DER HL. GREGOR VON NAZIANZ
von
Eugen Golla
Sein Heimatland ist das im Südosten Kleinasiens gelegene Kappadozien,
damals eine römische Provinz. Während sein gleichnamiger Vater lange
Zeit der Sekte der Hypsistarier angehörte, die eine synkretistische
Mischung jüdischer, heidnischer und gnostischer Elemente vertrat, deren
monotheistischer Moralismus und deren Freiheitsbegriff - nach ihm war
eine Bindung an eine positive Religion nicht erforderlich - Goethe
begeisterte, entstammte seine Mutter Nonna einer bereits christlich
gewordenen Familie.
Gregor verglich seine Eltern oft mit Abraham und Sara, denn auch sie
mußten lange Zeit auf Nachkommen warten: Gregor der Ältere, der sich
etwa im Jahre 325 bekehrt hatte, war zur Zeit der Geburt seines Sohnes
im Jahre 329 schon über 5o Jahre alt und Bischof von Nazianz.
Gregor begann seine Studien in Kappadoziens Hauptstadt Cäsarea, setzte
sie in Cäsarea in Palästina und dann in Alexandria fort, wo er den hl.
Athanasius kennenlernte. Die Krönung seines Studiums der Grammatik,
Rhetorik und Philosophie war ein mehrjähriger Aufenthalt in Athen. Die
Zeit, in welcher die Metropole der Griechen einen Sokrates, Piaton und
Aristoteles in ihren Mauern beherbergte, war zwar schon längst vorbei.
Aber wegen ihrer herrlichen Bauwerke und der noch immer bedeutenden
Philosophenschulen verdiente sie noch immer den ihr von Gregor
gegebenen Namen "das goldene Athen". Schließlich waren es in erster
Linie auch die hier erworbenen Kenntnisse, die ihn dazu befähigten, das
Beste der heidnischen Kultur und Literatur dem Christentum zu
erschließen und dienstbar zu machen.
Noch in späteren Jahren erzählte Gregor voll Begeisterung vom dortigen
Studentenleben. Auch zeitweiliger Übermut und Freude an Streichen
vermochten ihn nicht vom rechten Weg abzubringen; denn für ihn sowie
für seinen Freund und Kommilitonen, den hl. Basilius (Kirchenlehrer),
gab es nur zwei Wege: zur Kirche und zu den Vorlesungen. Zu derselben
Zeit studierte in Athen auch der Neffe des Kaisers Konstantin d.Gr.,
Julian, von dem der Heilige schon damals nichts Gutes vorhersagte und
der als späterer Kaiser den vergeblichen Versuch unternahm, das
aufblühende Christentum abzuwürgen und dem Heidentum neues Leben zu
verleihen.
Im Alter von etwa 3o Jahren verließ Gregor Athen und empfing aus der
Hand seines Vaters die Taufe. Ein langdauerndes Katechumenat war in den
ersten Jahrhunderten des Christentums zum Zwecke intensiver
Vorbereitung und ernster Prüfung, ob man der Taufgnade auch würdig sei,
nicht selten. Wenn er auch anfangs noch zwischen einem weltlichen und
kontemplativen Leben hin- und hergerissen wurde - vorübergehend war er
Rhetor und verwaltete die Familiengüter - verstärkte sich doch bald in
ihm das Verlangen nach einem ganz Gott geweihten Leben, so daß er sich
während eines Aufenthaltes auf dem Landgut seines Freundes Basilius
freiwillig der monastischen Askese unterwarf. In diese Zeit fällt auch
sein erfolgreiches Bemühen, in der Gemeinde seines Vaters den Frieden
wieder herzustellen: Gregor d.Ä. hatte nämlich als Bischof von Nazianz
im guten Glauben das halb-arianische Glaubensbekenntnis von Rimini
unterschrieben. Nun veranlaßte ihn sein Sohn, mittels einer streng
rechtgläubigen Formel dieses frühere Bekenntnis zu widerrufen.
Bald darauf erhielt er - wohl auf Verlangen der Gemeinde, aber wider
seinen Willen - von seinem Vater die Priesterweihe. Gepeinigt von dem
Gedanken an die Strafen, welche in der hl. Schrift unwürdigen Priestern
angedroht werden, floh er zu Basilius, kehrte aber schon zum folgenden
Osterfest zurück, um seinen Vater im Amte zu unterstützen. Die Flucht
entschuldigte er in einer Schrift, in welcher er u.a. ausführte: "Die
Furcht vor der ungeheuren Rechenschaft, welche Gott über die Leitung
der Seelen fordern wird, hat mich eine Zeit lang bewogen, die Arbeit
abzulehnen. Allein nun bin ich, wie ein anderer Jonas zurückgekommen,
die Pflichten des Standes zu erfüllen, zu dem ich berufen wurde. Ich
hoffe, daß der Gehorsam mich inmitten der Gefahren aufrecht erhalten
und mir Gott die nötigen Gnaden erlangen werde."
37o wurde der hl. Basilius Erzbischof von Cäsarea. Doch schon im
folgenden Jahr wurde die Provinz geteilt, was ihn in Jurisdiktionelle
Streitigkeiten mit dem Bischof der neuen, zweiten Hauptstadt Tyana
verwickelte. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen errichtete Basilius
zur Stärkung seiner Position eine Reihe neuer Bistümer, u.a. auch in
Sasima, einem ganz unbedeutenden Ort. Schweren Herzens ließ sich unser
Heiliger zum Bischof weihen. Doch sein Amt als Bischof von Sasima trat
er niemals an. Über die Gründe einer solchen Haltung bestehen
verschiedene Versionen. Wahrscheinlich drohte der Bischof von Tyana für
den Fall der Ausübung der bischöflichen Funktionen mit Gewaltmaßnahmen,
oder sein über 9o Jahre alter Vater beschwor ihn, ihn in Nazianz zu
unterstützen, was er auch bis zu dessen Ableben im Jahre 374 tat.
Danach verwaltete er bis zur Bestellung eines regulären Bischofs die
Diözese Nazianz. Später lebte er zurückgezogen in Seleucia. Die
Nachricht vom Tode seines Freundes Basilus (379) ließ in ihm noch
stärker den Wunsch hervortreten, ganz der Welt zu entsagen. Aber erst
über einen Umweg sollte dies in Erfüllung gehen.
Gregor von Nazianz erhielt nämlich die Berufung, die Führung der
kleinen, von den Arianern hart bedrängten, ja vielfach bedrohten
katholischen Minderheit Konstantinopels zu übernehmen. Wenn auch nicht
gerade gern, so aber doch von Gottvertrauen erfüllt, übernahm er das
dornenvolle Amt eines Bischofs in Konstantinopel, für das nicht einmal
eine Kirche zur Verfügung stand, so daß er die im Hause eines
Verwandten befindliche Privatkapelle benutzen mußte. "Es ist wahr",
sagte er, "die Partei der Ketzer ist die stärkste; allein ich streite
für die gute Sache. Wenn sie auch die Kirchen besitzen, so ist doch
Gott für mich. Sie sollen sich nicht rühmen, daß das Volk auf ihrer
Seite sei. Mit mir sind die Engel, die mich schützen und verteidigen."
Dieses Gotteshaus wurde der hl. Anastasia (d.h. der Auferstandenen)
geweiht, weil nun gleichsam die bereits gestorbene katholische Gemeinde
wieder zum Leben erweckt worden war.
Über sein dort geführtes Gebetsleben berichtet Gregor, daß er die
Nächte im Gespräch mit Jesus zubrachte oder mit den Gläubigen Psalmen
und Gesänge anstimmte. Erfüllt von tiefer Freude und mit Tränen in den
Augen warf er sich dann vor Gott hin, um die so nötigen Gnaden zu
erflehen. Und der Herr belohnte ihn reichlich für seinen Eifer: nicht
nur, daß er viele Abgefallene wieder zum wahren Glauben zurückführen
konnte, ihm werden auch Krankenheilungen und sonstige Wundertaten
zugeschrieben.
Aus dieser Zeit stammen auch die berühmten fünf theologischen Reden, im
wahrsten Sinne des Wortes Glaubenslehren, die ihm den Titel "der
Theologe" einbrachten. Sie behandeln vor allem das nicänische Credo und
eine Trinitätslehre, in welcher wegen der Häresie der Macedonianer
neben der Göttlichkeit des Sohnes auch die des Hl. Geistes präzise
dargestellt wird. Damals war der Ruf, den Gregor von Nazianz als
Theologe genoß, bereits so bedeutend, daß kein Geringerer als der
bereits im reifen Mannesalter stehende hl. Hieronymus ihn besuchte, um
sich von ihm in der Auslegung der hl. Schrift unterrichten zu lassen.
Aber auch manche bittere Erfahrung mußte unser Heiliger in den Jahren
seines Aufenthaltes in Konstantinopel als Bischof machen. Einmal
stürzte ein junger Mann in sein Zimmer und warf sich ihm, bitter
weinend vor die Füße. Gregor mußte nun mitanhören, daß er gekommen sei,
sich anzuklagen, weil er einen Mordanschlag auf ihn geplant habe.
Großmütig entließ er ihn mit den Worten, daß Gott ihm so verzeihen
möge, wie sein göttlicher Schutz ihn selbst zur Verzeihung verpflichtet
habe, und er schloß mit der Mahnung, in Zukunft gottesfürchtig zu
leben. Ein anderes Mal drohte ihn eine wütende Volksmenge zu steinigen.
Hierüber schrieb er: "Nachdem ich dem Volke Konstantinopels das
Geschenk des wahren Glaubens gebracht hatte, erhielt ich nichts als
Steine. Wenn sie doch wenigstens geschickt geworfen worden wären! So
aber trafen sie mich nur an Stellen, wo sie nicht tödlich waren."
Danach wurde der Heilige wie ein Verbrecher vor Gericht geführt. Aber
Christus stand ihm bei, so daß er ruhmvoll und,ohne mißhandelt worden
zu sein, wieder entlassen wurde.
Die von den Katholiken heiß ersehnte bessere Zeit kam, als der
energische und streng katholische Theodosius Kaiser wurde. Er gab den
Katholiken ihre Kirchen zurück und ließ Gregor unter militärischem
Schutz in die den hl. Aposteln geweihte Kathedrale geleiten. Die ihm
angebotene formelle Installierung zum Bischof von Konstantinopel lehnte
er jedoch ab. Erst auf dem im Mai 381 eröffneten Konzil von
Konstantinopel stimmte er der Einsetzung zum Oberhirten der Stadt zu.
Nur kurze Zeit war seinem Wirken in diesem Amt beschieden. Auf der
nämlichen Kirchenversammlung beanstandeten ihm feindlich gesinnte
Bischöfe seine Inthronisierung, da sie im Widerspruch zu einer
Bestimmung des Konzils von Nicäa erfolgt sein sollte, welche die
Versetzung eines Bischofs in eine andere Diözese verbiete. Der Heilige
verteidigte sich würdevoll, indem er darauf hinwies, daß diese
Anordnung für ihn nicht zutreffe, da er niemals vom Bischofsstuhl von
Sasima Besitz ergriffen habe. Seine Redeschloß er mit den Worten: "Wenn
meine Wahl so viele Unruhe veranlaßt, so sage ich mit Jonas: 'Nehmt
mich und werfet mich ins Meer, um das Ungewitter zu stillen, obgleich
ich es nicht erregt habe. Wenn alle meinem Beispiel folgen, wird die
Kirche bald den Friedens genießen. Ich habe nie verlangt, Bischof zu
werden, und wenn ich es bin, so bin ich es gegen meinen Willen. Scheint
es euch zweckdienlich, daß ich mich zurückziehe, so eile ich in meine
Einsamkeit." So entsagte er mit Genehmigung des Kaisers einem Amte, das
er nur aus Pflichtgefühl übernommen hatte, und nicht zur Befriedigung
seines Ehrgeizes, wie es z.B. von Protestanten behauptet worden ist.
Hatte sein Wirken als Oberhirte somit auch ein vorzeitiges Ende
genommen, konnte Gregor doch für diese beiden Jahre als Bischof von
Konstantinopel Erfolge vorweisen: er stellte in der Hauptstadt die
Reinheit des Glaubens wieder her und trug auch wesentlich zur
Verbesserung der Sitten bei. Vorzeitig gealtert und infolge harter
Bußübungen geschwächt, zog er sich in seine Heimat zurück, zuerst nach
Nazianz, um vorübergehend nochmals die Verwaltung der Diözese zu
übernehmen, und dann nach Arianz, wo er bis zu seinem wahrscheinlich
389 erfolgten Tod ein der Askese und schriftstellerischen Arbeiten
gewidmetes Leben führte.
Gregor war seiner ganzen Veranlagung nach kein Tatmensch. Vielmehr
kennzeichnen ihn eine glühende Liebe zur Wissenschaft, neben der
Theologie auch zur Literatur, und einen Hang zu einem Leben in
Einsamkeit. Diese Charakterzüge, verbunden mit großer Sensibilität
ließen ihn zwar manchmal vor der Übernahme einer praktischen, mit viel
Verantwortung verbundenen Tätigkeit zurückschrecken. Aber sein in Gott
verankertes Vertrauen gab ihm zur rechten Zeit den Mut, sich der von
ihm geforderten Bewältigung bestimmter Aufgaben zu stellen.
Der Heilige hinterließ Reden, Briefe und Gedichte. In seinen Reden
zeigt sich seine wahre Größe als Theologe, und als Stilist wurde er für
die Ostkirche sogar ein Muster. Wir besitzen von ihm keine vollständige
Dogmatik, da er sich auf die Gebiete der Trinitätslehre und der
Christologie beschränkte, d.h. er widmete sich vorrangig Problemen, die
infolge der damaligen Häresien, besonders des Arianismus, ganz
besonders aktuell waren. Wie klar Gregor u.a. die
Unterscheidungsmerkmale der drei göttlichen Personen hervorhebt, kann
den folgenden Textzitaten entnommen werden:
"Wäre Gott Vater nicht die Ursache der im Sohne und im Geiste
geschauten Gottheit, dann wäre er nur der Anfang kleiner,
minderwertiger Geschöpfe. Es ist notwendig, die Einheit Gottes
festzuhalten und die Dreiheit in den Hypostasen bzw. Personen zu
bekennen, deren jede ihre Proprietät (d.i. ihre
Unterscheidungsmerkmale) besitzt. (...) Der Vater ist anfangslos und
ist Anfang, d.i. Ursache, Quelle, ewiges Licht; der Sohn aber ist nicht
anfangslos und ist Anfang der Schöpfung. Wenn ich hier von Anfang rede,
darfst du aber nicht an eine Zeit denken, nichts zwischen dem Erzeuger
und dem Erzeugten annehmen, nicht die Natur dadurch teilen, daß du
ungeschickt zwischen die Ewigen und Verbundenen etwas einschaltest.
Wäre nämlich die Zeit älter als der Sohn, dann wäre offenbar der Vater
zunächst die Ursache der Zeit. (...) Der Vater ist also ohne Anfang;
denn er hat das Sein nicht anderswoher, auch nicht aus sich selbst. Der
Sohn aber ist, wenn du den Vater als Ursache ansiehst, nicht ohne
Anfang; denn der Vater ist als Ursache der Anfang des Sohnes." (Rede
Nr.2o,6) "Hörst du von der Erzeugung des Sohnes, dann grüble nicht!
Hörst du vom Ausgang des Geistes, dann forsche nicht nach dem Wie!"
(Rede 2o,lo f. - zitiert nach: "Des hl. Bischofs Gregor v. Nazianz
Reden" München 1928, S.IX.)
An anderen Stellen weist der hl. Gregor darauf hin, er lehre über die
Trinität nach Art der (galiläischen) Fischer und nicht wie Aristoteles;
oder er rühmt sich, die Lehre, welche er aus der Hl. Schrift geschöpft
und von den Vätern übernommen habe, stets unverändert ohne jede
Anpassung an die Zeitverhältnisse festgehalten zu haben.
Wie hoch er als Theologe angesehen war, beweist auch der Einfluß, den
er auf die Lehren der großen Konzilien des 5. Jahrhunderts,
insbesondere das von Chalkedon, hatte. Der lateinische
Kirchenschriftsteller Rufin von Aquilea, sein Schüler, der mehrere
seiner Reden ins Lateinische übersetzte, schrieb, es sei ein deutliches
Zeichen, daß man nicht im Besitze des rechten Glaubens sei, wenn man im
Glauben nicht mit Gregor übereinstimme. Allerdings brachte erst der
christliche Humanismus Gregor dem Abendlande näher. Zu Beginn des 16.
Jahrhunderts erschien in Venedig ein Großteil seiner Gedichte, deren
meist der Theologie entnommene Themen im Stile künstlicher Rhetorik
behandelt werden, somit wenig echte Poesie enthalten.
Bedeutungsvoller aber war es, als im Zuge der Brevierreform vom hl.
Papst Pius V. 1568 das erste Mal Brevierlesungen auch den Schriften der
großen griechischen Kirchenlehrer, darunter auch des hl. Gregor von
Nazianz, entnommen wurden. Die lateinische Kirche feiert das Fest
unseres Heiligen gemäß dem lateinischen Martyrologium am 9. Mai. Die
Ostkirche feiert sein Gedächtnis am 25. und 3o. Januar. Seine
sterblichen Überreste ruhten zuerst in Nazianz. Um 95o ließ sie der
byzantinische Kaiser nach Konstantinopel überführen. Während der
Kreuzzüge wurden sie nach Rom gebracht. Ihre feierliche Übertragung in
die Capeila Gregoriana des Petersdomes erfolgte 1582 unter Papst Gregor
XIII.
Benützte Literatur:
"Des heiligen Bischofs Gregor von Nazianz Reden" (Bibl. d. Kirchenväter) München 1928.
Manns, Peter: "Die Heiligen und ihre Zeit." l.Bd., Mainz 1966.
"New Catholic Encyclopedia" 6.Bd., 1967.
Pastor, Ludwig Frhr. v.: "Geschichte der Päpste" Bd.8, Freiburg 1923.
"Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche" 7.Bd., Leipzig 1899.
Stadler, J.Ev.: "Vollständiges Heiligen-Lexikon in alphabethischer Ordnung" 2.Bd , Augsburg 1861.
"Vies des Saints par les R.R.P.P. Bénédictins de Paris" Paris 1947.
Wetzer und Welter: "Kirchenlexikon" Freiburg 1888.
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