DER HEILIGE KLEMENS VON ROM,
PAPST UND MÄRTYRER
von
Eugen Golla
Nachdem der Priester zu Beginn der Kanonstille das "Te igitur" und das
"Memento" gebetet hat, folgt das Gedächtnis der Heiligen mit dem
ehrenden Gedenken an die Apostel und Märtyrer. Nach den Aposteln
eröffnen den Zug die drei ersten Nachfolger Petri: Linus, Kletus und
Klemens. Der letztgenannte, der hl. Klemens, der in den letzten Tagen
des Kirchenjahres gefeiert wird - sein Fest ist am 23. November - und
in Unterscheidung von Klemens v. Alexandrien Klemens Romanus genannt
wird, gehört zu jenen hervorragenden Gestalten des frühen Christentums
und ist der erste kirchliche Schriftsteller, welcher auf die
Offenbarung folgte, dessen Name uns überliefert ist. Wir wissen zwar
von ihm mehr als von anderen Päpsten der ersten beiden Jahrhunderte;
dennoch bleibt das meiste über seine Persönlichkeit sowie sein Leben
unbekannt.
Widersprüchlich sind bereits die Ansichten über seine Herkunft. Gemäß
einigen Autoren soll er der Sohn eines Römers gewesen sein, nach
anderen Quellen soll er jüdischer Abstammung gewesen sein. Häufig wird
Klemens mit dem in Philipper-Brief 4,3 erwähnten Klemens identifiziert.
Aber auch diese These, daß er folglich ein aus Philippi in Griechenland
stammender Schüler des hl. Paulus sei, steht auf schwachen Füßen, zumal
in lateinischen Inschriftensammlungen der Name Klemens sehr häufig
vorkommt und zwischen diesem Paulus-Brief und der Regierungszeit des
Papstes Klemens mindestens dreißig Jahre liegen, so daß inzwischen ein
dem Apostel Paulus nicht Nahestehender die Leitung der Kirche
übernehmen konnte.
Ins Reich der Fabel muß die Erzählung verwiesen werden, wonach Klemens
zur kaiserlichen Familie gehörte. Die Unglaubwürdigkeit ergibt sich
allein schon daraus, daß es die Kirchenväter sicherlich nicht
unterlassen hätten, diesen Umstand zu berichten, wenn gerade ein
Angehöriger jenes Kaiserhauses Papst geworden wäre, welches die
Christen so konsequent verfolgte. Dagegen ist es feststehende
Tradition, daß der hl. Klemens Bischof von Rom war. Schwierigkeiten
ergeben sich allerdings bei der Festsetzung der genauen Regierungszeit
-wahrscheinlich regierte Klemens zwischen 9o-lol -, da die
Papstkataloge hinsichtlich der ersten Nachfolger Petri nicht
übereinstimmen. Als die wahrscheinlichtste Papstfolge wird jetzt
allgemein die auf den Vater der Kirchengeschichtsschreibung, den
Bischof Eusebius von Cäsarea zurückgehende angesehen: Petrus, Linus,
Kletus, Klemens - wie im Kanon der hl. Messe festgehalten. In der
römischen Liturgie wird Klemens in Übereinstimmung mit einigen
Kirchenschriftstellern als Märtyrer gefeiert, während die ältesten und
sichereren Autoren wie Eusebius, Hieronymus und Irenäus nichts von
einem Martyrium berichten.
Der Inhalt der Märtyrerakten ist kurz folgender: Der hl. Klemens war
nicht nur ein Vater der ihm anvertrauten Gläubigen, sondern es gelang
ihm auch, zahlreiche Juden und Heiden zu bekehren. Publius Tarquinius,
der "comes sacrorum" (wahrscheinlich ein vom Verfasser erfundener
Titel, der soviel wie Anordner der heidnischen Zeremonien bedeuten
könnte), soll deshalb aus Eifersucht eine Christenverfolgung in die
Wege geleitet haben. Da sich Klemens weigerte, den Göttern zu opfern,
wurde er zusammen mit Priestern und vielen Gläubigen auf die Halbinsel
Chersones (die heutige Krim) verbannt. Gegen diese Version erheben sich
von historischer Seite Zweifel: der Chersones, der erst im 4. und 5.
Jahrhundert vielfach als Verbannungsort diente, gehörte eben zu Ende
des 1. Jahrhunderts nicht zum Römischen Reich. Folgt man jedoch dieser
Überlieferung, so sollen die Neuankömmlinge auf der Krim auf zahlreiche
Verbannte gestoßen sein, die zu Arbeiten in den dortigen Marmorbrüchen
verurteilt worden waren. Rasch verbreitete sich unter ihnen die
Nachricht, daß der Papst als ihr Leidensgefährte gekommen sei, was zur
Folge hatte, daß sich viele Bewohner taufen ließen, zahtreiche Kirchen
errichtet und Heidentempel mit ihren Idolen zerstört wurden. Auf die
Kunde von diesem segensreichen Wirken ordnete der Kaiser auf der Krim
eine Christenverfolgung an, der auch unser Heiliger zum Opfer fiel,
indem er mit einem an seinem Hals befestigten Anker ins Meer versenkt
wurde, um den Gläubigen die Verehrung seines Leichnams unmöglich zu
entziehen. Die Gebete der Gläubigen sollen es aber vermocht haben, daß
das Meer zu gewissen Zeiten drei Meilen zurückwich, wobei sich an der
Stelle der Versenkung ein aus Marmor errichtetes Heiligtum mit den
sterblichen Überresten des hl. Papstes mitsamt dem Anker aus den Fluten
hob. (In der Pfarrkirche von Eschenlohe bei Garmisch, die vom Kloster
Ettal ausgestattet wurde, befindet sich ein monumentales Deckengemälde
im Chorraum, das vom Wirkendes Papstes Klemens auf der Krim berichtet;
Anm.d.Red.) - Gewiß darf die historische Kritik die Echtheit dieses
Berichtes bezweifeln, aber um wievieles ärmer wäre die Hagiographie,
hätte sie alles Legendenhafte entfernt! Das Heilige besitzt eine
Dimension, die über das rein Geschichtliche hinausreicht, ohne deshalb
poetischer Schmuck oder gar Märchen zu werden. Jedenfalls ist allein
schon auf Grund dieser Berichte nicht auszuschließen, daß Papst Klemens
das Martyrium auf irgend eine Art erlitten hat.
Von legendären Zügen ist auch der Bericht über die Auffindung der
Reliquien durch den hl. Cyrill im 9. Jahrhundert durchsetzt: Auf einer
Missionsreise durch das südliche Rußland gelangte Cyrill auch auf den
Chersones. Vergeblich erkundigte er sich bei der durch die
Barbareneinfälle im Laufe der Jahrhunderte stark dezimierten
Bevölkerung nach dem im Meere befindlichen Grab bzw. nach dem
wunderbaren Zurückweichen der Fluten. Nach vielem Beten bestieg Cyrill
in Begleitung von Klerus und Volk ein Schiff, um zu der Insel zu
gelangen, wo sich nach seiner Vermutung die sterblichen Überreste des
Papstes Klemens befinden sollten. Schließlich wurden das Haupt,
verschiedene Gebeine und sogar der Anker, den der Henker am Halse des
Heiligen befestigt hatte, gefunden. Diese Reliquien wurden dann von
Cyrill nach Rom gebracht und in der Kirche San Clemente beigesetzt.
Tatsächlich entdeckte man in der Nähe des Chersones eine Insel, die mit
dem Festland durch eine Mauer, welche nur bei Ebbe sichtbar wurde,
zusammenhing und welche die Ruinen eines uralten Oratoriums barg. Es
ist daher gut möglich, daß es sich um die Stelle handelt, wo der hl.
Cyrill glaubte, die Reliquien des Papstes gefunden zu haben, und es ist
nicht ausgeschlossen, daß es sich um die ihm geweihte Kirche gehandelt
hatte.
Es gibt zahlreiche Schriften, die den Namen unseres Heiligen als
Verfasser tragen, aber nur eine einzige stammt wirklich von ihm, der
sogenannte erste Klemensbrief, ein Sendschreiben der römischen Gemeinde
an die korinthische, und als solches war es nicht namentlich signiert.
Dennoch bestehen keine Bedenken, Klemens als den Verfasser anzusehen,
denn hierüber sind wir im Besitze wichtiger Zeugnisse. So schrieb z.B.
um das Jahr 17o der Bischof Dionysius von Korinth an Papst Soter:
"Heute haben wir den heiligen Tag des Herrn gefeiert, an dem wir euren
Brief vorgelesen haben, den wir immerfort lesen werden zur Erbauung,
wie auch den früher von Klemens an uns geschriebenen." Dieser älteste
Pastoralbrief enthält in seinen ersten 36 Kapiteln überwiegend
sittliche Ermahnungen allgemeiner Art, während der 2. Teil (Kap. 37-61)
sich mit den Streitigkeiten auseinandersetzt, die in der vom hl. Paulus
gegründeten Gemeinde von Korinth entstanden waren. Der eigentliche
Grund des Zwistes ist dem Brief nicht zu entnehmen. Fest steht nur, daß
einige junge Leute sich den kirchlichen Oberen widersetzen und sie
absetzen wollten. Klemens erkannte mit Scharfblick die aus diesem
Schisma für die Gesamtkirche drohende Gefahr, indem er schrieb: "Eine
Schande, Geliebte, eine große Schande und eine Schmach für den Wandel
in Christo, wenn man hören muß, wie die festgegründete und uralte
Kirche von Korinth wegen einer oder zweier Personen sich empört gegen
ihre Presbyter. Und diese Kunde ist nicht nur zu uns gedrungen, sondern
auch zu den Andersgesinnten, so daß dem Namen des Herrn Schmach angetan
wird wegen eures Unverstandes, für euch selbst aber Gefahr entsteht".
(Kap. 47,6-7)
Daß die Kirche Roms bereits zu Ende des ersten Jahrhunderts in hohem
Ansehen stand und ihre zentrale Stelle einzunehmen begann, beweisen
autoritative Worte wie: "Nehmet unseren Rat an. (...) Wenn aber etliche
dem von Ihm (d.i. Gott) durch uns Gesagten den Gehorsam verweigern, so
mögen sie wissen, daß sie sich in Verfehlung und in eine nicht geringe
Gefahr verstricken". (Kap. 59,1) - "Freude und Jubel werdet ihr uns
bereiten, wenn ihr gehorsam werdet dem, was wir durch den Heiligen
Geist (an euch) geschrieben haben." (63,2)
Die Aufforderung an die Korinther, die abgesetzten Priester wieder in
ihr Amt einzusetzen, wird damit begründet, daß die kirchliche Ordnung
von Gott stammt und eine von Ehre und Würde gestaffelte Hierarchie ist,
in der jeder, auch der Laie, den ihm zustehenden Platz einnimmt. Und
wie fest ist sich Klemens bewußt, daß diese Ämter göttlichen Ursprungs
sind: "Die Apostel haben uns das Evangelium verkündet, (das sie) vom
Herrn Jesus Christus (erhalten haben), Jesus Christus aber ist gesandt
von Gott. Christus ist also von Gott und die Apostel von Christus
gesandt; beides ist demnach geschehen in aller Ordnung nach dem Willen
Gottes. Sie empfingen also ihre Aufträge, wurden durch die Auferstehung
unseres Herrn Jesus Christus mit Gewißheit erfüllt, wurden im Glauben
an das Wort Gottes gefestigt, und dann zogen sie voll des Heiligen
Geistes hinaus zur Predigt, daß das Reich Gottes nahe sei. Indem sie
nun in Ländern und Städten predigten, setzten sie die Erstlingsfrüchte
ihrer (Predigt), nach vorhergegangener Prüfung im Geiste, zu
Bischöfenund Diakonen der zukünftigen Gläubigen ein." (Kap. 42,1-4) (Da
zu dieser Zeit die hierarchische Ordnung noch nicht vollständig
durchgeführt war, rechnet Klemens scheinbar Bischöfe und Diakone zu den
Priestern.)
An die Urheber des Schismas ergeht die Aufforderung, Buße zu tun, ja sogar auszuwandern.
Sehr aufschlußreich ist dieser Klemens-Brief für die Geschichte der
frühchristlichen Kirche, da er auch Ausführungen über die
Christenverfolgung Neros sowie Petri Aufenthalt und Martertod in Rom
enthält. Dogmatisch ist die starke Hervorhebung der Rechtfertigung
durch den Glauben interessant: "Und wir, die
wir durch seinen Willen in Christus Jesus berufen sind, werden nicht
durch uns selbst gerechtfertigt noch durch unsere Weisheit oder
Einsicht oder Frömmigkeit oder durch die Werke, die wir vollbracht
haben in der Heiligkeit des Herzens, sondern durch den Glauben, durch
den alle von Anbeginn an der allmächtige Gott gerechtfertigt hat." (32,
4). Es wäre aber falsch, daraus zu schließen, Klemens sei bereits ein
Vorläufer der protestantischen Sola-Fides-Lehre. Schreibt er doch in
Kap. 35,5: "Wir kommen zum Heil, wenn unsere Gesinnung in Treue
gefestigt ist gegen Gott, wenn wir nach dem streben, was Ihm angenehm
und wohlgefällig ist, wenn wir tun, was Seinem heiligen Willen
entspricht, wenn wir auf dem Weg der Wahrheit wandeln, wenn wir von uns
wegwerfen alles Unrecht und alle Schlechtigkeit, Habsucht, Streit,
Bosheit und Hinterlist, Verleumdung und üble Nachrede, Haß gegen Gott,
Aufgeblasenheit und Prohlerei, Eitelkeit und ungastliches Wesen."
Es ist verständlich, daß mangels anderer Quellen immer wieder versucht
wurde, aus Stil und Wortwahl dieses Schreibens Aufschluß über die
Person des Autors zu erlangen. Vor allem ging es um die Frage: war er
Jude oder Heidenchrist? Zugunsten des ersteren spricht auf den ersten
Blick die auffallend große Zahl von Zitaten aus dem Alten Testament.
Hierbei muß aber berücksichtigt werden, daß die Lehren der Apostel auch
bei bekehrten Heiden zu dessen intensivem Studium führten und bei
Klemens keine geistige Prägung durch das Judentum festzustellen ist.
Der Ansicht, daß Klemens dem Heidentum entstammt, kommen sein eleganter
Stil, seine Vertrautheit mit der griechischen und römischen Literatur,
gewisse der Stoa entnommene Denkweisen sowie eine positive Einstellung
zum römischen Staat und seiner Disziplin entgegen. Doch alles Deuten
und Beweisenwollen hilft nicht darüber hinweg, daß uns wohl für immer
ein großer Teil seiner Lebensumstände unbekannt bleiben wird. Fest
steht: Im Bewußtsein der führenden Stellung Roms gegen die
Kirchenspaltung einschreitend und ohne Haschen nach Effekt und
Originalität zu Demut, Gehorsam und Achtung vor der von Gott
geschaffenen kirchlichen Ordnung aufrufend, erscheint uns Klemens als
ein Vorläufer der großen Päpste späterer Jahrhunderte.
Literatur:
"Bibliothek der Kirchenväter" Kempten und München 1918, Bd. 35.
Alb, Ehrhard: "Urkirche und Frühkatholizismus" Bonn 1935.
"Realencyklopädie für prot. Theologie und Kirche" Bd.4, Leipzig 1898.
Stadler, J.E.: "Vollständiges Heiligen-Lexikon" Bd.1, Augsburg 1858.
"Theologische Realencyklopädie" Bd.8, Berlin-New-York 1961.
"Vies des saints" Bd.11, Paris 1954.
Wetzer und Weite: "Kirchenlexikon" Bd.3, Freiburg 1884. |