UBI PETRUS - IBI ECCLESIA
- AUSZUG AUS EINER PREDIGT -
von
+ H.H. Dr. Otto Katzer
Liebe Christen,
in der Kirche gilt der Spruch: "Ubi Petrus, ibi Ecclesia" (Wo Petrus
ist, dort ist die Kirche), oder mit anderen Worten: "Wo der Papst, da
ist die Kirche". Das stimmt, aber nur für den Fall, wenn der Papst
wirklich Papst ist. Es kann nämlich leider geschehen, daß sich der
Papst vom Glauben und von der Kirche lossagt, indem er das mißachtet,
was die gesamte Kirche auf Grund apostolischer Tradition festgesetzt
hat. Oder er mißachtet das, was die allgemeinen Konzilien und die
höchste Autorität der Kirche, die Apostolische Gewalt, in Dingen des
Glaubens und der Sitten, ganz besonders der hochheiligen Liturgie,
festgesetzt hat. Geschieht das, dann sagt er sich von der Kirche los,
und natürlich auch von ihrem Haupt: Jesus Christus. Er begeht damit
zugleich auch eine überaus schwere Sünde; denn wie jeder normale
Priester so mußte auch er - und das nicht nur ein einziges Mal (!) -
einen Eid ablegen: das sog. tridentinisch-vatikanische
Glaubensbekenntnis, auf Grund dessen er verpflichtet ist, alles genau
zu beobachten, was er geschworen hat. Darüber hinaus ist er
verpflichtet, dieses auch von denen zu fordern, die ihm anvertraut
sind.
Ein jeder weiß, daß ein Eidbruch eine schwere, d.h. eine Todsünde ist.
Wenige aber denken darüber nach, welche Folgen eine solche Tat nach
sich zieht. Wer einen Eid bricht, d.h. eine Todsünde begeht, verliert
sofort die heiligmachende Gnade und die mit ihr eingeschlossenen
göttlichen Tugenden der Liebe, der Klugheit, der Mäßigung, der
Tapferkeit und der Gerechtigkeit. Solange es sich nicht um eine Sünde
gegen den Glauben handelt, bleiben noch Glaube und Hoffnung eine
Zeitlang erhalten, die aber, weil sie nicht erneuert werden, eher
absterben. Kommt es nun noch zu einer Sünde gegen den Glauben oder
gegen die Hoffnung, dann ist alles verloren. Wir dürfen uns nicht
irreführen lassen, wenn wir etwa hören, nur dieser oder jener
Glaubenssatz wäre verneint worden.
Nein! Wenn ein Glaubenssatz geleugnet wird, so werden hiermit implizite
auch alle anderen verneint, d.h. der in sich eins seiende Glaube. Das,
was dann übrig bleibt, ist kein von Gott eingegossener, also kein
katholischer Glaube mehr, sondern bloß noch eine persönliche Meinung,
ein Bekenntnis, welches für das ewige Leben völlig belanglos ist.
Natürlich kann ein Mensch in einem solchen Zustand nicht mehr richtig
sehen. Der hl. Thomas von Aquin sagt: "Sein Geist wird nicht mehr
erleuchtet, damit er nicht sehen kann, und sein Herz wird nicht mehr
entsprechend erweicht, um so zu leben, wie er leben soll." In diesem
Augenblick gelten die Worte des Heilandes: "Sie sind blind, und wenn
ein Blinder einen Blinden führt, dann stürzen beide in die Grube."
Man schrieb das Jahr 1500. Auf dem päpstlichen Stuhl befand sich zu
jener Zeit Alexander VI. Vielen von euch dürfte dieser Name nicht
unbekannt sein. Sicherlich war er kein Heiliger. Er hatte gar manches
auf dem Gewissen. Aber wir sind nicht hier, um über ihn persönlich zu
richten bzw. um ihn zu verurteilen. Denn sein persönliches Leben
beurteilt Gott allein. Weshalb wir aber von ihm sprechen, hat folgenden
Grund: Zu jener Zeit herrschte ein sittenloses Leben unter dem Klerus
in ganz Europa, ja in der damals bekannten Welt. Zu gleicher Zeit nahm
in Böhmen und Mähren die Sekte der Böhmischen Brüder (oder: Mährischen
Brüder) stark zu. Sie war von ihren Zielsetzungen erheblich beeinflußt
vom Donatismus. Diese Sekte bekam mit der Zeit immer stärkeren Zulauf;
denn die Leute sagten:"Was hat das für einen Sinn, bei einem Priester
zum Beichten zu gehen, der es ärger treibt als wir? Da gehe ich lieber
zu einem alten Mütterlein, das fromm dahinlebt, und beichte ihr meine
Sünden! Was hat es für einen Wert, zu einer hl. Messe zu gehen, wenn
der Priester besoffen zum Altare tritt? Wenn der Schneidermeister - ein
frommer Mann, der täglich die Hl. Schrift liest - nun einmal andächtig
und fromm das Abendmahl spendet, gehe ich doch besser dorthin." So
bekamen diese Brüder einen ungeheuren Zulauf. Die Sektenbildung wurde
nach Rom gemeldet, und Alexander VI., der, obwohl selbst ein
sittenloses Leben führend, sich dennoch um den Glauben sorgte,
beauftragte den Kard. Francesco Tedesco Piccolomini, einen Neffen des
berühmten Papstes Pius II.: Aeneas Sylvius, in Böhmen und Mähren wieder
Ordnung zu schaffen. Er war Protektor Germaniens, und ihm unterstanden
auch Böhmen und Mähren. Dieser wiederum berief den
Dominikanerinquisitor von Deutschland, Heinrich Institoris, den
berühmten - oder eher: berüchtigten - Autor des "Hexenhammers", also
eine bedeutende Persönlichkeit, zu sich und beauftragte ihn, er solle -
ausgestattet mit einer päpstlichen Bulle - nach Böhmen als Inquisitor
und Nuntius reisen, um dort Ordnung zu schaffen. Nach Böhmen selbst kam
er nicht, denn dort war die Lage zu gespannt. So blieb er in Mähren,
und zwar in Olmütz. Dorthin ließ er die Vertreter der Böhmischen bzw.
Mährischen Brüder zu sich rufen und unterbreitete ihnen etwa folgendes:
"Es mag der Papst auch ein anstößiges, sittenloses Leben führen, ebenso
der übrige Klerus, solange er sich nicht gegen den Glauben versündigt,
maßt ihr ihm gehorchen. Erst dann, wenn er etwas gegen den Glauben tun
würde, erst dann dürft, ja müßt ihr ihm nicht mehr gehorchen; denn der
Glaube ist das Prinzip des geistigen Lebens. Und ein Papst, der keinen
Glauben hat, lebt nicht. Ein häretischer Papst ist kein Papst mehr,
d.h. Vater der Väter, um die Kirche regieren zu können, sondern er
hätte sich ipso facto selbst abgesetzt." Da sagten die Böhmischen
Brüder: "Aber sind wir nicht imstande, gegen einen solchen Papst (wie
Alexander VI.) einzuschreiten, können wir da nichts tun?" Da sagte
Heinrich Institoris: "Doch, das können wir. Z.B. können einige
Kardinale zum Heiligen Vater gehen und ihn bitten: 'Heiliger Vater, Du
darfst so nicht weiterleben.' Führt er aber auch fürderhin dieses
sittenlose Leben, dann läßt sich nichts machen. Er hat die Schlüssel
des Himmels. Er sperrt auf und er sperrt zu, selbst wenn er in seiner
eigenen Sündhaftigkeit nie den Himmel betreten sollte."
Und nun fügt der erfahrene Inquisitor noch an: "Würde er - der Papst -
aber sagen: 'Dieses mein sittenloses Leben ist nicht sittenlos', dann
würde just in diesem Augenblick aufhören, Papst zu sein; denn dann
hätte er sich nicht nur gegen die Sitten, sondern auch gegen die
Sittenlehre versündigt und dadurch den katholischen Glauben verlassen."
Das ist allerdings bei Alexander VI. nicht vorgekommen, im Gegenteil,
wir können feststellen, wie er immer wieder für den katholischen
Glauben eingestanden ist.
Nun müssen wir die Worte des hl. Robert Bellarmin, des großen
Kirchenlehrers, in diesen schwierigen Zeiten, in welche die Kirche
geraten ist, aufmerksam bedenken: "Es wäre ein großes Elend für die
Kirche, wenn sie den offen wütenden Wolf als Hirten anerkennen müßte.
Einen häretischen Papst kann es nicht geben! Darin sind sich alle Väter
der Kirche einig. So wie wir dem Papst widerstehen können, wenn er
unseren Leib angreift, so können wir ihm widerstehen, wenn er unsere
Seele angreift", d.h. wenn er das Gemeinwesen der Kirche zerrütten bzw.
wenn er sogar die Kirche zerstören wollte. "In diesem Augenblick", so
definiert der hl. Robert Bellarmin, "dürfen wir ihm widerstehen - ja
wir müssen es sogar -, indem wir das nicht tun, was er uns befiehlt,
und indem wir ihn daran hindern, seinen Willen durchzusetzen."
Das mag vielleicht kompliziert klingen. Aber hier trifft die
Verantwortung einen jeden von uns, nämlich den katholischen Glauben
möglichst genau zu kennen. Ein jeder von uns dürfte noch einen
Katechismus haben, um nachzulesen, was der Glaube ist und was er nicht
ist. Ein Gläubiger muß in der Lage sein, sich ein Urteil darüber zu
bilden.
Es wird wohl vorkommen, daß jemand sagt: "Ja, haben wir denn kein
Konzil gehabt mit so vielen Bischöfen! Und da soll ich nun noch
gescheiter sein?" - Nein, nicht wir sind gescheiter, sondern die
heilige Kirche hält lediglich am christlichen Glauben fest.
Als der hl. Thomas Morus vor Gericht stand, wandte sich der Richter mit
folgenden Worten an ihn: "Sie meinen also weiser und gewissenhafter als
alle Bischöfe und der gesamte Adel des Königreiches zu sein?" Darauf
antwortete der Heilige: "Gegen einen jeden Bischof, der eure Meinung
vertritt, habe ich hundert Heilige anzuführen, und gegen die Auffassung
eures Parlaments habe ich alle allgemeinen Konzilien der letzten
tausend Jahre auf meiner Seite." - So ist es auch in diesem Fall: Auch
uns stehen die Lehrentscheidungen der Kirche zur Verfügung. Ein jeder
kann und soll sich im Katechismus überzeugen, den zu kennen - wie ich
schon betont habe -, die Pflicht eines jeden einzelnen von uns ist. Da
kann, soll und muß jeder urteilen, um nach der Lehre des Apostolischen
Stuhles sein Leben zu führen, aber auch in der Lage zu sein, das Leben
seiner Mitmenschen richtig zu beurteilen, sollten sie von den
Prinzipien des christlichen Glaubens und der Sittenlehre abweichen. Ist
jedoch einmal das Unglück geschehen, daß ein Papst "gestorben" ist -
sei es physisch, sei es geistig (durch Häresie), indem er z.B. die
Lehre der Kirche verlassen hat, - wir schließen nicht aus, daß er sie
verlassen kann -, so ist der Stuhl Petri dennoch nicht verwaist. N.b.
daß ein Papst vom Glauben abfallen kann..., das kommt recht deutlich
selbst in der Allerheiligenlitanei zum Ausdruck, in der wir u.a. Gott
bitten, er möge uns erhören und den Papst schützen und ihm den wahren
Glauben erhalten: "Ut Dominum Apostolicum et omnes ecclesiasticos
ordines in sancta religione conservare digneris!" So beten wir, damit
ihm, dem höchsten apostolischen Herrn, der Glaube erhalten bleibe.
Also: die heilige Kirche selbst rechnet mit der Möglichkeit, daß das
Unglück eintreten könne, daß einmal ein Papst irregehen könne, obwohl
er als Papst die Gabe - natürlich nur dann, wenn er als Papst wirkt -
der Unfehlbarkeit besitzt.
So brauchen wir nicht trauern und wehklagen, wenn etwa der Apostolische
Stuhl in concreto verwaist ist. Denn in den Lehrentscheidungen der
Kirche, in ihren unfehlbaren dogmatischen Bestimmungen, in den
unwandelbaren, unantastbaren richterlichen Definitionen der Kirche lebt
Petrus immerfort unter uns: "Petrus semper vivens". Denn D E R , der
die heilige Kirche gegründet hat, hat von ihr vorhergesagt: "Die
Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen!" Amen.
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