DAS GEHEIMNIS DER UNBEFLECKTEN EMPFÄNGNIS
- AUSZUG AUS EINER PREDIGT -
von
+ H.H. Dr. Otto Katzer
Liebe Christen!
Um dieses Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter (8.
Dezember), welches heute so oft von sog. 'kath. Theologen' in Frage
gestellt wird, uns ein wenig näher zu bringen, sollten wir einige
Grundwahrheiten näher betrachten:
1. Was ist die heiligmachende Gnade? - Sie ist der lebendige Abglanz Gottes in unserm Herzen.
2. Was ist der Mensch? - Die Definition des Menschen lautet: durch
Gottes Willen ist der Mensch ein unsterblicher Geist, begabt mit
Vernunft, freiem Willen und einem fühlenden Herzen, dem, um sich in
dieser stofflichen Welt offenbaren zu können, ein Leib gegeben wurde.
Das Geheimnis der heiligmachenden Gnade haben wir uns schon früher mit
dem Beispiel des Tautropfens verständlich gemacht: So wie die Sonne in
das kleine Tautröpfchen ihre goldenen Strahlen senkt, welches nun
seinerseits mit gleicher Intensität widerstrahlt, so läßt auch Gott
sich in ein reines Herz herab, um dann aus ihm Sein Licht in der Welt
widerstrahlen zu lassen. Das Wort Gnade stammt aus dem Althochdeutschen
"genada", abgeleitet vom Zeitwort "nidan" (= erniedrigen) und trifft
genau den Sinn, was hier gemeint ist: Gott erniedrigt sich, in unserem
Herzen zu wohnen... wenn wir es nur wollen. Doch genauso wie die
Tautropfen ohne den Strahl der Sonne ein glanzloses Wassertröpfchen
ist, so ist auch des Menschen Herz ohne Gott ein mattes glanzloses
Leben.
Seitdem die ersten Menschen den Einflüsterungen Luzifers erlagen und
sein wollten wie Gott, d.h. ohne Gott als Gott anzuerkennen, sind die
Nachfahren von der Finsternis der Sünde umfangen. Ein einziger Mensch
nur ist hiervon ausgenommen: Maria - Jungfrau und Mutter zugleich:
Geheimnis des Glaubens. Und vorgreifend durch die Verdienste ihres
Sohnes wurde sie auch unbefleckt empfangen. Sie wurde gezeugt ohne den
Schatten der Erbsünde, sie stand niemals im Dunkel einer leichten noch
einer schweren Sünde. Bereits im Schöße ihrer Mutter Anna war sie von
der Liebe des Hl. Geistes beschützt. (N.b. da verstieg sich in dieser
"nachkonziliaren Zeit" ein sog. 'katholischer Priester' - besser:
Pfaffe - vom Ambo her zu jener verbrecherischen und Erbrechen
verursachenden Aussage: vielleicht war Maria sogar eine Dirne!!!) Wie
grob und gefühllos wir doch geworden sind. Der Begriff der
heiligmachenden Gnade ist uns fast völlig fremd geworden. Wieviele
ermessen noch die Tragweite des Sakramentes der hl. Taufe? Um dies zu
begreifen, gehen wir zurück bis ins Paradies.
Adam war - mit Vernunft, freiem Willen und Herz begabt - natürliches
Ebenbild Gottes. Er war ein übernatürliches Ebenbild, da sich Gott in
ihm spiegelte. Doch fand Adam niemanden, der ihm ähnlich gewesen wäre,
und er fühlte sich einsam. Gott sah es und gab ihm eine Gehilfin und
formte sie aus der Seite Adams. Sie war ein Lächeln Gottes, eine
untrennbare Gefährtin des Mannes, Bein von seinem Bein, Fleisch von
seinem Fleisch. In ihrer unbefleckten Schönheit war sie die Vollendung
der Schöpfung und ihre Krone: Eva war das Ur- und Vorbild Mariens, der
Mutter des Gottessohnes, des Gottmenschen.
Als aber das erste Menschenpaar in die Gefangenschaft der Sünde - durch
eigenes Verschulden (!) - geraten war, jener Schuld, die als Erbsünde
zur Hinterlassenschaft der ganzen Menschheit wurde, war Natur und
Ebenbild Gottes getrübt, das Paradies und der Himmel verschlossen. Doch
die Barmherzigkeit Gottes wollte nicht, daß Adam und mit ihm die
kommenden Generationen auf immer dem Himmel verloren gehen sollten. In
der Fülle der Zeiten schuf Gott, der Herr, Sein Meisterwerk: Maria! Der
Heilige Geist bildete jene, die Seine Braut sein sollte. So schön, so
makellos, so wunderbar ist sie wie ihr Sohn in Seiner Menschlichkeit -
ohne Sünde empfangen. Sie wird auch, durch ihren göttlichen Sohn
ermächtigt, jener verführerischen Schlange den Kopf zertreten, die die
Versöhnung Gottes mit den Menschen mit allen Mitteln zu hintertreiben
sucht.
Im allgemeinen wissen wir nie so richtig den Begriff der Seele zu
erklären: Seele, Ich und Geist sind dasselbe! Auf das "Ich" ist jedoch
der Schwerpunkt zu legen. Wir alle kamen aus dem Schoß unserer Mutter
auf diese Welt, gehalten in der Finsternis der ersten Sünde, eben der
Erbsünde, ohne heiligmachende Gnade, ohne das Licht von oben. Ohne
dieses übernatürliche Licht sind wir jedoch - auch im Bereich der
Übernatur - im Dunkeln und ohne Orientierung.
Lassen Sie mich von einem psychologischen Versuch berichten. Vor Jahren
gingen einige Forscher in eine absolut dunkle Höhle, um festzustellen,
wie lange ein Mensch es in einem absolut dunklen Raum auszuhalten
vermag. Bei angenehmer Temperatur und absoluter Ruhe erlebten sie ihr
eigenes "Ich" so intensiv, daß sie binnen kurzem ihr Zeitgefühl
verloren hatten und sie deses "Ich" nicht mehr aushalten konnten. Von
blind und taubstumm geborenen Kindern, die nach Erlernung der
Blindenschrift bzw. der Taubstummensprache sich zu artikulieren
vermochten, erfahren wir ähnliche Erlebnisse: das "Ich" wurde bewußt in
völligem Alleinsein, ohne Gedanken, ohne Gefühl. Liebe Christen, ich
glaube, daß Maria ihre Auserwählung vollauf und sehr bewußt erfahren
hat und daß ihr bewußt war, der heiligmachenden Gnade teilhaftig zu
sein vom Beginn ihres Erdenlebens an. Bei ihr und in ihr waren Seele,
"Ich" und Geist in völligem Einklang. Heute, an diesem Marienfeste,
wollen wir mit der Jungfrau und Gottesmutter jubelnd beten und singen:
"Hoch preiset meine Seele den Herrn, denn Großes hat ER an mir getan."
Dieses Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis ist von einer Tragweite
und Bedeutung, wie es umfassender gar nicht vorgestellt werden kann,
bezieht es sich doch auf das Wunderbarste, was die
Menschheitsgeschichte jemals erfahren hat: auf die absolute Verbindung
Gottes mit der Menschheit in Jesus Christus, dem Sohn der Jungfrau
Maria. Dieses Geheimnis kann nicht mit einer einzigen Betrachtung
erschöpft werden. Ich möchte aber nicht vergessen darzutun, daß Maria
vom ersten Augenblick ihrer Menschwerdung im Schöße ihrer Mutter, der
hl. Anna, mit der Einsicht in ihre hohe Sendung begabt war. Zum anderen
möchte ich betonen, daß es im Leben der Mutter Gottes keinen einzigen
Augenblick gegeben hat, in dem sie nicht in Gott verankert war, d.h.
daß in Gott und mit ihm ihr ganzes Leben verbracht hat.
Vor einiger Zeit sprach ich mit euch darüber, daß unser Leben einer Symphonie in vier Sätzen gleicht:
- der erste Satz: im Schöße Gottes;
- der zweite: im Schöße der Mutter;
- der dritte: von der Wiege bis zur Bahre;
- der vierte: entweder Himmel oder Hölle, je nachdem!
Zum ersten Satz: Die Seele - von Gott und in Seinem Lichte erschaffen -
wird in den von der Ursünde bereits infizierten mystischen Leib Adams
eingetaucht. Aus dem hellsten klarsten Lichte kommend ist sie nun von
der Finsternis der Sünde umgeben, bedroht durch die Macht des Fürsten
der Finsternis, durch die Macht Satans. Welch eine Erschütterung mußte
das erste Menschenpaar erlebt haben: ihre Seele, ihr "Ich", wurde von
einem Augenblick auf den anderen aus dem paradiesischen Licht in die
Finsternis der Sünde gestoßen.
Warum aber sind wir selbst von diesem seelenzerreißenden Urerlebnis
nicht mehr betroffen, warum stehen wir ihm noch heute verständnislos
gegenüber? Wir sagten: die Seele fiel aus dem Licht in die Finsternis.
Stellen wir uns einmal vor, wir würden in die Dunkelheit der Höhle
gestoßen, in der die Forscher damals ihren Versuch machten, um zu
erforschen, ob man in völliger Dunkelheit leben könne bzw. wie lange
man es in ihr aushalten würde (n.b. der Versuch mußte bald abgebrochen
werden), oder versetzen wir uns in die Lage eines Blinden oder
Taubstummen. Und nun übertragen wir diesen Zustand auf unser
Seelenleben!
Die Eugenik, d.i. die Wissenschaft von der Erblehre und der Erbpflege,
weiß von Prägungen der Kindesentwicklungen im Mutterleib. Die
Empfindungen der Mutter werden zu Empfindungen des werdenden Lebens.
Wie oft und wie oft unvermeidbar aber werden lichtvolle, erhabene und
heilige Eindrücke in dieser Zeit von dunklen, trüben oder rohen
überlagert und auch vermittelt an das Kind. Nichts von alldem betraf
Maria! Erschaffen im Lichte verblieb sie im Licht. Mit diesem Licht
verbunden war vom ersten Augenblick an auch verbunden alle Kraft des
Geistes. Der hl. Bernhard weist in seinen berühmten Predigten auf die
Tatsache hin, daß Maria vom ersten Augenblick ihrer Menschwerdung im
Schöße ihrer Mutter Anna über die vollen Kräfte des Verstandes, der
Vernunft und des freien Willens verfügte, ebenso auch daraufhin, daß
ihr auch im gleichen Moment die Einsicht in ihre kommende Aufgabe als
Gottesgebärerin kam. Dionysius Carthusianus, ein berühmter christlicher
Schriftsteller, schreibt hierzu, daß, wenn schon Johannes der Täufer im
Schöße seiner Mutter seinen göttlichen Herrn erkennen konnte, Maria im
Schöße ihrer Mutter Anna von IHM noch viel mehr erfüllt war.
Die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis wurde zwar noch nicht zum
Dogma erhoben, doch hat sie in der Liturgie der Kirche einen
hervorragenden Platz. So hören wir in der zweiten Antiphon des Festes
der Immaculata: "Heute wurde von ihr das Haupt der alten Schlange
zertreten, an jenem Tage, an dem sie empfangen wurde im Schöße ihrer
Mutter, an jenem Tage, an dem Gott erschaffen hat die Seele derer, die
wir nicht genug bestaunen können."
Wie das alles von Anfang an in Maria angelegt sein konnte? Das dürfte nun längst keine Frage mehr sein, weil
- erstens bekannt sein dürfte, daß alle geistigen und körperlichen Anlagen nach der Zeugung schon gegeben sind und
- zweitens bei Gott kein Ding unmöglich ist.
Malebranche, der große französische Metaphysiker, schreibt z.B., daß
ein Wesen existieren könnte, welches in einer halben Stunde mehr zu
erfassen vermag als wir in tausend Jahren.
Kommen wir aber noch einmal auf den Punkt unserer Überlegungen zurück,
wo wir sagten, daß Maria in keinem Augenblick ihres Lebens nicht in
Gott verankert gewesen wäre. Wir lesen in den Visionen der hl.
Brigitta, daß die Mutter Gottes selbst von sich sagte: "Ich dachte
stets an Gott allein und nichts anderem schenkte ich Bedeutung als nur
IHM, IHM allein." Der hl. Alfons von Liguori berichtet von ihr, daß in
ihrem Leben kein Augenblick, kein Atemzug, keine Geste war, welche
nicht auf Gott ausgerichtet gewesen wären und auf Seine Ehre. Nie
wandte sie sich ab von Gott, nie trennte sie sich von Seiner Liebe. Und
niemand sonst in dieser Welt hat solches erlebt oder wird es jemals
wieder erleben, weil niemand von uns so in Gott verankert ist. Diese
Verankerung in Gott, dieses Ruhen in Gott erklärt auch ihre Heiligkeit
und ihre Unberührtheit von der Sünde während ihres ganzen Lebens.
Dieses Eingebettetsein in Gott offenbarte sich auch, als die
immerwährende Jungfrau und Gottesmutter diese Welt verließ. So sprechen
wir auch nicht vom Tode oder vom Sterben Mariens, sondern von ihrer
Aufnahme in den Himmel. Im Lateinischen verwenden wir dafür den
Ausdruck "dormitio", im Griechischen "koimaesis", d.i. "entschlafen",
entschlafen in Gott, d.i. nicht sterben, bedeutet nicht Tod, wie wir
ihn normalerweise auffassen. Über dem Portal von Chartres steht eine
Skulptur der Mutter Gottes mit geschlossenen Augen. Die Erklärung
hierfür könnte sein, daß Maria mit ihrer Seele mehr sieht als andere
mit ihren Augen zu sehen vermögen. Sie sieht das Ganze, das Leben hier
und das Leben dort, das ewige Leben.
Als der hl. Laurentius im Sterben lag, weinten seine Freunde. Doch
Laurentius ermahnte sie: "Laßt das Weinen, hebt es auf für eine andere
Gelegenheit. Der Himmel hat sich für mich jetzt aufgetan, das Paradies
ist nahe. Das ist nun die lang ersehnte Möglichkeit, worauf meine Seele
so lange gewartet hat: mit Gott vereint sein. Und da sollte man
weinen?"
Liebe Christen, wir sind von Adam her mit dem Makel der Erbsünde
behaftet. Der einzige Mensch, der hiervon befreit war, ist Maria. Sie
ist die Immaculata, die Unbefleckt Empfangene. Bitten wir sie, die
Reinste der Frauen, daß sie uns helfen möge, ein christliches Leben zu
verwirklichen. Amen.
***
NACHRICHT
AM 28. OKTOBER 1989 WURDE HERR EUGEN RISLING VON S.E. PIGR. STORCK IN
MÜNCHEN ZUM PRIESTER GEWEIHT. BITTE, UNTERSTÜTZEN SIE IHN DURCH IHR
GEBET.
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