DAS GOLDENE KALB
- AUSZUG AUS EINER PREDIGT -
von
+ H.H. Dr. Otto Katzer
Liebe Christen!
Das letzte Mal sprachen wir davon, daß uns irdische Güter weder
wirklich noch auf Dauer glücklich machen können. Und warum nicht? Weil
wir Kinder Gottes und nicht die dieser Welt sind. Alle Dinge dieser
Welt sollten uns lediglich eine Hilfe sein, zum eigentlichen, zum
ewigen Leben zu gelangen. "Ich bin der Anfang und das Ende, das Alpha
und das Omega", spricht der Herr. Also müssen auch wir den Anfang, den
Sinn und unser Lebensziel nach
IHM ausrichten. Drei Fragen sollten wir uns immer wieder stellen:
- Woher komme ich?
- Was tue ich?
- Wohin gehe ich?
Wir sprachen bereits von dem Wunder der Entstehung menschlichen Lebens.
Beginnend, kleiner als ein Pünktchen, enthält es in sich bereits ein
größeres Geheimnis als der nächtliche Sternenhimmel uns verbirgt. Nicht
umsonst sagen die Materialisten: Der Körper des Menschen ist der höchst
entwickelte Stoff! Vom Alltäglichen überreizt denken wir gar nicht mehr
über unsere gottgegebenen Fähigkeiten nach und oft noch weniger über
unsere Seele, die uns weit über alles Geschaffene erhebt. Der große
französische Philosoph Pascal sagt an einer Stelle: "Der Mensch ist ein
schwaches schwankendes Rohr, aber ein Rohr, das denkt. Das Weltall muß
nicht alle seine Kräfte aufbieten, um seinen Tod herbeizuführen. Ein
Tröpfchen Wasser, ein wenig Dampf genügt, ihn zu vernichten. Doch, auch
wenn er stirbt, ist der Mensch etwas Größeres und Vollkommeneres als
alle sonstigen geschaffenen Dinge des Weltalls."
Die Seele des Menschen ist das übernatürliche Ebenbild Gottes. Dieses
Ebenbild Gottes erhellt ein noch strahlenderes Licht, wenn sie in die
heiligmachende Gnade eintaucht. So wird die Seele zum lebendigen
Abglanz Gottes und so läßt uns Gott an seiner Natur Anteil nehmen. Doch
sehen wir noch weiter: Christus, Gott, Sohn Gottes, nahm nicht etwa die
Natur der Engel an, sondern ist Mensch geworden. Durch seine
Menschwerdung schloß Christus ein inniges und festes Bündnis mit uns,
das für alle Zeiten, das für die Ewigkeit gelten sollte. Und so sehen
wir im allerheiligsten Sakrament des Altares dieses unfaßbare
Geheimnis: Christi Fleisch und Blut - wahrer Gott und wahrer Mensch.
Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß der Mensch, auch wenn er
es nur dem Leibe nach ist, der qualitative Mittelpunkt und das
geheimnisvollste Wesen des Weltalls ist. Wir kennen aber auch das
erhabenste Geheimnis des Glaubens und den absoluten Mittelpunkt des
Weltalls: diese kleine unscheinbare Hostie nach der Wandlung. Da wir
dies glaubend bekennen, und Christus es ja auch selbst bestätigt hat,
daß Er der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, kennt der Christ damit
auch das Gesetz seines Lebens. Gott ist nämlich kein Tyrann, der
Gesetze vorschreibt, um zu zeigen, daß Er der Herr ist, daß Er seine
Freude daran findet, wenn seine Untergebenen vor Ihm stramm stehen. Das
Gesetz ist von einem Vater gegeben, der seine Kinder liebt, der weiß,
daß es nötig ist zu ihrem Wohlergehen. Zum Glück des Menschen sind die
Zehn Gebote gegeben, und je vollkommener er sie erfüllt, je fester er
sich an sie hält, desto intensiver arbeitet er an seinem zeitlichen,
besonders aber an seinem ewigen Heil.
Als Moses die Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft in das
gelobte Land führte, mußte er auf der Halbinsel Sinai vierzig Jahre
sein Volk wieder auf die ihm vorgegebene geschichtliche Aufgabe
vorbereiten. Es ist die gleiche Aufgabe, die dann dem neuen Israel, dem
an den dreieinigen Gott glaubenden gestern, heute und morgen
aufgetragen ist: den einen, wahren geoffenbarten Glauben zu erhalten.
In einer Welt, die der Vielgötterei verfallen ist, wird uns die Frage
gestellt, ob diese Welt überhaupt noch zu retten ist. Moses gab im
Auftrag Gottes die Gebote. Ihre Erfüllung konnte Israel retten und
glücklich machen. Als aber Moses längere Zeit auf dem Berge mit Gott
redete, langweilten sich die Israeliten am Fuße des Berges und
forderten von Aaron einen neuen liberaleren 'Gott'. Und so steht binnen
kurzem jenes goldene Kalb vor unseren Augen, jenes Kalb, welches zum
Symbol aller Liberalen wurde.
Es wäre falsch, meine Lieben, wollten wir sagen, daß die Israeliten
damals vom Herrn gänzlich abgefallen seien, nein, sie wollten Gott,
ihren 'Gott', nur mit den Sinnen erfassen. Ihn nicht zu erfassen, Ihn
nicht real begreifen zu können, Ihn nur geistig zu erleben - das war
ihnen zu langweilig geworden, zu unbefriedigend. Die Schuld der
Israeiten bestand darin, den wahren Gott mit einem Symbol zu
vertauschen. Darin bestand die Schuld der Israeliten. Der Stier war im
Orient das Symbol einer Gottheit, der Gerechtigkeit und der Wahrheit.
Den jungen Stier vor Augen, hatten sie sich scheinbar nicht vom Herrn
entfernt. Es war aber dieselbe Sünde, an der wir Heutigen ebenso
leiden: anstelle Gottes einen Götzen anzubeten!
Wenn eine Braut z.B. feststellen müßte, daß ihr Bräutigam ein Bild von
ihr mehr bewundern würde als sie selbst, wie sehr wäre sie gekränkt,
wie sehr müßte sie ihn der Täuschung überführen, ihn regelrecht der
"Bildanbetung" (Idolatrie) beschuldigen, ihn als Heuchler oder
Schwindler bezichtigen.
Als nun Moses vom Berge herabgestiegen war und das Volk um das aus
purem Gold gegossene Kalb herumtanzen sah, zerschmetterte er vor Zorn
über dieses "Affentheater" die Gesetzestafeln. Da das Volk schon das
erste Gebot nicht mehr beachtete, waren auch alle andern vergessen
worden. Und mit den Gesetzestafeln zerbrach auch das Glück Israels.
Haben wir diese Begebenheit und die sich daraus ergebenden Folgen
bereits vergessen? "Ich bin nicht gekommen, das Gesetz und die
Propheten aufzuheben, sondern sie zu erfüllen." (Mt. 5,17) Die Worte
des Heilandes haben Gültigkeit damals, heute und morgen. Doch die
Aarons des 19. und 2o. Jahrhunderts gaben ebenfalls dem unbeständigen
Volke nach und gaben ihm statt des Originals eine Kopie: Christus ist
heute nicht mehr persönlich und real im Allerheiligsten Altarsakrament
gegenwärtig. Er ist nicht mehr der, der aus Maria, der Jungfrau,
geboren wurde, der gelitten hat, der am Kreuze gestorben ist und der am
dritten Tage siegreich von den Toten auferstanden ist, nein! - ein
Symbol, auf ein einfaches Zeichen ist alles zusammengepreßt. Nicht mehr
und nicht weniger: ein Zeichen. Darum ist es auch nicht verwunderlich,
daß die Kinder von heute kaum noch die Zehn Gebote kennen. Sind doch
die Zehn Gebote, wie ein 'Bischof eines Nachbarlandes einmal sagte,
"nicht die Gebote Gottes, sondern die Gebote des jüdischen Volkes"! Und
so wird auch jedes Volk seine eigenen Gebote haben bzw. sich machen.
Schaut die Früchte an, die die heutige Welt hervorgebracht hat, und ihr
werdet erkennen, in welchem Zustand sie sich befindet. Wenn wir nicht
wollen, daß nicht auch wir in den Sog um die goldenen Kälber von heute
hineingezogen werden, müssen wir uns besinnen, was und wo der
wirkliche, der einzige, der absolute Mittelpunkt der Welt ist, und wir
müssen uns dort einfinden: beim heiligsten AltarSakrament, bei dieser
kleinen Hostie, dem absoluten Mittelpunkt der Welt. Erst dann, wenn die
Welt dorthin zurückkehrt, wenn sie wieder niederkniet und ihr "Tantum
ergo sacramentum veneremur cernui" singt, wenn sie wieder die
Gesetzestafeln Gottes er- und anerkennt, zu den Zehn Geboten Gottes
zurückfindet und sich der Offenbarung Gottes gläubig unterordnet, erst
dann werden wir, wird die Welt das erreichen, wonach sie in diesen
Tagen angeblich so heftig verlangt: nach Frieden und Sicherheit. Amen.
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