"DER STELLVERTRETER" SOLL VERFILMT WERDEN
von
Manfred Jacobs
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom 25. September 1987 erschien folgende Meldung:
Rolf Hochhuths umstrittenes
zeitkritisches Theaterstück "Der Stellvertreter" wird möglicherweise ab
Frühjahr 1989 einem größeren Publikum zugänglich sein: Mit einem
Aufwand von annähernd fünf Millionen Dollar soll der Stoff in Amerika
verfilmt werden. Roland Cämmerer, Inhaber einer Münchner Filmfirma, hat
sich des Themas angenommen, nachdem heftige Kontroversen in Ottobrunn
zur Absetzung des Stückes vom Spielplanentwurf des Wolf-Ferrari-Hauses
und zum Ausscheiden des künstlerischen Leiters Rainer Burbach geführt
hatten. Wie mehrfach berichtet, haben ein katholischer Ortspfarrer und
sein Pfarrgemeinderat heftig gegen die beabsichtigte Aufführung
opponiert, damit jedoch nicht nur anhaltende Streitigkeiten und den
Sturz des Bürgerhausleiters provoziert, sondern dem Hochhuthdrama auch
neues öffentliches Interesse verschafft. Da Burbach davon überzeugt
ist, daß die Ottobrunner Vorkommnisse symptomatisch sind für einen
"latenten Faschismus in unserer Gesellschaft" und "Ottobrunn auch
irgendwo anders sein kann", setzte er sich nachhaltig für die
Verfilmung ein.
Soweit der Hinweis in der Zeitung. Es war der 2o. Februar 1963, als in
Berlin im Theater am Kurfürstendamm, dem Hause der freien Volksbühne
e.V. Berlin, das Schauspiel "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth
uraufgeführt wurde. Das Stück machte Furore. Der Autor bekam den
Förderpreis im Gerhart-Hauptmann-Preis der freien Volksbühne Berlin und
den Preis "Junge Generation" im Rahmen des Berliner Kunstpreises. In
der Laudatio bei der Verleihung des Gerhart-Hauptmann-Preises wird von
dem Verfasser gesagt, er - Hochhuth - habe sich "mit ungeheurem Ernst
und äußerstem Fleiß an eines der heißen Eisen unserer jüngsten
europäischen Geschichte herangewagt, an das Problem der vorsichtigen
zurückhaltenden Stellungnahme des Papstes - gemeint ist Pius XII. - zur
Judenverfolgung während des zweiten Weltkrieges".
Das Ergebnis dieses "ungeheuren Ernstes und äußersten Fleißes" sieht
allerdings so aus, daß hier handgreifliche Unwahrheiten konstruiert
wurden. So konnte auch der damalige Berliner Senator für Wissenschaft
und Kunst bei der Verleihung des Preises "Junge Generation" in
realistischer Erkenntnis frei heraus gestehen, daß hier ein Stück
preisgekrönt worden sei, das von einer großen Gruppe von Menschen "als
schreiendes Unrecht erlitten" worden sei.
Hochhuth vermischt in seinem Stück Gestalten der Geschichte mit Figuren
seiner Phantasie. Da er zudem Gestalten der Geschichte noch in
Situationen führt, die nur seine Phantasie erfunden hat, weiß der
Zuschauer am Ende nicht mehr - oder soll es nicht mehr wissen? -, wo
Geschichte aufhört und Hochhuths Phantasie anfängt. So wird vieles, vor
allem von Sachurkundigen leider als objektive Geschichtsdarstellung
abgekauft, was in Wirklichkeit reine Phantasie ist. Es kam zu
einmütigen Protesten der deutsch,Katholiken. Leider ist es heute, nach
nunmehr vierundzwanzig Jahren, wieder geboten, diese Proteste aufleben
zu lassen und sie lautstark, unüberhörbar und unübersehbar erneut in
die Öffentlichkeit zu tragen.
Hierzu war kürzlich ein Ottobrunner Pfarrer genötigt gewesen - laut
SÜDDEUTSCHER ZEITUNG. Sein Protest, der getragen war von vorbildlicher
Gewissenstreue, bewirkte, daß das Schauspiel "Der Stellvertreter" vom
Spielplanentwurf gestrichen wurde und der Leiter des Bürgerhauses,
Rainer Burbach, ausscheiden mußte. Damit war die Angelegenheit jedoch
noch nicht erledigt. Ganz im Gegenteil! Burbach wandte sich nun an den
Inhaber einer Münchner Filmfirma, einen gewissen Roland Cämmerer.
Vermutlich erhofft sich Cämmerer einen Kassenschlager. Nicht ganz
unberechtigt bei dem in weiten Kreisen bekannten tiefverwurzelten Haß
gegen die katholische Kirche und deren damaliges Oberhaupt, Papst Pius
XII. Wie der Zeitungsmeldung zu entnehmen ist, plant Cämmerer mit
enormem finanziellen Aufwand eine Verfilmung in den U.S.A. Deshalb sind
alle glaubenstreuen Katholiken, die das Gedächtnis an Pius XII.
unbeschmutzt lassen wollen, aufgerufen, rechtzeitig ihre Stimme zu
erheben und laut und unmißverständlich ihrer Empörung Ausdruck zu
verleihen. Die dem "Stellvertreter" vorangestellte Beteuerung, es
handle sich hier um ein "episch-wissenschaftliches",
"episch-dokumentarisches" Drama, das sich "mit politischgeschichtlichen
Tatbeständen" beschäftige, und das "wissenschaftliches Material
künstlerisch formuliere", wird nicht bestätigt: dem Stück liegen in
penetrantester Form lediglich diffamierende Tendenzen zugrunde. Der
Hinweis darauf, daß das "wissenschaftlich erarbeitete Material
künstlerisch formuliert" worden sei, ist nur eine Rückzugsposition.
Wie dem auch sei, wir Katholiken sind aufgerufen, die Ehre eines großen
Toten zu verteidigen. Wie berechtigt diese Aufforderung ist, zeigt
allein schon Hochhuths Charakterisierung der Reden Pius XII.:
"Seine Reden seien behutsam, fade, blumig, unpräzis und stets nur im
Ungefähren herummoralisierend." Obwohl Hochhuth den Papst nie
persönlich kennen gelernt, ja nicht einmal von ferne gesehen hat,
beschreibt er dessen Gesamtpersönlichkeit so: "Er war kein Verbrecher
aus Staatsräson, er war ein Neutrum, ein überfleißiger Karrieremacher,
der sich später oft mit abwegigen Spielereien die Zeit vertrieb,
während die gequälte Welt (...) von ihm vergebens ein Wort geistiger
Führerschaft erwartete."
In diesem Tenor ist auch das Stück selbst gehalten. Treffend schreibt
ein Kritiker: "Hochhuth stellt den verstorbenen Papst Pius XII. nicht
nur auf die Bühne, sondern glatterdings an den Pranger", an den Pranger
als einen kaltschnäuzigen Massenmörder, dem Millionen Opfer zur Last
gelegt werden müssen, und als einen frostigen Politiker, der lediglich
finanzielle und wirtschaftliche Interessen verfolgt habe. Hochhuths
Zynismus wird einem verständlich, wenn man die Quellen und Rinnsale
kennt, aus denen er sein "wissenschaftliches Material" für sein
"episch-dokumentarisches Drama" schöpft. Zitiert werden:
1. der Engländer H.R. Trevor Roper, der lauthals seine anti-katholische Gesinnung äußert;
2.) Walter Schellenberg, der ehemals den Auslandsnachrichtendienst des Reichssicherheitshauptamtes leitete (!);
3.) Friedrich Heer mit seinen galligen Auslassungen über den deutschen Episkopat;
4.) Mussolinis abfällige Bemerkungen über Pius XII.
Das sind Hochhuths Kronzeugen, die angeblich "wissenschaftliches"
Quellenmaterial geliefert haben sollen! Man kann dem Schriftsteller
Hochhuth vielleicht nachsehen, daß er unfähig ist, historische
Zusammenhänge und Situationen richtig zu beurteilen. Er hat es nicht
begriffen, daß die Sprache derjenigen, die Botschaften oder Kritik bzw.
Proteste an totalitäre Regierungen von heute aus gesehen, vielleicht
maßvoll zurückhaltend klingen mag, den damaligen Zeitgenossen aber war
diese Sprache mit ihrer feinen Nuancierung durchaus verständlich.
Was Hochhuth jedoch nicht nachgesehen werden kann, ist die völlige
Ignorierung wichtiger Dokumente, so z.B. unter vielen anderen die
Aufzeichnung eines Gespräches vom 5.9.1944 zwischen dem verstorbenen
Groß-Rabbiner von Palestina, Herrn Dr. Herzog, und einem Abgesandten
des Vatikans, Mgr. Hughes, in Kairo. Dr. Herzog sagte u.a.: "Ich danke
dem Papst und der Kirche für die von Ihnen geleistete Hilfe von ganzem
Herzen." Weiter bat Dr. Herzog, "dem Papst den Dank des Volkes Israel
und seine Hoffnung zu übermitteln, daß er nicht aufhören werde, für das
Volk Israel zu arbeiten".
Am 10.9.44 ließ der Groß-Rabbiner Mgr. Hughes ein Schreiben zugehen,
welches beginnt: "Ich verlasse Kairo heute morgen und möchte Ihnen noch
einmal für die Hilfe danken, die Sie einer der heiligsten Sache gewährt
und weiterhin gewähren, die Rettung des Restes unseres gequälten
Volkes." Hier dankt eine der führenden jüdischen Autoritäten der
damaligen Zeit Papst Pius XII. und der Kirche im Namen des israelischen
Volkes. Ähnlich hat sich auch der Staatspräsident Ben Zwi geäußert und
die damalige Außenministerin Golda Meir. Sie dankten Pius XII. dafür,
daß er "seine Stimme für die Juden eingesetzt" hatte. Der Groß-Rabbiner
von Rom, Dr. Elio Toaff, sagte beim Tode des Papstes: "Mehr als jeder
andere haben wir Gelegenheit gehabt, die große mitfühlende Güte und
Hochherzigkeit des Papstes während der Unglücksjahre der Verfolgung und
des Terrors zu erfahren, als es für uns keinen Ausweg mehr zu geben
schien."
Das sind Zeugnisse von jenen, deren Schicksal Pius XII. nach Hochhuths
Darstellung sträflich vernachlässigt haben soll! Gerade auch Juden
waren es, die gegen Hochhuths Stück protestierten!
Wenn jemand, der angeblich Quellenmaterial "wissenschaftlich"
auswertet, so arbeitet, muß er von anderen Motiven als von der
Wahrheitsliebe geleitet sein: von Haß! Die Schwere dieses Vorwurfes ist
sehr wohl bedacht, findet er doch seinen sichtbaren Ausdruck in den
Regieanweisungen zum "Stellvertreter", die Hochhuth ausdrücklich als
integrale Bestandteile des Stückes verstanden haben will: "In den
Dialog sind die äußerst wesentlichen Szenen- und Regieanweisungen, die
Personen-Charakteristiken usw. eingeblendet als unauflöslicher
Bestandteil des Stückes selbst."
Schauen wir uns einige der "unauflöslichen Bestandteile" an: "Der
Schauspieler, der Pacelli gibt, soll bedenken, daß seine Heiligkeit
viel weniger Person als Institution ist. Große Gesten, ein lebendiges
Spiel seiner außerordentlich schönen Hände und lächelnde
aristokratische Kälte genügen, dazu hinter goldener Brille die eisige
Glut seiner Augen, das übrige sollte weitgehend der unalltäglichen,
getragenen Sprache des Pontifex Papa überlassen bleiben". Die Anweisung
für eine Szene lautet: "Der Kardinal hat den Schreiber herbeigerufen,
einen gotisch langen, spinnenzarten Mönch, der so gehorsam und
willenlos wirkt wie ein Beamter in der vierten Generation und dessen
auserlesene Artigkeit jeden normalen Menschen aufs tiefste beschämt. Er
hat in Deutschland über das Liliensymbol bei den späten Präraffaeliten
promoviert. Während der feingeistige Benediktiner die vorgeschriebenen
drei Kniefälle zu einem Zeremoniell ganz eigener Art gestaltet, um dann
am Konsoltisch Platz und Federhalter zu nehmen, sammelt der
Stellvertreter Christi sich. Die Kälte und Härte seines Gesichts, von
den Werbetextern der Kirche gern als 'überirdische Vergeistigung'
bezeichnet, haben gleichsam den Gefrierpunkt erreicht - er blickt, wie
er sich gern fotografieren ließ, über alle Umstehenden hinweg, weit
hinaus, hoch empor. Es ist unvermeidbar, daß die Szene plötzlich
irreal, ja phantasmagorisch wirkt. Worte, Worte, eine vollständig
degenerierte Sprache als klassisches Mittel, zu reden, ohne etwas zu
sagen".
Wenden wir uns abschließend noch einmal Rainer Burbach zu. Geradezu
klassisch ist die Gesinnung, die er verrät, und es ist auch
bezeichnend, wie er sie verrät: unlogisch. Er hält die Vorkommnisse in
Ottobrunn, wo ein Pfarrer und sein Gemeinderat dafür sorgten, daß
Hochhuths "Stellvertreter" vom Spielplan abgesetzt wurde, für
symptomatisch für "einen latenten Faschismus in unserer Gesellschaft",
d.h. er unterstellt allen, die gegen Hochhuths Stück Stellung beziehen,
Faschisten sein müßten. Wer könnte aber mehr Interesse habe, dieses
Stück aufgeführt zu sehen, als gerade Faschisten?!
ANHANG:
Wie gefährlich es war, die Taktik der vorsichtigen Sprache
unberücksichtigt zu lassen, zeigt uns das Vorgehen des Nazi-Regimes
gegen den deutlichen Appell der holländischen Bischöfe im Jahre 1942.
Ihr Protest führte dazu, daß die zum Katholizismus übergetretenen Juden
der Niederlande deportiert wurden, während den protestantischen Juden
ein Vollstreckungsaufschub gewährt wurde, da die protestantische Kirche
auf einen öffentlichen Protest verzichtet hatte. Das holländische
Beispiel hielt Pius XII. übrigens davon ab, seinen bereits schriftlich
aufgesetzten scharfen Protest zu veröffentlichen.
NACHTRAG:
Auf Initiative der SPD, die ihr Begehren, das Stück dennoch
aufzuführen, mit krawallähnlichem Aufwand betrieb, wurde schließlich
Hochhuths "Stellvertreter" in Ottobrunn doch noch aufgeführt. Bei
dieser Aufführung blieb es nicht. Eine makabre Note erhielt nun die
Hochhuth-Renaissance in München. "Der Stellvertreter", der heute
literarisch längst als minderwertiges Elaborat eingestuft wird, hatte
die Ehre, die diesjährige jüdische Kulturwoche vom 23.- 28. April 88 in
München anläßlich des 4ojährigen Bestehens des Staates Israel zu
eröffnen. Die Juden, die damals gegen das Stück protestierten, begrüßen
heute seine Aufführung! Simon Snopkowski, der Vorsitzende der
"Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition e.V." nahm
dazu wie folgt Stellung: "Hochhuth wurde uns offeriert. Und wir haben
das dann begrüßt, weil Beelitz (d.i. der Intendant des Münchner
Residenztheaters) uns sagte, daß die Inszenierung keine
anti-kirchlichen Momente enthält." (!!!) Seit dem Zweiten Vatikanischen
Konzil habe in der kath. Kirche eine Entwicklung eingesetzt, die
hervorragende Beziehungen zwischen Kirche und Judentum hervorgebracht
habe. Doch das stehe nicht im Widerspruch zu dem Bemühen, darüber
nachzudenken, wo man früher falsch gehandelt habe, (sie!) Die
Aufführung selbst erwies sich unter dem jüdischen Regisseur David
Levine als Flop. "Die Argumentationsmuster des Autors liefen hilflos
ins Leere, allen historischen Forschungen zum Trotz." (MM 2O./23.4.88)
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