III. Fiktives Streitgespräch
Ich will das Thema abrunden mit einem erfundenen Streitgespräch, das aber genau die Wirklichkeit widerspiegeln soll.
Es ist unmöglich, einen so allgemeinen tief verwurzelten Mythos (wie er
sich um die Person Roncallis rankte, Anm.d.Red.) auszumerzen, obwohl
man Ströme von Licht verschwendet, um die Finsternis zu vertreiben. Ich
bin sicher, daß der Lichtstrom in dieser Arbeit im Augenblick nur dazu
dienen wird, bei den Lesern die sichere Doppelwirkung zu erzielen, daß
einige erleuchtet, die meisten aber blind werden. Es ist ein
psychologisches Gesetzt - und besonders in dieser an der Intelligenz
kranken Zeit, daß man sich nicht leicht von Überzeugungen trennt, die
man lange gehegt hat, und die sich gleichsam hypostatisch in unserem
Geiste festgesetzt haben dank einer voluntaristischen und emotionell
psychologischen Haltung. Es ist, wie wenn man den Spiegel zerbricht,
der einem die Häßlichkeit zeigt, oder böse wird auf den, der es wagt,
einem den Spiegel vorzuhalten. Aber "wenn er das Gesicht wiedergibt,
kann doch der Spiegel nichts dafür". Wir wollen sehen. Das
Streitgespräch beginnt mit einem "ex abrupto", das mich gänzlich
vernichtet dastehen läßt.
Herr X erhebt sich, puterrot, um mich mit Beleidigungen zu überhäufen,
und schließt, indem er zu mir sagt: "Sie sind ein Lästerer. Sie haben
das Andenken eines heiligen Mannes mit den abscheulichsten
Verleumdungen beschmutzt." "Halt!" muß ich schreien, schon ein wenig
von meiner Niedergeschlagenheit erholt und von der verletzten
Eigenliebe angestachelt. "Offensichtlich hat Ihre fanatische,
fetischistische abgöttische Zuneigung zu Roncalli Ihnen den' Verstand
vernebelt und hindert Sie am rechten Gebrauch der Vernunft. Wenn wir
uns von unserer Gemütserregung leiten lassen, wird jeder Dialog
unmöglich oder zu einer gemeinen Zänkerei unter Nachbarn, bei der allem
die Technik triumphiert: Du bist um so mehr im Recht, je lauter du
schreist.
Lästern heißt beleidigende Worte gegen Gott ausstoßen, gegen die
Muttergottes, die Heiligen oder die Kirche. Ist Roncalli
heiliggesprochen? Also fällt die Anklage der Lästerung in sich
zusammen, da nur Sie Roncalli unbedingt als Heiligen ansehen wollen
entgegen dem Dekret Urbans VIII.
Kommen wir zu der zweiten Anschuldigung gegen mich: der Verleumdung.
Verleumden heißt: jemandem fälschlicherweise einen Fehler oder eine
Sünde zuschreiben. Aber ich verleumde Roncalli gar nicht. Ich lege nur
Zeugnisse vor, die jedermann zugänglich sind, weil sie in verschiedenen
Kommunikationsmitteln veröffentlicht wurden, und das, nachdem ich
überzeugt bin - aufgrund einer Unmenge von übereinstimmenden Argumenten
-, daß diese Zeugnisse wenigstens in ihrer Gesamtheit wahr sein müssen.
Um mir den Vorwurf der Verleumdung machen zu können, müßten Sie
beweisen, daß entweder die von mir angeführten Zitate falsch sind oder
jedes einzelne Zeugnis ist seinerseits verleumderisch, was in der Tat
eine ungeheuerliche Verleumdung darstellen würde. Denn normalerweise
muß man die moralische Gewißheit habe, daß nicht alle der aus so
verschiedenen Quellen stammenden Zeugnisse falsch sind."
Darauf erhebt sich Herr Z, der in einem schon etwas gemäßigteren Ton
und Zweifel anzeigender Form eine andere schwere Anklage gegen mich
äußert: "Aber wenn es sich nicht um Verleumdung handelt, glauben Sie
nicht, daß Sie in die Sünde der üblen Nachrede gefallen sind? Denn Sie
verbreiten etwas, das, wenn es auch wahr sein sollte, nicht sehr
bekannte Fehler eines Mannes aufdeckt, der andererseits im Ruf der
Heiligkeit steht." "Ich werde mich bemühen, IhrerAnklage in Form einer
Frage Rede und Antwort zu stehen.
Die üble Nachrede besteht darin, schlecht über den Nächsten zu reden,
indem man ohne Grund seine Fehler verbreitet. Ich soll also ohne Grund
hervorgehoben haben... weil es das Schlüsselwort ist, auf dem die
spezifische Bosheit der Diffamierung beruht. Nun streite ich aber
gerade ab, daß es ohne Grund geschieht. (Persönliche Animositäten
liegen nicht vor. Ergänz.d.d.Red.) Erstens habe ich Roncalli nicht
persönlich gekannt und ich trage ihm persönlich nicht das Geringste
nach. Mehr noch: auch ich hatte eine Zeit lang teil an der allgemeinen
Sympathie für seine Person. Wenn ich zu den Schlußfolgerungen gekommen
bin, die ich gezogen habe, so aufgrund einer detaillierten jahrelangen
Information. Jede dieser Nachrichten trug in mir ein Stück des Mythos
von der Güte Roncallis ab. Jetzt, da sie sich alle anhäufen, hat sich
nicht nur der Mythos vollständig verflüchtigt, sondern ist auch der
Wolf im Schafspelz zum Vorschein gekommen.
Deshalb wünsche ich lediglich aus Eifer für die Ehre Gottes und das
Wohl der Kirche, daß die Wahrheit an den Tag komme, die reine Wahrheit
über den Mann, dessen Initiative der Ausgangspunkt dafür war, daß eine
Wende um 180 oderª besser gesagt, eine Mutation in der Kirche erfolgte.
Aber es ist da noch mehr. Ich fühle mich gezwungen, es zu tun, aus
unumgänglicher Gewissenspflicht. (...)" Herr Y wendet ein: "Sie
schließen mit einigen entschiedenen und kategorischen Urteilen, die mir
vermessen vorkommen. Sind Sie befähigt, ein Urteil abzugeben, als ob
Sie die Kirche darstellten?"
"Was das vermessene Urteil betrifft, müssen wir uns an den Katechismus
erinnern. Er sagt uns, daß vermessene Urteile diejenigen sind, bei
denen man ohne Grund und Veranlassung Böses vom Nächsten denkt. Nun
glaube ich aber nicht, daß es viele Fälle gibt, bei denen so
stichhaltige Gründe beigebracht werden können wie hier. Was Ihre Frage
angeht - ich unterscheide sehr wohl: Unfehlbar und unanfechtbar urteile
ich natürlich nicht. In erster Instanz, so zu sagen, kann aber jeder
Christgläubige - und er muß es sogar, immer wenn es ihm bekannt ist und
er sich angemessen unterrichtet hat - sein Urteil abgeben und die
Irrlehren und die Irrlehrer anzeigen und alles, was gegen die gesunde
Lehre ist. So haben wir in der Kirchengeschichte das Beispiel von zwei
in theologischen Fragen sehr versierten Laien, des Afrikaners Hilarius
und des Prosper aus Aquitanien, die wohl die ersten waren, welche den
Irrtum der Semipelagianer aufgedeckt und angezeigt haben. Hören wir,
was uns diesbezüglich D. Félix Sarda y Salvany in seinem Werk "El
Liberalismo es Pecado" ("Der Liberalismus ist Sünde") sagt: 'Die Kirche
ist die einzige, welche von Rechts wegen und in der Tat das oberste
Lehramt besitzt, das ihre im Papst personifizierte höchste Autorität
hat. Sie ist die einzige, welche definitiv und ohne
Appellationsmöglichkeit Lehren abstrakt beurteilen und erklären kann,
daß das Buch dieser oder jener Person diese Lehren konkret enthalte
oder lehre.' Also diese Passage bezieht sich auf den letztendlich
entscheidenden Urteilsspruch, den feierlichen und autorisierten, das
Urteil in letzter Instanz. Aber es schließt andere Urteile nicht aus:
1.) das der Bischöfe in ihren Diözesen, 2.) das der Pfarrer in ihren
Pfarreien, 3.) das der Beichtväter, 4.) das der einfachen Theologen,
die von Laien um Rat gefragt werden, 5.) das der richtig erleuchteten
bloßen menschlichen Vernunft. Mit dem Dargelegten,glaube ich, ist Ihre
Frage zufriedenstellend beantwortet. Sie war übrigens eine rechte
Fangfrage."
"Schön", fährt Herr H auf, "wenn man schon über das Schlechte an
Johannes XXIII. spricht, müßte man auch über das Gute sprechen, damit
eine ausgewogene und vollständige Lebensbeschreibung entsteht." "Ich
habe schon gesagt: 'Bonum ex integra causa', und wenn man eine Anzeige
formuliert oder eine Anklage erhebt, berücksichtigt man nur das
begangene Delikt unter Nichtbeachtung alles übrigen, das nicht zur
Sache gehört. Und wenn es sich um eine Gefahr für den Glauben handelt,
muß man Anzeige erstatten (Denz. 1105 a). Man muß nur das
berücksichtigen, worin der betreffende Irrlehrer vom Glauben abweicht,
und nicht das, worin er damit übereinstimmt, umso mehr, wenn es sich um
Modernisten handelt, die listig und schlau sind,und die, wie uns der
hl. Pius X. sagt, ganze Seiten vorzeigen können, die ein Katholik
unterschreiben kann, bei denen es aber andere gibt, die von einem
Rationalisten geschrieben zu sein scheinen (Denz 2o86 a). Man muß auf
das Gift hinweisen, wo immer es sich findet. Schon vorher hatte Pius
VI. in der Konstitution 'Auctorem fidei' darauf aufmerksam gemacht, daß
es zur Aufdeckung solchen Schwindels keinen anderen Weg gibt als die
Sätze bloßzustellen, die unter dem Schleier der Mehrdeutigkeit eine
verdächtige oder gefährliche Abweichung der Begriffsinhalte in sich
schließen. Man muß den verkehrten Sinn aufzeigen, unter dem sich der
Irrtum versteckt (Denz. 2600).
Es ist wahr, die ursprünglichen, vor dem Beginn des Konzils
ausgearbeiteten Schemata waren völlig rechtgläubig und in
Übereinstimmung mit der Tradition. Diese Tatsache scheint ein Verdienst
Roncallis zu sein. Aber wir haben schon gesehen, daß Georges de Nantes
ihn als Komplizen der Reformer hinstellt. Außerdem waren diese
rechtgläubigen Schemata nicht das persönliche Werk Roncallis, sondern
der Kurienkardinäle, die Roncalli als 'Unheilspropheten' betrachtete.
Aber was nützte es, daß die vorbereiteten Schemata rechtgläubig waren,
wenn nachher alle abgelehnt wurden mit Ausnahme des Schemas zur
Liturgie. Und dieses wurde nicht abgelehnt, gerade weil es das einzige
nach dem Geschmack der Progressisten war, von ihnen selbst vorbereitet
und durch eine direkte Intervention Roncallis durchgesetzt. Ja, hören
wir: 'Von allen vorbereiteten Konzilsschemata war das über die Liturgie
das einzige, das nicht abgelehnt wurde. Der progressistische Flügel
konnte wirklich nur erfreut sein über einen Text, dessen Hauptautor P.
Bugnini war, Sekretär der Vorbereitungskommission für die Liturgie.
(...) Der Präsident dieser Kommission war der hochbetagte Kardinal
Gaetano Cicognani, der sich mit allen Kräften dem Schema widersetzte,
das er als sehr gefährlich beurteilte. Um in der Konzilsaula vorgelegt
zu werden, mußte der Entwurf des Schemas die Unterschrift des Kardinals
tragen. (...) Johannes XXIII. zwang ihn, es zu unterschreiben.' (1)
In Zeitschrift EINSICHT erschien unter dem Titel 'Wie die Schemata zur
Liturgiereform unterzeichnet wurden' eine Sammlungen von Zeugnissen
mehrerer Personen, die von Michel Mottet / Genf zusammengestellt waren.
(2) Hier die erneute Wiedergabe: 'Mgr. Felici, der regelmäßig Johannes
XXIII. Bericht erstattete über den Stand des Fortschrittes der Schemata
(zur Liturgiereform, Anm.d.Red.) und ihre Ausbreitung, hatte ihm die
Schwierigkeiten erläutert, denen er gegenübersteht, weil selbst nach
Billigung des Schemas durch die gewünschte Majorität der Kommission
dieses nicht ohne die Unterschrift des Kardinal Cicognani ausgefertigt
werden könne. Bevor noch die Audienz beendet war, war eine neue Taktik
erörtert und erwogen worden. Johannes XXIII. ließ seinen Staatssekretär
(Mgr. Cicognani, den Bruder von Kard. Cicognani, Anm.d.Red.) rufen und
bat ihn, seinen Bruder suchen zu gehen und erst dann zurückzukommen,
wenn das Schema ordnungsgemäß unterzeichnet worden sei.
An diesem 1. Februar 1962 machte sich nun der Staatssekretär auf den
Weg, um seinen Bruder in seinem Büro aufzusuchen. Er traf auf dem
Korridor Mgr. Felici und P. Bugnini und informierte seinen Bruder von
dem Wunsche ihres Herrn, des Papstes. Später bestätigte ein
Sachverständiger der vor-konziliaren Liturgie-Kommission, daß der alte
Kardinal den Tränen nahe war, daß er das Dokument hin- und herbewegte
mit den Worten: 'Man will, daß ich dies unterzeichne, ich weiß nicht,
was ich tun soll.' Darauf legte er das Schriftstück auf seinen
Schreibtisch, nahm eine Feder und unterzeichnete. Vier Tage später war
er tot.' (Vgl. Ralph M. Wiltgen: "Der Rhein fließt in den Tiber".)
Das ist - in nüchterner Berichterstattung - der letzte Akt der längst
schon vorbereiteten geheimen Umtriebe, um das allerheiligste Opfer der
Messe in die Luft zu sprengen. Eine düstere Vorahnung: das erste
Ergebnis des Schemas über die Liturgie war, das Leben des unglücklichen
Kardinals Cicognani 'in die Luft zu sprengen'. Und die letzten Spieler
sind deutlich genannt: Roncalli, Bugnini, Amleto Cicognani und Felici
... und... ? 'Vor der Tür des Büros von Gaetano Cicognani wartet Mgr.
Felici. Nun?' fragt Bugnini. 'Der Papst schickt seinen Staatssekretär
mit einem förmlichen Befehl. Ich habe ihn selten so verschlossen
gesehen. Er sagte ihm: 'Suchen Sie ihn auf und kommen Sie nicht zurück
ohne das unterschriebene Schema.' Bugnini kann sich nicht enthalten,
von der Ferne aus zu beobachten, wie Mgr. Anleto Cicognani zu seinem
Bruder eindringt... 'Der Papst hat gesprochen, unterzeichnen Sie,
Eminenz!' Wird der Staatssekretär mit einem Blatt, das noch feucht von
der Unterschrift des Kardinals ist, wieder herauskommen, glücklich,
seinen Auftrag ausgeführt zu haben? Er zeigte sich wieder, sehr
schnell, die Hände leer, der Gesichtsausdruck verlegen. 'Der alte
Dickschädel', brummte Bugnini, bevor er nach Hause zurückkehrte.
Wäre er eine Stunde länger geblieben, hätte er einen neuen Besucher
ankommen sehen, in schwarzer Soutane und violetten Strümpfen, an seiner
Brust an einer Kette das Kreuz der Väter vom Heiligen Geist. Der Prälat
dringt zu seinem alten Freund vor und erfaßt auf Grund der
Niedergeschlagenheit des alten Kämpfers sofort die Situation: 'Eminenz,
haben Sie das Schema erhalten?' - 'Ich habe es erhalten, ich traue
meinen Augen nicht, schauen Sie her!' - Die Blätter sind auf dem Tisch
ausgebreitet, zerknittert, als hätte man sie lange in der Hand
gehalten. 'Sie wollen, daß ich dies unterzeichnen soll. Der Papst hat
mir Amleto geschickt! Ich weiß nicht, was ich tun soll.' Mgr. Lefebvre
betrachtet traurig die Szene...' (Marc Dem: "II faut que Rome soit
detruie" - übersetzt von Eugen Golia)
Aus all dem ergibt sich das Gegenteil dessen, was man zugunsten
Roncallis zu folgern versucht, zumal das einzige, nicht rechtgläubig
vorbereitete Schema durch direkte und persönliche Einwirkung Roncallis
zustande kam und die übrigen mit seinem geheimen Mitwissen abgelehnt
wurden.'Demnach verstärken also diese Nachrichten noch eher den
Verdacht, daß Roncalli Modernist war. Wenn er an der Ablehnung der
übrigen Schemata nicht direkt beteiligt war, so deshalb, weil der
Schlüssel zur Revolution im Triumph der 'liturgischen Bewegung' lag.
Und nicht ich sage das - ich sage nie etwas.
Es war Mgr. Dwyer, der das bereits 1967 bekannte: 'Die Liturgiereform
ist in einem sehr tiefen Sinn der Schlüssel zum Aggiornamento.' (3)
Wieder ein Beweis dafür, daß Roncalli sehr verschlagen und in das
modernistische Komplott verwickelt war." Nun ist Herr W an der Reihe:
"Aber Sie werden doch nicht leugnen, daß Johannes XXIII. die
Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit in Person war gegen jedermann,
weil er, wie Georges de Nantes sagte, sich als Freund eines jeden
Menschen betrachtete. Außerdem war es der ausdrückliche Vorsatz
Roncallis und seines Programmes, das er sich selbst entworfen hatte.
Zur Zeit seiner Nuntiatur in Paris beschrieb er wie folgt sein Wesen:
'Mein Temperament und meine Erziehung helfen mir bei der Übung der
Liebenswürdigkeit gegen alle, der Nachsicht, der Höflichkeit und der
Geduld. Ich werde von diesem Weg nicht abweichen... '."
"Ja, ja, ich weiß. Dieses Gerücht macht das Kernstück des
Roncalli-Mythos aus. Um mit dem Abbau des Mythos an seinem Schlußstein
zu beginnen, lasse ich zunächst José Antonio sprechen (ich zitiere
sinngemäß): 'Wer hat gesagt, die Liebenswürdigkeit sei das Höchste in
der Werteskala? In diesem Fall hätte sich sogar Jesus disqualifiziert,
als er mit Geißelhieben die Verkäufer aus dem Tempel trieb oder als er
die Pharisäer und Schriftgelehrten sehr hart zurechtwies.' (...) Aber
da ist noch etwas anderes. Ich verneine rundweg, daß Roncalli auf dem
Gebiet der Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit ein vollkommenes
Vorbild gewesen ist. Er war es keineswegs. Seine Liebenswürdigkeit und
Freundlichkeit hatten ihre Präferenzen. Sie waren selektiv und hielten
sich in engen Grenzen. Doch! Schütteln Sie nicht skeptisch und höhnisch
den Kopf! Hier sind die Beweise.
In der Nachricht von J. Ulibarri, in der er über den Verrat Roncallis
gegenüber Pius XII. berichtet, wird uns gesagt, daß der Ankläger
Roncallis nach dessen Wahl zum Papst nicht wieder in den Vatikan
berufen wurde. Er war in Ungnade gefallen. Mit anderen Worten: Roncalli
(Johannes XXIII.) war nachtragend. Wo bleibt da seine so sehr gerühmte
Liebenswürdigkeit?
Ich werde noch einen anderen, viel überzeugenderen Fall als Beweis
vorbringen. Bruder C. Sante schrieb einen Artikel in ?QUE PASA? mit dem
Titel 'Von Don Miguel Matéu Pia zum Schisma über Nuntius Roncalli' :
'Sobald Mgr. Roncalli sein Amt als Nuntius in Paris angetreten hatte -
als solcher war er Doyen des Diplomatischen Korps in Frankreich -,
baten ihn die in Paris akkreditierten Botschafter insgesamt um einen
Empfang; sie wollten ihm den protokollarischen Willkommensgrüß
entbieten. Das wollte auch der spanische .Botschafter tun, damals
Miguel Matéu Pia, und dazu erbat er von der Apostolischen Nuntiatur Tag
und Stunde für den Empfang. Es vergingen mehr als fünf Tage, aber die
Nuntiatur antwortete nicht, weshalb Herr Matéu insistierte. Schließlich
erreichte das wiederholte Drängen des spanischen Botschafters, daß man
ihm Tag und Stunde für die erbetene Audienz mitteilte. Unser
Botschafter erschien pünktlich zu der Verabredung. Bei einer in den
Annalen des guten Benehmens der vatikanischen Diplomatie ungewohnten
Unhöflichkeit mußte unser Botschafter lange warten, bis ihn Mgr.
Roncalli sehr kühl in seinem Büro empfing. Der spanische Botschafter,
der sofort die schlechte Verfassung des Nuntius bemerkte, küßte ihm
dessen ungeachtet den Ring und mit seiner charakteristischen vornehmen
Hochachtung und persönlichen Sympathie richtete er auf Französisch
einen Gruß an ihn. Der Nuntius Mgr. Roncalli stand unbeweglich da und
antwortete ihm nicht. Verwundert über dieses seltsame und lange
dauernde Schweigen, interpretierte Herr Mateu es dahin gehend, daß er
ihn nicht verstanden oder nicht richtig hingehört habe. Er wiederholte
den Gruß mit erhobener Stimme. Darauf sagte Nuntius Roncalli zu ihm:
'Erheben Sie die Stimme nicht, Herr Botschafter. Ich höre Sie ganz gut.
Aber es ist mir nicht angenehm, Sie zu hören...'
Wegen dieser ungewohnten, unbegreiflichen und ungerechtfertigten
Aggressivität des Nuntius Roncalli gegen den spanischen Botschafter
antwortete ihm Herr Matéu Pia mit jener Würde, die ihm immer eigen war:
'Also gut',und wandte sich sofort zur Tür, um die Nuntiatur zu
verlassen. Es besteht kein Zweifel, daß die spanische Regierung nach
wenigen Stunden von dem Zwischenfall in der Nuntiatur in Paris wußte.
Bei einer anderen - rein protokollarischen - Gelegenheit war der
spanische Botschafter Don Miguel Matéu Pia entsetzt über ƒußerungen
Roncallis, die dieser in seiner Gegenwart zu einigen katholischen
Persönlichkeiten in fast vertraulichem Ton machte. Der Nuntius äußerte
ihnen gegenüber, daß er Freundschaft und Bewunderung empfinde für die
Person und das Werk des Erziehungsministers der französischen
Regierung.
Er hielt ihn für 'molto bravo' ('sehr tüchtig1). Als man ihn darauf
aufmerksam machte, daß in Frankreich seit den Zeiten von Combe alle
Erziehungsminister Freimaurer seien, auch sein von ihm gelobter Freund,
zeigte Mgr. Roncalli ostentativ sein Mißfallen über die soeben gemachte
Bemerkung. (4)
Die Nachricht von der Kränkung Don Miguel Matéu Pia's seitens des
Apostolischen Nuntius Roncalli wurde Jahre später in EL ALCAZAR von
Rafael Abril wiedergegeben in einem Artikel 'Der Verrat der
Institutionen': 'Felio Villarrubias, der die Dokumente, die er zitiert,
in Händen hatte, (...) sagte uns, daß Roncalli kein Freund Spaniens
gewesen sei. Es wäre exakter zu sagen: er war ein Feind Spaniens, wegen
der Beleidigung, die er im Jahre 1945 unserem Botschafter Miguel Maté u
Pia bei einem Empfang zufügte, als er Doyen des Diplomatischen Korps
von Frankreich war, und zwar mit ostentativ feindlichen ƒußerungen
gegen Spanien, weil er durch den baskischen Klerus beeinflußt war.' (5)
Es ist möglich, daß die Zeitschrift ABC diesen Fall diplomatischer
Verhaltensweise Roncallis nicht kannte; denn es hätte sonst so etwas
als Ausnahme dargestellt in seinem Urteil über die Diplomaten: 'Die
diplomatische Tätigkeit wird im Laufe der letzten Jahrhunderte
charakterisiert durch Zurückhaltung, Gelassenheit und Verachtung der
kleinlichen Nervositäten." (6)
Zum Kuckuck mit dem Lämmchen Roncalli! Ist es möglich, daß in einer so
gütigen Brust ein so großer Haß gegen das spanische Regime wohnt,
dessen Ausbruch er nicht unterdrücken konnte bei einem feierlichen
offiziellen Akt, bei dem jeder wirkliche Diplomat danach trachtet,
seine Affekte, persönlichen Gefühle und 'kleinlichen Nervositäten' zu
verbergen? Wie grob! 0 nein! Das war keine Grobheit, das war
konzentrierter Haß!
Deshalb sagte ich, seine Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit waren
selektiv. Sie richteten sich vorzugsweise an Ungläubige, Häretiker,
Freimaurer und Kommunisten. Das katholische Spanien und seine
katholische Regierung blieben davon ausgeschlossen, ganz im Gegensatz
zur Handlungsweise der Heiligen und zum Rat der Hl. Schrift. Ich
versage es mir nicht, hierzu einige Abschnitte aus der französischen
Zeitschrift SUB TUUM PRAESIDIUM zu zitieren: 'Im Gegensatz zu den
verirrten modernen Sentimentalisten, die die Mörder den Opfern
vorziehen, die Gesetzesbrecher den Gerechten, die Sünder dem Schöpfer,
der die Wahrheit und die Gerechtigkeit ist, wollen wir durch die
tugendhafte Gesinnung der Heiligen hindurch Gefallen finden am Geist
der Kirche. Um aber einige nicht auf verwegene Gedanken kommen zu
lassen, muß man im voraus anmerken, daß das auch die Ausdrucksweise des
Heiligen Geistes ist, der wie folgt durch den Mund des Propheten David
spricht: 'Habe ich etwa nicht die gehaßt, o Herr, die Dich haßten? Und
rieb ich mich nicht auf wegen Deiner Widersacher? Ich haßte sie mit
äußerstem Haß; zu Feinden wurden sie mir.' (Ps. 138, 21-22) Der hl.
Hilarius kommentiert diese inspirierten Verse so: 'Es gibt einen
religiösen Haß, der jedesmal in uns ist, wenn wir die hassen, welche
Gott hassen.
Gewiß ist uns geboten, unsere Feinde zu lieben, aber unsere Feinde,
nicht die Feinde Gottes.' Dazu noch Verse des hl. Ludwig Maria Grignon
de Montfort, deren letzte Strophe so lautet: 'Ich verabscheue jeden
Häretiker, den Juden, den Türken, den Heiden, den Apostaten und den
Schismatiker. Der Katholik allein ist mein Gut.' (7) Die hl. Theresa
von Avila ging noch weiter: "... niemals konnte ich Freundschaft
schließen außer mit Personen, von denen ich weiß, daß sie Gott besitzen
und danach trachten, ihm zu dienen, und ich kann keinen Trost oder
Liebe empfinden als für diese. Es hat nicht in meiner Hand gelegen noch
ist es für mich von Bedeutung, mit jemandem verwandt oder befreundet zu
sein.' (vgl. "Leben...", Kap. XXIV) Mit anderen Worten: genau das
Gegenteil der Verhaltensweise Roncallis, der wahrscheinlich geradezu
eine geheime Affinität für das Gegenteil dessen hatte, was dem hl.
Ludwig Maria Grignon und der hl. Theresa von Avila wert war.
Seine Feindschaft gegen Spanien und sein Regime war 'in crescendo', und
er bekam Gelegenheit, das offener zu zeigen mittels einer aktiven
Tätigkeit, es zu stürzen durch die Anweisungen an Nuntius Mgr. Riberi:
Die spanischen Bischöfe sollten keine Priester, die der Nationalen
Bewegung nahestanden, als Kandidaten für das Bischofsamt vorschlagen
noch ihnen irgendeine bedeutende Aufgabe in den Diözesen,
einschließlich der Seminarien geben.
Das zweite von Rafael Abril in EL ALCAZAR zitierte Dokument war der
Brief an Mgr. Dr. Modrego, Erzbischof von Barcelona, vom Oktober 1961,
worin die Kirche zum erstenmal das Wort 'Bürgerkrieg' anstelle des
Terminus 'Kreuzzug' gebrauchte. Roncalli setzte also seine heilige
Pflicht, über allem zu stehen, das hinterlegte Glaubensgut heilig zu
bewahren und getreu auszulegen, hinter seinen bösartigen heterodoxen
Ideen und persönlichen Abneigungen zurück.
Ich schließe mit der Frage: Wo bleibt - ich sage nicht mehr: die
unendliche, sondern einfach - die Güte Roncallis? Wo seine universale
Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit? Worauf beruht die Zählebigkeit
des Roncalli-Mythos, was muß man tun, damit er in Scherben springt?
Worauf, beruhte seine Entstehung? Ob mir das wohl einer erklären kann?"
Jemand hebt zum letzten Mal die Hand hoch. Es ist Herr Q.: "Mit dieser
so leidenschaftlichen und vergifteten Abhandlung kommen Sie zu der
Auffassung, man müsse die Kanonisierung Johannes XXIII. ablehnen
(...)." "Sie begeben sich auf ein hypothetisches Gebiet, das nichts mit
dem zu tun hat, was hier mehr oder weniger leidenschaftlich - was ich
nicht abstreite - aufgeklärt werden soll. Was ich aber glatt
zurückweise, ist das 'vergiftet1, jedoch nehme ich die Herausforderung
an. (...)
Ich werde das deutlich machen. Wenn ein Papst unfehlbar verkündet, daß
ein Diener Gottes die beseligende Anschauung genießt, so genießt er sie
unbezweifelbar trotz seiner irdischen Armseligkeiten, und wenn er nicht
in heroischen Tugenden hervorragend gewesen wäre, wie es die Heiligen,
unsere Vorbilder, sein sollen. Gerade im Heiligenverzeichnis fehlt es
nicht an Männemund Frauen, die große Sünder waren. Aber sie stellen
sich uns vor Augen als vollendete Muster heroischer Bußfertigkeit und
würdiger Früchte derselben. Aber das ist bei Roncalli nicht der Fall.
Es stimmt, daß sotto voce (leise) Gerüchte kursierten über eine
aufrichtige Reue Roncallis auf dem Totenbett. Man erzählt, er habe
seine Sünden bitterlich beweint und, erleuchtet mit dem Licht aus der
Höhe, habe er das unermeßliche Unheil gesehen, das sein Werk für die
Kirche verursachte, es verwünscht und gebeten, man möge dem Übel
Einhalt gebieten, indem man das Konzil einstellte. Aber diese Buße in
extremis kann sicher nicht als Muster einer würdigen Frucht der Buße
dargestellt werden. Die Tradition der Kirche mißtraute immer der Buße
in der Todesstunde. Schreckenerregend sind diesbezüglich die Worte der
heiligen Väter und der Prediger aller Zeiten. Natürlich wird damit
nicht versucht, der unendlichen Barmherzigkeit Gottes Grenzen zu
setzen, sondern man will einfach sagen, daß eine wahre Buße nicht in
der Todesstunde zu erfolgen pflegt, und daß in diesem Augenblick
normalerweise keine würdigen Früchte der Buße gebracht werden können.
Im übrigen weiß in dem kronketen Fall, der uns beschäftigt, nur Gott
allein, was beim Überschreiten der Grenzen zur Ewigkeit geschah."
(...) Als das Kolloquium schon beendet scheint, meldet sich noch eine
schüchterne, jedoch hinlänglich vernehmbare Stimme, um ein Bedenken
anzumelden: "Alles Dargelegte mag ja stimmen, aber der Herr sagt uns:
Richtet nicht, damit nicht ihr gerichtet werdet." "Gewiß", sage ich,
"aber dieses Wort des Herrn bezieht sich nicht auf jedes Urteil
überhaupt, sondern nur auf die vermessentlichen Urteile und auf die
von Böswilligkeit diktierten Urteile. Jesus verbietet uns keineswegs zu
urteilen, sondern, daß wir unrecht urteilen. Das Urteilen ist eine
Tätigkeit des Intellekts, die wir nicht unterlassen können. Nur müssen
wir dafür sorgen, richtig zu urteilen: bejahen, verneinen, in Zweifel
ziehen, aber auf rechte Weise. Jesus selbst sagt uns, wir sollten recht
urteilen, ein gerechtes Urteil fällen nicht nach dem äußeren Schein
(Joh. 7,24); mehr noch, Jesus befiehlt uns zu urteilen, wenn er uns
lehrt, den Baum an seinen Früchten zu erkennen. Um die Qualität eines
Baumes zu erkennen, muß man von der Güte seiner Früchte ausgehen, und
dafür ist es nötig, ein Urteil abzugeben, sie zu beurteilen. Die
Früchte, die Johannes XXIII. hervorbrachte, sind überaus bitter, wie
wir gesehen haben. Von ihm sagte selbst Kardinal Siri: "Die vier Jahre
seiner Regierung erfordern mindestens vierzig Jahre, um den Schaden,
den er der Kirche angetan hat, zu reparieren.'
Wie man damals sagte, war die dem Schwiegersohn Chruschtschows, Alexis
Adschubei, gewährte Audienz höchst rentabel für die italienische
kommunistische Partei, die bei den bald danach stattfindenden Wahlen
einen bedeutenden Stimmengewinn verzeichnete - man sprach von einer
Million Stimmen mehr. Das war der Grund für das ƒrgernis unter den
Katholiken, und man machte Roncalli wegen der gewährten Audienz für
diesen Ausgang verantwortlich. (...) "
E n d e
***
Anmerkungen
I.
(1) ?QUE PASA?, Nummer 46 vom 12.11.1964.
(2) Op.cit. Nummer 88 vom 2.9.1965.
(3) Op.cit. Nummer 288 vom 5.7.1969.
(4) EINSICHT, lo. Jahrgang, Nummer 7 vom April 1981.
(5) ?QUE PASA?, Nummer 471 vom 6.1.1975.
(6) A B C , vom 8.12.1973, S.41.
(7) Zeitschrift HOY vom 7.5.1978, S.3o.
(8) ?QUE PASA?, Nummer 79 vom 1.7.1965, in "Notas al Análisis"
(9) Op.cit. Nummern pp. 74-76-77-79.
(10) Martinez de Maraçon, Pedro: "Algunas observaciones sobre la 'populorum progessio' in ?QUE PASA?, Nummer 191 vom 26.8.1967.
(11) Op.cit., Nummer 473 vom 2o. 1.1973-.
(12) Op.cit., Nummern 686-687 vom August 198o, S.24-27.
(13) Nantes, Georges de, in "Lettres a mes amis", Nummer 188.
(14) Piquer, Jordi: "Juan XXIII y Kruschev", in HISTORIA Y VIDA, Nummer 193, Barcelona.
II.
(1) Nantes, Georges de: "Lettres a mes amis" Nummer 143.
(2) IGLESIA-MUNDO, Nummer 9o (la quine, vom März 1975.
(3) Nantes, Georges de: Op.cit., Nummer 184, vom 25.9.1964.
(4) "Liber accusationis", S.7, 1973.
(5) Zitiert in ?QUE PASA?, Nummer 445 vom 8.7.1972.
(6) DIDASCO, Nummer 25 vom Mai-Juni 1981, S.16 f.
(7) Bonneterre: "El movimiento litúrgico", Rev. ROMA, Nr.71-72, Buenos Aires 1982.
(8) Bonneterre: Op.cit. S.96.
III.
(1) Bonneterre: "El movimiento litúrgico", ROMA, Nr.71-72, S.lo5.
(2) Michel Mottet in EINSICHT vom Mai 1983, Nr.1/13. Jahrgang, S.46.
(3) Bonneterre: Op.cit., S - I12.
(4) ?QUE PASA?, Nummer 459 vom 14.lo.1972.
(5) EL ALCASAR.
(6) A B C . Opinion, vom lo.9.1987, S. 11.
(7) SUB TUUM PRAESIDIUM, Nummer 3, 2∞ Trim. 1986, S,2o f.
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