DIE PARUSIE
von
S.E.KARD. LOUIS BILLOT SJ
übers. von H.H. Werner Graus
VORWORT DES HERAUSGEBERS
Als Johannes XXIII. mit seinem bekannt gewordenen Ausspruch, die
Irrtümer würden vor der Wahrheit vergehen wie die Nebel vor der
aufgehenden Sonne, praktisch auf die Ausübung des Lehramtes verzichtet
hatte - seine Nachfolger übertrafen bzw. übertreffen ihn noch: sie
resignierten nicht nur auf die Ausübung des Lehramtes, sondern
mißbrauchten und mißbrauchen immer noch ihre angemaßte Stellung als
angeblich oberste Lehrer der Kirche, um in ihr und von ihr aus selbst
Irrtümer zu verkünden -, waren die Wälle gegen Häresie und Aberglaube
gebrochen. Das Depositum fidei war schutzlos denen ausgeliefert, die es
nun Stück für Stück zerfleddern sollten.
Bei den Gläubigen, die im Herzen die ehemals stabile Orientierung, die
ihnen der Glaube geboten hatte, nicht vergessen hatten,breitete sich
Ratlosigkeit aus. Um jedoch den verloren gegangenen Schutz im Glauben
und den Substanzverlust auszugleichen, wandten sich viele Gläubige
nicht dem verstärkten Studium des überlieferten Glaubens zu, sondern
liehen ihr Ohr allen möglichen angeblichen 'Offenbarungen', ob nun
denen aus Amsterdam, aus Bayside, aus Medjugorje oder denen eines Don
Gobbi oder einem der zahllosen anderen 'Seher' - in und von denen
nachweislich Irrlehren verbreitet werden!
In der Tat ist dieser Apparationismus, diese Offenbarungssüchtigkeit,
die viel mit dem Horoskop-Aberglauben zu tun hat, eine der übelsten und
stinkendsten Blüten, die am nachkonziliaren Baum der subjektivistischen
Zügellosigkeit und des Glaubensabfalls gediehen sind. Der Gestank
dieser Sucht begleitet, ja verfolgt meine Arbeit für die Bewahrung des
Glaubens seit der Übernahme der Redaktion dieser Zeitung. Die Sucht,
die ihn erzeugt, scheint unausrottbar; denn der Apparationismus ist
bequem: er fordert keine geistige Anstrengung, der Widerstand wird
überdies gelähmt, ja wird durch den Inhalt der angeblichen
'Botschaften' bewußt ausgeschaltet.
Verständlich ist die Suche nach Orientierung, ungesetzlich und
unerlaubt jedoch die Zuwendung zu "Fabeleien", wovor der Herr
ausdrücklich gewarnt hat! Er hat nämlich in seiner Güte und
Barmherzigkeit auch Vorsorge für diese düstere Zeit getroffen und uns
geoffenbart, an welchen Anzeichen der Beginn der großen Apostasie am
Ende der Zeiten zu erkennen ist, damit wir uns auf seine Wiederkunft
vorbereiten können. In den Weissagungen für die Endzeit hat er uns auch
getröstet und uns Verhaltensmaßnahmen anempfohlen, wie wir diese Zeit
der Prüfung bestehen können: "Seid nüchtern und wachsam!" "Betet und
seid wachsam!"
S.E. Kard. Louis Billot SJ (1846-1931; zum Kardinal erhoben 1911) hat
es vor fast 7o Jahren unternommen, die Hinweise des Herrn und seiner
Propheten zu deuten, die er seiner Kirche für die "letzten Zeiten" und
seine zweite Wiederkunft "in Macht und Herrlichkeit" gegeben hat- Seine
Darstellung stützt sich nicht auf "Fabeleien", sondern auf d i e
autorisierte Quelle schechthin, auf die Bibel. Kard. Billot, der im
Jahr der Erscheinung der Gottesmutter in La Salette geboren wurde (wie
auch der Dichter Leon Bloy), ist für uns ein unverdächtiger Zeuge und
Exeget: seine Abhandlung erschien bereits 192o in Rom, also in einer
Zeit, in der sich die heutige dramatische Entwicklung im Bereich der
katholischen Kirche noch nicht abzeichnete.
In der Abwehr von Thesen moderner Irrlehrer, die die Gottheit Jesu
Christi mittels des Evangeliums zu leugnen und zu zerstören suchten,
schlüsselt Billot uns die Weissagungen des Gottessohnes über seine
Wiederkunft hier auf Erden "in Macht und Herrlichkeit" ebenso auf wie
die über den religiösen Zustand am Ende der Zeiten.
H.H. Pfr. Werner Graus hatte die Mühe der Übersetzung dieses Textes
übernommen und die Arbeiten daran am 8. Dezember letzten Jahres, am
Fest der Unbefleckten Empfängnis der allerseligsten Jungfrau Maria
abgeschlossen. Die redaktionelle Bearbeitung und die Fertigstellung der
Druckvorlagen bedingen das verspätete Erscheinen. H.H. Graus sei an
dieser Stelle besonders dafür gedankt, daß er seine Arbeit den Lesern
der EINSICHT zum Studium überlassen hat. Möge diese Schrift zu immer
größerer Klarheit und Transparenz dieser dramatischen und düsteren Zeit
beitragen, in der wir mit Gottes Hilfe ausharren sollen.
München, den 3. November 1987
Eberhard Heller
***
EINFÜHRUNG
Es gibt eine Stelle im Evangelium, über die sich die moderne
Bibelkritik besonders ausgelassen hat: jener Passus, wo vom Ende der
Welt und der Parusie, d.i. der Wiederkunft Christi berichtet wird. Hier
hoffte sie für ihre Thesen ein entscheidendes Argument zu finden, um
ihr Werk der Zerstörung der christlichen Religion als der
Offenbarungsreligion Gottes abzusichern. Es sind dies die Evangelien,
die am letzten Sonntag nach Pfingsten (Matth. 24,15-35) und am ersten
Adventssonntag (Luc. 21,25-33) verlesen werden. Es geht also um die
zweite Wiederkunft Christi am Ende der Welt als Weltenrichter. Das Neue
Testament bezeichnet diese Wiederkunft als "Parusia". Wegen ihrer
eschatologischen Bedeutung zählt sie zu den "letzten Dingen", welche
sich am Ende der Welt ereignen werden, nämlich "das Kommen des
Menschensohnes auf den Wolken des Himmels zum Jüngsten Gericht mit
großer Macht und Herrlichkeit."
Man weiß recht gut, welch entscheidenden Stellenwert in der Geschichte
der christlichen Offenbarung die Perspektive dieser zweiten Ankunft des
Herrn einnimmt, die so oft und feierlich von ihm angekündigt wurde, mit
der das Ende der Welt, aber auch ihre Neugestaltung in einen neuen
Himmel und eine neue Erde verbunden sein wird, ferner die Auferstehung
der Toten und das allgemeine Gericht und die endgültige Errichtung des
Reiches Gottes in seiner letzten Erfüllung und Vollendung. Man braucht
nur das Evangelium kurz aufzuschlagen, um alsbald zu erkennen, daß die
Parusie das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende, das erste und
das letzte Wort der Predigt Jesu ist und daß sie alle Predigten Jesu im
Grunde zusammenfaßt und sie bestätigt, daß sie das entscheidende
Geschehen ist, auf welches sich alle anderen Ereignisse beziehen, und
ohne welches alles andere bedeutungslos und nichtig wäre. Vom
Hohenpriester offiziell und feierlich gefragt, ob er der Messias und
der Sohn Gottes sei, antwortet der Herr: "Ja, ich bin es; von nun an
aber werdet ihr den Menschensohn kommen sehen auf den Wolken des
Himmels." (Matth. 26,64; Marc. 14,62; Luc. 22,7o)
Daraus folgt: würde man Jesus in diesem wesentlichen Punkt des Irrtums
überführen, so würde dies zugleich das Ende der "Legende seiner
Gottheit" bedeuten. Er wäre nur ein Religionsstifter wie viele andere
auch. Der Modernismus hat dies recht gut begriffen und, sich auf
verschiedene, oberflächlich ausgelegte Texte des Evangeliums stützend,
sich zu dieser kühnen Behauptung verstiegen: das Bewußtsein seiner
messianischen Berufung wäre in Jesus zugleich mit der Überzeugung
entstanden, daß das Ende der Welt kommen würde. Er hätte demnach
angenommen, die damals lebende Generation würde das Kommen des Reiches
Gottes in Herrlichkeit noch erleben, wenn er auf den Wolken des Himmels
kommen würde "mit großer Macht und Herrlichkeit". Nur im Hinblick auf
die von ihm für nahe bevorstehend gehaltene Parusie hätte er dann die
völlige Loslösung vom Reichtum gepredigt, hätte er den Stand der
Jungfräulichkeit und die freiwillige Armut empfohlen u s w ó Kurzum,
die fixe Idee von der letzten Katastrophe hätte seinen Geist so gequält
und seine gesamte Lehre sowie sein gesamtes Leben so stark beeinflußt,
daß er es nach seinem Tode für erforderlich angesehen hätte, das
Evangelium in seiner Gesamtheit tiefgreifend umzuändern, um es so recht
und schlecht einer Zeit anzupassen, welche trotzdem weiterbestand,
obwohl er deren Ende für nahe vevorstehend gehalten hatte.
Diese Ideen wurden dann auch unter das Volk gestreut. Schon Renan hatte
in seinem Buch "Das Leben Jesu" geschrieben: "Seine Erklärungen über
die Nähe der Endkatastrophe sind ganz und gar eindeutig. Die
gegenwärtige Generation, so sagte er, wird nicht vergehen, ohne daß
sich dies alles erfüllt. Einige der hier Umstehenden werden den 'Tod
nicht schauen, ohne den Menschensohn in seinem Reiche kommen' zu sehen.
Er warf denen, die nicht an ihn glaubten vor, sie würden die 'Zeichen
der Zeit (des künftigen Reiches) nicht verstehen. 'Wenn ihr die
Abendröte seht, so sagt ihr, es gibt schönes Wetter; wenn ihr die
Morgenröte seht, so sagt ihr, es gibt Sturm. Ihr, die ihr die Zeichen
des Himmels deuten könnt, könnt nicht die Zeichen der Zeit deuten?'
(Matth. 16,2-4) Diese so deutlichen Erklärungen beschäftigten die
christliche Gemeinde während siebzig Jahren." Und etwas später bemerkt
Renan: "Wenn die erste Generation einen tiefen und konstanten Glauben
hatte, dann diesen: daß das Ende der Welt bevorstehe und sich die große
Offenbarung Christi ereignen würde... Maran atha - komm, Herr Jesus -
wurde das Losungswort, welches sich die Gläubigen zuriefen, um ihren
Glauben und ihre Hoffnung zu stärken. Die Apokalypse, im Jahre 68
geschrieben, setzte die Zeit hierfür auf 3 1/2 Jahre fest." (Renan:
"Das Leben Jesu", 17. Kap.)
Auf solche Texte stützten sich die Feinde unseres Glaubens, um damit zu
sagen, das Evangelium sei aus einem Irrtum heraus geboren, aus einer
Halluzination, sei eine haltlose Annahme, die längst widerlegt sei
durch die eklatantesten Tatsachen der Geschichte, die sich somit in
aller Öffentlichkeit und vor aller Welt als falsch erwiesen hätte.
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