DER HL. PETRUS COLESTINUS
- PAPST UND BEKENNER -
von
Eugen Golla
Nach dem am 4. April 1292 erfolgten Ableben des Papstes Martin IV.
leiteten die Kardinale - es waren ihrer damals nur zwölf - die
Wahlhandlungen. Aber ähnlich wie schon etwa 2o Jahre früher sollte der
Stuhl Petri mehr als zwei Jahre unbesetzt bleiben. Die Hauptschuld
hierfür trug - wie so oft, auch in den nachfolgenden Zeiten - die
Feindschaft zwischen den mächtigen Adelsgeschlechtern der Colonna und
Orsini, die im Kardinalskollegium vertreten waren. Keine der beiden
Parteien war jedoch imstande, ihrem Kandidaten zur erforderlichen
Mehrheit zu verhelfen.
Krankheiten und Unruhen veranlaßten schließlich die meisten Kardinale,
Rom zu verlassen, oder besser gesagt, aus der ewigen Stadt zu flüchten.
Ein Schisma schien in greifbare Nähe gerückt. Schließlich wurde im
Oktober 1293 erneut das Konklave eröffnet, diesmal allerdings in
Perugia und nicht in Rom. Wieder vergingen Wochen und Monate ohne
greifbares Resultat, so daß die Erhebung der bereits unruhig gewordenen
Vasallen im Kirchenstaate zu drohen schien.
Im Sommer 1294 endlich berichtete der Kardinaldekan Latino Malabranca,
er habe von einem in der Nähe lebenden heiligmäßigen Eremiten einen
Brief erhalten, in welchem dieser auf Grund einer Vision Gottes
Strafgericht androhte, falls der Kirche nicht innerhalb der nächsten
vier Monate wieder ein sichtbares Oberhaupt gegeben werde. Auf Anfrage
bestätigte der Kardinaldekan, daß der Verfasser dieses Briefes der
schon zu Lebzeiten als Heiliger verehrte und als Wundertäter weithin
bekannte Petrus von Morrone sei. Darauf stimmte Malabranca für ihn, und
die übrigen Kardinale folgten ihm.
Wie war diese plötzliche Einmütigkeit, welche von den Wählern als eine
Art Inspiration bezeichnet wurde, zu erklären? Teilweise gaben
sicherlich sehr weltliche Motive hierfür den Ausschlag. So veranlaßte
mit großer Wahrscheinlichkeit König Karl II. von Neapel, der aus
politischen Gründen an einer baldigen Wahl interessiert war - nach
seinem Besuch des aussichtslosen Konklave in Perugia -, Petrus von
Morrone den vorerwähnten Brief zu verfassen. Auch ist es nicht
ausgeschlossen, daß einige ehrgeizige Kardinäle damit rechneten, den
weltfremden Einsiedler auf dem Papstthron einfach dirigieren zu können.
Es wäre aber dennoch abwegig, nicht die apokalyptisch geprägte Mystik
dieses Zeitalters zu berücksichtigen, die besonders von dem zu Ende des
12. Jahrhunderts lebenden Zisterzienser Joachim von Fiore beeinflußt
war, der die Rettung der Kirche von einem "Engelpapst" erwartete, der
das dritte Zeitalter - das des Heiligen Geistes - eröffnen sollte.
Als erstes war es erforderlich, den Erwählten, der ja dem
Kardinalskollegium gar nicht angehörte, zu fragen, ob er die Wahl
annehme. Wie mußten die Abgesandten erstaunt, ja erschrocken gewesen
sein, als sie einem über 8ojährigen, von Askese ganz verzehrtem Greis
in ärmlichster Kleidung gegenüberstanden, der auch in diesem so
entscheidenden Augenblick nicht anders, wie auch sonst üblich, durch
ein Gitter mit ihnen redete. Zwar zögerte er begreiflicherweise, die so
schwere Bürde auf sich zu nehmen. Schließlich willigte er aber ein, da
man ihm vorstellte, die Wahl sei Ausdruck von Gottes Wille, ihre
Ablehnung folglich eine schwere Sünde.
Wenden wir uns nun kurz dem Lebensweg des solchermaßen gewählten
Papstes zu. In einem Abruzzendorf als elftes Kind einer in dürftigen
Verhältnissen lebenden Bauernfamilie um das Jahr 121 o geboren, scheint
er nach einem kurzen Aufenthalt in einem Benediktinerkloster schon im
Alter von 2o Jahren in die Einsamkeit der Gebirgswelt geflüchtet zu
sein, um das Leben eines Einsiedlers führen zu können. Nachdem er
einige Zeit danach in Rom zum Priester geweiht worden war, zog er sich
wiederum in menschenleere Gegenden zurück, zuerst auf den Berg Morrone
bei Solomana, einige Jahre später auf die Höhen des noch
unzugänglicheren Majella. Wenn Petrus auch vor der Neugier floh, war er
deshalb doch keineswegs menschenfeindlich, ja sogar bereit,
gleichgesinnte Jünger um sich zu sammeln. So entstand allmählich eine
Eremitengemeinschaft, die vom Papst dem Benediktinerorden inkorporiert
wurde und die schließlich auf mehr als 3o Niederlassungen im
Kirchenstaat und im Königreich Neapel anwuchs. Das Hauptkloster, das
dem Heiligen Geist geweiht war, befand sich in der Nähe von Solmona.
Wie sehr dem Heiligen seine Klostergründungen am Herzen lagen, kann man
daraus ersehen, daß er im Alter von mehr als 60 Jahren die Mühen auf
sich nahm, nach Lyon zu wandern, um vom Papst, der dort ein
ökumenisches Konzil abhielt, die Bestätigung gewisser Rechte und
Privilegien für seinen Orden zu erhalten. Später überließ er die
Leitung seiner Kongregation anderen, um ungestört ein hartes Büßerleben
führen zu können. So ist überliefert, daß er in seiner Zelle auf der
bloßen Erde oder auf Brettern schlief, wobei ein Stein oder ein Stück
Holz als Kopfkissen diente. Auch trug er eine eiserne Kette um den
Leib; das Fasten unterbrach er nur an Sonn- und Feiertagen, ja er soll
so zurückgezogen gelebt haben, daß er sich einschloß und mit seinen
Meßdienern nur durch ein Fenster korrespondierte.
"Alles in allem ein Mann von Willenskraft und nicht ohne praktisches
Geschick, auch nicht völlig ungebildet, aber von geringer
Weltkenntnis", so urteilt der Kirchenhistoriker Johannes Haller über
ihn.
Obwohl ihn die Kardinäle einluden, sich nach Perugia, dem Ort des
Konklaves, zu begeben, folgte Petrus dem Wunsche König Karls, der ihn
in seinem Herrschaftsbereich haben wollte. So hielt er dann unter
ungeheurem Zulauf des Volkes, geführt vom König und seinem Sohne,
Christi Beispiel nachfolgend, auf einem Esel reitend seinen Einzug in
der Stadt Aquila. In der dortigen Kirche Santa Maria di Collemaggio,
die seiner Ordensgemeinschaft gehörte und die er einige Jahre zuvor
erbauen ließ, erfolgte am 29. August 1294 seine feierliche Weihe und
Krönung zum Papst, wobei er den Namen Cölestin V. annahm. Erfolglos
blieben somit die Proteste der Kardinale, die den Wunsch geäußert
hatten, daß diese Zeremonien, wenn schon nicht in Rom, so doch
wenigstens in einer Stadt des Kirchenstaates vorgenommen werden
sollten. Auch über die Tage dieser Feierlichkeiten hinaus blieb er
weiter in Aquila. Leider sollte es sich allzubald zeigen, daß er immer
mehr in des Königs Abhängigkeit geriet.
Papst Cölestin war nicht nur geschäftsunerfahren und des Lateinischen
so wenig kundig, daß in den Konsistorien italienisch gesprochen werden
mußte, viel schlimmer war es, daß die einflußreichsten Ämter und
Pfründen mit den Adepten des Königs besetzt wurden, der ihn auch als
gefügiges Werkzeug für seine politischen Ambitionen verwendete. Ein
Beispiel hierfür ist, daß sich Karl II. von Cölestin zum Hüter des
künftigen Konklaves bestellen ließ, was in damaligen Zeiten einen
großen Einfluß auf die Papstwahl gewährte. Fehler machte der neue Papst
auch bei der Ernennung von zwölf neuen Kardinälen. Von ihnen waren
sieben Franzosen, vier stammten aus dem Königreich Neapel und zwei
waren Mitglieder seiner Kongregation, die nunmehr den Namen
"Cölestiner" erhielt. Zu deren Begünstigung entwickelte er eine
beträchtliche Initiative: so verlieh er ihr Privilegien und Ablässe,
die das gewohnte Maß weit überschritten, ja, er beabsichtigte sogar,
ihr große Benediktinerklöster wie Monte Cassino einzuverleiben.
Im Oktober des Jahre 1294 verließ Cölestin die Stadt Aquila. Anstatt
sich aber nunmehr direkt nach Rom zu begeben, verlegte er auf Drängen
Karls II. seine Residenz nach Neapel. Hier richtete er sich so ein, als
wäre er noch immer ein Einsiedlermönch, und überließ die Regierung der
Kirche drei Kardinälen. Ja, um sich auf das bevorstehende
Weihnachtsfest würdig vorbereiten zu können, bezog er eine kleine Zelle
aus Holz und gab sich wieder den strengsten Bußübungen hin.
Es war deshalb nicht unbegründet, daß ob dieser Passivität die
Unzufriedenheit im Kardinalskollegium wuchs und es bald ein offenes
Geheimnis war, daß man sagte, er sei mit solcher Amtsführung seiner
Aufgabe als Papst nicht gewachsen. Auch Cölestin wurde sich seiner
Unzulänglichkeit in dieser Stellung selbst bewußt. Er soll seufzend
ausgerufen haben: "0, mein Gott, während ich über die Seelen herrsche,
richte ich meine eigene zugrunde!" Seinem so schnell gefaßten Entschluß
zu resignieren, stellten sich zwei Hindernisse entgegen: einerseits
versuchten die Neapolitaner auf alle erdenkliche Weise den so leicht
beeinflußbaren Papst von seinem Vorhaben abzubringen. Quälender war für
ihn aber die Gewissensfrage, ob er als Papst überhaupt abdanken dürfe.
Er beriet sich deshalb unter vier Augen mit dem geschäftsgewandten und
besten Kanonisten des Kardinalskollegiums, Benedikt Gaetani, der ihn
auf Präzedenzfälle - allerdings von legendärem Charakter - freiwilligen
Amtsverzichtes hinwies. Daraufhin las Cölestin bereits am 13. Dezember
1294 vor dem versammelten Konsistorium die von Gaetani aufgesetzte
Abdankungsbulle vor und stieg, sich der Insignien seiner Würde
entledigend, sofort von seinem Thron herab.
Es wird berichtet, daß Gott dieses herausragende Beispiel von Demut
durch ein Wunder verherrlichte: Als er zu einem Gelähmten, der vor ihm
kniete, um den Segen zu empfangen, sagte: "Erhebe dich!", erhob sich
dieser geheilt. Für die Annalen der Kirchengeschichte ist diese drei
Monate dauernde Regierung Papst Cölestins gewiß nicht sehr
ereignisreich gewesen. Aber drei Tage vor seiner Verzichtserklärung
fand nach der Legende ein Geschehnis einmaliger Art statt, das
gleichsam einen Schimmer von Verklärung auf dieses Pontifikat wirft: am
10. Dezember 1294 wurde von Engeln das heilige Haus von Nazareth, das
sich bereits einige Jahre in Dalmatien befand, über das Adriatische
Meer nach Loreto getragen, wo es sich noch heute befindet.
Die Abdankung Cölestins wurde begreiflicherweise heterogen beurteilt
und fand auch ein Echo in den Werken der größten Dichter Italiens des
14. Jahrhunderts. Während Petrarca in ihr einen bewundernswerten Akt
der Demut sah, interpretiert man folgende Stelle aus Dantes "Göttlicher
Komödie":
"Schon hatt' ich den und jenen erkannt, als ich von dem den Schatten
sah und kannte, der feig den großen Auftrag von sich wies" ("Inferno"
3,59f.) in dem Sinne, daß Dante Papst Cölestin in die Vorhölle
versetzt, weil er sich dem großen Auftrag, die Kirche zu erneuern,
entzog. (In moderner Zeit ist über Papst Cölestin und seine Resignation
auch ein Film gedreht worden.)
Das Konklave für den Nachfolger fand ordnungsgemäß nach Ablauf von zehn
Tagen statt. Bereits am zweiten Tag wurde Kardinal Gaetani gewählt, der
den Namen Bonifatius VIII. annahm. Petrus Cölestinus glaubte, es stünde
nun nichts mehr im Wege, wenn er gleich in seine geliebte Einsamkeit
auf dem Berge Morrone zurückkehren würde, da er frei und bedingungslos
auf die Papstwürde verzichtet hatte. Der energische, weltgewandte und
zielstrebige Papst Bonifatius war sich nicht nur der Gefährlichkeit
schon bloßer Diskussionen über die Rechtmäßigkeit der Abdankung bewußt.
Weiterblickend schloß er die Möglichkeit nicht aus, daß sich König Karl
II. - sein erbitterter Feind - Cölestins wieder bemächtigen und ihn
zwingen könnte, wieder Papst zu werden, was sofort ein Schisma zur
Folge gehabt hätte.
Er forderte daher Petrus Cölestinus auf, sich mit ihm nach Kampanien zu
begeben. Vor Monte Cassion floh dieser aber nach Morrone, wo er unter
großem Jubel empfangen wurde und wieder eine Einsiedlerzelle bezog.
Doch ständig gequält von der Sorge, dennoch ausgeliefert zu werden,
verbarg er sich nach kurzer Zeit in noch abgelegeneren Gegenden. Da er
aber überall trotz Verkleidung bald erkannt wurde, entschloß er sich,
nach Griechenland überzusetzen. Fünf Wochen mußte er des stürmischen
Wetters wegen warten, und als das Schiff den Anker lösen wollte,
strandete es schon am ersten Tag der Fahrt. Der heiligmäßige Einsiedler
wurde gefangen genommen und an Papst Bonifatius ausgeliefert, der ihn
schließlich auf dem Schloß Funone gefangensetzte.
Liegt auch kein eindeutiger Beweis vor, daß er besonders grausam
behandelt wurde, war doch die Haft sehr hart, was schon daraus
hervorgeht, daß die zwei Mönche, denen allein erlaubt war, bei ihm zu
sein, nicht lange in der Zelle auszuhalten vermochten und daher ständig
ausgewechselt werden mußten. Cölestin aber sagte: "Ich wünschte mir
eine kleine Zelle und ich habe nun eine, wie es Dir, o Gott in Deiner
Güte gefiel." Kein Laut der Klage kam über seine Lippen.
Elf Monate war es ihm noch vergönnt zu leben. Am 19. Mai 1296 starb er,
bis zuletzt Psalmen singend, im Alter von etwa 85 Jahren an einer
Infektion. Seine letzte Ruhestätte fand er 1317 in der Kirche Santa
Maria di Colemaggio, wo er einst zum Papst gekrönt worden war. Die an
seinem Grabe sich ereignenden Wunder zogen bald eine beträchtliche
Anzahl von Pilgern an, und König Philipp der Schöne von Frankreich
ersuchte Clemens V., den ersten der in Avignon residierenden Päpste,
Petrus Cölestinus heiligzusprechen. Clemens entsprach zwar diesem
Wunsche, aber nicht der zusätzlichen Bitte, ihn zur ewigen Schmach
Bonifatius VIII. als Märtyrer zu kanonisieren. Seit 1668 feiert die
Kirche sein Fest am 19. Mai, seinem Todestag.
Des 13. Jahrhunderts sehnsuchtsvoller Traum von einem Engelpapst, der
die Kirche zu ihrer ursprünglichen Reinheit zurückführen sollte,
zerrann somit in ein Nichts. Aber auch Bonifatius, der Nachfolger
Cölestins V., seinem ganzen Wesen nach das gerade Gegenteil des
Einsiedler-Papstes, war nicht imstande, sein hochgestecktes Ziel zu
verwirklichen: seine inzwischen unrealistisch gewordene Idee, den
Führungsanspruch der Päpste über die weltliche Macht wieder zu
erneuern, scheiterte. Wenige Jahre nach seinem Tode war der Weg frei
für die "Babylonische Gefangenschaft" der Päpste in Avignon, die das
große Schisma zur Folge hatte und indirekt an der immer mehr
zunehmenden Verweltlichung von Klerus und Papsttum, und somit auch an
der Reformation mitschuldig ist.
Gemäß einer Prophezeiung späterer Zeiten - gemeint ist die Weissagung
des hl. Malachias - sollte nochmals ein "Engelpapst" Petri Stuhl
einnehmen. Diesmal war es ein Mann, der neben tiefer Frömmigkeit auch
als Gelehrter und Regent hervorragend qualifiziert war: Pius XII.
Trotzdem vermochte er es nicht zu verhindern, daß sich während seiner
Regierungszeit eine gewaltige Phalanx von Häretikern und Apostaten zum
Angriff sammeln konnte, um sofort nach seinem Ableben die Kirche in
einem nie für möglich gehaltenen Ausmaß zu zerstören.
Benützte Literatur:
Haller, Johannes: "Das Papsttum - Idee und Wirklichkeit" 3./I. Bd., Stuttgart 1945.
Seppelt, F.X.: "Geschichte der Päpste" 3.Bd.
Stadler, Johannes Ev.: "Vollständiges Heiligenlexikon" Bd.4, Augsburg 1875.
"The Oxford Dictionary of Popes" Oxford N.Y. 1986.
"Vie des Saints" Bd.5, Paris.
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