IV. KAPITEL
BESONDERHEITEN BEIM HL. MATTHÄUS UND BEIM HL. MARKUS ÜBER
DEN GREUEL DER VERWÜSTUNG, DEN DER PROPHET DANIEL VORAUSGESAGT HAT.
Die Darstellung des hl. Lukas übergeht einen Punkt vollständig, über
den die beiden Evangelisten Matthäus und Markus ausführlich berichten,
nämlich über den "Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte", der vom
Propheten Daniel vorausgesagt wurde. (Matth. 24, Mk. 13.)
Das Verständnis dieser Stelle setzt eine besondere Kenntnis der Hl.
Schrift voraus, besonders die Kenntnis der Propheten und insbesondere
die des Propheten Daniel, also alles Dinge, die den Nicht-Juden fremd
waren, für die aber, wie man weiß, das dritte Evangelium bestimmt war.
Daraus erklärt sich diese Auslassung ganz natürlich. Deshalb müssen wir
unsere Studie durch die Analyse der Stelle bei Matthäus über den
"Greuel der Verwüstung" vervollständigen, weil sie besondere
Schwierigkeiten enthält, die geklärt werden müssen.
Dieser Vers folgt unmittelbar auf die Passage: "Und dieses Evangelium
wird auf der ganzen Welt verkündigt werden zum Zeugnis für alle
Heidenvölker und erst dann kommt das Ende." (Matth. 24,14) Jesus hatte
zuvor gesagt, daß man von Kriegen und Kriegsgerüchten, von Pest,
Hungersnot usw. hören würde, daß heftige Verfolgungen sich gegen die
Kirche erheben würden, daß falsche Propheten in großer Zahl aufstünden,
daß die Liebe bei vielen erkalten würde, daß nur derjenige gerettet
würde, wer bis zum Ende ausharren würde. Nachdem er angekündigt hat,
das Evangelium müsse zuerst auf der ganzen Erde zum Zeugnis für alle
Nationen verkündet werden, woraufhin das Ende
folgen würde, fährt er fort: "Wenn ihr also den Greuel der Verwüstung
sehet am heiligen Ort, der vom Propheten Daniel vorausgesagt ist - wer
das liest, bedenke es wohl - so sollen jene, die in Judäa sind, in die
Berge fliehen, und wer auf dem Dache ist, kehre nicht zurück, um etwas
aus dem Hause zu holen, noch wer auf auf den Feldern, ist, um seinen
Mantel zu holen. Wehe den schwangeren Frauen und ihren Kindlein in
jenen Tagen! Betet, daß eure Flucht nicht in den Winter oder auf einen
Sabbath falle; denn es wird alsdann eine so große Betrübnis sein, wie
es noch keine bisher seit Beginn der Welt gegeben hat und nie wieder
eine geben wird. Und würden jene Tage nicht abgekürzt, so würde niemand
entkommen. Aber um der Auserwählten willen werden jene Tage abgekürzt
werden. Und wenn man euch sagt: Christus ist hier oder dort, so glaubt
es nicht; denn es werden falsche Christusse und falsche Propheten
aufstehen und werden große Scheinwunder und außerordentliche Dinge tun,
um selbst die Auserwählten zu verführen, wenn dies möglich wäre. Seht,
ich habe es euch gesagt. (...) Und alsbald nach der Trübsal dieser Tage
wird die Sonne sich verfinstern, der Mond nicht mehr seinen Schein
geben und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird
am Himmel das Zeichen des Menschensohnes erscheinen." (Matth. 24,15-3o)
Es folgt der bekannte Schluß.
Das ist die Schilderung der Ereignisse vom Greuel der Verwüstung, den
Daniel voraussagte, und hier wird nun der betreffende Zeitpunkt
angegeben, nämlich die Belagerung und der Fall Jerusalems. (Vgl. Daniel
9,24-27)
Diese Stelle steht vor der berühmten Prophetie von den siebzig
Jahrwochen, nach denen - d.i. nach der Tötung Christi - "ein Volk
kommen wird, geführt von einem Heerführer, um die Stadt und das
Heiligtum zu zerstören, und dann wird im Tempel der Greuel der
Verwüstung sein und dieser wird bis zum Ende dauern." Wir haben also
hier zwei Vorkommnisse zu beachten:
1. die Parusie, die auf die Tage äußerster Trübsal folgen soll und der der von Daniel vorhergesagte Greuel vorausgeht, und
2. den Greuel der Verwüstung, den Daniel selbst festlegt auf die Zeit der Belagerung von Jerusalem durch die Heere des Titus.
Wie ist dies miteinander vereinbar:
a) der Greuel der Verwüstung bei der Zerstörung von Jerusalem,
b) der Greuel der Verwüstung am Ende der Zeiten?
Die meisten kennen von den Prophetien Daniels diese berühmte von den
siebzig Jahrwochen, wissen um ihre Wichtigkeit hinsichtlich des Kommens
des Messias. In allen Kommentaren wird sie ausführlich behandelt, so
daß die anderen Prophezeiungen Daniels in den Hintergrund treten. Man
nennt hier nur die Stelle Daniel 9,24-27 so, als würde Daniel nur an
dieser Stelle vom Greuel der Verwüstung sprechen. Aber dies ist ein
offenkundiger Irrtum; denn man kann feststellen, daß Daniel den Greuel
der Verwüstung für drei verschiedene Epochen vorausgesagt hat, die
genau gegeneinander abgegrenzt sind:
1. für die Zeit der Verfolgung durch Antiochus IV. (Kap. VII,13 und XI,31);
2. für die Zeit der Belagerung und den Untergang Jerusalems (IX,27);
3. endlich für die Zeit des Antichristen, des Endes der Welt und der Auferstehung der Toten (XII,11).
Betrachten wir kurz diese drei Stellen, indem wir die Besonderheiten,
durch die sie sich unterscheiden, hervorheben. Denn aus den
Beobachtungen, die wir dabei insgesamt machen werden, erhalten wir
Klarheit über jene Stelle des Lukasevangeliums, die uns sonst
Schwierigkeiten bereiten könnte.
1. Ein erster "Greuel der Verwüstung" war vorausgesagt für die Zeit des
Antiochus Epiphanus, dieses "Sproß der Sünde", wie ihn das Buch der
Makkabäer nennt. Dieser heidnische König hat es zum ersten Mal
unternommen, nicht nur das Land Israel zu erobern, sondern auch
versucht, die Religion des wahren Gottes durch eine sehr grausame
Verfolgung abzuschaffen. Er wird deshalb von den Kirchenvätern als
Repräsentant bzw. Vorläufer des Antichrist angesehen. Und wie lange
wird dieser Greuel der Verwüstung - gemeint ist die Aufstellung einer
heidnischen Götterstatue im Tempel - im Heiligtum bleiben? Auf diese
Frage wird Daniel die Antwort zuteil: "Bis zu 23oo Tagen. Danach wird
das Heiligtum wieder gereinigt werden." (Daniel, VIII,13 ff.) Dieselbe
Prophetie wird wiederholt, und zwar noch ausführlicher im XI. Kapitel,
wo der Engel Daniel u.a. über den Verfolger belehrt: "Truppen, von ihm
ausgesandt, werden das Heiligtum verwüsten, sie werden bewirken, daß
das immerwährende Opfer aufhört, und sie werden den Greuel der
Verwüstung errichten ("auferent Juge sacrificium et dabunt
abominationem in desolationem") und dies bis zur festgesetzten Zeit, da
nach der Züchtigung Israels wieder bessere Tage der Ruhe und des
Friedens kommen werden." (Daniel XI,31 ff.)
Es ist also offenkundig, daß wir es hier mit einem "Greuel der
Verwüstung" zu tun haben, auf den unser Herr nicht hingewiesen haben
konnte, als er sagte: "Wenn ihr den Greuel der Verwüstung an heiliger
Stätte seht, der vom Propheten Daniel vorhergesagt wurde...", da diese
Prophezeiung sich schon in der Vergangenheit erfüllet hatte, eben zur
Zeit des Königs Antiochus IV. Der Bericht der Makkabäer kann uns
konkret vor Augen führen, was damit gemeint war:"Greuel der Verwüstung
an heiliger Stätte": "Da erließ der König ein Dekret für sein ganzes
Reich: alle sollten ein Volk werden und jeder seine Gebräuche aufgeben.
Alle Völker fügten sich dem Befehl des Königs. Selbst die Israeliten
fanden Gefallen an seinem Kult, opferten den Götzen und entweihten den
Sabbath. Der König sandte Boten mit schriftlichen Anweisungen nach
Jerusalem und in die Städte Judas, sie sollten sich den fremden Sitten
anpassen und die Brand-, Schlacht- und Trankopfer aus dem Tempel
verbannen, die Feste sowie das Heiligtum und die Heiligen entweihen.
Dagegen sollten sie Altäre, Tempel und Götzenkapellen errichten,
Schweine und andere unreine Tiere opfern, ihre Söhne unbeschnitten
lassen und sich selbst durch allerlei Unreines und Greuliches
beflecken. Sie sollten so das Gesetz vergessen und alle Satzungen
abschaffen. Wer aber nicht nach dem Befehl des Königs handelte, sollte
sterben. (...) Am 15. Kisleu des Jahres 145 errichtete der König den
Greuel der Verwüstung auf dem Brandopferaltar, und in den Städten Judas
ringsum erbauten sie Altäre. An den Haustüren und an den Straßen
brachten sie Rauchopfer dar. Die Gesetzesbücher, die sie auftreiben
konnten, zerrissen sie und warfen sie ins Feuer. Fand man bei jemandem
ein Buch des Bundes oder beobachtete einer das Gesetz, dann verurteilte
ihn der königliche Erlaß zum Tode." (1 Makk 1,41-57)
Ferner lesen wir in 2 Makk. VI,1 ff.: "Nicht lange danach sandte der
König einen alten Athener, der die Juden zwingen sollte, von den
Gesetzen der Väter abzufallen und nicht mehr nach GottesGesetz als
Staatsbürger zu leben. Er sollte auch den Tempel in Jerusalem schänden
und dem olympischen Zeus weihen. Schwer erträglich und zuwider war aber
selbst dem Volk die Zunahme der Bosheit. Denn das Heiligtum wurde von
den Heiden zu Ausschweifungen und wüsten Gelagen benützt. Sie suchten
ihr Vergnügen mit Dirnen und ließen sich in den heiligen Vorhöfen mit
Frauen ein. (...) Es gab keine Sabbathfeier mehr noch eine Einhaltung
der von den Vätern überkommenen Feste. Man konnte sich überhaupt nicht
mehr als Juden bekennen. Mit hartem Zwang führte man sie monatlich zum
Opfermahl am Geburtstag des Königs. Am Dyonisosfeste wurden sie
gezwungen, mit Epheu bekränzt an der Dyonisosprozession teilzunehmen.
Auf Veranlassung der Leute von Ptolemais erging auch ein Befehl an alle
griechischen Städte, sie sollten das gleiche Verfahren gegen die Juden
anwenden. Die sich zur Annahme des griechischen Wesens nicht
entschließen konnten, sollte man hinrichten. Da konnte man nun sehen,
welch ein Elend sich einstellte."
Also, der "Greuel der Verwüstung" bestand in der Weihe des Tempels an
den olympischen Zeus und in der Einführung heidnischer Feste. Im
Wesentlichen bestand der Greuel der Verwüstung in der Ächtung des
göttlichen Kultes, insbesondere des wahren Opfers, welches dessen
wichtigster Bestandteil war. Hinzu kam die Profanierung des heiligen
Landes und des Tempels durch die Einführung eines sakrilegischen und
götzendienerischen Kultes sowie die Umwandlung selbst des Tempels in
einen Ort der Prostitution und der Unzucht. Dies geschah um das Jahr
16o v.Chr. und dauerte nur knapp drei oder vier Jahre. Dann hörte die
Verfolgung auf und der göttliche Kult wurde wieder eingesetzt unter den
früheren Bedingungen, nachdem zuvor der Tempel und der Altar gereinigt
worden waren. (Vgl. 1 Makk. IV,36 und 2 Makk. X,1 ff.)
2. Überspringen wir jetzt einen Zeitraum von zwei Jahrhunderten und
kommen wir zum Greuel der Verwüstung, der kennzeichnend ist für das
letzte Unglück Jerusalems: Christus wird getötet, der Neue Bund ist
geschlossen, der Alte Bund ist abgeschafft, die Synagoge verworfen.
Hierauf folgen dann die Katastrophen: "Siebzig Jahrwochen sind für dein
Volk und deine heilige Stadt bestimmt, bis dem Frevel ein Ende gemacht,
die Sünde versiegelt und die Schuld gesühnt wird, bis ewige
Gerechtigkeit herbeigeführt und der Allerheiligste gesalbt wird. Wisse
aber und merke dir: von der Zeit an, da der Ausspruch erfolgt, daß
Jerusalem wieder aufgebaut werden soll, bis auf Christus, den Fürsten,
werden sieben Wochen sein und zweiundsechzig Wochen (d.s. Jahrwochen,
Anm.d.Red.), und Straßen und Mauern werden wieder aufgebaut werden in
bedrängter Zeit. Und nach den zweiundsechzig (Jahr)wochen wird Christus
getötet werden, und sein Volk, das ihn verleugnen wird, wird nicht mehr
sein. Und ein Volk wird mit einem heranziehenden Fürsten Stadt und
Heiligtum zerstören. Ihr Ende wird Verwüstung sein, und Verwüstung ist
verhängt nach Beendigung des Krieges. Aber eine Woche wird für viele
den Bund festigen, und in der Mitte der Woche werden Schlacht- und
Speiseopfer aufhören; im Tempel wird der Greuel der Verwüstung sein,
und bis zur Vollendung und zum Ende wird die Verödung dauern." (Dan.
IX,24-27)
Nach dieser Prophezeiung mußte sich also beim Fall Jerusalems 'etwas
ähnliches ereignen wie bei dem gottlosen Antiochus: eine Entweihung des
heiligen Ortes, des Heiligtums und eine sakrilegische Verletzung all
dessen, was der Tempel an Heiligstem barg, aber diesmal unter ganz
anderen Bedingungen als das erste Mal und in einem Komplex von
Umständen, die allem einen besonderen Akzent gaben.
Zuerst müssen wir bemerken, daß der Tempel, dessen Verwüstung hier
angekündigt wird, nicht mehr wie in den Tagen des Antiochus der Tempel
des wahren Gottes und der wahren Religion mit allen Vorrechten war.
Seit fast vierzig Jahren hatte er alle Privilegien verloren, und zwar
in dem Augenblick, als beim Tode Christi der Vorhang des Tempels (zum
Allerheiligsten) von oben bis unten zerriß und damit der Alte Bund zu
Ende gegangen war, und infolgedessen das vorbildhafte Gesetz der durch
es versinnbildlichten Wahrheit Platz machte und das mosaische Gesetz
mit seinen Riten, seinen Sakramenten, seinem Priestertum, seinem Altar
und seinen Zerersonien für immer abgeschafft war. Von da an hatten
diese Zeremonien aufgehört, rechtmäßig zu existieren, und der Tempel
glich eher einer schönen Reliquie ohne Leben, ohne Gegenwart Gottes; er
war wie eine schöne Reliquie, sagte der hl. Augustinus, d.h. wie ein
verehrungswürdiger Toter, den man noch einige Zeit im Hause aufbahrt,
bevor man ihn beerdigt. Der Tod der Riten des Alten Bundes war somit im
"Totenhaus" - dem Tempel - konserviert bis zur festgesetzten Stunde der
Bestattung.
Durch neue und schreckliche Verbrechen des Synagoge sollte sich diese
"Beerdigung" zum Tragischen wenden und in einer Katastrophe
enden. Zur selben Zeit nämlich, als die Soldaten der Römer mit ihren
Götzen das heilige Land betraten, nahm der "Gre-uel der Verwüstung"
Besitz von dem Tempel, schlug dort gewissermaßen seine Wohnung auf. Es
geschahen so furchtbare Dinge im heiligen Bezirk des Tempels, daß diese
förmlich die Rache Gottes herabriefen. Worin bestand diesmal der
"Greuel der Verwüstung"?
Er bestand in den unerhörten Profanationen des Tempels während der vier
Jahre der Belagerung durch die Zeloten, die letzten Repräsentanten der
Synagoge, ihre Hohen Priester und des Sanhedrins, d.i. des Hohen Rates.
Diese hatten sich, in den Tempelbezirk, ja in den Tempel selbst, bis
ins Allerheiligste zurückgezogen wie in einen letzten Zufluchtsort bzw.
in eine Festung. Da begingen sie, verführt vom totalen Rasen der Hölle,
solche Verbrechen, daß Josephus nicht zögerte zu schreiben, daß sich
die Erde selbst aufgetan hätte, um den Tempel mitsamt der Stadt zu
verschlingen, wenn die Römer - Werkzeuge der göttlichen Rache -
gezögert hätten, das Strafgericht Gottes zu -vollziehen, oder daß Feuer
vom Himmel gefallen wäre, um ein Geschlecht zu vernichten, welches
tausendmal verbrecherischer und gottloser war als die Leute von Sodoma
und Gomorrah. (Vgl. Josephus: "De bello iudaico" 1,IV, c.16)
Dies alles bezeugt, daß diesmal nicht der Feind von außen den "Greuel
der Verwüstung" im heiligen Bezirk verübte , sondern die Diener des
Heiligtums selber. Für die Zeit des Antiochus heißt es bei Daniel: der
Tempel wird nach 23oo Tagen gereinigt werden - aber auch: sie werden
den Greuel der Verwüstung etablieren. Das Volk jedoch, das seinen Gott
kennt, wird fest bleiben und so handeln, damit es geprüft, gereinigt
und geläutert wird, (vgl. Dan. XI,31-35) nicht wie in diesem Fall -
d.i. bei der Zerstörung Jerusalems -, da die Synagoge in einem letzten
Aufbäumen das Maß vollmachte, um sich unwiderruflich den Fluch
zuziehen, der niemals mehr aufgehoben werden sollte gemäß der Schrift:
"Und es wird im Tempel der Greuel der Verwüstung herrschen, und er wird
bis zur Vollendung und bis zum Ende der Zerstörung andauern."
3. Nun wollen wir uns der dritten Prophetie bezüglich des Greuel der
Verwüstung zuwenden, der für das Ende der Zeiten unter der Herrschaft
des Antichrist vorhergesagt ist, wo die Verfolgung am schlimmsten sein
wird. Diese Prophetie finden wir im 12. Kapitel des Daniel. Nach der
Prophezeiung, die die Zeit des Antiochus betrifft, führt der Engel der
Offenbarung Daniel in eine ferne Zeit, in der die größte Krise der
Weltgeschichte stattfinden soll und die dem Ende der Weltenzeit
vorangehen würde, auf welches folgen wird: die Auferstehung der Toten,
das allgemeine Gericht, die Belohnung der Guten und die Bestrafung der
Bösen, kurz, die Wiederherstellung aller Dinge für die Ewigkeit. Der
Engel ergreift nun wiederum das Wort, indem er fortfährt: "Zu jener
Zeit wird Michael, der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes
einsteht, sich erheben. Denn es wird eine Zeit kommen, die wie keine
gewesen, seitdem Völker sind bis zu jener Zeit. Dein Volk wird gerettet
werden in jener Zeit, ein jeder, der im Buch verzeichnet ist. Viele von
denen, die im Land des Staubes schlafen, werden erwachea, die einen zu
ewigem Leben, zur Schmach und zu ewigem Abscheu die anderen. Die
Gesetzeslehrer werden glänzen wie das leuchtende Himmelsgewölbe und
jene, die vielen zur Gerechtigkeit verhalfen, werden glänzen wie die
Sterne für immer und ewig. Du aber, Daniel, verschließe diese
Aassprüche und versiegele das Buch bis zur bestimmten Zeit. Sehr viele
werden es durchforschen und die Erkenntnis wird sich reich vermehren."
(Dan. 12,1-4)
Hier wird auch die Bekehrung der Juden am Ende vorhergesagt, die auch
Paulus (in Rom 11) vorhersagt: "... dann wird ganz Israel selig
werden."
Diese letzte Verfolgung, von der die des Antiochus nur wie ein
schwaches Abbild gewesen sein soll, wird eine Zeit der Betrübnis sein
wie nie zuvor. Michael selbst wird gegen Satan und den Antichristen
kämpfen. Dadurch unterscheidet sich diese Zeit von allen anderen. Auf
die Frage, in welcher Zeit diese Dinge geschehen werden, bekommt Daniel
zur Antwort: "Diese Worte sind versiegelt bis zur Endzeit (...); die
Gottlosen werden weiter gottlos sein und keinervon ihnen wird es
verstehen. Und von der Zeit an, wo das immerwährende Opfer unterdrückt
sein wird und der Greuel der Verwüstung aufgestellt wird, sind es 129oo
Tage. Glückselig, wer ausharrt und 1335 Tage erreicht! Du nun gehe dem
Ende entgegen und ruhe dich aus! Zu deinem Lose wirst du am Ende der
Tage auferstehen." (Dan. XII,9-13)
Soviel zu den Prophezeiungen des Daniel, die die Reihe der Voraussagen
über den Greuel der Verwüstung abschließt. Jeder wird den
beträchtlichen Unterschied zwischen der dritten und den vorausgehenden
zwei Prophetien über den Greuel der Verwüstung und auch den Schleier
des Geheimnisses , der diese dritte Vorhersage einhüllt, feststellen.
Immerwird uns die Zukunft mehr oder weniger verborgen bleiben, und die
Dinge werden anders kommen, als wir es angenommen haben, so daß der hl.
Irenäus sagen kann: "Die Prophetien sind vor ihrer Erfüllung für uns
Geheimnisse, für die wir keinen Schlüssel haben." Zudem trägt diese
letzte Prophezeiung nach ihrem eigenen Wortlaut ihr Geheimnis selbst in
sich: "Sie wird verschlossen und versiegelt bleiben". Daniel erklärt,
daß er sie nicht verstanden hat: "audavi et non intellexi", und als er
um die Erklärung bittet, sagt selbst der Engel, daß diese erst zur
festgesetzten Zeit gegeben wird: "usque ad praefinitum tempus". Mehr
noch: zur Zeit der Erfüllung werden die Gottlosen nichts begreifen, nur
die, die unterrichtet sind, werden es verstehen.
Es gibt gewisse Dinge allgemeiner Art, die der Text selbst ans Licht
bringt: diese Krise wird speziell von Gott verfügt und ein Mittel der
Reinigung für die letzte christliche Generation sein, diese Generation,
die die furchtbaren Verfolgungen der ungeheueren Katastrophe sehen
wird: "Quasi igne probantur multi" ("viele werden geprüft werden im
Feuer der Leiden"). Wir wissen somit u.a., daß zur Zeit der
schrecklichen Verfolgungen in der Endzeit die Ausübung der wahren
Religion geächtet sein und daß infolgedessen die Verehrung des wahren
Gottes aufhören wird, zumindest die öffentliche. Der wahre Gotteskult
wird also da aus der Öffentlichkeit verbannt sein, wo das immerwährende
Opfer aufhört oder unterdrückt sein wird. "A tempore cum oblatum fuerit
juge aacrificium". Hier, bei der dritten Prophezeiung werden weder der
Tempel noch das heilige Land erwähnt. Das Opfer, welches hier gemeint
ist, ist also das Opfer des Neuen Bundes, dem erst recht die
Bezeichnung "juge sacrificium" zukommt, da es ja überall und zu allen
Zeiten des Tages auf der ganzen Erde gefeiert wird. Gemeint ist also
das Opfer unserer Altäre, die hl. Meßfeier, die in diesen Tagen überall
geächtet, überall untersagt sein und die - abgesehen von jenen hl.
Meßopfern, die in den Katakomben, im Dunkeln und Verborgenen gefeiert
werden - überall unterbrochen sein wird.
Sodann wissen wir, daß zur selben Zeit der Greuel der Verwüstung
aufgerichtet wird: "... et posita fuerit abominatio desolationis". Aber
was bedeutet dieses Mal der "Greuel der Verwüstung"? Offenbar doch
etwas ähnliches wie zur Zeit des Königs Antiochus, als der Tempel in
Jerusalem dem Juppiter-Zeus geweiht wurde und von allen Arten von
Verunehrungen und Profanationen befleckt wurde. Es muß also irgendeine
monströse Idolatrie sein, ein Götzendienst, der in unseren
Gotteshäusern aufgerichtet wird, die damit zu Tempeln des 'Gottes der
Humanität1, des 'Gottes der Vernunft', des innerweltlichen 'Gottes'
umfunktioniert werden, der nun, nach so vielen Anstrengungen des freien
Denkens, endlich triumphiert über den transszendenten Gott der
Offenbarung: irgendein luziferisches Geheimnis, ausgebrütet in den
finsteren Konventen der Freimaurer und eingeführt in aller
Öffentlichkeit an der Stelle und am Ort der umgestürzten (oder
verdeckten) Tabernakel, irgendeine obskure Anbetung, bestimmt für Idole
aus Fleisch und Blut, wie es schon einmal in der Französischen
Revolution geschehen ist... oder irgend etwas ähnliches.
Welche Schlüsse lassen sich aus der Vergangenheit für die Zukunft
ziehen? Bossuet sagte einmal: "Ich zittere, wenn ich an die Zukunft
denke. Wir müssen uns genau an die Worte der Hl. Schrift halten, wo sie
die großen Auftritte des Antichrist vorhersagt, jenes Antichrist par
excellence, 'der sich gegen alles erheben wird, was Gott genannt wird,
so daß er sich sogar im Heiligtum Gottes niederläßt und sich als Gott
ausgibt'." Folgendes kann man vom Greuel der Verwüstung zur Zeit des
Antichrist sagen: bei seinem Erscheinen wird der Gottlose, der Mensch
der Sünde, der Sohn des Verderbens, durch die Macht Satans mit allen
Arten von Zeichen und trügerischen Wundern zur Verführung aller zur
Gottlosigkeit ausgestattet sein. All das rückt für uns schon in
greifbare Nähe durch den mehr als alarmierenden Fortschritt der Magie,
des Spiritismus, der Totenbeschwörung, des Satanskultes, der Theosophie
etc., mit einem Wort: des Fortschreitens aller okkulten Wissenschaften,
wie immer sie sich auch nennen und unter welcher Maske sie sich
verbergen mögen (vgl. 2 Thess. 2,9-lo).
Aber da gibt es noch ein größeres Geheimnis: Es wird uns nach den 129o
Tagen der Unterdrückung des immerwährenden Opfers gesagt: "Glückselig,
wer ausharren und erreichen wird den 1335. Tag." Es handelt sich hier
um "die glückselige Hoffnung auf die Ankunft unseres großen Gottes und
Heilandes Jesus Christus in Herrlichkeit" (Tit. 2,13; 1 Kor. 1,17;
Phil. 3,2o; 1 Thess. l.lo; Hebr. 9,28; 2 Petr. 3,12). Der hl.
Hieronymus meint bezüglich der 1335 Tage, daß sie die Stunde der
Parusie angeben, in der der Herr und Heiland in seiner Majestät
wiederkommen wird. Was aber bedeuten die 129o und was die45 Tage, die
dies vervollständigen? Dies sind undurchdringliche Geheimnisse, die uns
die eintreffenden Ereignisse enträtseln werden. "Man wird sagen:
Frieden und Sicherheit, und plötzlich wird sie das Verderben
überfallen, wie die Schmerzen die Gebärende, und sie werden nicht mehr
entkommen." (1 Thess. 5,3)
Aus all dem können wir nun hinsichtlich des "Greuels der Verwüstung",
den Matthäus anspricht, die Schlußfolgerung ziehen und ohne Probleme
sagen, daß Jesus zunächst das Kap. 9 bei Daniel im Auge hat, welches
die Epoche und die Ereignisse der Belagerung Jerusalems betrifft. Was
den "Greuel der Verwüstung" zur Zeit des Antichrist angeht, so
berichtet hierüber das 12. Kap. beim Propheten Daniel. Hierzu ist noch
eine Bemerkung zu machen: In diesem Text findet sich nichts, was die
umfassende Bedeutung des Ausdrucks "Greuel der Verwüstung" auf einen
bestimmten Ort und eine genau festgelegte Zeit einschränken würde,
während der "Greuel der Verwüstung" (im 9. Kap.) auf die Zeit der
Belagerung Jerusalems und das heilige Land beschränkt bleibt. Besonders
muß bemerkt werden, daß unser Herr nicht gesagt hat: Ihr werdet den
Greuel der Verwüstung, der von Daniel vorausgesagt wird, im Tempel
errichtet sehen, sondern er sagt: errichtet am heiligen Ort ("in loco
sancto"), was eine allgemeinere Aussage ist, die den jüdischen Horizont
überschreitet, d.h. über die Fixierung auf den Tempel hinausgeht und
die Gotteshäuser als heilige Orte mit einbegreift. Dazu kommt die
Aufforderung des Herrn: "Wer es liest, bedenke es wohl!"
Zusätzlich ist folgendes noch beachtenswert. Im Text des Matthäus heißt
es weiter unten: "Es wird dann eine so große Betrübnis sein, wie es
eine ähnliche nicht gegeben hat seit Beginn der Welt und wie es niemals
wieder eine geben wird." Das stimmt Wort für Wort mit dem überein, was
beim Propheten Daniel geschrieben steht: "Et veniet tempus, quale non
fuit, es quo gentes esse coeperunt usque ad illud."
Daraus geht hervor, daß unser Herr beide Stellen vom Greuel der
Verwüstung, von denen der Prophet spricht, im Auge hatte, die er so zu
sagen in einem Bild schaut: den Untergang Jerusalems und die Verfolgung
durch den Antichristen. Beide Ereignisse sind ja ganz ähnlich: auf der
einen Seite die Krise, die das Ende der jüdischen Religion anzeigte und
die der des Neuen Bundes Platz machte; auf der anderen Seite die
höchste Krise, die das Ende der Religion auf Erden ankündigt und die
Platz machen wird für die Religion des himmlischen Jerusalems in der
Ewigkeit. In beiden Fällen kann man sagen: eine so große Trübsal war
nie und wird es nie wieder geben wie sie die Rache Gottes einmal zur
Zeit der Belagerung Jerusalems hervorrief (Luc. 21,22), und zum anderen
in den Tagen der Verfolgung des Antichrist. Niemals sah man und wird
man wieder sehen eine solche Verfolgung, die Satan durch den
Antichristen und seine Helfer entfesselt, der seine Verführung
unbegrenzt und mit noch nie dagewesenen Scheinwundern und Zeichen
ausüben wird und der mit größter Grausamkeit die vernichten wird, die
ihm Widerstand leisten. Die Trübsal Jerusalems war ein Bild für jene
Trübsal, die über die ganze Welt am Ende kommen wird - und dann wird
das Zeichen des Menschensohnes erscheinen und er selbst wird kommen mit
"großer Macht und Herrlichkeit" und alle Völker werden wehklagen, nicht
jedoch der Rest der Gläubigen, die Auserwählten, die ausgeharrt haben
werden bis zum Ende.
Diese einfachen Beobachtungen widerlegen wieder einmal glänzend alle
Einwände und Scheinargumente der Gegner unseres Glaubens. Aber diese
geben sich nicht so schnell geschlagen und führen nun als
unwiderlegbares Argument eine Stelle im Petrusbrief an (2 Petr. 3,lo
ff.), aber dies wiederum nur zu ihrem eigenen und dem ihrer Anhänger
Verderben. |