HANDELSWARE MENSCH ?
von
Dr. Bruno Hügel
Wie ein Strohfeuer loderte vor etwa zwei Jahren die Diskussion um
einige ebenso brisante wie schockierende Fragen auf: Existiert ein
europaweit organisierter Handel mit abgetriebenen menschlichen
Embryonen? Werden dieselben zu Präparaten der Kosmetikindustrie
verarbeitet? Stimmt es, daß menschliche Gewebe für Pharmaindustrie per
Bestellkatalog angeboten werden? Trifft es zu, daß im Ausland sogar
lebende Föten, die durch Kaiserschnitt zur Welt gebracht wurden, zu
Experimenten "gebraucht" worden sind? Dieser Fragenkatalog könnte noch
fortgesetzt werden. Das Diskussionsfeuer entzündete sich an einer
Anfrage des hessischen CDU-Abgeordneten Roland Rosier an den Landtag.
Eine Fülle von Beweismaterial für die oben zitierten Fragen kamen
inzwischen an das Licht der Öffentlichkeit. Obwohl das Thema in den
Massenmedien fast ebenso rasch, wie es aufgetaucht war, wieder
verschwunden ist, geht die Auseinandersetzung über die ethischen und
rechtlichen Fragen auf politischer Ebene intensiv weiter.
Es ist einem Entschließungsantrag an das Europäische Parlament vom 13.
Januar 1983 zu verdanken, daß der gut organisierte Handel und die vor
der Öffentlichkeit weitgehend abgeschirmt vor sich gehende Verarbeitung
ungeborenen menschlichen Lebens publik wurden. Einer der
Hauptinitiatoren des Antrags ist der Europaabgeordnete Dr. Otto von
Habsburg. In einem Schreiben des Europaparlamentariers vom 3o. Januar
1984 führ von Habsburg u.a. aus, das Dokument des Abgeordneten Gherko
bestätitge, daß "die Nutzung der Föten ein dichtes Netz
wirtschaftlicher Interessen hat entstehen lassen, die vom Handel unter
Verwendung finanzieller Anreize, um die Bereitschaft der Spendenmutter
zu fördern, bis zur Manipulation im Laboratorium gehen ... Es
existieren offensichtlich Banken für fötales Gewebe, die zahlreiche
Laboratorien beliefern. Hierbei handelt es sich um Laboratorien für
Embryologie, Zulieferer der kosmetischen Industrie für die Zubereitung
von Schönheitspräparaten (Puder, Cremes usw.), Laboratorien, in denen
sogenannte therapeutischen Produkte (Verjüngungsmittel, Präparate zur
Bekämpfung der Zuckerkrankheit, des Zwergwuchses usw.) hergestellt
werden und schließlich Laboratorien, in denen, wie es heißt, reine
Forschung betrieben wird. In den Embryologie-Laboratorien werden
Versuche mit 12 bis 21 Wochen alten Föten unternommen, die durch eine
Hysterotomie (Kaiserschnitt) dem Mutterleib unversehrt und lebend
entnommen werden."
Zurecht stellt Dr. von Habsburg fest, daß es nur noch als Zeichen
größter Dekadenz zu werten ist, wenn sich die Öffentlichkeit über das
Töten junger Robben und über Tierversuche erregt, das Köpfen 8 bis 21
Wochen
alter lebender menschlicher Wesen zu Versuchszwecken oder die
Verwendung ungeborener Kinder für die Parfumindustrie jedoch tatenlos
hinnimmt. Dies ist um so unverständlicher, nachdem heute die
Schmerzempfindlichkeit der ungeborenen Kinder erwiesen ist, die
winzigen Menschenkinder einen regelrechten Todeskampf bei einer
Abtreibung vollziehen und Psychologen sogar über vorgeburtliche
Eindrücke und ihre Bedeutung für die spätere Entwicklung der kindlichen
Psyche ernsthaft diskutieren.
Wie konnte diese unheilvolle Entwicklung des Embryonenhandels und der
Degradierung des Menschen zur Handelsware überhaupt seinen Lauf nehmen?
Sind es mangelnde gesetzgeberische Vorschriften oder unzureichende
Zollbestimmungen? So berichtet der "Rheinische Merkur" am 24. August
1984, daß Zollbeamte im Frühjahr 1981 an der
französisch-schweizerischen Grenze einen Kühltransporter, der, aus dem
Ostblock kommend, nach Frankreich fahren wollte, anhielten. Bei der
Inaugenscheinnahme der Fracht bekamen die Zölnner makabre Dinge zu
sehen: Der Lairaum war voll beladen mit tiefgefrorenen menschlichen
Föten - "Geburtsabfällen" - wie auf dem Lieferschein zu lesen stand.
Empfänger der Sendung waren französische Kosmetikfirmen.
Schlagzeilen machte auch die Entdeckung eines Containers in Santa
Monica (Kalifornien), in dessen Inhalt mehr als 5oo Föten in
Formaldehyd schwammen - einige bis zu 2 Kilogramm schwer. In der Nähe des Fundorts
befand sich eine Klinik für Schönheitsbehandlung! Als findige
Journalisten einem Gynäkologen auf die Spur kamen, der in
Großbritannien Föten gegen Bezahlung an eine Chemiefabrik lieferte,
soll dieser erklärt haben, daß der Preis dafür um so besser sei, je
entwickelter der Fötus sei. In der Tat eine Haltung,die das menschliche
Leben von der Zeugung bis zum Tod verfügbar erscheinen läßt. Man kann
es kontrollieren, manipulieren und schließlich abstellen wie eine
Maschine ... Menschliches Leben droht immer mehr in den Sog
kommerzieller Interessen hineingezogen zu werden.
Am Karfreitag 1984 wurde eine Sendung des Westdeutschen Rundfunks
ausgestrahlt mit dem Titel "Lasset uns den Menschen machen". Man
demonstrierte Praktiken, wie sie auch in der Bundesrepublik Deutschland schon
Wirklichkeit sind: Männer werden als "Spender" von Spermien mit 2oo DM
pro Ejakulat honoriert, männliche Fortpflanzungszellen werden
tiefgekühlt in "Samenbänken" zur Verfügung gehalten, weibliche Eizellen
werden zur Befruchtung vorgesehen, um dann in die Gebärmutter
eingepflanzt zu werden oder gar von Leihmüttern gegen Bezahlung
ausgetragen zu werden. Der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt bleibt indes, daß bei diesen
Praktiken zur Sicherheit gleich mehrere befruchtete Eizellen benötigt
werden. Für die überzähligen "Keimlinge" gibt es keinerlei rechtlichen
Schutz. (...)
Die bereits aufgeworfene Frage, wie es zu dieser unvorhergesehenen
Entwicklung in ihrem ganzen erschreckenden Ausmaß kommen konnte, steht
noch im Raum. Wilhelm Hellmuth, Redakteur der "Welt am Sonntag",
brachte die Frage in einem Schreiben an den Verfasser auf folgenden
kurzen Nenner: "Das Grundproblem", schreibt Hellmuth im Zusammenhang
mit den Recherchen zum Embryonenhandel, "sind die zahlreichen
Abtreibungen. Nur aufgrund dieser hohen Zahl und ihrer Legalität könnte
der Skandal entstehen, von dem Herr Rosier gesprochen hat. Dies ist
freilich eine politische Frage, die in Bonn diskutiert und möglicherweise neu entschieden werden muß."
In der Tat - und das bestätigen Meinungsumfragen - ist das
Unrechtsbewußtsein in der Frage der Abtreibung in erschreckender Weise
geschwunden.
Die herrschende Tötungsmentalität ist hierzulande u.a. auch darauf
zurückzuführen, weil das, was nur bedingt strafrechtlich geahndet wird,
in weiten Bevökerungskreisen als vom Staat erlaubt angesehen wird.
Somit wird heute bei uns de facto die "Fristenlösung" praktiziert.
So schließt sich der Circulus vitiosus, ein Teufelskreis, der über die
weltweite Freigabe der Abtreibungen im Rahmen der internationalen
Gremien für Familienplanung zu der andeutungsweise geschilderten
Vermarktung menschlichen Lebens geführt hat. Die umfangreiche Liste an
Ungeheuerlichkeiten soll an dieser Stelle nicht verlängert werden,
weohl aber ein Zitat aus "Dokument und Analyse" angefügt werden, das
angesichts der zahlreichen Schmähungen, welche die christlichen
Kirchen, besonders aber die Päpste des 2o. Jahrhunderts, immer und
immer wieder wegen ihrer konsequenten Stellungnahme für das Leben des
Menschen von Anfang an bezogen haben, angebracht ist.
"Es scheint, als stehe die Menschheit davor, eines ihrer Grundgüter
endgültig aufzugeben: Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben. Die Gründe
hierfür sind nicht allein in den jüngsten bio-technologischen
Entwicklungen zu suchen. Sie reichen in die Zeit zurück, da man begann,
den Menschen seines transzendentalen Gewandes zu berauben und dazu
überging, ihn als einen mechanischen Apparat zu beschreiben. Man mag
das Eintreten der katholischen Kirche für das ungeborene Leben als
Anachronismus betrachten - vor solchem Hintergrund gewinnt es an
ungeheurer Aktualität." (vgl. DOKUMENT & ANALYSE Nr.lo/1984, S.22.)
(Der Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors übernommen aus AUFBRUCH 1/86) |