DIE STELLUNG DER KIRCHE
IM POLITISCHEN LEBEN DES RÖMERREICHES
von
+ H.H. Dr. theol. Otto Katzer
Seit der Bekehrung Konstantins, noch mehr aber seit Theodosius d.Gr.
ging das Römische Reich nach und nach in ein christlich geprägtes
Staatsgebilde über, und die Kirche erlangte dadurch bedeutende
Vorteile: Sie hatte einen r e c h t l i c h gesicherten Bestand und den
Schutz der Staatsgewalt, der als eine der wichtigsten Aufgaben der
christlichen Kaiser erschien und sich auf Personen wie auch auf den
zeitlichen Besitz erstreckte. Die Staatsgesetze erhielten mehr und mehr
ein christliches Gepräge. Sie schlössen sich enger den Kanones an, und
diese letzteren wurden auch teilweise weltliche Gesetze. Beide Gewalten
gingen Hand in Hand und erkannten die beiderseitigen Gesetze an. Die
Kirche gewann einen hervorragenden Einfluß auf das p o l i t i s c h e
und s o z i a l e Leben, der heilsam und veredelnd nach den
verschiedensten Richtungen hin wirkte. Sie konnte das Los der Sklaven
und der Gefangenen mildern und die Beseitigung der barbarischen
Unsitten, besonders der Gladiatorenkämpfe, der unsittlichen
Schauspiele, des Aussetzens bzw. des Tötens der Kinder, der allzugroßen
Ausdehnung der väterlichen Gewalt, der grausamen Strafarten
herbeiführen sowie auf Verbesserungen im Ehe- und Familienrecht
hinarbeiten, wenn auch letzteres nicht so rasch den christlichen
Anforderungen entsprach.
Schon Konstantin d.Gr. führte Milderungen im Strafprozeß ein. Er verbot
315 die Brandmarkung auf der Stirn sowie die Strafe der Kreuzigung.
Auch sollten den verurteilten Verbrechern die Beine nicht mehr
gebrochen werden. Die Bischöfe konnten frei die Gefangenen besuchen,
die Freigabe bzw. Entlassung minder schwerer Verbrecher an kirchlichen
Festtagen erwirken, bei den Richtern für die Gefangenen Fürsprache
einlegen wie überhaupt für hilflose Personen - Witwen, Waisen und Arme
- Sorge tragen. Die kirchliche Armenpflege erhielt eine allseitig freie
Entfaltung: die Freilassung der Sklaven in den Kirchen wurde
begünstigt, und die Freigelassenen wurden unter den Schutz der Kirche
gestellt.
Der Feindseligkeit der Juden gegen die Christen wurden Schranken
gesetzt und den ersteren verboten, christliche Sklaven zu halten, da
die von Christus Erlösten nicht den Propheten - und den "Gottesmördern"
unterstehen dürften. Christliche Sklaven bei Juden sollten also die
Freiheit erhalten, ihre Besitzer zugleich aber mit Geld bestraft
werden. Schon 321 verordnete Konstantin die allgemeine Feier des
Sonntages, nur sollten noch Feldarbeit und die Freilassung der Sklaven
an diesem Tage gestattet sein. Knechtliche Arbeiten aber wurden nachher
ebenso wie gerichtliche Verhandlungen am Sonntag verboten. Bereits
Konstantin gab den einzelnen Legionen christliche Geistliche mit einem
Kultzelt und machte so den Anfang der Militärseelsorge.
Wichtig war vor allem die Anerkennung der von jeher in der Kirche geübten bischöflichen Gerichtsbarkeit .
Die Kirche hielt an der Regel fest: kein Christ dürfe bei Strafe des
Bannes seine Rechtssache vor einen andersgläubigen Richter bringen und
kein Geistlicher bei Strafe des Amtsverlustes einen anderen vor
weltlichen Richtern belangen. Konstantin erkannte nicht bloß die
kirchliche Gerichtsbarkeit auf rein geistlichem Gebiet an, sondern
bestimmte auch per Gesetz im Jahre 321, selbst nach Beginn eines
bürgerlichen Rechtsstreites könne das weltliche Gericht von den
Parteien seinen Verpflichtungen entbunden und Von ihnen das
bischöfliche Gericht als Schiedsgericht angerufen werden. Ja, ein
Gesetz von 321 zwang in einem Rechtsstreit sogar die eine Partei der
anderen vor das bischöfliche Gericht zu folgen, wenn es von dieser
angerufen worden war.
Andere Kaiser trafen wiederum andere Anordnungen. Honorius und Arkadius
machten den Kompromiß der Parteien zur Bedingung des Einschreitens in
Sachen der Laien und erklärten, in religiösen Fragen hätten die
Bischöfe zu entscheiden, in weltlichen die ordentlichen Gerichte. Die
Geistlichen blieben unter bischöflicher Jurisdiktion. Als der Tyrann
Johannes den Klerus den weltlichen Richtern unterstellte, hoben
Theodosius JJ. und Valentinian III. diese Verfügung im Jahre 425 wieder
auf. Als letzterer wiederum 452 den Kompromiß der Parteien für
bürgerliche Rechtssachen der Kleriker forderte, nahm Majorian das
Gesetz wieder zurück. Die Bischöfe waren nach dem Gesetz von Konstantin
und Valentinian I. nur dem Gerichte unterstellt, welches sich aus
ranggleichen Klerikern zusammensetzte.
Eine Folge der innigen Verbindung zwischen Kirche und Staat war auch die, daß Verbrechen gegen erstere, insbesondere die Häresie, als Verbrechen gegen die bürgerliche Gesellschaft
eingestuft wurden. Das römische Recht stellte die Grundsätze auf: "Was
gegen die göttliche Religion gesündigt wird, das gereicht allen zur
Unbill", und: "Es ist ein weit schwereres Verbrechen, die göttliche als
die irdische Majestät zu beleidigen." Daher wurde die Ketzerei dem
Hochverrat immer mehr gleichgestellt. Von diesem Standpunkt aus
erließen Konstantin gegen die Donatisten und Arianer, Marcian gegen die
Monophysiten besondere Strafedikte. Man brachte bezüglich der Irrlehrer
ältere Gesetze gegen Apostasie und Sakrilegien zur Anwendung. Gegenüber
Sekten, die - wie z.B. die Manichäer - als gesellschaftliche Pest
empfunden wurden, wurde auch die Todesstrafe verhängt. Das Vorgehen
gegen Priscillian *) und seine Anhänger mit der Todesstrafe wurde von
den Häuptern des abendländischen Episkopates dagegen aufs schärfste
mißbilligt. Manche Bischöfe, wie der hl. Augustinus, erklärten sich
gegen die Bestrafung der Sektierer durch die weltlichen Gerichte. Doch
revidierte Augustinus seine Auffassung nach mancherlei Erfahrungen mit
der Gewalttätigkeit der Circumcellionen und der aus Notwehr betriebenen
staatlichen Unterdrückung der häretischen Umtriebe, was ihm eine
staatliche ausreichende Beschirmung der Christen absolut notwendig
erscheinen ließ, und er stimmte der Überzeugung seiner Amtsgenossen zu.
Viele Väter nahmen an, daß es gerecht sei, die Verbrechen gegen Gott,
die dem Mord und dem Ehebruch nicht nachstanden - und in der Hl.
Schrift ausdrücklich mit diesen verglichen wurden! -, an denjenigen zu
bestrafen, die durch die Taufe Glieder der Kirche geworden waren,
während sie an Ungläubigen den Zwang in Sachen des Glaubens
mißbilligten; denn letztere standen außerhalb der Kirche (1 Kor. 5,12),
erstere aber waren Rebellen in ihrem Schöße.
Gregor von Nazianz erklärte sich nachdrücklich gegen die den
Apollinaristen gewährte Freiheit der religiösen Zusammenkunft,
desgleichen Johannes Chrysostomus. Ausrottung der Häresien forderten
die Kirchenväter mittels strenger Gesetze, während sie das
Hinschlachten der Häretiker verurteilten.
Ein besonderes Vorrecht der Kultstätten war das A s y l r e c h t ,
welches auch die heidnischen Tempel zu einem gewissen Teil besessen
hatten. Es wurde durch die kaiserliche Gesetzgebung anerkannt und von
den Bischöfen, wie z.B. vom hl. Chrysostomus, entschieden verteidigt.
Ein gegen dieses gerichtete Edikt des Arkadius aus dem Jahre 398 kam
nicht zur Ausführung. Sein Promulgator, der mächtige Eunuch Eutropius,
sah sich zuletzt selbst genötigt, seine Zuflucht in der Kirche zu
suchen. Honorius und Arkadius bestätigten dieses Asylrecht schließlich
im Jahre 414 auf Ersuchen der Synode von Karthago. Theodosius II.
dehnte es 431 auch auf die Umgebung der Kirchen aus. Die Päpste und die
Synoden hielten an ihm fest, boten aber gleichsam die Vermittlung zu
seiner heilsamen Beschränkung, namentlich hinsichtlich solcher
Personen, die sich einer Verletzung der Rechte der Kirche und
bestimmter Verbrechen (Hochverrat, Mord u.s.w.) schuldig gemacht
hatten. Im ganzen gesehen wirkte es sich wohltätig aus und verhinderte
oft den Vollzug übereilter und ungerechter Urteile ebenso wie die
Verfolgung persönlicher Rachezüge. Es erhöhte die Achtung vor der
Heiligkeit der Gotteshäuser und vor der Kirche, die den Verfolgten
Schutz gewährte und eine mildere Behandlung verbürgte. Hier trat
nämlich den wild erregten Leidenschaften eine höhere sittliche Macht
entgegen, und die äußere physische Rechtsgewalt fand an ihr eine höhere
mahnende Schranke.
Besondere Vorrechte wurden dem Klerus gewährt. Das kirchliche Vermögen
wurde u.a. durch eigene Rechtsvorschriften besonders geschützt. Die
Geistlichen wurden bereits durch Konstantin (313-32o) von der Übernahme
der so lästigen M u n i z i p a l ä m t e r sowie von persönlichen
Dienstleistungen entbunden, erhielten die sog. P e r s o n a l i m m u
n i t ä t , wozu nach und nach auch eine teilweise Steuerfreiheit
hinzukam.
Darum versuchte aber auch die bürgerliche Gesetzgebung den Eintritt in
den geistlichen Stand, besonders für die reicheren Klassen, zu
erschweren, wie es schon unter Konstantin I. um 320 und Valentinian I.
um 364 geschah. Diese Praxis wurde jedoch häufig verschieden
gehandhabt. Theodosius I. setzte als Bedingung für den Eintritt in den
geistlichen Stand den Verzicht auf das Privatvermögen, die Abtretung
der Güter oder die Stellung eines Stellvertreters fest. Im 5.
Jahrhundert wurde die Befreiung von Steuern auf das rein kirchliche
Einkommen und die Testierfreiheit auf das Privatvermögen beschränkt.
Militärpflichtige junge Männer wurden vom Eintritt in den geistlichen
Stand ausgepchlossen. Betreffs der Sklaven waren geistliche und
weltliche Gesetze darüber einhelliger Meinung, daß sie nicht ohne
Erlaubnis ihrer Herren in Klöster oder in den Klerus aufzunehmen seien.
Die Rechtsnachteile, die in der römischen Gesetzgebung für Zölibatäre
und Kinderlose vorhanden waren, wurden zugunsten des katholischen
Klerus schon von Konstantin I. aufgehoben. Die Privilegien der Kirche
bezüglich des V e r m ö g e n s r e c h t e s waren sehr bedeutend.
Konstantin gab nicht nur den Christen die vorher einmal konfiszierten
Güter zurück, sondern beschenkte sie auch mit neuen, gab ihnen außerdem
die Güter heidnischer Tempel und ließ ihnen reiche Getreidespenden
zukommen. Bei Ausschreibung einer allgemeinen Steuer wurde die
katholische Kirche davon befreit, nicht so die heidnischen Tempel und
die Gemeinden der Häretiker. Konstantin gestattete 321 ferner, daß die
Kirchen Vermächtnisse annehmen dürften, und erleichterte letztwillige
Verfügungen zugunsten frommer Zwecke. Ebenso wurden Testamente und
Legate zugunsten der Kirche von den sonst üblichen Abgaben befreit. Die
einzelnen Kirchen wurden als rechtsfähige Subjekte anerkannt. Gegen das
Kirchengut sollte nur eine sehr lange Verjährung (3o, 4o bzw. loo
Jahre) geltend gemacht werden können. Den ordentlichen Abgaben blieben
aber in der Regel die Kirchengüter unterworfen. Gegen Erbschleicherei
erließ Valentinian ein Gesetz. Hie und da traten Beschränkungen der
Erwerb- und Verfügungsfreiheit der Kirche ein, die aber meist von
untergeordneter Bedeutung waren. Schwere geistliche und weltliche
Strafen trafen solche Personen, die fromme Vermächtnisse nicht an die
Kirche ablieferten.
Die B i s c h ö f e genossen größeres Ansehen und man gab ihnen den
Vorrang vor den weltlichen Beamten. Sie wurden mit äußerem Glanz
ausgestattet und hoch geehrt. Dem Despotismus der Beamten konnten sie
oft erfolgreich entgegenwirken und durch ihr persönliches Ansehen
besonders verehrte Mönche auch auf den Hof Einfluß gewinnen lassen.
Erfolgreich war oft der Einsatz hervorragender Bischöfe zum Wohl ihrer
Gemeinden wie z.B. die Fürsorge des Flavian von Antiochien für seine
Stadt im Jahre 387 unter Theodosius I. Die Bischöfe waren frei von
väterlicher Gewalt, von Eidesleistungen und Zeugnisangabe, hatten die
Mitaufsicht über die Verwaltung der städtischen Güter und über die
zivilen Beamten. Sie konnten den weltlichen Arm gegen widerspenstige
Kleriker anrufen, wie es die Synode von Aquilea 381 gegen die
arianischen Bischöfe Palladius und Secundianus, gegen die Photinianer
und den Gegenpapst Ursinus, ferner die afrikanischen Bischöfe 397 gegen
Bischof Cresconius taten, der seine Kirche verlassen und eine fremde
usurpiert hatte. Sie konnten auch gegen die mächtigsten Personen
Zensuren verhängen, wie es Ambrosius, Synesius, Gelasius und Symmachus
taten. Wie die kirchlichen Kanones von der weltlichen Gesetzgebung, so
wurden auch viele weltliche Gesetze von der Kirche adaptiert.
Geistliches und weltliches Recht gingen Hand in Hand und ergänzten sich
vielfach.
Es entstanden
1. kirchliche Rechtssammlungen, zuerst nach der Zeitfolge, dann nach
dem Inhalt geordnet, da sie Beschlüsse der allgemeinen und
Partikularsynoden enthielten, dann auch Dekrete der Päpste und
kanonische Briefe der Väter, von denen im Abendland die Sammlung des
Abtes Dionysius Exignus (+ um 54o) die verbreiteste war;
2. k a i s e r l i c h e G e s e t z e in K i r c h e
n a n g e l e g e n h e i t e n in den weltlichen Kodices, insbesondere
im Kodex des Theodosius II. von 44o, im Kodex des Justinian von 534 und
in den zahlreichen Novellen, die darauf folgten;
3. g e m i s c h t e S a m m l u n g e n (nomocanones), in denen
geistliche und weltliche Gesetze in Kirchensachen verbunden waren, wie
eine solche Johannes Scholasticus (+ 577 als Bischof von
Konstantinopel) um 560 verfaßte, die nachher von mehreren Autoren
überarbeitet wurde.
Im Orient hatte das kaiserliche Recht noch größeren Einfluß als im
Abendland, obschon auch hier die Kirche - selbst unter germanischen
Herrschern - sich dessen bediente. Afrika, Spanien und Gallien hatten
ihre besonderen Kanones, meistens auf Synoden aufgestellt, die nach und
nach Aufnahme in beliebte Sammlungen und dadurch auch weitere
Verbreitung fanden. Die Entscheidungen der Päpste im Orient, auch die
der alexandrinischen und dann der konstantinopolitanischen Patriarchen,
wurden ebenfalls wichtige Rechtsquellen.
D i e s e e n g e V e r b i n d u n g d e r K i
r c h e mit dem weltlichen Reiche brachten jener auch manche N a c h t
e i l e . Abgesehen von den vielen Scheinbekehrten, die alle noch nicht
ausgetilgten Laster des Heidentums mit hinein in die kirchlichen
Gemeinden brachten, war es von größtem Schaden, daß das Staatsleben
vielfach nur äußerlich vom Christentum durchdrungen war, was zur Folge
hatte, daß die altheidnische Idee von der staatlichen Allgewalt
fortwährend lebendig blieb. Mit der Erlangung der äußeren Freiheit
verlor die Kirche zugleich sehr viel an Freiheit der Bewegung in ihrem
Inneren und mußte sehr weitgehende E i n m i s c h u n g e n d e
r S t a a t s g e w a l t auf ihrem Gebiet erdulden. Dazu trugen
verschiedene Umstände bei:
- Die Dankbarkeit der von der Verfolgung befreiten Christen gegen die ersten christlichen Kaiser;
- die Berufungen der Sektierer an die Fürsten und die Forderungen des Schutzes für kirchliche Interessen;
- der Knechtessinn und die Schwäche vieler Bischöfe an den Höfen, besonders im Orient;
- die der Kirche gemachten Schenkungen und die ihr gewährten Vorrechte, wofür der Staat wiederum Gegenleistungen forderte;
- die Abhängigkeit der Synoden, zumal in der arianischen Zeit.
Die Synoden, für die der Staat die Kosten übernahm, die öffentlichen
Ämter zur Verfügung stellte und für die äußere Sicherheit sorgte,
wurden meistens durch die Kaiser einberufen. Diese nahmen dann durch
bevollmächtigte Staatsbeamte oder auch persönlich daran Anteil und
bestätigten deren Beschlüsse, die dann auch als Reichsgesetze
proklamiert wurden und deren Beobachtung verbindlich war. Hinzu kam der
Einfluß, den die weltlichen Herrscher frühzeitig auf die Besetzung der
Bistümer gewannen, so daß oft kaiserliche Ernennung an die Stelle der
Wahl durch Klerus und Volk trat oder auch nur eine Scheinwahl
stattfand, wie es bei dem Stuhl von Konstantinopel und den wichtigsten
Bischofssitzen des Orient geschah. Es wurden zudem noch keine scharfen
Grenzlinien zwischen beiden Gewalten gezogen, die sich nach längeren
Kämpfen gegen äußere Feinde nach und nach eng miteinander verkettet
sahen. Theoretisch erkannten zwar die Kaiser die Verschiedenheit der
beiden Gewalten an, aber praktisch vergaßen sie diese Teilung nur allzu
oft und gern, zumal der Hang zum Theologisieren in Konstantinopel
übermächtig wurde und das religiöse Interesse mit dem politischen
zuungunsten des religiösen verknüpft wurde. Die Schutzpflicht war oft
in ein Bevormundungsrecht umgewandelt worden. Der "Bischof des Äußeren"
wurde manchmal auch wider Willen Bischof des Inneren. Der vielen
frommen Kaisern gegebene Ehrentitel "Priester und König" lurvielen
Anmaßungen von minder frommen Herrschern mißbraucht. Konstantin I. sah
sich zum Eingreifen in den kirchlichen Bereich aufgefordert, zuerst
gegen die Donatisten, dann gegen die Arianer Stellung zu nehmen. Er
bewies dabei eine sehr schwankende Haltung, war er doch immer darauf
bedacht, den äußeren Frieden zwischen den Parteien zu wahren und wurde
so unbewußtes Werkzeug einer verwegenen Partei. Konstantius und
Valentinian entwickelten die härteste Tyrannei zugunsten des
Arianismus. Unter Arkadius herrschte durch den Einfluß der Kaiserin
Eudoxia am byzantinischen Hofe die größte Willkür. Theodosius II.
erkannte zwar die Rechte der Kirche im allgemeinen an, aber er trat
auch oftmals - wie in seinem Festhalten an der Räubersynode - der
kirchlichen Freiheit entgegen. Spätere Herrscher wie Zeno, Justinian I.
und Heraklius erlaubten sich sogar, Glaubensgesetze zu geben. Die
weltliche Gesetzgebung erstreckte sich im Orient bald auf alle
Hauptpunkte der christlichen Disziplin: die Besetzung der Bistümer, die
Zahl der Geistlichen an den einzelnen Kirchen, die Bedingungen zum
Eintritt in den Klerus, den Wandel und die Lebensweise der Mönche. Oft
wurden im Orient sogar Bischöfe, die der staatlichen Gewalt mißlieb
waren, von dieser gewaltsam vertrieben oder durch Synoden von
willfährigen Prälaten abgesetzt. Aber niemals hat die K I R C H E
solche Eingriffe der weltlichen Gewalt in ihr ureigenstes Gebiet als
normal und gerechtfertigt empfunden. Sie hat sich von Anfang an dagegen
durch ihre Vertreter nachdrücklich verwahrt.
*) Anm.d.Red.: Er wurde 385
nicht wegen Häresie, sondern wegen Magie zu Trier vom Gegenkaiser
Maximus hingerichtet, was von kirchlicher Seite, besonders von Martin
v. Tours, verurteilt wurde.
|