas auf: "Habet
acht, hütet euch vor aller Habsucht. Denn auch inmitten des Überflusses
ist das Leben des Menschen nicht durch seine Güter gesichert. (...) Zu
dem, der seiner Seele sagt: 'Seele, du hast viele Güter liegen für
viele Jahre, ruh aus, iß, trink, laß dir wohl sein', spricht Gott: 'Du
Tor, diese Nacht noch wird man deine Seele von dir fordern. Wem aber
wird gehören, was du aufgespeichert hast?' So geht es einem jeden, der
für sich Schätze sammelt und nicht reich wird vor Gott." (Luc.
15,12-21.)
Hier ist weder die Rede vom Ende der Welt noch von der Erscheinung des
Menschensohnes auf den Wolken des Himmels noch von der allgemeinen
Auferstehung. Es handelt sich um eine Warnung, wie sie alle Tage
ausgesprochen werden kann. Jesus sagte hernach zu seinen Jüngern:
"Darum sage ich euch: sorgt euch nicht ängstlich um euer Leben, was ihr
essen Cmüßt), noch um den Leib, was ihr anziehen sollt. (...)
Verkaufet, was ihr habt und gebt es als Almosen. Schafft euch Beutel,
die nicht veralten, einen Schatz im Himmel, der nicht vergeht, an den
kein Dieb herankommt und den keine Motte zerfrißt. Denn wo euer Schatz
ist, da wird auch euer Herz sein. Eure Lenden seien umgürtet und
brennende Lampen in euren Händen. Ihr sollt Menschen gleichen, die
ihren Herrn erwarten, wenn er von der Hochzeit zurückkehrt, damit sie
ihm sogleich auftun, wenn er kommt und anklopft. Selig jene Knechte,
die der Herr bei seiner Ankunft wachend findet. Wahrlich, ich sage
euch: er wird sich umgürten, sie zu Tische liegen lassen, umhergehen
und sie bedienen. Und wenn er in der zweiten oder dritten Nachtwache
kommt und sie so findet, selig sind jene Knechte. Das aber bedenket:
wenn der Hausvater wüßte, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so würde er
wachen und nicht in sein Haus einbrechen lassen. Darum seid auch ihr
bereit; denn der Menschensohn wird zu einer Stunde kommen, da ihr es
nicht vermutet." (Luc. 12,22-23,33-40) Und all das lesen wir nicht in
der Folge einer endzeitlichen Prophetie, sondern im Kontext einer
Belehrung über die Loslösung von den Gütern dieser Welt.
Es ist die Moral des Gleichnisses vom reichen Mann, der daran dachte,
seinen Speicher zu erweitern und seine Besitztümer zu vergrößern, um in
aller Gemütlichkeit ein bequemes Leben zu führen. Da plötzlich
überrascht ihn der Tod. Hier ist nun auch die Rede vom Kommen des
Menschensohnes. Aber dieses Mal unter einem anderen Gesichtspunkt,
nämlich dem des alltäglichen Lebens und des persönlichen Sterbens eines
jeden einzelnen, welches eine Vorwegnahme des Letzten Gerichtes ist,
welches am Ende der Weltenzeit stattfinden, jetzt allerdings bereits im
Besonderen Gericht beim Tode jedes einzelnen abgehalten wird.
Bei Matthäus finden wir dieselbe Mahnung zur Wachsamkeit vorgetragen,
sowohl nach der Rede über die Parusie als auch nach dem Gleichnis über
den Tod. Denken wir doch an die Worte im CREDO: "er wird wiederum
kommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten" ("et
iterum venturus est cum gloria, iuducare vivos et mortuos"). Aber kommt
der Tod denn immer überraschend? "Ihr wißt nicht, zu welcher Stunde der
Herr kommt" heißt: ihr wißt nicht, wann ihr sterben werdet, wie lange
ihr noch leben werdet, wann Gott die Stunde eures Todes bestimmt hat.
Das gilt doch im Allgemeinen, wenn auch zuweilen Menschen eine Ahnung
haben, daß sie bald sterben werden oder ein Jahr zuvor ihren Tod
ansagen. Das sind aber Ausnahmen. |