PHILOSOPHISCHE ARGUMENTE
GEGEN DEN PROGRESSISMUS
von
Dr. Wolfgang Schüler
Jeder, der dem Progressismus aus Einsicht widerstehen will, wird großes
Interesse daran haben zu erkennen, wie man ihn widerlegen kann. Er
stellt sich zunächst einmal selbst die Frage, warum er den
Progressismus ablehnt, und er wird bestrebt sein, die Position des
Gegners kennenzulernen, sie zu durchdenken und dabei so viele und so
gute Argumente wie nur möglich der eigenen Position entgegenzustellen.
Er wird nicht ruhen, bis er den Gegner restlos widerlegt und Schwächen
der eigenen Position aufgespürt und behoben hat.
Dabei ist er auf persönliche Gespräche mit Progressisten nicht
angewiesen, er kann vielmehr den Gegner in sich selbst zu Wort kommen
lassen. Übrigens ist ein Gespräch mit Progressisten nicht unter allen
Umständen sinnvoll, denn der Wille zur Erkenntnis ist Voraussetzung für
jedes sinnvolle Gespräch über wissenschaftliche und damit auch
theologische Gegenstände.
Nicht alle Argumente, die man dem Gegner gegenüber vorbringen kann,
sind philosophischer Art. Wenn ich mich auf diese im folgenden
beschränke, dann soll damit nicht gesagt sein, daß alle anderen
Argumente ungeeignet oder minderwertig seien, aber ich hoffe zeigen zu
können, daß philosophische Argumente in besonderer Weise geeignet sind,
den Gegner zu widerlegen. Ich will nämlich zeigen, daß die Ablehnung
des Progressismus eine Denknotwendigkeit ist.
Dabei werde ich im ersten Teil ganz allgemein argumentieren und erst an
späterer Stelle auf kirchliche Dinge zu sprechen kommen, denn man muß
erst einige Grundlagen schaffen, um den Gegner treffen zu können. Dazu
ist etwas Geduld erforderlich.
Da mein Thema lautet: "Philosophische Argumente gegen den
Progessismus", muß ich zunächst eine Begriffsbestimmung der Philosophie
vornehmen, woraus sich ergibt, was ein philosophisches Argument ist,
und dann werde ich versuchen, das Wesen des Progressismus zu
kennzeichnen ...
Definition:
Philosophie ist eine freie geistige Tätigkeit, welche die Prinzipien
der ganzen Wirklichkeit zu erkennen strebt und in der diese Erkenntnis
gewonnen wird. (Unter der ganzen Wirklichkeit wird alles verstanden,
was vom Geiste in Betracht gezogen werden kann. Erkenntnis findet
statt, wenn sich eine Behauptung als wahr erweist.)
Was ist mit den "Prinzipien der Wirklichkeit" gemeint? Prinzip
bedeutet: Das Erste, der Ursprung, die Grundlage, das
Allgemeinbestimmende. Es folgen einige Beispiele für Prinzipien der
geistigen Wirklichkeit aus dem Bereich des Verstandes, die Kant
Kategorien nennt:
Das Prinzip der Geleichheit:
Platon (ca. 4ooo v.Chr.) erläutert es in seinem Dialog "Phaidon" an dem
Beispiel zweier Hölzer. Wir sagen, sie sind nicht ganz gleich. Was
geschieht bei einem solchem Vergleich? Wir beziehen die Vorstellung von
den beiden Hölzern auf die Idee der Gleichheit und messen sie daran.
Ehe wir anfangen zu sehen und zu hören, müssen wir schon eine
Erkenntnis des Gleichen gewonnen haben. Aus Erfahrung können wir
niemals gelernt haben, was gleich ist, denn Gleichheit kommt ja gar
nicht in der Erfahrung vor. An zwei Erfahrungsgegenständen lassen sich
immer Unterschiede angeben, ganz abgesehen davon, daß sie
unterschiedliche Positionen im Raum einnehmen.
Die Idee der Gleichheit gewinnen wir also nicht von außen, sondern das
menschliche Denken ist ursprünglich mit ihr ausgestattet, wir tragen
sie an die Erfahrungswelt heran, und wir ordnen die Erfahrungswelt
unter anderem unter diesem Gesichtspunkt.
Das Prinzip der Einheit:
Ich sehe einen Tisch. Die verschiedenen Bestimmungen, die ich an ihm
treffe, sind im Begriff "Tisch" schon zur Einheit gebracht, sonst hätte
ich den Tisch gar nicht. Im Raum sind seine Teile nebeneinander, so die
Beine, die Platte und die Teile dieser Teile. Die Einheit, die ich mit
dem Begriff "Tisch" bezeichne, kommt mir nicht von außen zu, sondern
ich gehe mit dem Prinzip der Einheit an das Nebeneinander heran und
fasse es zur Einheit zusammen. Unter Zuhilfenahme des Einheitsbegriffes
wird ein Objekt überhaupt erst ein Gegenstand des Bewußtseins.
Das Prinzip der Identität:
Wir identifizieren Gegenstände und Personen mit sich selbst und halten
diese Identifizierung in der Zeit durch. Ein Beispiel: Wir sehen einen
Menschen nach zehn Jahren wieder und sagen, daß er sich verändert habe.
Von diesem "er" können wir sprechen, weil wir die Verstandesform
(Kategorie) der Identität auf ihn angewendet haben, denn dem Aussehen
nach ist er nicht mehr der "Alte".
Das Prinzip der Kausalität:
Eine in Bewegung befindliche Kugel 1 triff^auf eine ruhende Kugel 2 und
diese wird bewegt. Wir sagen: Weil Kugel 1 auf Kugel 2 gestoßen ist,
bewegt sich Kugel 2, das haben wir doch gesehen. Nein, gesehen haben
wir nur, daß Kugel 1 Kugel 2 berührte und daß dann Kugel 2 sich
bewegte. Das "weil" denken wir uns dazu; wir tragen das Prinzip von
Ursache und Wirkung an den Vorgang heran und erklären uns mit seiner
Hilfe den Vorgang, indem wir eine Beziehung, die es nur im Geiste gibt,
auf ihn projizieren.
In der Tat entstammt jegliche Beziehung dem Geiste! Diese Tatsache
eingehend zu erwägen ist sehr lohnend; es lassen sich aus ihr eine
Fülle von Konsequenzen ziehen, auf die ich hier aber nicht eingehen
kann. Im Bereich des Wahrnehmbaren haben wir dagegen nur ein striktes
Nebeneinander.
Ich sagte, es ist Aufgabe der Philosophie, die Prinzipien des gesamten
Denkens darzustellen. Zu ihnen gehören nicht nur Verstandesprinzipien,
sondern auch Vernunftprinzipien (Freiheit, Gott und Unsterblichkeit),
sowie Prinzipien der Interpersonalität, der Ethik, der Ästhetik usw.
Definition:
Ein philosophisches Argument besteht in der Angabe eines Grundes für
die Richtigkeit oder Falschheit einer Behauptung unter Berufung auf ein
Prinzip des Denkens.
Beispiele für nicht-philosophische Argumente:
* Die tridentinische Heilige Messe ist dem Novus Ordo vorzuziehen, weil
sie in der Substanz die Messe der gesamten Vergangenheit beinhaltet.
* Der Novus Ordo ist der Tridentinischen Messe vorzuziehen, weil er zeitgemäß ist.
In beiden Fällen beruft man sich zur Begründung nicht auf ein
Denkprinzip, sondern auf die Zeit (Natürlich spricht im zweiten Falle
die Eigenschaft "zeitgemäß" nicht für, sondern gegen den Novus Ordo).
* Die Tridentinische Messe ist dem Novus Ordo vorzuziehen, weil sie feierlicher ist.
Auch hier liegt keine Abgrenzung im Prinzipiellen vor, sondern es wird mit Graden der Feierlichkeit operiert.
Allgemein gilt, daß Argumente, die ein Mehr oder Weniger in Anschlag bringen, keine philosophischen Argumente sind:
* feierlicher - weniger feierlich
* ehrfurchtsvoller - weniger ehrfurchtsvoll; oder
* länger - kürzer
* zeitgemäß - unzeitgemäß verständlicher - weniger verständlich
* besser - schlechter.
Alle Argumente, die sich um solche Begriffspaare drehen, also mit einem
Mehr oder Weniger operieren, sind keine philosophischen Argumente, weil
ein Mehr oder Weniger für den philosophischen Begriff keinen
Unterschied macht. Es geht in der Philosophie nie um solche
quantitative, sondern nur um qualitative Unterschiede, die an
Denkprinzipien festgemacht werden.
Nächster Schritt in der Bestimmung der Aufgabe der Philosophie.
Die Philosophie als Wissenschaft kann sich nicht damit begnügen, das
Allgemeinbestimmende, Prinzipielle, hier und da aufzudecken, oder die
Gesamtheit der Denkprinzipien im Sinne eines Nebeneinander
aufzustellen, sondern sie hat nach dem Verhältnis der Prinzipien
zueinander zu fragen und sie in ein System zu bringen. Wer nach dem
Verhältnis der Prinzipien zueinander fragt, der fragt nach ihrer
Einheit und damit nach dem sie alle bestimmenden letzten Prinzip, das
der Philosoph das Absolute (die Religior: Gott) nennt.
Zur Auffindung des gesuchten Grundprinzips setze ich am sprachlichen
Ausdruck an und betrachte eine beliebige Aussage des Bewußtseins. Sie
hat entweder die Form einer Frage, eines Zweifels oder einer Behauptung.
Zur Frage: Die Frage schließt
die Behauptung ihrer selbst ein, denn sie setzt die Frage als Frage,
und sie schließt die Behauptung ein, daß es Wahrheit gibt, die
realisiert werden soll. Also stecken in jeder Frage mindestens diese
beiden Behauptungen, und insofern ist die Behauptung allgemeiner als
die Frage.
Zum Zweifel: Auch der Zweifel
muß sich als solcher behaupten: die Zweifelsform wird in jedem Zweifel
mitgesetzt, sonst wüßte ich, wenn ich zweifele, nicht, daß ich
zweifele. Der Zweifel schließt also auch die Behauptung ein. Aber
umgekehrt schließt die Behauptung weder eine Frage noch einen Zweifel
ein.
Ergebnis:
Unter den drei Aussageweisen des Bewußtseins: Frage, Zweifel und
Behauptung, ist die Behauptung die allgemeinste. Das gesuchte
Grundprinzip muß also in der Behauptung stecken. Worin besteht es? Jede
Behauptung beansprucht Wahrheit für ihre Form, nämlich eine Behauptung
zu sein und darüber hinaus auch für das, was inhaltlich behauptet wird.
Auch der Lügner behauptet Wahrheit für seine Unwahrheit. Wahre
Behauptungen unterscheiden sich von unwahren dadurch, daß ihr Anspruch
gerechtfertigt ist. Diese Rechtfertigung kommt aber nicht aus der
Behauptung als solcher, sonst wäre die Lüge gar nicht möglich, sondern
aus der Wahrheit selbst.
Ergebnis:
Das Grundprinzip der Philosophie ist die Wahrheit. Es ist die Aufgabe
der Philosophie, aus diesem Prinzip die andern Prinzipien zu entfalten.
Für die Auseinandersetzung mit dem Progressismus muß man näher in das
Wahrheitsprinzip eindringen. Bevor ich daran gehe, will ich versuchen,
den Progressismus im allgemeinen zu charakterisieren, also zunächst
noch nicht in der speziellen Form, wie er sich heute im offiziellen
Raum der'Kirche'darstellt. Der Progressismus hat auch ein absolutes
Prinzip, aber dieses ist nicht die Wahrheit, sondern es ist das Prinzip
des Wandels, der Veränderung in der Zeit.
Nach ihm ist alles, auch die Wahrheit, der Veränderung unterworfen. Man
kann sagen, daß sein Absolutes die Veränderung selbst ist. Und diese
Veränderung in der Zeit bewertet er als gut, er bejaht sie. Man
beachte, daß diese Bewertung nicht aus der Veränderung als solcher
kommt, sondern daß sie ihr sozusagen von außen vom Progressisten
angehängt wird. Für ihn ist das jeweils Neue, weil es neue ist auch das
Bessere. (Hitler war auch einmal neu; der konsequente Progressist mußte
sein Auftreten damals als Fortschritt gelobt haben). Man frage den
Progressisten doch einmal, warum ein Prozeß nicht in negative Richtung
laufen kann. Es lassen sich in der Geschichte doch zahlreiche Beispiele
für Rückentwicklungen finden. Es sei nur an die große griechische
Philosophie gedacht, an das, was Piaton und Aristoteles dachten. Es
ging unter und blieb dann Jahrhunderte lang fast unbekannt, bis die
Scholastik diese Philosophie neu entdeckte.
In seiner schärfsten Form leugnet der Progressist die Existenz von von
Wahrheit. Daneben tritt der Progressismus in zwei abgeschwächten Formen
auf, die für unsere Auseinandersetzung von besonderer Bedeutung sind:
1. Die Wahrheit ist geschichtlich. Sie ändert sich in der Zeit. Jede Zeit hat ihre eigene Wahrheit.
2. (Noch weiter abgeschwächt) Es mag zwar eine unveränderliche Wahrheit
geben oder es gibt tatsächlich eine solche, aber für uns Menschen, die
wir ja in der Zeit stehen, verändert sie sich, und wir müssen
bescheiden versuchen, uns ihr immer mehr und immer wieder neu
anzunähern.
Wenn man sich einmal überlegt hat, wie der Progressismus in seiner
schärfsten Form zu widerlegen ist, dann gewinnt man einen Schlüssel, um
mit ihm auch in seinen abgeschwächten Formen fertigzuwerden, was ich
jetzt zu zeigen versuche.
Behauptung des Progressismus:
Es gibt keine absolute Wahrheit, sondern es gibt nur Ansichten.
Gegenargumentation:
Vorbemerkung: Hinsichtlich des
Nachweises der Existenz von Wahrheit, trifft man häufig auf eine
falsche Erwartungshaltung. Es wird erwartet, daß die Existenz von
Wahrheit im gleichsam matehmatischen Sinne nachgewiesen wird, was aber
gar nicht möglich ist. Warum nicht? Beweisen heißt, aus gewissen
Voraussetzungen andere Aussagen herleiten. Aber die Voraussetzungen
sind ja selbst Aussagen, die nur unter Beanspruchung der Wahrheit
zustande kommen. Also ist das Prinzip des Beweises zu schwach - nicht
umfassend genug - um die Wahrheit als Wahrheit zu erfassen.
Oder auch so: Beweisen heißt
zurückverlagern auf Elementareres. Das Elementarste aber, weil es das
Elementarste, die Basis von allem ist, kann nicht zurückverlagert
werden.
Wer fordert: Beweise mir
mathematisch, daß es Wahrheit gibt, hat die grundlegende, konstitutive
Form der Wahrheit für alle geistigen Akte nicht erkannt. Aber man kann
die Existenz von Wahrheit aufzeigen etwa dadurch, daß ich dem Gegner
zeige, daß er die Existenz von Wahrheit gar nicht leugnen kann, ohne
sie dabei zu beanspruchen. Wenn er sagt: "Es gibt keine Wahrheit", dann
halte ich dagegen: "Deine Aussage soll doch wahr sein, oder?" Sagt er
"ja", dann gibt er die Existenz von Wahrheit direkt zu. Sagt er "nein",
dann hebt er seinen Einwand gegen die Wahrheit selbst auf; denn er gibt
zu, daß sein Widerspruch gegen die Wahrheit nichtig ist! (...)
Wenn der Progressist abschwächt: "Es gibt vielleicht keine Wahrheit",
dann muß man nachsetzen: "Es ist also doch wahr, daß es vielleicht
keine Wahrheit gibt?" Und wenn der Progressist sagt: "Ich zweifle
daran, daß es Wahrheit gibt", so muß man sofort nachfragen: "Es ist
aber doch wohl wahr, daß Sie zweifeln?" Und wenn er dann 'bescheiden'
sagt: "Ich bin auf der Suche nach der Wahrheit", dann setzen sie wieder
nach: "Es ist also doch wahr, daß Sie auf der Suchenach der Wahrheit
sind?" In allen genannten Fällen treffen wir auf diese Weise den Punkt,
wo der Progressist die Existenz der Wahrheit zugeben muß, wenn seine
Aussagen überhaupt Sinn und Bestand haben sollen.
(Bemerkung: Allgemein ist es in solchen Streitgesprächen lohnender, die
Position des Gegners aufzugreifen, die Unhaltbarkeit seiner Thesen
offenbaren, als etwas anderes dagegenzusetzen).
Die These von der Geschichtlichkeit der Wahrheit.
Genauere Beschreibung der These: Alle Geltungen haben nur während einer
bestimmten (Geschichts)Zeit Wahrheit; sie werden dann durch neue
Geltungen abgelöst und verlieren dadurch ihre vorherige Gültigkeit.
Bemerkung: Diese These
behauptet, daß die Zeit in die Wahrheit kommt, während die christliche
Position genau das Gegenteil aussagt, nämlich daß die Wahrheit in die
Zeit kommt. Christus kommt in die Welt.
Widerlegung: Die These (von der
Geschichtlichkeit der Wahrheit) ist eine Behauptung, die mit dem
Anspruch auftritt, wahr zu sein. Wenn alle Wahrheit geschichtlich ist,
dann ist auch die Wahrheit dieser These geschichtlich und gilt nur für
eine gewisse Zeit. Einerseits erhebt der Gegner einen absoluten
Wahrheitsanspruch für seine These, andererseits verwirft er ihn -
allerdings unbemerkt - in der These selbst, da es ihr zufolge keine
absolute Wahrheit gibt. Seine Aussage ist also widersprüchlich.
Ein Widerspruch A und nicht-A kann aber nicht gedacht werden, so daß
sich die These selbst aufhebt. Warum kann ein Widerspruch hier
eigentlich nicht gedacht werden? Die Aussage A beansprucht Gültigkeit
für A. Die Aussage nicht-A (das Gegenteil von A) beansprucht ebenfalls
Gültigkeit für nicht-A und verneint eben dadurch den
Gültigkeitsanspruch für A und umgekehrt. Es kommt also zu keiner
Zuerkennung von Wahrheit und Gültigkeit und damit - streng genommen -
zu gar keiner Aussage. Ein solcher Widerspruch kann nur gesprochen,
nicht aber gedacht werden, weil sich die Gültigkeitszuerkennungen
gegenseitig vernichten.
Drei Konsequenzen aus der These von der Geschichtlichkeit der Wahrheit.
1. Wer diese These vertritt, schneidet sich von der Geschichte ab; er
wird geschichtslos. (Die Beschneidung des Geschichtsunterrichtes in
gewissen 'Schulreformen' ist nicht von ungefähr). Denn denjenigen, der
in früherer Zeit gelebt hat, kann ich unter der Gültigkeit dieser These
nur ablehnen, denn er hat für mich keine Bedeutung, er hat mir nichts
zu sagen. Die eine Wahrheit, die uns verbindet, gibt es nach dieser
These ja nicht. Da es keine Einheit gibt, ist die Beziehung zur andern
Person (in der Geschichte) aufgehoben, denn jede Beziehung setzt
Einheit voraus. Der andere ist dann nur noch ein Objekt meiner
Beurteilung, er wird geistig getötet. Man erkennt daran, daß der
Progressismus totalitär ist.
2. Da in einer andern Zeit andere Normen gelten, muß der Vertreter
dieser These zugeben, daß man z.B. einmal den Mord für rechtmäßig
halten konnte, oder ihn in Zukunft einmal möglicherweise für rechtmäßig
halten wird. Eine Empörung z.B. über die Verbrechen im 3. Reich ist
aufgrund dieser These letztlich gar nicht möglich. (...)
3. Die These (von der Geschichtlichkeit der Wahrheit) schlägt auf den
zurück, der sie vertritt. Wenn ihr Vertreter morgens aufwacht, lebt er
schon in der Furcht, daß seine (gestrigen) Geltungen heute überholt
sind; er kann unversehens in Rückstand geraten und
das'Vernichtungsurteil' hören: Du bist nicht mehr zeitgemäß!
Die Konsequenzen, die sich aus dieser Auffassung ergeben, sind: Emsiges
Lauschen auf die Meinung der Zeitgenossen; Podiumsgespräche,
Diskussionen, dauernder Wettlauf nach der letzten Modernität. Daran
wird deutlich, daß sich die ganzen verbalen Aktivitäten in
progressistischen Gemeinden (Diskussionen, Gespräche, Arbeitskreise,
Foren etc.) direkt aus dem progressistischen Prinzip ergeben. Sie sind
keine äußerlichen Zutaten. Der Progressismus kniet vor dem 'modernen
Denken' und er bettelt darum, akzeptiert zu werden; er ist bereit,
jederzeit seine Position zu wechseln. Man denke an Schillers Wort: "ich
sehe diese würd'gen Peers, mit schnell vertauschter Überzeugung unter
vier Regierungen den Glauben viermal ändern".
Behauptung des Progressismus (zweite , abgeschwächte These):
Nicht die Wahrheit selbst, aber die Erkenntnis der Wahrheit wandelt
sich in der Geschichte. Zunächst liegt hier ein Mißbrauch des
Erkentnisbegriffs vor: was erkannt wird, ist untrüglich wie es ist und
schließt jede Täuschung aus, sonst liegt keine Erkenntnis vor (man
vergleichedie obige Argumentation zur Undenkbarkeit eines
Widerspruches).
Widerlegung:
1. Wenn alle menschliche Erkenntnis der Wahrheit unangemessen ist, dann
fragt es sich, woher man von dieser Unangemessenheit wissen kann. Wie
hast du diese Unangemessenheit denn erkannt, wenn du auf der Seite
dieser angeblich inadäquaten Erkenntnis stehst? Diese Behauptung setzt
einen Standpunkt voraus, der außerhalb der menschlichen Erkenntnis ist
(!) und von diesem aus wird dann vergleichend festgestellt, daß die
menschliche Erkenntnis der Wahrheit unangemessen ist. Du müßtest also
deinen Erkenntnisrahmen, dein Denken verlassen, um einen solchen
Standpunkt einnehmen zu können. Es ist dir aber nicht möglich, dein
Denken zu verlassen. Wenn mir die Wahrheit nicht erscheint, dann kann
ich auch keine Aussagen über sie im Verhältnis zu meinem Wissen machen.
In Abwandlung eines Wortes von Schiller könnte man sagen: "Draußen nur
sucht sie der Tor, sie erzeugt sich in dir, sie bringt sich in dir
hervor!"
2. Außerdem gilt: Wenn alle Erkenntnis der Wahrheit die Wahrheit nicht
erreicht, dann doch auch nicht diese angebliche Erkenntnis über das
Verhältnis von Erkenntnis und Wahrheit. Es wird doch hier geurteilt
über das Verhältnis von Wahrheit und ihrer Erkenntnis. Wie kann man das
aber, wenn einem die Wahrheit jenseitig ist, was in der These behauptet
wird? Was ich nicht kenne, darüber kann ich auch nicht urteilen; ein
entsprechendes Urteil, das dennoch gefällt wird, ist sinnlos. Bedenken
wir noch einmal die Methode, mit der wir die unterschiedlichen Formen
progressistischer Behauptungen widerlegt haben. Jeder
Wahrheitsrelativist beansprucht uneingestanden Wahrheit für seine
Relativierungsthese. Man kann ihm zeigen, daß er sich dabei
widerspricht und daß sich deshalb seine Behauptung in Nichts auflöst.
In der Auseinandersetzung mit einem Wahrheitsrelativisten (der
Progressist ist einer), muß man das aufspüren, für was er einen
Wahrheitsanspruch erhebt, und das ist zumindest die Wahrheit seiner
These selbst. Wenn er mitdenkt, muß er dann die Existenz absoluter
Wahrheit anerkennen.
Der heilige Bonaventura hat das vollständig erkannt und herrlich
ausgedrückt in den Worten: "Das Licht der Seele ist die Wahrheit.
Dieses Licht kennt keine Dämmerung. Es strahlt ja so stark in die
Seele, daß nicht einmal gedacht werden kann, sie sei nicht, und der
Mensch so etwas nicht aussprechen kann, ohne sich selbst zu
widersprechen". Ich hoffe, einsichtig gemacht zu haben, daß der
Progressismus eine Position des Irrtums ist, dem aus der
Wahrheitsposition heraus nicht der kleine Finger gereicht werden kann.
Wahrheit und Irrtum
Wie steht es aber mit der Duldung einer Koexistenz von Wahrheit und
Irrtum? Ist es denkmöglich, daß man sich persönlich scharf gegen den
Progressismus abgrenzt, aber um Auseinandersetzungen zu vermeiden, oder
um selbst geduldet zu werden, darauf verzichtet, den Progressismus
anzugreifen?
Wenn ich hier vorläufig unterstelle, daß der Novus Ordo ein
progressistisches Irrtumsprodukt ist, dann stellt sich diese Frage
konkret im Hinblick auf das päpstliche1 Induit bezüglich der
Tridentinischen Messe unter ganz bestimmten Bedingungen. Philosophisch
interessiert nur der allgemeine Fall, also die Frage, ob ein
Nebeneinander von Wahrheit und Irrtum akzeptabel ist. Um diese Frage zu
beantworten, muß ich daher näher auf die Wahrheit selbst eingehen.
1. Es ist doch merkwürdig, daß
wir z.B. einen Satz der Mathematik - etwa, daß die Winkelsumme im
Dreieck 18o Grad beträgt - rechtens nicht bestreiten können, wenn wir
die Schritte eines Beweises für ihn verstanden haben. Wir werden
unserer Ohnmacht vor der Wahrheit inne. Der Grund dieser Ohnmacht
besteht darin, daß nicht das menschliche Denken die Wahrheit
produziert, sondern daß die Wahrheit sich selbst im Denken
hervorbringt. (Noch einmal Schiller:"Draußen nur sucht sie der Tor, sie
ist in dir, sie bringt sich in dir hervor.") Aber wie, auf welche Weise
bringt sie sich hervor? Die Wahrheit tritt nicht als bloße Tatsache auf
(dieses oder jenes ist einfach so), sondern in Form eines Aufrufes, der
an das menschliche Bewußtsein gerichtet ist. Dieser Aufruf fordert mich
auf, mich der Wahrheit durch eine Antwort aus freier Entscheidung zu
einen.
Der Aufruf enthält die Forderung, daß wir unseren Willen der
Wahrheitsforderung gemäß bestimmen sollen und zwar sowohl im Bereich
der Erkenntnis als auch im Bereich des Handelns. Diese Doppelheit in
der Forderung verbindet Wissenschaft und Leben, Theorie und Praxis,
wenn man so will. Die Wahrheit wird oft viel zu statisch gesehen;
tatsächlich ist sie dynamisch, sie ist Leben. Christus sagt: "Ich bin
der Weg, die Wahrheit und das Leben". Die Wahrheit ist also keine
Sache, die im Bewußtsein abgelegt ist, kein tototer Hausrat, sondern
zwischen Bewußtsein und Wahrheit waltet das Grundverhältnis von Aufruf
und Antwort, also ein dynamisches Verhältnis. Die Erscheinung des
Absoluten im Bewußtsein ist interpersonal strukturiert. Wir treffen
unsere Entscheidungen im Hinblick auf die Forderung der Wahrheit, ihr
zu entsprechen, und wenn wir uns zu ihr in Opposition setzen und uns
ihr verweigern, dann meldet sich die Stimme des Gewissens.
2. Die Wahrheit verlangt aber keine blinde Gefolgschaft bezüglich ihrer
Aufforderung, sondern sie rechtfertigt sich zugleich mit ihrem
Auftreten vollkommen aus sich selbst.
Beispiel 1 : Die Schritte eines mathematischen Beweises leuchten in
ihrer Rechtmäßigkeit ein. Der Grund unserer Zustimmung ist keineswegs
ein Akt der Willkür, sondern die der Wahrheit innewohnende
Rechtfertigungskraft. Ich kann die Einsicht auch nicht erzwingen
(religiös gesprochen: der Geist weht; wo er will). Wenn mir aber die
Wahrheit erscheint, dann rechtfertigt sie sich aus sich selbst. Daraus
darf man aber nicht den falschen Schluß ziehen, zum Nichtstun übergehen
zu dürfen, weil man die Erscheinung der Wahrheit doch nicht erzwingen
kann und sie sich selbst hervorruft. Erfahrungsgemäß wird uns im
allgemeinen eine bestimmte Erkenntnis nur dann zuteil, wenn wir zuvor
entsprechende Anstrengungen auf sie hin unternommen haben.
Beispiel 2: Die Handlungsweise des barmherzigen Samariters erkennen wir
nicht aufgrund von Konventionen als gut an, sondern weil sich die Güte
als Güte selbst im Beweußtsein bezeugt. Das Absolute wird in der
Philosophie deshalb auch als Licht bezeichnet, das seine eigene
Helligkeit ist.
Die Wahrheit (=Liebe) offenbart ihre Hoheit und mit ihr die
Rechtmäßigkeit ihres Geltungsanspruches. Sie rechtfertigt vollkommen
das mit ihr gesetzte Sollen.
3. Der an das Bewußtsein gerichtete Anspruch der Wahrheit, ihr gemäß zu
wollen und zu handeln, ist absolut. Er fordert ein bedingungsloses,
uneingeschränktes Ja zu ihr und zwar um ihrer selbst willen. Die
Wahrheit wird entweder absolut gewollt oder gar nicht! Die Wahrheit
fordert und rechtfertigt zugleich absolute Gültigkeit, so daß man sie
nur dann um ihrer selbst willen will, wenn man sie absolut, ohne
Einschränkungen, bedingungslos will. Deshalb heißt auch das erste
Gebot: "Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter
neben mir haben!" Also nicht nur Ihn zu wollen, sondern nur Ihn zu
wollen ist uns geboten und den Menschen in Ihm.
Das Bejahen der Wahrheit um ihrer selbst willen, schließt denknotwendig
ein, daß der Lüge keine Geltung zuerkannt wird. Vor mir selbst und vor
anderen muß ich den absoluten Geltungsanspruch der Wahrheit
aufrechterhalten und verteidigen. Es ist also nicht erlaubt, zur Lüge
zu schweigen. Denn die Lüge beansprucht Geltung für sich, die der
Forderung der Wahrheit nach absoluter Geltung widerspricht. Wenn ich
dem Geltungsanspruch der Lüge nicht entgegentrete, dann erkläre ich
mich mit einer eingeschränkten Geltung der Wahrheit einverstanden und
zeige damit zugleich, daß ich die Wahrheit nicht um ihrer selbst willen
bejahe. Wer diese Position einnimmt, übt Verrat an der Wahrheit.
Wer so denkt, muß konsequenterweise die betreffende Stelle im
Vaterunser etwa so abändern: Zu uns komme Dein Reich, aber auch Satans
Reich mag bestehen!
Diese Einstellung wird vom Wort des Herrn getroffen: "Wer nicht für
mich ist" - und das heißt nach dem Gesagten: wer nicht bedingungslos
für mich ist - "der ist gegen mich!"
Ein Nebeneinander Bestehenlassen von Wahrheit und Irrtum ist
philosophisch unmöglich, und es ist ein Verrat an der Wahrheit. Diese
Position stellt eine Gotteslästerung dar, weil sie akzeptiert, daß Gott
und der Satan auf eine Stufe gestellt werden und sie ist darüberhinaus
ein Verbrechen an den Seelen, die dadurch in Verwirrung gestürzt
werden. Bemerkungen und Folgerungen aus der absoluten Gültigkeit der
Wahrheit im Hinblick auf das heutige Erscheinungsbild der Kirche:
Der Progressismus in der Kirche
1. Ich unterstelle für den Augenblick, daß der Novus Ordo ein mit der
katholischen Lehre unvereinbares Produkt ist. Dann kann nach dem
Gesagten das Induit des jetzigen 'Papstes' (Orig.: Papstes) bezüglich
der Wiederzulassung der Tridentinischen Messe nicht anerkannt werden,
und zwar nicht in erster Linie wegen der unwürdigen Bedingungen, an die
diese Wiederzulassung geknüpft ist, sondern weil die Wahrheit aus sich
heraus ein Akzeptieren des Nebeneinanderbestehens von Wahrheit und
Irrtum verbietet. (...)
2. Man sollte einmal die Texte des sog. II. Vatikanischen Konzils unter
dem Gesichtspunkt analysieren, daß ihre Autoren sowohl katholischen wie
antikatholischen Prinzipien Rechnung tragen wollten. Es wird sich
erweisen, daß dieser Gesichtspunkt ein guter Schlüssel ist zum
Verständnis der weithin schillernden und zwielichtigen Texte. Da gibt
es Aussagen, bei denen der vordere und der hintere Teil einzelner Sätze
zum Ausdruck gegensätzlicher Prinzipien geworden sind, die durch
Gelenkstücke wie "unbeschadet dessen", oder "wenn auch" nur äußerlich
verbunden sind.
Ein Beispiel für solche verbale Akrobatik liefert die Umformulierung
der Erklärung über die Messe im Paragraph 7 der Institutio Generaiis,
worauf ich noch zu sprechen kommen will. Es sei in diesem Zusammenhang
auf die ausgezeichnete Schrift der beiden Kardinale Bacci und
Ottaviani: "Kurze kritische Untersuchung des Novus Ordo Missae" aus dem
Jahre 1969 verwiesen, die eine Fundgrube schlagkräftiger Argumente
gegen den Novus Ordo ist. In jedem Meßzentrum sollte sie zum Kauf
aufliegen!
3. Im Zusammenhang mit dem zuvor Gesagten ergibt sich, daß der Verzicht
des sog. II. Vatikanischen Konzils, den Kommunismus, der ein militanter
Atheismus ist, zu verurteilen, ein Verrat an der Wahrheit ist. Man
diskutierte, ob man ihn verurteilen sollte. Schon die Diskussion
darüber war falsch, denn es ist ja gar nicht in das Belieben der
Repräsentanten der Kirche gestellt, dem Irrtum und der Lüge
entgegenzutreten, sie sind vielmehr ex officio dazu verpflichtet, was
sich unmittelbar aus ihrem Auftrag ergibt, das Licht der Wahrheit durch
die Zeit zu tragen.
4. Es wird gelegentlich die Auffassung vertreten, man könne den
Passagen des sog. II. Vatikanums, die in Übereinstimmung der
katholischen Lehre sind, doch zustimmen und die Ablehnung der
Beschlüsse dieser Versammlung auf die antikatholischen Passagen
beschränken, was auf eine Teil.an erkennung des sog. II. Vatikanums
hinauslaufen würde. Derjenige, der diese Position einnimmt, betrachtet
von den Aussagen jede für sich, isoliert von den anderen. Ich werde
jetzt zeigen, daß diese Sicht falsch ist und werde begründen, warum sie
denknotwendig im Zusammenhang des Ganzen gesehen werden muß.
Zwei Beispiele:
1. Stellen Sie sich vor, daß ein Bräutigam bei der Spendung des
Ehesakramentes am Altar auf die Frage des Priesters, ob er die Braut zu
seiner Ehefrau nehmen wolle, mit Ja antwortet, aber hinzufügt: Ich
meine es aber nicht ernst! Natürlich hat er das Eheversprechen nicht
gegeben, weil der Nachsatz das gegebene Ja sogleich aufhebt.
2. Herr X spricht die grammatikalisch richtigen Sätze: "Es gibt einen
Gott" und: "es gibt keinen Gott". Kann ein Glaubender nun sagen, daß er
mit Herrn X bezüglich des ersten Satzes übereinstimmt? Nein, denn Herr
X spricht nicht nur dem ersten Satz Geltung zu, sondern auch dem
zweiten und die für den zweiten Satz geforderte Geltung widerstreitet
dem Geltungsanspruch des ersten. Die Geltungsansprüche heben sich
gegenseitig auf, so daß es zu gar keiner gültigen Setzung kommt, und es
wäre deshalb falsch, von einer teilweisen Übereinstimmung mit Herrn X
zu sprechen.
Entsprechend werden die - isoliert betrachtet - glaubenskonformen
Passagen des sog. II. Vatikanums in ihrem Geltungsanspruch aufgehoben
oder eingeschränkt von den antikatholischen. Da der Rechtgläubige
ersteren aber uneingeschränkte Gültigkeit zuerkennt, kann er auch in
diesen Punkten nicht von Übereinstimmung reden! Man muß also das
Einzelne deshalb im Zusammenhang mit dem Ganzen sehen und beurteilen,
weil es durch andere Geltungszuerkennungen tangiert wird. Es bleibt nur
dem äußeren Wortlaut nach bestehen, wenn es von anderer Seite her
aufgehoben wird.
Das große Minuszeichen
Das Denken in Verbindungen war und ist in katholischen Kreisen weithin
unterentwickelt. Man dachte und denkt so, als wären die Aussagen der
Glaubenslehre nebeneinanderstehende Bausteine, und nicht zu Unrecht
haben die Progressisten gelegentlich höhnisch von den
Wahrheitsklötzchen der Konservativen geredet. Demgegenüber spricht Herr
Pfarrer Milch mit Recht von dem universellen Minuszeichen, das vor
allem steht, was sich im Räume der heutigen Kirche, der heutigen
Offizialität der Kirche begibt. Denn in diesem Raum ist man auf und
seit dem 'Konzil' dazu übergegangen, dem Irrtum ein Existenzrecht
einzuräumen. Die Wahrheit wird aber, wie oben dargelegt, entweder
absolut gewollt, oder sie wird gar nicht gewollt.
Deshalb stehen seit dem 'Konzil' - dieses selbst eingeschlossen - alle
Äußerungen und Handlungen im offiziellen Raum der Kirche im Zeichen
einer Absage an die Wahrheit, und diese Absage ist jenes Minuszeichen,
das dort vor aller Aktivität steht. Übringens bringt ein Papst bei der
Verkündung eines Dogmas indirekt die Erkenntnis vom Zusammenhang aller
einzelnen Glaubensaussagen zum Ausdruck, wenn er sinngemäß sagt:"Wenn
jemand dieses Dogma nicht annimmt, dann soll er wissen, daß er vom
ganzen katholischen Glauben abgefallen ist".
Wenn also jemand angeblich an die leibliche Aufnahme Mariens in den
Himmel glaubt, aber nicht an die Auferstehung des Herrn, dann glaubt er
eben auch nicht an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel, oder
umgekehrt. Denn es ist ein und dieselbe Wahrheit, die unter diesem und
unter jenem Aspekt in den Dogmen zum Ausdruck kommt. Wenn man auch nur
ein Dogma bestreitet, dann widersetzt man sich der Wahrheit und
widerruft die Geltung, die man ihr mit der Anerkennung des anderen
Dogmas zuspricht. Durch diesen Widerruf hebt man aber diese Geltung für
die eigene Person auf und fällt deshalb auch von den anderen
Glaubensinhalten ab. (...) Ich hoffe gezeigt zu haben, daß es eine
Teilanerkennung des sog. II. Vatikanischen Konzils aus Vernunft gründen
nicht geben kann. (...)
(aus BEDA-BRIEF Nr.273/74 - 1987)
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