IM KREUZ IST HEIL
vom
hl. Cyrillus von Jerusalem, Bischof seit 347
Der katholischen Kirche ist zwar jede Tat Christi Gegenstand des
Ruhmes. Gegenstand höchsten Ruhmes aber ist das Kreuz. In dieser
Erkenntnis sagt Paulus: "Ferne sei es von mir, mich zu rühmen, es sei
denn im Kreuze Christi! (Gal. 6,14) Etwas Wunderbares war es, daß
einer, der von Geburt aus blind war, im Teiche Siloa das Augenlicht
erhielt (vgl. Joh. 9,7). Doch was ist der eine gegen die Blinden der
ganzen Welt? Etwas Großes, Übernatürliches war es, daß Lazarus, der
schon den vierten Tag tot war, von den Toten auferstand (vgl. Joh.
11,39 ff.). Doch nur an ihm hatte sich die Gnade geoffenbart. Was aber
ist der eine Lazarus gegenüber denen, die auf dem Erdkreis durch ihre
Sünden gestorben sind? Es war ein Wunder, daß fünf Brote zur Ernährung
von fünftausend Mann hinreichten (vgl. Matth. 14,21). Doch was sind
diese fünftausend gegenüber denen, welche auf dem ganzen Erdkreis
Hunger leiden, weil sie in Unwissenheit leben? Wunderbar war die
Befreiung des Weibes, welches achtzehn Jahre vom Satan gefesselt war
(Luk. 13,11/13). Aber was ist dieses eine Weib gegenüber uns allen,
welche wir von den Ketten unserer Sünden gefesselt sind? Der
Siegeskranz des Kreuzes hat den geistig Blinden Licht gebracht, hat
alle, die unter der Sünde darniederlagen, befreit und die ganze
Menschheit erlöst.
Wundre dich nicht, daß die ganze Welt erlöst wurde! Denn der, welcher
für sie starb, war kein gewöhnlicher Mensch, sondern der eingeborene
Sohn Gottes. Die Sünde eines einzigen Mannes, des Adam, vermochte der
Welt den Tod zu bringen. Wenn aber durch den Fall des einen der Tod zur
Herrschaft in der Welt kam, soll dann nicht noch mehr das Leben zur
Herrschaft gelangen durch die gerechte Tat des Einen? (Vgl. Rom. 5,12
ff.) Wenn seinerzeit die Stammeltern aus dem Paradiese vertrieben
wurden wegen des Holzes, von dem sie gegegessen hatten, sollten nicht
die Gläubigen jetzt leicht in das Paradies eintreten wegen des Holzes
Jesu? Wenn der, welcher zuerst aus Erde gebildet worden war, allen den
Tod gebracht hat, sollte dann nicht der, welcher ihn aus Erde gebildet
hatte, ewiges Leben bringen, da er selbst das Leben ist? Wenn Phinees,
welcher in seinem Eifer den Schandbuben getötet hatte, den Zorn Gottes
besänftigte (vgl. Exod. 12,23), sollte Jesus, der nicht einem Fremden
das Leben nahm, sondern sich selbst als Lösepreis hingab, nicht den
Zorn gegen die Menschen beseitigen?
Wir wollen uns also nicht des Kreuzes des Erlösers schämen, sondern uns
vielmehr dessen rühmen! Die Kreuzeslehre ist zwar den Juden ein
Ärgernis und den Heiden Torheit, uns jedoch Erlösung; sie ist denen,
die verloren gehen, Torheit, uns aber, die wir erlöst werden, Kraft
Gottes (vgl. 1 Kor. 1,18/23.). Denn der für uns gestorben ist, war -
wie gesagt - nicht ein gewöhnlicher Mensch, sondern Gottes Sohn, der
Mensch gewordene Gott. Wenn das Lamm, welches im Auftrage des Moses
geschlachtet wurde, den Verderber fernhielt (vgl. Exod. 12,23), sollte
dann nicht vielmehr das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt auf sich
nahm, von Sünden befreien? Wenn das Blut des unvernünftigen Lammes Heil
wirkte, soll dann nicht vielmehr das Blut des Eingeborenen Heil
bringen? Wer nicht an die Macht des Gekreuzigten glauben will, möge bei
den Dämonen anfragen! Wer den Worten nicht glauben will, glaube den
offenkundigen Tatsachen! Auf der weiten Welt sind schon viele
gekreuzigt worden, doch vor keinem zitterten die Dämonen. Da aber
Christus für uns gekreuzigt worden ist, erschrecken die Dämonen, wenn
sie nur schon das Zeichen des Kreuzes sehen. Während nämlich die einen
sterben mußten wegen ihrer eigenen Sünden, ist er für fremde Sünden
gestorben. "Denn keine Sünde hat er getan, und kein Betrug ist gefunden
worden in seinem Munde." (Is. 53,9; 1 Petr. 2,22) Nicht Petrus war es,
der diese Worte gesprochen hatte; von ihm könnte man vermuten, daß er
sie aus Schmeichelei gegen seinen Meister gesprochen hätte. Isaias hat
sie gesprochen; dem Fleische nach hatte er seine Ankunft im Fleische
vorhergeschaut. Doch soll ich jetzt nur einen Propheten als Zeugen
zitieren? Auch an Pilatus hast du einen Zeugen; bei der Verurteilung
Jesu erklärte er: "Ich finde keine Schuld an diesem Menschen!" (Luk.
23,14) Als er ihn auslieferte, wusch er seine Hände und sprach: "Ich
bin unschuldig an dem Blute dieses Gerechten." (Matth. 27,24) Noch
einer ist Zeuge für die Sündelosigkeit Jesu, nämlich der Räuber,
welcher als erster in das Paradies einging. Er macht seinem Genossen
Vorhaltungen mit den Worten: "Wir empfangen das, was wir für unsere
Taten verdienen. Dieser aber hat nichts Böses getan (Luk. 23,41); denn
wir, du und ich, waren bei der Gerichtsverhandlung zugegen."
Jesus hat also in Wahrheit für alle Menschen gelitten. Das Kreuz war
kein Wahn, sonst wäre ja auch die Erlösung Wahn. Nicht war der Tod
Einbildung; denn sonst wäre unser Heil Einbildung; dann hätten jene
recht, die sagten: "Wir erinnerten uns, daß jener Verführer, da er noch
lebte, erklärte: Nach drei Tagen werde ich auferstehen". (Matth. 27,63)
Er hat wahrhaft gelitten, er ist wahrhaft gekreuzigt worden, und nicht
schäme ich mich dessen. Er ist gekreuzigt worden, und nicht leugne ich
es. Vielmehr bin ich stolz darauf, davon zu sprechen. Wollte ich es
jetzt leugnen, so würde mich das Golgatha hier, in dessen Nähe wir alle
weilen, zurechtweisen, zurechtweisen würde mich das Kreuzesholz, dessen
Partikel bereits in der ganzen Welt von hier aus Verbreitet worden
sind. Ich bekenne das Kreuz, da ich von der Auferstehung weiß. Wäre
Jesus ein Gekreuzigter geblieben, so hätte ich es wohl zugleich mit
meinem Lehrmeister verheimlicht (wegen der Schmach, die mit dem
Kreuzigen als Strafe verbunden ter; Anm.d.Red.). Da aber dem Kreuze die
Auferstehung folgte, so schäme ich mich nicht, von dem Kreuze zu
predigen.
Da Jesus Fleisch geworden und allen Menschen ähnlich ist, ist er
gekreuzigt worden. Nicht jedoch ist er gekreuzigt worden ähnlicher
Sünden wegen. Nicht ist er wegen Habsucht zum Tode geführt worden; war
er ja doch der Lehrer der Armut. Auch wurde er nicht wegen Sinnlichkeit
verurteilt; erklärt er doch ausdrücklich: "Wer eine Frau ansieht, ihrer
zu begehren, hat bereits die Ehe mit ihr gebrochen" (Matth. 5,28).
Nicht wurde er verurteilt, weil er aus Mutwillen jemanden geschlagen
oder verwundet hat; hat er doch die andere Wange dem hingeboten, der
ihn geschlagen hat. Nicht wegen Gesetzesverachtung; denn er hatte das
Gesetz erfüllt. Nicht als ob er einen Propheten gelästert hätte; denn
er war es, der von den Propheten verkündet worden war. Nicht als ob er
sich unrechtmäßigerweise Lohn angeeignet hätte; denn unentgeltlich,
umsonst, hat er die Heilungen vorgenommen. Nicht wurde er verurteilt,
weil er in Wort oder Tat oder durch Begierde gesündigt hätte; "er hat
keine Sünde begangen, und in seinem Munde ist kein Betrug gefunden
worden; als er geschmäht wurde, hat er nicht widergeschmäht; als er zu
leiden hatte, hat er nicht gedroht" (1 Petr.22 f.) Nicht wider seinen
Willen, sondern freiwillig ist er in sein Leiden gegangen. Wenn auch
jetzt noch jemand abweisend zu ihm sagen würde: "Herr, ferne sei es von
dir, (daß du leidest)" (Matth. 16,22), würde er wiederum (wie dem
Petrus) entgegnen: "Weiche von mir, Satan!" (ebd. 16,23) (...)
Doch es erheben Widerspruch die Juden, welche stets zum Widerspruch
bereit, im Glauben dagegen saumselig sind, weshalb nun die verlesene
Prophetenstelle sagt: "Herr, wer glaubt unserer Predigt?" (Is. 53,1)
Perser glauben, und Hebräer glauben nicht. "Sehen werden die, welchen
nicht von ihm verkündigt worden war, und erkennen werden die, welche
nicht gehört haben" (ebd. 52,15). Und die, welche darüber nachdachten,
werden das, worüber sie nachdenken, verwerfen. Die Juden machen gegen
uns die Einwendung: "Der Herr leidet also? Waren denn Menschenhände
mächtiger als seine Herrschermacht?" Leset die Klagelieder! In den
Klageliedern hat Jeremias, über euch klagend, Klagenswertes
niedergeschrieben. Er sah euren Untergang, er schaute euren Fall. Er
klagte über das damalige Jerusalem; denn das jetzige wird nicht beklagt
werden. Jenes hat Christus gekreuzigt, das jetzige aber betet ihn an.
Klagend sagt Jeremias: "Der Geist unseres Angesichtes, Christus der
Herr, wurde gefangen wegen unseres Verderbens" (Klagel. 4,2o). Rede ich
also etwa, was ich selbst ersonnen habe? Siehe, Jeremias bezeugt es,
daß Christus, der Herr, von Menschen gefangen werde. Was wird daraus
folgen? Sage es mir, o Prophet! Er antwortet: "In seinem Schatten -
sagten wir - werden wir leben unter den Heiden" (ebd.) Damit deutet er
an, die Gnade des Lebens wohne nicht mehr in Israel, sondern unter den
Heiden. (...)
Bewundere den Herrn, da er vor dem Richter steht! Er ließ sich
gefallen, von Soldaten hin- und hergeschleppt zu werden. Pilatus saß
auf dem Richterstuhl, und der, welcher zur Rechten des Vaters sitzt,
ließ es sich gefallen, daß er stehen mußte. Das Volk, welches er aus
Ägypten und sonst noch wiederholt befreit hatte, schrie wider ihn:
"Hinweg mit ihm, hinweg mit ihm! Kreuzige ihn!" (Joh. 19,15) Warum ihr
Juden? Weil er eure Blinden geheilt hat? Oder weil er euren Lahmen die
Kraft gegeben hat, zu geben? (...) Die Soldaten umringen Jesus und
verspotten ihn. Der Herr wird ihnen zum Gespötte, mit dem Herrscher
treiben sie ihren Unwillen. "Sie sahen mich, schüttelten ihr Haupt"
(Ps. 108, 25). Sie inszenieren eine königliche Huldigung. Sie
verspotten ihn und beugen ihre Knie vor ihm. Die Soldaten kreuzigen
ihn, aber zuerst legen sie ihm einen Purpurmantel an und setzen ihme
eine Krone auf's Haupt. Was tut es zur Sache, daß sie aus Dornen
bestand. Jeder König wird von Soldaten ausgerufen. Der
Versinnbildlichung wegen mußte Jesus auch von Soldaten gekrönt werden.
(...) Über Adam erging das Strafurteil: "Verflucht sei die Erde in
deinen Werken! Dornen und Disteln soll sie dir tragen!" (Gen. 3,17 f.)
Jesus nimmt deshalb die Dornen auf sich, um das Strafurteil
aufzunehmen. Und deshalb wurde er in die Erde begraben, damit die
verfluchte Erde statt Fluch Segen empfange. (...)
Ein Vorbild des Kreuzes fertigte Moses, indem er die Schlange kreuzigte
(Num. 21,9), damit, wer von der lebenden Schlange gebissen werde, beim
Anblick der ehernen Schlange auf Grund des Glaubens gerettet werde.
Eine gekreuzigte eherne Schlange bringt das Heil, und der gekreuzigte
menschgewordene Gottessohn soll es nicht bringen? Immer ist es das
Holz, durch welches Leben kam. Zur Zeit des NoÎ wurde durch die
hölzerne Arche das Leben gerettet. Als das Meer zur Zeit des Moses den
Stab, das Vorbild (des Kreuzes), erblickte, wich es erschrocken vor
seinem Schlage zurück. Der Stab des Moses hatte Macht, und das Kreuz
des Erlösers sollte machtlos sein? Doch, um kurz zu sein, übergehe ich
viele Vorbilder.
Auf das Holz floß Wasser aus der Seite Jesu. (Joh. 19,34) Blut und
Wasser sind der Anfang der Moses-Wunder, sie sind andererseits das Ende
aller Wunder Jesu. Moses fing damit an, den Fluß in Blut zu verwandeln;
Jesus schloß damit, daß er Wasser und Blut aus seiner Seite fließen
ließ. Letzteres geschah vielleicht mit Bezug auf die Stimme des
Richters und das Rufen des schreienden Volkes oder wegen der Gläubigen
und der Ungläubigen. Pilatus nämlich erklärte: "Ich bin unschuldig" und
wusch seine Hände mit Wasser (Matth. 27,24); das Volk aber schrie:
"Sein Blut komme über uns!" (ebd.,25) Beides floß aus der Seite: das
Wasser wohl für den Richter, das Blut für das schreiende Volk. Jene
Tatsache kann auch noch anders verstanden werden: für die Juden war das
Blut, für die Christen das Wasser. Über jene, seine Feinde, kam aus dem
Blute der Fluch, während du als Gläubiger jetzt durch das Wasser das
Heil erlangst. (...)
Ausgestreckt hat er seine Hände am Kreuze, um den ganzen Erdkreis zu
umfassen. Denn der Mittelpunkt der Erde ist Golgatha hier. Das ist
nicht meine Lehre; der Prophet hat es gesagt: "Du hast das Heil gewirkt
in der Mitte der Erde." (Ps. 73,12) Er, der mit seinen geistigen Händen
den Himmel befestigt hat, hat seine menschlichen Händen ausgestreckt.
Mit Nägeln wurden sie angeheftet. Dadurch, daß die mit den Sünden der
Menschen beladene Menschheit ans Holz geheftet wurde und starb, sollte
zugleich die Sünde sterben, wir dagegen in Gerechtigkeit auferstehen.
(Vgl. Rom. 6,6 ff.) Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist,
kommt durch einen das Leben, durch den freiwilligen Tod des einen
Menschen, des Erlösers. Erinnere dich an das Wort: "Ich habe Macht,
mein Leben hinzugeben, und habe Macht, es wieder zu nehmen." (Joh.
10,18) Da Jesus gekommen war, alle zu erlösen, nahm er solches Leiden
auf sich. Doch das Volk lohnte es schlecht. (...)
Der Heiland hat durch sein Leiden, durch das Blut des Kreuzes, was im
Himmel und auf Erden ist, versöhnt. Durch die Sünde waren wir nämlich
Feinde Gottes, und Gott hatte auf die Sünde Todesstrafe gesetzt. Eines
von beiden war nun notwendig: entweder mußte Gott als der Wahrhaftige
alle vernichten, oder er mußte als der Barmherzige das Urteil aufheben.
Doch siehe Gottes Weisheit! Das Urteil hielt er konsequent aufrecht,
ohne seine Barmherzigkeit wirkungslos zu machen. Christus "nahm die
Sünden mit seinem Leibe an das Holz" (1 Petr. 2,24), damit wir durch
seinen Tod den Sünden ersterben und der Gerechtigkeit leben. Kein
Geringer war der, welcher für uns gestorben ist. Nicht war er ein
unvernünftiges Lamm. Nicht war er ein einfacher Mensch. Nicht war er
nur ein Engel. Er war vielmehr der menschgewordene Gott. Die
Ungerechtigkeit der Sünder war nicht so groß wie die Gerechtigkeit
dessen, der für uns gestorben ist. Wir haben nicht so viel gesündigt,
als derjenige Gerechtigkeit geübt hat, welcher sein Leben für uns
hingegeben hat. Er gab es hin, als er wollte, und er nahm es wieder,
als er wollte. (...)
Schämen wir uns also nicht, den Gekreuzigten zu bekennen! Besiegeln wir
vertrauensvoll mit den Fingern die Stirne, machen wir das Kreuzzeichen
auf alles, auf das Brot, das wir essen, auf den Becher, den wir
trinken! Machen wir es beim Kommen und Gehen, vor dem Schlafe, beim
Niederlegen und Aufstehen, beim Gehen und Ruhen. Groß ist dieses
Schutzmittel.
Mit Jesus wird das Kreuz wiederum vom Himmel her kommen. Denn das
Siegeszeichen wird vor dem König herziehen, damit die Juden, wenn sie
denjenigen sehen, den sie durchbohrt haben, (...) von Reue ergriffen
wehklagen.
(aus: Bibl. der Kirchenväter, Bd.41, S.2o3/234)
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