I. KAPITEL
DAS ENDE JERUSALEMS UND DAS ENDE DER WELT,
VORHERGESAGT IN DEN ESCHATOLOGISCHEN' REDEN JESU.
- DER UNTERSCHIED
ZWISCHEN GESCHICHTLICHER UND PROPHETISCHER BETRACHTUNGSWEISE.
Es war am Abend jenes Mittwochs vor dem letzten Osterfest (d.i. der
Vorabend des Gründonnerstags). Jesus beendete gerade seine öffentliche
Predigt mit einem höchst wichtigen Hinweis für Jerusalem, die Stadt,
die "die Propheten mordet", welche zu ihr gesandt sind. Während er den
Tempel verließ, um ihn nie mehr zu betreten, lenkten die Jünger ihre
Aufmerksamkeit auf dieses grandiose Bauwerk. Der damalige Tempel war
nicht jener, der von Salomon erbaut, dann aber unter dem König
Nabuchodonosor durch die Assyrer zerstört worden war, sondern bereits
der zweite Tempel, der nach der Gefangenschaft unter Zorobabel wieder
aufgebaut und später durch Herodes I. neugestaltet worden war. Dies
hatte Herodes getan, wie wir bei Josephus nachlesen können, um alles zu
übertreffen, was man bis dahin gesehen hatte. In der Tat hatte man bei
der Neugestaltung des Tempels nicht gespart, weder an Menschen noch an
Geld noch an Gold, so daß dieser nach 46 Jahren ununterbrochener
Bauzeit zum beeindruckendsten Bauwerk der damaligen Welt gediehen war,
zum eigentlichen Wunderwerk der Antike. "Siehe, Meister!", sagte einer
der Jünger, "was für Steine und welch herrliche Gestalt!" Jesus aber
erwiderte: "Du siehst all diese Bauten! Kein Stein wird davon auf dem
anderen bleiben!" Diese Worte Jesu wurden gesprochen auf dem Weg zum
Ölberg, als sie das Zedrontal am Ostabhang des Ölberges durchschritten.
Jesus hatte Halt gemacht und sich gerade niedergesetzt, mit Blick auf
den Tempel, dessen imposante Silhouette sich gegen den Himmel in den
Strahlen der untergehenden Sonne abzeichnete.
Jetzt oder nie! Sie mußten eine Aufklärung über die soeben von Jesus
gemachte Äußerung erhalten! Und die vier vertrautesten Jünger, Petrus,
Jakobus, Johannes und Andreas, beeilten sich, die Frage zu stellen:
"Sage uns, wann werden diese Dinge geschehen, und welches wird das
Zeichen deiner Wiederkunft sein?" (Vgl. Matth. 24,1-51; Marc. 13,1-37;
Luc. 21,5-36.)
Diese Frage geht über die einfache Predigt Jesu hinaus, und es
überrascht nicht, daß der Herr nun ausführlicher antwortet; denn die
Jünger waren ja noch voller Vorurteile über Jerusalem und seinen
Tempel, so daß man begreifen kann, daß sich in ihren Gedanken der
Untergang Jerusalems mit dem Ende der Welt verknüpfte. Die Frage der
Jünger bezog sich also auf zwei Dinge: auf die Zerstörung des Tempels
und auf die Vorzeichen der Parusie und der letzten Katastrophe. Auf
diese beiden Komplexe wird sich auch die Antwort des Meisters beziehen,
allerding in eins gefaßt - und diese Zusammenfassung und Zusammenschau
der beiden Ereignisse, des Untergangs von Jerusalem und das Ende der
Welt mit der Wiederkunft Christi bieten die scheinbar unlösbaren
Schwierigkeiten und Widersprüche. Jesus stellt den Untergang Jerusalems
und das Ende der Welt sowie seine glorreiche Wiederkunft unter der
gleichen Perspektive dar. Aber, so darf man fragen: teilt er auch den
Irrtum derer, die ein nahes Ende erwarten? Unterstellen die Modernisten
wie z.B. Renan nicht zu Recht Jesus diese Annahme? Solchen Gedanken
könnte jemand beim oberflächlichen Lesen der eschatologischen Texte des
Evangeliums nachhängen. Wie aber lassen sich diese Schwierigkeiten
klären?
Die Lösung liegt darin, daß wir die prophetische Art der
Geschichtsbetrachtung ins Auge fassen und zudem beachten, daß in diesen
eschatologischen Reden eine Antwort auf zwei verschiedene Fragen
gegeben wird. Die Prophetie sieht die Ereignisse von der Höhe der
Ewigkeit her, in einer Gesamtschau mit transzendentem Blickwinkel,
wofür es in der weltlichen Literatur nichts Vergleichbares gibt... und
auch nicht in den anderen Berichten der Hl. Schrift. Dies vergißt man
gemeinhin. Man will die Predigt der künftigen Ereignisse den Regeln
unterwerfen, die für die vergangenen Ereignisse gelten. Man verwechselt
den Stil der Prophetie mit dem der Geschichtsschreibung. Dies sind
jedoch zwei Gattungen, die voneinander so verschieden sind, wie es
radikaler nicht sein könnte.
Es gibt eine Exegetenschule, welche unter dem Vorwand, die Bibel sei
kein Handbuch der Geschichte, sondern eine religiöse Unterweisung,
behaupten wollte, daß die hl. Schriftsteller nach Gutdünken mit den
Tatsachen verfahren seien, von denen sie berichteten, und zwar so
großzügig, daß sie geschichtliche Tatsachen einfach modifiziert,
erweitert und sie wieder künstlich zusammengestellt hätten, um so
besser ihr moralisches und dogmatisches Ziel zu erreichen. Eine
seltsame Theorie fürwahr, gegen die sich alles sträubt bei dem, der die
Inspiration der Hl. Schrift wirklich noch ernst nimmt. Aber sprechen
denn die Evangelisten von den Ereignissen nicht so, als ob sie direkt
aufeinander folgen würden? Aber gerade dies ist doch die prophetische
Art, Ereignisse zu betrachten, indem im gleichnishaften Geschehen schon
die ferne Erfüllung unbestimmt mitgeschaut wird. Wie aber ist es zu
verstehen, wenn es bei Lukas heißt, der Sohn Mariens werde über das
Haus Jakob herrschen und den Thron seines Vaters David für immer
einnehmen, zumal Jesus selbst in ein- und demselben Geschichtsgemälde
die beiden Katastrophen von Jerusalem und dem Ende der Welt vermischt:
das eine Ereignis, das sich schon nach vierzig Jahren zutragen sollte,
und das andere, welches sich am Ende der Geschichte ereignen wird?
Wenn wir nun die Prophetie mit der geschichtlichen Betrachtung
vergleichen: worin liegt der wesentliche Unterschied? Er liegt in der
Perspektive. Sowohl bei der Geschichte als auch bei der Prophetie liegt
ein jeweils anderer Gesichtspunkt vor. Die Perspektive der Geschichte
liegt auf der Ebene, in der die Ereignisse dieser Welt ablaufen. Wer
weiß denn nicht, daß dieselben Dinge und Gegebenheiten von
verschiedenen Standpunkten anders aussehen und daß man ganz aus der
Nähe nur einen kleinen Ausschnitt sieht, während man z.B. vom Flugzeug
aus einen Gesamtüberblick gewinnt: anders also die Perspektive in einer
Ebene, anders die Vogelperspektive, andersder Blick vom Tal aus, anders
die Aussicht von einem hohen Berggipfel. Die Geschichte hat ihren
Beobachtungsposten in der "Ebene" (der Zeit), sie folgt den Ereignissen
Schritt für Schritt. Es wird nacheinander dargestellt, ohne die
Zwischenräume zu überspringen, in eben so vielen, deutlich
unterschiedenen Bildern.
Die Prophetie hingegen hält sich auf jenen hohen "Gipfeln' auf, die den
gesamten Ablauf der Zeit überragen. Sie wird einzig und allein durch
die Sonne des Vorherwissens Gottes erleuchtet. Deshalb sagen die
Theologen, die Prophetie sähe im Unterschied zur Geschichte die
Ereignisse im Spiegel der Ewigkeit, d.h. in den Ideen, die diese ewige
Dauer Gottes repräsentieren, in deren Sicht die längsten Zeiträume wie
in einem Augenblick erscheinen; denn "tausend Jahre sind vor Gott wie
ein einziger Tag". Vergessen wir dabei nicht, daß das, was für uns noch
Zukunft ist, oder anderes bereits vergangen ist, für den ewigen Blick
weder vergangen noch zukünftig ist, sondern (zeitlich) ungetrennt und
ungeteilt in einer unveränderlichen Beschreibung von "Jetzt" zu "Jetzt"
steht. Was ist somit an einer prophetischen Beschreibung noch
überraschend, wenn sie z.B. die nahe und ferne Zukunft in einem Moment
zusammenfaßt, wenn sie Ereignisse, die lange Zeitabschnitte voneinander
trennen, in eins zusammenschaut? Prophetie ist eben
Geschichtsbetrachtung sub specie aeternitatis - in der Sicht der
Ewigkeit, in der Sicht des allwissenden ewigen Gottes.
Es gibt noch einen zweiten Unterschied zwischen prophetischer und
geschichtlicher Betrachtungsweise, der ohne Zweifel eng mit dem ersten
zusammenhängt, sich aber dennoch von ihm unterscheidet und als
notwendige Ergänzung sehr wichtig ist.
Die Geschichtsbetrachtung kennt nur die rein chronologische Ordnung mit
den Tatsachen, welche geschehen sind. Der Gegenstand der Prophetie als
solcher ist die Zukunft, nicht die Vergangenheit oder Gegenwart.
(Anm.d.Red.: da die Prophetie von einem überzeitlichen Wissen der
zeitlichen Ereignisse ausgeht, kann sie auch rückwärtige oder
zeitgleiche Dinge sehen. Prophetie beschränkt sich also nicht nur auf
die Sicht zukünftiger Ereignisse, sondern auch auf das Wissen
vergangener und gegenwärtiger Geschehnisse.) Diese Zukunft aber, sofern
sie vom freien Willen der Geschöpfe abhängt, ist für den menschlichen
Verstand normalerweise nicht transparent. Er kann höchstens vage
Vermutungen anstellen, aber keine sicheren Voraussagen machen. Die
Zukunft kann man nur lesen im unendlichen Vorherwissen Gottes, in den
Plänen seiner souveränen Vorsehung, in den Anordnungen seiner ordnenden
Weisheit, in den ewigen Ratschlüssen endlich, die jede Entwicklung von
Jahrhunderten messen, und von den göttlichen Tiefen, in denen sie
verborgen sind. Und da die göttlichen Pläne der Gegenstand der
Prophetie sind, ist es nicht verwunderlich, daß sie es nicht einfachhin
nur mit nackten Tatsachen zu tun hat, sondern mitden Verflechtungen der
Ereignisse, die ihnen die Ordnung des göttlichen Planes gibt.
In dieser Ordnung nun, im Plan der göttlichen Vorsehung bzw. in der
Anordnung der unendlichen Weisheit, wo jegliche Ökonomie der Dinge mit
einer unvergleichlichen Meisterschaft und Kunst disponiert ist,
verhalten und verbinden sich die Ereignisse ganz anders als nur durch
einfache, gleichzeitige Chronologie. Es gibt darin eine Art der
Verknüpfung, die man anderswo vergeblich suchen würde, weil sie allein
der göttlichen Macht angehört. Es gibt eine Verbindung in der
Heilsgeschichte, die darin besteht, daß das Vorbild und das im Vorbild
Bezeichnete in eins geschaut werden, so daß frühere Ereignisse
Schattenbilder der nachfolgenden sind, welche sich verhalten wie die
Skizze zum fertigen Bild, das sie andeutet. Sagt nicht der hl. Paulus,
daß das, was dem jüdischen Volke in der Wüste zustieß, nicht das
vorwegnahm, was anderen zustoßen würde? Und lehrte er nicht: Christus
gestern, heute und immer? Sicher: heute und immer, für ewig - aber
gestern... wie denn? Durch die, die ihn versinnbildeten im Alten
Testament: der Dulder Job - ein Sinnbild Christi; die Opfer im Alten
Testament - Sinnbilder des Opfers Christi. Augustinus sagt in seinem
Buch "Gegen Faustus", daß die Ereignisse eine Tatpredigt gewesen seien
für das Leben, den Tod und die Auferstehung Jesu Christi.
Gottes Gerechtigkeit zeigt sich bei vielen Geschehnissen, wird aber
erst ihre Vollendung finden beim Letzten Gericht. Die kommenden
Katastrophen und die Zerstörung der menschlichen Werke sind Vorboten
des endgültigen Triumphes Gottes, der alle Werke der Menschen zerstören
wird, die gegen Ihn aufgerichtet wurden. Der Gegenstand der Prophetie
wird durch den Propheten im Spiegel der Ewigkeit gesehen und von ihm
geschaut in den Harmonien des Planes der göttlichen Vorsehung. So
werden Ereignisse, Menschen und Fakten miteinander verbunden, die in
der geschichtlichen Abfolge so nicht vorkommen, wobei aber Vorbild und
Erfüllung wie in einem Blick geschaut werden. So sieht Jesus das Ende
Jerusalems als beispielhafte Vorwegnahme für das Ende der Welt, und das
ist die grundlegende Tatsache. So sieht der Prophet Daniel in Antiochus
einen Vorläufer des Antichrist, der am Ende kommen wird (Dan. 11 f.).
Der hl. Hieronymus sagt dazu: "In der Hl. Schrift ist es üblich, die
Wahrheit durch die künftigen Dinge bestätigen zu lassen. So trägt der
Psalm 71 den Titel 'Auf Salomon'. Indessen trifft nicht alles, was dort
gesagt wird, auf Salomon zu. Aber die Prophetie erfüllt sich in Salomon
wie in einem Schattenriß der Wahrheit, um sich dann vollkommen im
Erlöser zu erfüllen." (Vgl. Hieronymus: "In Danielem" Kap. XI)
Ein moderner Exeget bringt folgenden Vergleich: "Stellen Sie sich zwei
Paläste von ungleicher Größe und Ausdehnung vor, die aber in etwa die
gleiche Anordnung der Säle, Korridore, Höfe usw. besitzen. Der kleinere
ist Ihnen näher, aber wie ein durchsichtiger Kristall, so daß Ihr Auge
mit demselben Blick zugleich die Umrisse und Linien des viel größeren,
weiter dahinterliegenden erfassen kann. Wenn aber diese
Durchsichtigkeit des ersten verhüllt ist, so brauchen Sie schon eine
gewisse Kombinationsgabe, um in Ihrem Geist das Bild des größeren
Palastes zu vervollständigen. Aber Sie werden weder an seiner Existenz
noch an seiner eigentümlichen Form und seinem Grundriß zweifeln. So ist
es auch mit einer Porophetie, die einen doppelten Gegenstand hat. Das
nahe Objekt scheint manchmal zurückzutreten, um das Haupobjekt in
seinem ganzen Glänze aufleuchten zu lassen, welches viel größer und
weiter ist und das erste fast aus dem Blickwinkel verschwinden läßt,
weil man eben hindurchblickt. Die Linien des ersten werden dann
schattenhaft und verschleiern sich teilweise vor dem Hintergrund - aber
beide hält man leicht auseinander als Vorform und Erfüllung." In diesem
Vergleich ist sehr schön deutlich gemacht, was wir in den
eschatologischen Reden Jesu Christi finden: unter der einen Perspektive
werden zugleich zwei Katastrophen vorausgesagt von unterschiedlicher
Größe: der nahe Untergang Jerusalems als Bestrafung für das Verbrechen
des Gottesmordes der Juden, die den Messias weder aufnehmen noch
anerkennen wollten, und der Untergang und das Ende der Welt am Ende der
Zeiten - verborgen noch in einer undurchdringlichen Zukunft - zur
Bestrafung für eine abtrünnige Welt, die, nachdem sie den Messias
gekannt (bzw. anerkannt) hat, ihn schließlich wieder verwirft.
Hier wird man einwenden: Wenn das so ist, daß man verschiedene Dinge
miteinander vermischt, die weit auseinanderliegen, so wird doch in die
Prophetie Verwirrung und Dunkelheit gebracht, deren wahrer Sinn für
einen großen Teil der Menschen nur sehr schwer verständlich ist, wenn
sie ihn überhaupt begreifen. Wenn man aber das Wesen der Prophetie
betrachtet, verschwindet diese Schwierigkeit. Die Prophetie stellt ja
die Geschichte aus dem Blickpunkt der Ewigkeit dar und sie betrifft zu
dem noch die Zukunft, die uns - aus verständlichen Gründen - immer bis
zu einem bestimmten Grad verschlossen bleiben muß. Die Geschichte liegt
vor uns im hellen Licht, während die Prophetie immer in ein gewisses
Hell-Dunkel getaucht bleibt.
In der Tat werden die Prophetien nicht gegeben, um die eitle Neugierde
der Menschen zu befriedigen, sondern um solcher Zwecke willen, die
Gottes würdig sind. Diese können sein: Gott will, daß wir uns auf
gewisse Ereignisse vorbereiten, oder daß wir, zuvor gewarnt, uns vor
der angekündigten Katastrope retten können. Im einen wie im anderen
Fall genügt es, daß uns das Ereignis in seinen allgemeinen Zügen
bekannt ist, ganz besonders dessen Vorzeichen. Es ist keineswegs nötig,
daß uns alle Einzelheiten bekannt sind. Dies zeigt auch, daß Gott nicht
weniger seine Herrschaft über die moralische Welt ausübt als über die
physische , eine Herrschaft, kraft derer nichts geschieht, weder im
Kleinen noch im Großen, was nicht von Gott vorhergesehen, disponiert
und gewollt ist: "Dies alles mußte geschehen, auf daß die Schrift
erfüllt werde." In ihrer Erfüllung kann man die Wahrheit der Prophetien
erkennen. Oft verstehen jene, die Werkzeuge und Vollstrecker der
prophetischen Voraussagen sind, weder deren Geheimnis noch was Gott in
ihnen wirkt - und gerade dadurch ist ein Beweis für die Göttlichkeit
der Prophetien gegeben, um so mehr, als bei der Erfüllung nichts
Künstliches dabei ist und alles wie von selber abläuft, alles so kam,
wie es kommen mußte, z.B.: "Sie werden auf den schauen, den sie
durchbohrt haben!"
Wir sehen, daß in der Hl. Schrift ein moralisches Moment erster Ordnung
dadurch gegeben ist, daß zugleich die absolute Sicherheit über die
künftige Wiederkehr Jesu in Herrlichkeit, um die Welt zu richten, und
die völlige Ungewißheit der Epoche, des Tages und der Stunde, da sie
stattfinden wird, behauptet wird. Der Zeitpunkt seiner Wiederkunft, die
absolut sicher stattfinden wird, muß nach denAbsichten Gottes verborgen
und in ein undurchdringliches Geheimnis eingeschlossen bleiben -
undurchdringlich für jede Kreatur, selbst für die Engel des Himmels:
"Nemo seit neque angeli coelorum, nisi solus Pater." ("Niemand kennt
es, nicht einmal die Engel des Himmels, sondern allein der Vater.") Als
deshalb die Jünger den Herrn fragten: "Sag uns, wann werden die Dinge
geschehen und was ist das Zeichen deiner Wiederkunft?", da vermischten
sie beides in ihren Gedanken und erhielten eine Antwort, die sie zwar
nicht in ihrem Irrtum bestärkte, und die auch klar zwischen den beiden
Ereignissen unterschied - wie wir noch sehen werden -, die aber doch
eher das Gemeinsame beider Ereignisse betonte als den Unterschied
zwischen beiden und die deshalb Ansatzpunkte für Spekulationen bot. Sie
erhielten eine meisterhafte Antwort, die beide Ereignisse in denselben
Rahmen faßte, ähnlich wie ein Maler, der den Vordergrund deutlich
zeichnet und die Dinge im Hintergrund verschwommen läßt. Wie die
Propheten des alten Bundes verknüpft er zwei Vorkommnisse, von denen
das erste die Vorwegnahme des zweiten ist, welches viel später
eintreffen soll.
Sehr zu Unrecht also stützt man sich in den eschatologischen Reden der
Synoptiker (Matthäus, Markus und Lukas) auf die Verbindung zweier
Katastrophen, um daraus mit den Modernisten den Schluß zu ziehen, er
hätte angenommen, sie würden beide fast gleichzeitig geschehen und
daher gemeint, daß nach der Zerstörung des Tempels auch bald das Ende
der Welt kommen würde. Man hält uns vor, da stünde es doch schwarz auf
weiß: "Dies Geschlecht wird nicht vergehen, ehe dies alles geschieht."
"Haec omnia", d.s. alle diese Dinge - offenbar, so behaupten sie - all
das, was er in diesen Reden vorhergesagt hat: die letzte Verwüstung
Jerusalems, die Verfinsterung der Sonne, die Erschütterung der
Himmelskräfte, das Fallen der Sterne, das Zeichen des Menschensohnes am
Himmel und sein Erscheinen auf den Wolken des Himmels mit großer Macht
und Herrlichkeit, um die ganze Menschheit vor seinen Richterstuhl zu
zitieren. Also, all das hätte noch zu Zeiten der damals lebenden
Generation geschehen sollen? "So gibt es daran keinen Zweifel", sagt
Renan. Damit aber wollen wir uns im nächsten Kapitel auseinandersetzen.
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