CHRISTENTUM UND WEHRDIENSTVERWEIGERUNG
von
Christian Mattausch
Vorbemerkung der Redaktion:
Mit nachfolgendem Beitrag wollen wir uns nicht eigentlich auf's
politische Parkett begeben und uns in die Debatte um die Problematik
eines Wehrdienstes einmischen, sondern nur darlegen, wie eine
verfälschende Exegese des Wortes Gottes für politische Ideologien
mißbraucht wird, bzw. wie man die Auslegung der biblischen Texte so
verfälscht, daß man sie für eigene politische Ziele einsetzt. Der
Ausflug in die Wehrpolitik ist nötig, um diesen Sachverhalt
aufzuzeigen. E. Heller
***
Seit geraumer Zeit leidet die Wehrpsychologie der Bundesrepublik an der
Zunahme innerer Spannungen. Dies drückt sich nicht zuletzt durch die
Aktualität jener Bemühungen aus, derer sich ein ins Gewicht fallender
Prozentsatz nachrückender Musterungsjahrgänge bedient, nämlich trotz
Fehlens objektiver Entpflichtungsgründe dem Dienst beim Bund zu
entgehen. Was dabei allerdings zum Hochziehen der Augenbrauen
veranlaßt, ist die wachsende Anzahl derer, die - sich als Vertreter
ethischer Grundsätze ausgebend - die Lehren des Christentums,
insbesondere aber Passagen aus der Bergpredigt, zur Begründung ihrer
Einstellung gegenüber verteidigungspolitischen Belangen heranziehen.
Seitdem in bundesdeutschen Verweigerungskreisen die rhetorische
Gleichsetzung von Soldaten mit potentiellen Mördern schon beinahe
salonfähig geworden ist, haben sich nicht nur im Prozeß der Entstellung
staatsbürgerliche! Begriffe weitere Verunstaltungen breitgemacht,
sondern vor allem Destabilisierungstendenzen im Bereich ethischer
Normenbildung.
Man kann sich leicht vorstellen, daß Argumente, die in Sachen
Wehrdienstverweigerung ein polemisches Gemisch aus derartigen
Verunglimpfungen und Verweisen auf das Neue Testament bilden, eben
nicht geeignet sind, zum Identifikationsbedürfnis der jüngeren
Generation mit dem Souveränitätsverständnis ihres Staates beizutragen.
Mehr noch, wer die Symbiose aus konservativer Glaubenshaltung mit
Staatstreue als etwas ganz Natürliches empfindet, muß sich durch solche
Bibelauslegung brüskiert fühlen.
ALLTAGSKOMPLEXITÄT UND POPULÄRTHEOLOGIE
Das Argument "Christentum" als Begründung für Wehrdienstverweigerung
ist in der Tat eine Herausforderung, auf einschlägige Stellen des Neuen
Testamentes einzugehen. Wenn auch Erörterungen weltlicher Belange in
ihrem religiösen Kontext - und umgekehrt - immer nur Stückwerk bleiben
können, so gilt es dennoch, Grundsätzlichkeiten hervorzuheben und
Verfälschungen entgegenzutreten. Um die durch das Wirken der
Alltagsprofanität bekannte Neigung zu Widersprüchlichkeiten in der
bisher publik gewordenen Wahrdienst/Bibel-Diskussion zu unterbinden,
muß jede objektive Auseinandersetzung mit diesem Themenkreis sich der
Bedeutung zweier völlig verschiedener Kategorien bewußt werden:
- den Ge- und Verboten, die den einzelnen entsprechend seiner
individuellen Verfügbarkeit an Willensfreiheit an bestimmte ethische
Verhaltensnormen binden; - auf der anderen Seite aber der zunehmenden
Komplexität heutiger weltlicher Lebensumstände mit ihrem zeitlich wie
methodisch bestenfalls immer nur begrenzt beherrschbaren Zugzwängen,
die tagtäglich sowohl den einzelnen wie auch das Gemeinwesen zu Fragen
nach Sinn und Zweck profaner Prioritätensetzung herausfordern.
Diese Unterscheidung ist nicht nur von akademischem Interesse. Immer
wieder zeigt sich nämlich, daß Strukturbildung und Differenzierungen
des sozialen Lebens nicht allein den Durchschnittsmenschen zu zwar aus
persönlichen Gründen verständlicher, aber nicht immer angemessener,
nach außen projizierter Wirklichkeitsbedeutung anregen, sondern gerade
auch den als "Bildungsbürgertum" angesprochenen Bevölkerungsschichten
Vorwände geliefert haben, das öffentliche Bewußtsein mit
populärtheologischen "Erklärungen" zu überschwemmen. Wenn heute
beliebige soziale Zusammenhänge sehr oft mit Begriffen wie "gut" oder
"böse", bzw. "gerecht" oder "ungerecht" bewertet werden, so beruhen
solche Urteile meistens nicht auf der Bilanz des Versuchs einer
Ursachenanalyse, sondern auf der Resignation gegenüber der
Unübersichtlichkeit des sozialen Alltags, zu der modernistische
Theologen vordergründig einleuchtende Bezeichnungen in die Welt gesetzt
haben. Die Komplexität äußerer Lebensumstände begünstigt in der
politischen Diskussion die dialektische Verschränkung zwischen der
Relativierung ethischer Normen und der Unumstößlichkeit methodischer
Gesetzmäßigkeiten.
Dies alles gewinnt im Hinblick auf die Wehrdienstverweigerungssituation
eine ganz besondere Bedeutung, soweit das Neue Testament als
Argumentationsgrundlage der Verweigerer herhalten muß. Im Hinblick auf
die in jedem Gemeinwesen - und auch in derem gegenseitigen Verhältnis
zueinander - herrschenden Zwänge, Ängste (insb. Kollektivängste),
Selbsterhaltungsbedürfnisse, Unberechenbarkeiten, Notwendigkeit der
Prioritätssetzung und deren kontroverse Modalitäten, sowie auf der
anderen Seite der außerordentlichen Schwierigkeit, bei allen Bemühungen
zu Deutung, Erkenntnis oder Steuerung von Ursache und Wirkung Gefühl
und Verstand unter einen Hut zu bringen, wird man da wohl Rahners
Feststellung beipflichten müssen: "Die Freiheitstat des Menschen ist
nie (...) absolut schöpferisch, sondern immer (...) auch Unterwerfung
unter die Gesetzlichkeit der Materie freien Handelns". 1) Zweifellos
liegt darin ein Hinweis zur Lösung der dialektischen Klammer des
Bibel/Wehrdienstverweigerungs-Syndroms.
ZUR LEGITIMITÄTSFRAGE DES "ZIVILEN UNGEHORSAMS"
Der (Teil-)Beantwortung von Fragen, mit denen das vorliegende
Wehrdienstverweigerungsproblem ontologisch, also wesensmäßig, verwandt
ist, kommt dabei grundlegende Bedeutung zu. Die wichtigste davon ist
wohl die nach der Legitimität des zivilen Ungehorsams. Würde nämlich
die Bibel letztere eindeutig mit "Ja" beantworten, so könnten
Verweigerer mit Recht das Neue Testament als Anwalt ihrer Forderungen
zitieren. Aber können sie dies auch wirklich?
Dazu des hl. Paulus Stellungnahme zu Macht und Obrigkeit: "Jedermann
unterwerfe sich den Vorgesetzen Obrigkeiten; denn es gibt keine
Obrigkeit außer von Gott, und die bestehenden sind von Gott angeordnet.
Wer sich daher der Obrigkeit widersetzt, der widersetzt sich der
Anordnung Gottes, und die sich widersetzen, werden sich selber das
Gericht zuziehen. (...) Denn Gottes Dienerin ist sie für dich zum
Guten. Tust du aber das Böse, so fürchte dich; denn nicht umsonst trägt
sie das Schwert. Sie ist ja Gottes Dienerin, Rechtsvollstreckerin zur
Bestrafung dessen, der das Böse tut." 2)
Damit wird die (legitime) staatliche Macht also zum Ausdruck göttlichen
Willens. Und in diesem Sinne wird auch ein weiterer Aspekt der
Legitimitätsfrage beantwortet, der, würde man ihn auf die heutige Zeit
übertragen, von völkerrechtspolitischer Bedeutung wäre. Er betrifft die
- auf die Anwesenheit römischer Truppen im Lande der Juden anspielend -
als Leimrute gedachte Frage der Hohenpriester an Christus, ob denn die
Abführung von Steuern an den römischen Kaiser erlaubt sei. Die bekannte
Antwort ("Gebt also, was des Kaisers ist, dem Kaiser, und, was Gottes
ist, Gott!" 3)) rechtfertigt wiederum den Anspruch weltlicher
Autorität, dem einzelnen gegenüber in weltlichen Angelegenheiten mit
Forderungen aufzutreten.
Diese beiden Passagen genügen eigentlich schon, um zu zeigen, daß im
Allgemeinfall aus dem Neuen Testament keine Rechtfertigung für die
Ausübung zivilen Ungehorsams (ganz allgemein) ableitbar ist. Offen
bleibt in diesem Zusammenhang nur noch die Frage nach etwaigen religiös
begründbaren Gehorsamskonflikten. Daß solche immer wieder unterstellt
werden, zeigt die Häufigkeit des "Man muß Gott mehr gehorchen als den
Menschen" 4), gegenüber dem die der Öffentlichkeit vorgebrachten
Entgegnungen zumeist am Kern der Sache vorbeigehen. Dieser Umstand
beruht auf den methodischen Unzulänglichkeiten, mit denen fast alle
Versuche belastet sind, eine mehrschichtige Problematik populär zu
erklären. Denn neben der Hervorhebung seines historischen Hintergrundes
und seiner Übertragbarkeitsmöglichkeit auf die Gegenwart muß man sich
eines zweiten Sachverhaltes bewußt werden, über dessen Bedeutung noch
im Anschluß an die Legitimitätsfrage die Rede sein wird.
Der historische Hintergrund ist rasch geklärt: Petrus beschied dies dem
Hohen Rat, der durch Strafandrohung die Durchführung des
Verkündigungsauftrages zu unterbinden gesucht hatte. Übertragen auf die
heutige Zeit hieße dies, daß der sich durch potentielle weltliche
Bedingungen ergebende Gehorsamskonflikt dann vorläge, würde der
eingeforderte Verteidigungsbeitrag zugleich die Voraussetzung zum
Weiterbestehen glaubensunterdrückender staatlicher Maßnahmen bilden.
Können aber bundesdeutsche Verweigerer allen Ernstes auf eine derartige
Konstellation verweisen?
WILLENSFREIHEIT ZWISCHEN REALITÄT UND WIRKLICHKEITSDEUTUNG
Der zweite angedeutete Sachverhalt betrifft die individuellen
Einschränkungen, denen menschliche Wahrnehmungs- und
Erkenntnisfähigkeiten ständig unterworfen sind. Solche Beschränkungen
gelten besonders für jene Situationen, in denen der einzelne und das
Kollektiv in auffällig starker Wechselwirkung miteinander stehen und
die Loslösung individuellen Bewußtseins von kollektiven Emotionen eben
nur scheinbar gelingt. Das häufige Auftreten der
"jetzt-erst-recht-(nicht)"-Haltung weist nur zu deutlich auf den
Einfluß einer ab kritischen Bedingungen einsetzenden sozialen
Kybernetik hin, die den Rahmen der Verfügbarkeit von Objektivität und
freiem Willen bestimmt. Gerade das Phänomen des freien Willens setzt
nämlich die Unabhängigkeit des Individuums an Erkenntnis bzw. an
Wahrnehmungsfähigkeit und Reaktion voraus. Unabhängigkeit muß aber
immer dann angezweifelt werden, wenn Erklärungen für ein bestimmtes
Verhalten stereotyp mit gleichbleibenden Hauptbegründungen vorgebracht
werden. Dabei bleibt es unerheblich, ob benutzte Argumente
TJemcfaulHeit entstammen oder ob einige gezielt die unterstellte
Gedankenlosigkeit anderer als Mittel zur Tarnung ihrer eigenen
Unaufrichtigkeit verwenden: Verweigerer unterstellen dem
Beziehungsgefüge Individuum/Staat religiöse Modalitäten, allerdings
ohne, wie seinerseits der hl. Petrus, auf das Bestehen staatlich
verursachter Glaubensbehinderung verweisen zu können.
Die tiefere und letztlich entscheidende Relativierung von Bedingungen
und Modalitäten des freien Willens geschieht durch Inhalt und Stärke
sozialer Bindungen, über die einzelne und das Gemeinwesen miteinander
in Wechselbeziehung stehen. Es ist auf dieser Erde noch kein
kulturschaffendes bzw. -erhaltendes Kollektiv aufgetreten, in dem nicht
das Beziehungsgefüge zwischen Fürsorge und Loyalität die
Reglementierung des Verteidigungsauftrages zu einem Gebot der
Selbsterhaltung erhoben hätte. Welcher ethische Grundsatz entbindet von
der Pflicht zur Verteidigung Anvertrauter oder Schutzbefohlener, soweit
eben nicht objektive Gründe eine Beteiligung an Verteidigungsmaßnahmen
unmöglich machen? Eine Frage, die sich nicht nur innerhalb des
Kollektivs im Alltag x-mal stellt, sondern die gerade dann auftritt,
wenn die Möglichkeit unkonventioneller Herausforderungen von außen in
Betracht gezogen werden muß. Solche Überlegungen dürften sehr wohl ein
Hinweis dafür sein, wie die "Unterwerfung unter die Gesetzlichkeit der
Materie freien Handelns" das Leben täglich beeinflußt.
Diese Überlegungen sollten noch vertieft werden: Es ist in der Tat ein
gravierender Unterschied, ob ein einzelner von einer Bedrohung
konfrontiert wird oder ob er bei deren Auftreten zugleich auch die
Gegenwart anderer erlebt, von denen jeder den nächsten als Angehörigen
derselben Überlebensgemeinschaft identifizieren kann. Hier kommt
nämlich die Bedeutung nicht-rationaler Bewußtseins- und
Verhaltenseigentümlichkeiten mit ins (soziale) Spiel, für die die
öffentliche Diskussion aus verschiedenen Gründen nicht mehr
aufnahmefähig ist, die aber nichtdestoweniger von existenzbestimmender
Wichtigkeit ist: Daß ein existenzbeeinträchtigender Sachverhalt von
einem isolierten Individuum andere Akzente in der Abfolge in
Wahrnehmungs- und Reaktionsschwerpunkten verursacht als schon bei einer
Gruppe arbeitsteilig miteinander handelnder Personen oder gar im
Erlebnishintergrund der kulturellen Sozialisationsgemeinschaft.
Zwischen individuellem und kollektivem Bewußtsein herrschen
Wechselwirkungen, unter derem Einfluß die verschiedenen Wahrnehmungs-
und Reaktionsinhalte auf wechselnden Bewußtseinsebenen ablaufen. Dies
aber bedeutet, daß die als erkenntnistheoretisches Dilemma wirkende
Problematik, aus den unterschiedlichen Kategorien individueller und
kollektiver Wahrnehmung zu "bestmöglicher" Objektivität gegenüber
Fakten sozialer Wirklichkeit zu gelangen, im
Wehrdienstverweigerungskomplex mit zum Vorschein kommt. Damit aber
tritt neben die øeschränkung der freien Willensäußerung durch die
Auswirkungen sozialer Bindung deren zusätzliche Beeinflussung durch
subjektive Muster der Seinsdeutung und wahrnehmungsbedingte Auslegung
der Realität. In einer Gesellschaftsordnung aber, die zwar den
Verkündigungsauftrag streckenweise inhaltlich verwässert bzw. nicht
ernst genug nimmt (oder ihn einfach ignoriert, Anm.d.Red.), ihn aber
nicht gezielt durch Verordnungen behindert oder ihn gar unterbindet,
wird das Petrus-Zitat am allerwenigsten bei jenen anerkannt werden
dürfen, die im Religiösen ein weiteres Mittel zur Profilierung
gesellschaftlicher Vorstellungen sehen. Zu auffällig ist hier die
Wechselwirkung zwischen Wahrnehmungspräferenzen und Willensbildung, als
daß ein Gehorsamskonflikt unterstellt werden könnte.
DIE MISSDEUTETE BERGPREDIGT
Fast automatisch fällt in jeder Wehrdienstverweigerungsdebatte das
Stichwort "Bergpredigt". "Liebet eure Feinde" 5), "wenn einer dich auf
die Wange schlägt, so halte auch die andere hin" 6) "selig die
Friedfertigen" 7) sind in diesem Zusammenhang beliebte Zitate, als
Argumente aber völlig unangebracht. Denn diese Ermahnungen zur
Nächstenund Feindesliebe waren die Hervorhebung einer sittlichen
Einstellung, die sich als ausdrückliche Ablehnung einer bestimmten
alttestamentarischen Lebenseinstellung verstand, nämlich jener, die
sich in "Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen" 8)
ausdrückte bzw. durch das "Aug' um Auge, Zahn um Zahn" 9) der
Befriedigung von Rachebedürfnissen entgegenkam. Keinesfalls aber war
sie als ethische Aufhebung des Rechtes auf Verteidigung gedacht, sowohl
für individuelle wie kollektive Belange und unabhängig von der Art
ihrer objektiven oder subjektiven Gründe. Im Gegenteil! Das Recht der
Verteidigung schließt nämlich bei Vorliegen einer sonst nicht anders
abzuwehrenden Gefahr für das eigene Leben - situationsbedingte
angemessene Lageeinschätzung bezüglich der Verhältnismäßigkeit der
Mittel natürlich vorausgesetzt! - im Extremfall die Möglichkeit des
Einkalkulierens des Todes des Gegners nicht aus.
Schließlich und endlich sei hier noch das Beispiel des Hauptmanns von
Kapharnaum erwähnt. Mit dem vergleichenden Hinweis auf seine eigene
militärische Befehlsgewalt begründet der Hauptmann sein "Herr, ich bin
nicht würdig" 10) . Was käme Verweigern mit ihrem Anliegen, im Neuen
Testament eine ausdrückliche Rechtfertigung für ihre Einstellung zu
finden, wohl mehr zupaß, als etwa eine tadelnde Beurteilung jeglicher
militärischer Tätigkeiten durch Jesus gegenüber dem Hauptmann. Aber
nichts dergleichen ist dort vermerkt! Stattdessen hebt Christus
gegenüber der Menge des Hauptmanns tiefe Gläubigkeit lobend hervor. Man
kann ruhig beliebige Stellen aus der Bibel herausgreifen. Zu
Kriegsdienst bzw. zu Verteidigungsfragen bezieht Jesus keine direkte
Stellungnahme.
DIE ABENDLÄNDISCHE SINNKRISE
Als Ideenquell zur Begründung für Wehrdienstverweigerung läßt sich die
Bibel nicht heranziehen. Dies betrifft sowohl das Neue wie auch das
Alte Testament. Der Prophetenspruch "Schwerter zu Pflugscharen
schmieden" 10 nimmt ja auch keine anderen Visionen vorweg, als dies
neutestamentliche Aussagen über nach-endzeitliche Bedingungen tun. Für
das Leben in der Zeit jedoch muß man sich darauf einrichten, daß sich
"Volk gegen Volk, Reich gegen Reich" 12) erheben werden.
Die auf weiten Strecken mit berichtigenden Erläuterungen zum Bibel/
Wehrdienstverweigerungs-Syndrom auffällig zurückhaltende 'Amtskirche'
ist an der sich 'theologischer' Argumente bedienenden
Wehrdienstverweigerungseinstellung nicht ganz unschuldig. An dieser
lassen sich die Auswirkungen des heute gesellschaftlich so attraktiven
Problematisierungsbedürfnisses und des Fehlens von Impulsen
zeitüberdauernder Sinngebung erkennen. Was dem einen durch
Infragestellung des Autoritätsgedankens zur Einschränkung der
Erfüllbarkeitsgrenzen seines Auftrags gerät, erweist sich beim anderen
als Auswaschungstrend in der Botschaftsvermittlung.
In einer Epoche, in der wie nie zuvor beängstigende weltanschauliche
Einflüsse Kirche und Welt (bzw. eher wie die sich als 'Kirche'
ausgebende Institution die Welt negativ beeinflußt, Anm.d.Red.)
bedrängen, erweist sich die Suche nach verbindlichen und
zeitunabhängigen Werten nötiger denn je. Die heutige abendländische
Sinnkrise im allgemeinen beruht nicht zuletzt auf einem grundlegende
transzendente Wahrheiten ignorierenden Nihilismus. An Anbetracht der in
den letzten beiden Jahrzehnten in der Kirche (bzw. 'Kirche', die Red.)
erfolgten inneren Schwächungen kann es nur als eine der größten
Herausforderungen unseres Zeitalters gelten, die angemessene
Perspektive des Religiösen wiederzufinden. Die Säuberung der
Bibel/Wehrdienstverweigerungs-Diskussion von Ideologie, Unehrlicnkeit
und dialektischen Schleuderpartien kann dazu einen zwar bescheidenen,
vielleicht richtungsweisenden Beitrag liefern.
Anmerkungen :
1) zit. nach Böckle, Franz:"Fundamentalmoral" München 1977, S.45.
2) Röm. 13,1-4.
3) Luk. 2o,25.
4) Apg. 5,29.
5) Luk. 6,27.
6) Luk. 6,29.
7) Matt. 5,9.
8) Matt. 5,43.
9) Matt. 5,38.
10) Luk. 7,6.
11) Is. 2,4.
12) Matt. 24,7.
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