KATHOLISCH, ABER UNABHÄNGIG VON ROM
Bericht einer Reise nach China
von
H. H. Dr. Felix Jeker
Fortsetzung
KWEILIN
Eines der Hauptziele meiner China-Reise war es, die einstige
Wirkungsstätte von S.E. Bischof Sigebald Kurz OFM zu besuchen. Ich
hatte Gelegenheit, einen Flug nach Kweilin (neuerdings auch oft
"Guilin" geschrieben) buchen zu können, was meinen Aufenthalt in
Shanghai unerwarteterweise auf knapp 36 Stunden reduzierte. Spät am
Abend kam ich auf dem Flughafen Kweilin an, und während ich noch lange
auf mein Gepäck warten mußte, kam ein junger, gut gekleideter Herr auf
mich zu, der sich als Reiseführer namens Jonathan vorstellte, was mich
vermuten ließ, daß es sich um einen Christen handeln müsse,
wahrscheinlich protestantischen Bekenntnisses. Meine Annahme bestätigte
sich im Laufe der nächsten Tage. Der junge Mann war für mich eine echte
Hilfe. Zuerst führte er mich in ein angenehmes Hotel, wo ich auch
entschieden günstiger wohnte als in Peking oder in Shanghai. In diesem
Hotel hatte ich ein amüsantes Erlebnis: Eines Tages setzte sich beim
Frühstück eine Amerikanerin zu mir an den Tisch und begann zu
schimpfen, quasi über alles: über das Zimmer, die Bedienung, das Essen
etc. Ich hörte mir alles geduldig an und gab ihr zu verstehen, daß ich
ihr nicht helfen könne. Später sah ich die gleiche Dame an der
Rezeption, wo sie auf die diensttuenden Mädchen losschimpfte. Die
Mädchen hörten sich eine Weile mit aufgerissenen Augen die
Schimpftiraden an. Plötzlich machten alle drei eine flinke
Kopfbewegung, wonach alle ihre Zöpfe im Mund hatten. Jonathan erklärte
mir, das sei so Brauch in China, wenn jemand aufs tiefste beleidigt
wird und in Zorn gerät, läßt er seinen Zopf - so vorhanden - in den
Mund schleudern. Man lernt nie aus!
Die Hauptattraktion Kweilins, die diese Stadt den Touristen zu bieten
hat, ist ohne Zweifel eine Bootsfahrt auf dem Li-Fluß, wobei man für
Stunden eine imposante Szenerie bizarrster Gebirgsformationen bewundern
kann. Mit Jonathan mußte ich dieses "Muß" auch über mich ergehen
lassen. Um die Mittagszeit wurde auf dem Schiff aufgetischt - ich
zählte an die 24 Gänge! Natürlich konnte man nur einen Bruchteil all
dieser Viktualien genießen! Die übriggebliebenen Speisen und Reste
erhielten die Fische im Fluß.
Mein erster Besuch in Kweilin galt selbstverständlich der katholischen
Kirche. Jonathan führte mich zu dem Gelände: einige Gebäude um einen
Hof gruppiert, in der Mitte die kleine Kirche. Offenbar wurde sie erst
vor wenigen Jahren (wieder)erbaut, weder stilistisch noch künstlerisch
bemerkenswert, aber man fühlte sich in ihr zu Hause. Der Pfarrer sagte
mir, daß die Kirche eigentlich längst zu klein sei, aber es mangele
sowohl am Platz als auch am Geld, um einen Um- bzw. Erweiterungsbau zu
beginnen. Die Pfarrei bezog den Großteil ihrer Einkünfte aus dem
Verkauf von selbstgezogenen Gewürzen, eingemachtem Gemüse und von in
Essig eingelegten Früchten. Zu diesem Zweck war im Innenhof ein Vorrat
von leeren Einmachgläsern aufgestapelt. Ich konnte nicht anders, ich
mußte den Leuten etwas von ihrem Eingemachten abkaufen - um es alsbald
weiter zu verschenken. Voller Stolz zeigte mir der Pfarrer am letzten
Tag sein Gästebuch, in welches sich schon viele Schweizer Touristen,
noch mehr aber aus "Germany" eingetragen hatten. Bemerkenswert war
auch, wie viele Kleriker in den letzten Jahren nach China gereist sind.
Kweilin wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg eine Missionsstatition und
1938 eine apostolische Präfektur, welche von den amerikanischen
Maryknoll-Missionaren geleitet wurde. Den Kommunismus und die
Kulturrevolution konnte diese Station nicht überleben. Nach Auskunft
des Pfarrers wurde die Kirche zum Lagerschuppen umfunktioniert. Erst
Ende der 7oer Jahre konnte man an einen Neuaufbau des religiösen Lebens
denken - und Kweilin (Guilin) wurde Bischofssitz - allerdings war der
Bischof zur Zeit verreist. Von den Christen dieser Stadt ist die
Mehrheit protestantisch. In der Mitte der Stadt steht eine
alte'neugotische protestantische Kirche. Die Katholiken bilden also
eine Minderheit. Und dennoch werden, so der Pfarrer, im Jahr etwa 40
Kinder getauft! Unweit der katholischen Kirche von Kweilin befindet
sich die Universität. Interessanterweise wird das Universitätsgelände
auch von einem Chinesen mit "Campus" bezeichnet. Man fühlt sich hier
ganz im alten China. Tatsächlich stammen die meisten Gebäude aus der
Zeit der Ming-Kaiserdynastie. Diese kaiserliche Pfalz in Kweilin und
die Universitätsgebäude waren einst Paläste des Kaisers und seiner
Höflinge, bei denen es sich um eine über tausendköpfige Eunuchenschar
handelte. Jonathan äußerte sich ziemlich traurig, daß viele
kunsthistorisch bemerkenswerte Gebäude nun verfallen, da der Staat kaum
Geld ausgibt für ihre Restaurierung. In den engen finsteren
Vorlesungsräumen fühlte man sich in der Tat ins 15. Jahrhundert
zurückversetzt - ein Hinweis darauf, daß China kulturell und technisch
uns Europäern bis zur Neuzeit einfach überlegen war.
Fast romantisch war das Studentenwohnheim: Mädchen und Burschen sind in
getrennten Trakten untergebracht. Ich sah einige Zimmer im
Mädchengebäude - excuzes moi: Studentinnenzimmer: in jedem ein Fenster,
an den beiden Längsseiten je zwei Kajütenbetten, also ein Raum für acht
Mädchen! Im gleichen Zimmer wird studiert, auf Spirituskochern gekocht,
Wäsche gewaschen und getrocknet. Das Bild, das solch ein
Studentinnenzimmer bot, hätte Spitzweg kaum besser malen können! Die
Universität Kweilin hat auf dem Campus ein berühmtes Denkmal: Doktor
Sun Yat-sen ist in Kweilin aufgewachsen, hat an der Universität
studiert, promoviert und dann auch hier doziert, bis er es 1911
fertigbrachte, die Monarchie zu stürzen. Er wird auch vom
kommunistischen China hoch verehrt, da er als Vater der chinesischen
Republik gilt.
LINGLING - YUNGCHOW
Warum ich eigentlich unter den hunderten von interessanten Städten
Chinas ausgerechnet Kweilin aufsuchte, hatte seinen besonderen Grund:
dies war die Stadt, von der aus man vielleicht (?) Lingling erreichen
konnte. Und Lingling war die Stadt, für die Bischof Blasius Sigebald
Kurz am 21. Mai 1948 als apostolischer Präfekt bestimmt worden war.
Kaum drei Jahre konnte er in Lingling wirken, dann wurde er aus China
vertrieben wie alle ausländischen Missionare. Schon in jungen Jahren,
von 1923 bis 1933, war P. Sigebald Kurz als Franziskanermissionar in
der Provinz Shansi tätig gewesen. Ich war daran interessiert, diese
letzte Wirkungsstätte meines Bischofs kennenzulernen, gehöre ich doch
im kirchenrechtlichen Sinne zu diesem Sprengel - was ich natürlich
geflissentlich verschweigen mußte. In gespannter Erwartung fragte ich
mich, ob ich wohl noch Spuren von der katholischen Kirche in Lingling
finden würde oder sogar auch Spuren von Bischof Blasius...?
Um von Kweilin nach Lingling zu fahren, muß man sich auf verschiedene
Schwierigkeiten gefaßt machen. Es ist keine Fahrt wie beispielsweise
von München nach Passau. Kweilin liegt in der Provinz Guangxi, Lingling
jedoch in der Heimatprovinz von Mao Tse-Tung, in Hunan. Zudem - und das
wußte ich schon im voraus - ist Kweilin eine Stadt, die für Touristen
offen steht, Lingling jedoch nicht! Schon am ersten Tag meines
Aufenthaltes in Kweilin besprach ich mich über diese Probleme mit
Jonathan. Er mußte für mich ein Auto chartern, zudem mußte er an - weiß
ich 'was für "- einer Amtsstelle, um eine Bewilligung für mich
nachfragen. Natürlich stellte sich auch die Frage nach der Begründung,
und die plausibelste Antwort könne nur die sein, daß ein "Onkel" dieses
Schweizers einmal Missionar in Lingling war. Jetzt wolle der "Neffe"
einmal sehen, wo sein "Onkel" früher einmal gelebt und gewirkt habe.
Es hat schließlich alles geklappt, aber nur unter der Bedingung, daß
ich nicht in Lingling würde nächtigen dürfen, sondern daß ich wieder
nach Kweilin zurückzukehren hätte. Den Grund hierfür erfuhr ich dann in
Lingling: dort gab es kein einziges Hotel, geschweige denn eines,
welches man einem Nicht-Chinesen hätte zumuten können. Jonathan kam nun
mit dem Wagen, einem Fahrer, einem Begleiter und... Proviant - es sei
fraglich, ob wir unterwegs irgendwo etwas Eßbares finden würden!
Die Strecke Kweilin Lingling mißt lediglich ca. 200 km. Je mehr wir
Kweilin hinter uns ließen, sahen wir das eigentliche China: Bauernhöfe,
kleine Dörfer, Reisfelder - eine Landschaft mit Menschen, die sich
durch die Jahrhunderte kaum verändert hatte. Noch werden neue Häuser
mit dem rötlichen Stein der Umgegend gebaut. Noch wird ihnen ein
geschweifter Dachgiebel aufgesetzt. Auch sieht man überall auf den
Feldern die Gräber der Verstorbenen: der Chinese will auf seinem
Grundstück begraben sein, und auch heute noch will der einfache Bauer
bei seinen Eltern und Vorahnen seine letzte Ruhestätte finden, auch
wenn staatlicherseits sehr für die Kremation die Werbetrommel gerührt
wird. Allenthalben sieht man wild wachsende Fächerpalmen, wie sie auch
bei uns im Tessin gedeihen; ein Hinweis darauf, daß das Klima hier
ziemlich mild sein muß.
Am Nachmittag trafen wir in Lingling ein; wider Erwarten kamen wir in
eine große Stadt mit etwa So.ooo Einwohnern. Der Stadtteil Yungchow
gehört zu Lingling und ist nur durch einen Fluß getrennt - es soll sich
um den Oberlauf des Yangtse-Flusses handeln. Auffallend war, wie diese
Stadt im Gegensatz zu den bisher gesehenen chinesischen Städten einen
sehr schmutzigen Eindruck machte. Ein Großteil des menschlichen Lebens
spielt sich auf dem Trottoir ab. Da wird gekocht, Wäsche gewaschen,
gebügelt, Hühner und Schweine werden geschlachtet und Kinder
verprügelt; bisweilen wird auch Tee getrunken. Jonathan fragte, wo die
katholische Kirche zu finden sei. Auf einer Amtsstelle erhält er nur
vage Antworten, die nicht weiterhelfen. Überall drehen die
Einheimischen ihre Köpfe nach mir um. Vermutlich hatten diese Menschen
bisher noch keinen Europäer gesehen. Und als Jonathan in meiner
Angelegenheit einen Polizeibeamten ansprach, war ich innerhalb von
wenigen Sekunden von etwa dreißig gaffenden Passanten umringt. Ich kam
mir vor wie ein Urtier! Ich sah auch keine einzige Geschäfts-, Kneipen-
oder Straßenbeschriftung in lateinischer Schrift. Lingling ist also
eine Stadt, in der man keine europäischen Besucher erwartet.
Durch den eben erwähnten Polizisten wurden wir an eine alte Frau
verwiesen, welch noch katholisch war. Sie wollte wissen, wo die
katholische Kirche einmal gestanden und wo Bischof Blasius einst
gewohnt hatte. Kirche und Wohnhaus sind nicht mehrvorhanden. An ihrer
Stelle stehen nun Gebäude, charakterlos im Stil der 6oer Jahre. Im
neuen Spital soll es eine christliche Kapelle geben. Überdies sei
außerhalb der Stadt am Fluß ein großes buddhistisches Kloster. Die
ganze Stadt machte einen trostlosen Eindruck: die Folge der
Kulturrevolution. Nirgends war etwas Sehenswertes zu bemerken, ja
selbst etwas Eßbares war nicht aufzutreiben; denn die Kneipen waren
ekelerregende Spelunken. Die Menschen machten irgendwie den Eindruck
von Primitivität. Schmutzig, wüst und geschmacklos - das sind die
Attribute, die man dieser Stadt zuteilen möchte.
Die apostolische Präfektur war 1925 errichtet worden. Ich malte mir
aus, wie hier 22 Jahre lang ein P. Damascenus Jesacher sein Leben wie
in einer Karthause verbracht haben muß. Und Bischof Blasius, wie mochte
er sich wohl mit diesen Menschen verstanden haben? War es wohl hier
einmal besser und erfreulicher gewesen, vielleicht vor dieser unseligen
sog. Kulturrevolution? Ich weiß es nicht und werde es nie erfahren.
Bischof Blasius hat manches Geheimnis mit ins Grab genommen, überhaupt
erzählte er nicht viel über seine Zeit in Lingling-Yungchow.
Enttäuscht, aber mit manchen Erfahrungen reicher kehrten wir gegen
Abend nach Kweilin zurück. Ich verstehe nun auch, daß Lingling-Yungchow
nicht im Verzeichnis der für Touristen zugänglichen Orte enthalten ist.
Solch eine Stadt zeigt China lieber nicht! Und daß die Missionsstation
verschwunden ist, daß die Kirche abgebrochen wurde, rundet das Bild
einer trostlosen Stadt ab, wie sie George Orwell trefflich in seinem
Roman "1984" beschreibt.
Ungefähr an der Grenze von Hunan zu Guangxi führte mich Jonathan
zusammen mit den beiden anderen Begleitern in ein vorsintflutliches
Restaurant. In der sog. 'Gaststube' stand das ungeordnete Bett der
Wirtsleute. In einer Ecke hing ein halbwegs ausgeschlachtetes Schwein.
Der Gast konnte jeweils sagen, welches Stück er davon herausgeschnitten
und gebraten haben wollte... Mir war der Appetit vergangen. Ich war
vorsätzlich völlig zufrieden mit einer Flasche Tsingtao-Bier, auch wenn
diese warm war.
Am letzten Tag in Kweilin besorgte mir Jonathan ein Flugbillet nach
Kanton. Er zeigte mir noch die prächtigen Tropfsteinhöhlen außerhalb
der Stadt sowie den Tiergarten. Merkwürdigerweise existiert keine
direkte Bahnlinie zum etwa 300 km entfernten Kanton, so daß ich 18
Stunden mit der Lokalbahn hätte fahren müssen. Somit blieb keine andere
Möglichkeit, als das Flugzeug zu nehmen. Kweilin ist eine der Städte,
die man gerne wiedersehen möchte. Vermutlich geht es den meisten
Menschen so, die einmal hier waren. Von Lingling kann ich das nicht
sagen: es war wie ein Alptraum!
KANTON
Eigentlich hätte das Flugzeug nachmittags um 15 Uhr starten und eine
dreiviertel Stunde später in Kanton landen sollen. Aber die chinesische
Fluggesellschaft muß chaotisch organisiert sein. So alle zwei Stunden
wurde an dé in der Abflughalle wartenden Passagieren ein Coupon für ein
Getränk ausgegeben. Endlich, nachts um 2 Uhr war es dann soweit: das
Flugzeug hob ab und landete etwa um 3 Uhr in Kanton. Ich konnte von
Glück reden, daß mich ein Taxi zum Schwanen-Hotel brachte. Dort hatte
ich nochmals Glück: ein letztes Gemach - von 600 - war noch frei! Es
war gerade Kantoner Frühjahrsmesse! Im "Weißen Schwan" kann man leicht
vergessen, daß man sich im kommunistischen China befindet. Ruhige Lage,
und nur dann und wann hört man das Hupen eines Schiffes auf dem
Perlfluß. Am Frühstücksbuffet gibt es dänische Butter, französischen
Käse und schweizer Konfitüre, in den Läden des Hotels herrliche
chinesische Seide und Schnitzereien, Schottischen Whisky und
Mozartkugeln aus Salzburg. Der ganze Spaß kann in US-Dollar bezahlt
werden. Das gesamte Hotel machte mir gar keinen kommunistischen
Eindruck, sondern kam mir eher enorm kapitalistisch vor, ja auch das
Personal und die Gäste waren waschechte Kapitalisten, alles
Business-Typen aus Tokio, Frankfurt oder London. Kanton muß
offensichtlich eine wichtige Geschäftsmetropole sein.
Ich suchte in meinem chinesischen Wörterbuch die beiden Termini
"katholisch" und "Kirche" und schrieb die beiden Worte auf einen
Zettel, um ihn dem Taxifahrer zu geben, der nicht Englisch sprach. Er
hat sofort verstanden und brachte mich zur zweitürmigen, 1869 im
neugotischen Stil erbauten Kathedrale. Im Innern hatte man fast das
Gefühl, man stehe in der Kathedrale von Caen oder Amiens! Das Schiff
mag gut 80 m lang sein. In der Mitte stand eine Tumba, riesengroß,
daneben sechs Kandelaber. Der Pfarrer erklärte mir, daß die Tumba fast
dauernd dastehe, weil unter der Woche häufig Gedächtnismessen mit
Absolution gefeiert würden. Zudem sei unlängst der Bischof von Shanghai
gestorben.
Auch diese herrliche Kathedrale war zur Zeit der Kulturrevolution
geschlossen worden und die Priester waren ins Gefängnis geworfen
worden. Kompliziert, ja fast tragisch-komisch ist die Situation der
Erzbischöfe von Kanton. Sie wird geleitet von Erzbischof Mgr. Ye
Yinyun, der selbstverständlich Mitglied der patriotischen Kirche ist.
1985 wollte der Erzbischof von Hongkong, John Baptist Wu ('Kardinal'
seit 1988) anläßlich eines Besuches seiner Heimatprovinz - er stammt
aus dem Guangdong - in Kanton angeblich eine Messe zelebrieren. Es
hatten sich dazu schon über tausend Gläubige eingefunden, als in
letzter Minute der Hongkonger Bischof der staunenden Menge verkünden
ließ, aus politischen (?) Rücksichten dürfe er die angesetzte Messe
nicht zelebrieren. Auf Umwegen wurde später bekannt, daß der Kantoner
Erzbischof, Mgr. Ye Yinyun, die Zelebration (aus Rücksicht auf die
Gläubigen ?) nicht dulden wollte und konnte, da Mgr. John Baptist Wu
partout den Chinesen den Ritus Pauls VI. vordemonstrieren wollte. (Vgl.
dazu auch Plate, Manfred: "Chinas Katholiken suchen neue Wege" Freiburg
1987, S.46)
Bischof Deng Yiming (d.i. Dominik Tang), Jesuit, geb. 19o8, wurde 1950
von Pius XII. zum Apostolischen Administrator der Diözese Kanton
ernannt und am 13. Februar 1951 zum Titularbischof von Elatea geweiht.
1958 wurde er ins Gefängnis geworfen und 1980 nach 22-jähriger Haft
befreit. Unmittelbar darauf wurde er auf einer Versammlung von
Gläubigen und Priestern als Bischof von Kanton bestätigt, obwohl seine
Loyalität zum Apostolischen Stuhl unzweideutig feststand (wobei man
zunächst davon ausgehen kann, daß er über die Vorgänge auf diesem
'Apostolischen Stuhl' nicht informiert sein dürfte; Anm.d.Red.).
Interessanterweise stimmten auch die staatlichen Behörden dieser Wahl
zu. Es schien, als ob dieser Mann dazu berufen sei, eine Versöhnung
zwischen dem Vatikan und China herbeizuführen, da er sowohl vom
chinesischen Staat als auch von der patriotischen Vereinigung anerkannt
zu sein schien. Zur Behandlung einer Krankheit gelang es ihm, im
Frühjahr 1981 nach Hongkong auszureisen. Von Hongkong aus flog er
alsbald nach Rom weiter, wo er von Johannes Paul II. in Privataudienz
empfangen wurde. Bei dieser Gelegenheit wurde er von diesem zum
Erzbischof von Kanton 'ernannt' (26. Mai 81).
In Kanton allerdings löste seine Heimkehr alles andere als Freude aus,
und von der erhofften 'Versöhnung' war keine Rede mehr. Sowohl die
patriotische Vereinigung als auch die Regierung protestierten gegen
diesen Vorgang. Man warf dem Vatikan grobe Einmischung in die inneren
Angelegenheiten der chinesischen Kirche vor! Auch Bischof Ye Yinyun,
stellvertretender Vorsitzender der patriotischen Vereinigung für die
Provinz Guangdong, bezeichnete die Ernennung des Vatikans als
Einmischung in die Souveränität der katholischen Kirche Chinas. Am 22.
Juni 1981 - also nicht einmal einen Monat nach seiner 'Ernennung' durch
Johannes Paul II. (!) - beschlossen die patriotische Vereinigung der
Provinz Guangdong und die Diözese Kanton, Mgr. Deng Yiming (Dominik
Tang) seines Amtes als Bischof zu entheben. EÓien Monat später, am 24.
Juli 1981, wurden in der Nanthang-Kathedrale in Peking durch Mgr. Zong
Huaide, den Vorsitzenden der patriotischen Vereinigung, fünf neue
Bischöfe konsekriert. Einer der neugeweihten Bischöfe sagte, die Weihen
zeigten die Entschlossenheit der chinesischen Kirche, ihre
Unabhängigkeit zu wahren; zudem seien sie auch eine Zurechtweisung des
Vatikans, der Bischof Deng illegal (?) zum Erzbischof von Kanton
'ernannt' hatte. Am 27. September 1981 konsekrierte Mgr. Zong Huaide in
Kanton zwei neue Bischöfe für die Suffraganate Kianmen und Swatow, und
im Januar 1985 wurden in Shanghai die Weihbischöfe Jin Luxian und Li
Side konsekriert, ebenfalls durch Mgr. Zong Huaide, Bischof von Jinan.
(Vgl."Chinas Katholiken suchen neue Wege", a.a.O., S.49.)
Am letzten Tag meines Aufenthaltes in Kanton traf ich in der Kathedrale
einen Priester, der noch gut französisch sprach. Wir unterhielten uns
auch über die Verfolgung während der Kulturrevolution von 1966 bis
1976. Er behauptete, daß im Inneren Chinas, gegen Westen, in den
Provinzen Xinjiang und Quinghai, aber auch in der südlichen Diözese
Kunming, einige kleinere Gemeinden diese schwerste religiöse
Verfolgungszeit relativ unbeschadet überlebt hätten. Es ist schon
möglich, daß in der unendlichen Weite Chinas, in einsamen und
unwegsamen Gegenden dieses Landes die Kontrolle und die Bespitzelung
nicht so intensiv durchgeführt werden konnte wie im dichtbesiedelten
Osten, wo die großen Städte liegen. Andererseits ist der Hinweis auf
die abgelegenen Gegenden auch ein Indiz dafür, daß eine solche
Behauptung kaum auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden kann.
Die Millionenstadt Kanton, die einen so ganz und gar an den Westen
erinnert und die Vorstellung verdrängt, daß auch hier einmal
Kirchenverfolgung herrschte, war die letzte Station meiner über
14-tägigen Reise durch China. Am letzten Tag fragte mich der
Taxifahrer, der mich zum Bahnhof brachte, ob ich in Kanton auch einmal
Hundebraten gegessen hätte (angeblich eine Spezialität dieser
Stadt...). Natürlich verneinte ich eine derartige 'Unterstellung'
entschieden, worauf der Taxifahrer meinte, ich sei eigentlich gar nicht
in China gewesen. Ich wünschte ihm eine "gute Mahlzeit" für sein
nächstes Hunde-Menue!
Beängstigend war die ungeheure Menschenmenge am Bahnhof, welche nach
Hongkong auszureisen im Begriff war. Hier exakte Kontrollen von Paß und
Visum sowie der Fahrkarte. Alle Plätze im Zug waren numeriert, wie in
der Oper. Zuletzt mußte man noch das chinesische Geld in US-Dollars
umwechseln. Schließlich war man nach drei Stunden Bahnfahrt in Hongkong
- es war wieder eine andere Welt. Mit einer gewissen Sehnsucht oder
Wehmut mußte ich an China zurückdenken. Nirgends in China war die
Kontrolle so gründlich und zeitraubend wie in Hongkong. Bei jedem
Passagier, der den Paß vorzeigen mußte, schaute der Beamte in einem der
dicken Bücher nach, die auf seinem Pult standen. Ich fragte mich,
obwohl es mir egal sein durfte, ob in diesen Folianten wohl alle
Menschen verzeichnet sind, welche auf unserem Planeten irgendwann
einmal eine Schandtat vollbracht haben und daher polizeilich gesucht
würden?
Die letzte Station meiner Reise war Bangkok, die Drehscheibe des
asiatischen Kontinents. Von hier aus besuchte ich noch den Osten von
Thailand nahe der kambodschanischen Grenze, wo viele Katholiken leben,
sowie die Insel Samui, wo ein beträchtelicher Anteil der Bevölkerung
Abkömmlinge chinesischer Einwanderer sind. Die Religion wurde in
Thailand kaum je verfolgt, und die katholische Kirche konnte sich
deswegen mit Leichtigkeit auch dem neuen 'Zeitgeist' angleichen.
Überreich an vielfältigen Eindrücken und Erinnerungen traf ich am
Festtag des hl. Pius V. (5. Mai) wohlbehalten wieder in heimatlichen
Gefilden ein.
RÜCKBLICK - AUSBLICK
Wie schon eingangs erwähnt, erscheinen in den letzten Jahren in den
verschiedensten Zeitschriften und Gazetten, seien sie religiös (bzw.
'kirchlich') ausgerichtet oder neutral, immer häufiger und immer
umfangreicher Artikel über das Phänomen der "katholischen Kirche in
China". Vielfach handelt es sich auch um einfache Reiseberichte. Das
verwunderlichste Mirakel (nach diesen Auslassungen) scheint das zu
sein, daß die Priester die hl. Messe noch in lateinischer Sprache
zelebrieren und "mit dem Rücken zum Volk". Oft werden dann Repliken auf
diese Reportagen verfaßt, häufig auch von sog. 'traditionalistischen'
Katholiken, die sich bemüßigt fühlen, mit Eifer darauf hinzuweisen, daß
die offizielle katholische Kirche in China schismatisch sei, sich vom
Papst und von Rom getrennt hätten. Bisweilen wird man sogar durch
solche Leserbriefe gewarnt, nicht diesen schismatischen Gottesdiensten
beizuwohnen. Es wird dann Pius XII. mit seinem Rundschreiben "Ad
apostolorum principes" zitiert, der von "Verbrechen gegen die Einheit
der Kirche" spricht. Lobend wird sehr oft die rom- und papsttreue
Untergrundkirche hervorgehoben, welche im Geheimen über 200 Bischöfe,
zahlreiche Priester und auch Priesterseminare haben soll. Das ist sehr
wenig glaubwürdig, ja sogar maßlos übertrieben. Es gibt romtreue
Gläubige, welche sich weigern, die Gottesdienste zu besuchen, die von
Priestern der patriotischen Kirche gefeiert werden. *) Sie betrachten
teilweise diese Meßfeiern nicht bloß als unerlaubt, sondern sogar als
ungültig. Aber ein Großteil der Gläubigen, welche 'rom'-treu, d.h.
subjektiv, nicht formal, schismatisch sein und es bleiben wollen,
bedienen sich der patriotischen Kirche, weil sie ansonsten ein
religiöses Leben ohne Sakramente fristen müßten. Es hat den Anschein,
daß die Untergrundkirche über viel zu wenig Priester verfügt und kaum
Bischöfe haben dürfte. Die damals loyal zu Rom gestandenen Priester und
Bischöfe wurden ja von den Kommunisten viel eher und härter verfolgt.
Die Bischöfe, die nach langer Gefangenschaft freigelassen wurden,
halten sich meist außerhalb Chinas auf, wozu sie sogar gewaltsam
gezwungen worden sind, so lebt Mgr. Gong Pin Mei in den U.S.A. und Mgr.
Deng Yimin hat sein Domizil heute in Hongkong.
Es gibt in Mitteleuropa zahlreiche Katholiken, welche die
unausgesprochene Auffassung vertreten, daß man auf Gott gut verzichten
könne, aber keinesfalls auf den Papst (bzw. 'Papst'). Ich möchte
betonen, daß ich eine solche Auffassung noch von keinem vertreten
gehört habe, aber die sonstige Rede- und Handlungsweise gewisser Leute
lassen den Schluß zu, daß diese Meinung so quasi im Unterbewußtsein
vieler Katholiken tatsächlich existiert. Das ist natürlich eine glatte
Häresie! Tatsächlich liegt die Angelegenheit doch so, daß die Kirche
dazu da ist, den Menschen das ewige Heil zu vermitteln, d.h. die
Menschen so anzuleiten, daß sie dereinst das ewige Leben, das ewige
Heil erlangen können. In dieser Hinsicht hat wohl der Papst eine
hervorragende Stellung, gleichsam als Führer dieser
Heilsvermittlungsinstitution. Trotzdem muß man sich im klaren sein: das
ewige Leben können tausend Päpste keinem einzigen Gläubigen vermitteln,
das kann allein der allmächtige Herr und Gott!
Diese letztere Überlegung war wohl bestimmt einer der Beweggründe,
warum die katholische Kirche in China damals diesen Aufsehen erregenden
"Bruch" mit Rom bewerkstelligt hat, um als Kirche, als
Heilsvermittlerin zu überleben! In der Tat wollte jedoch niemand in
China mit Rom brechen! Rom war vielmehr schlecht informiert und hatte
über die Situation in China nur einen unvollständigen Überblick... und
konnte ihn vor über 30 Jahren auch gar nicht haben. Die katholischen
Gläubigen mit ihren Priestern und Bischöfen sahen die Sache klarer, da
sie mitten in der Auseinandersetzung mit dem kommunistischen Staat
standen. Sie gelangten zu der Erkenntnis, daß es von größerer
Wichtigkeit sei, daß die Kirche weiterhin wirken könne, als daß Rom
über eine Ortskirche regieren und sie kontrollieren würde, welche der
kommunistische Staat sowieso in kürzester Frist vernichtet hätte, weil
er in seinem Machtbereich keinen ausländischen Einfluß mehr dulden
wollte, sei es nun von Seiten des Vatikans oder irgend eines anderen
Staates. Hätte Chinas katholische Kirche 1957/58 nicht diesen Schritt
gewagt und sich in den Zweifronten-Kampf - sowohl gegen den Staat als
auch gegen den Vatikan - begeben und hätte statt dessen auf
vatikanische Direktiven gewartet, dann würde heute nach über 30 Jahren
kein Mensch mehr davon reden können, daß in China heute noch eine
katholische Kirche existierte.
Diese Tatsache freilich hat schon Johannes XXIII. geahnt, und zur Zeit
Pauls VI. wurde sie im Vatikan erwähnt. Seither bemüht man sich - auf
seine Art -, das Verhältnis mit der Kirche Chinas zu 'normalisieren'.
Eifrige Beobachter dieses Schauplatzes, die sich als China-Experten
betrachten, haben sich den Ablauf dieses 'Normalisierungsprozesses'
schon genüßlich ausgemalt: Der Vatikan (bzw. 'Vatikan') zöge seinen
Nuntius aus Taiwan zurück; an seine Stelle träte ein apostolischer
Delegat. Ein Nuntius für beide Teile Chinas würde in Zukunft in
Hongkong residieren. (Die Nuntiatur auf Taiwan war ja bislang der
größte Stein des Anstoßes für die Regierung in Peking. Vor Jahren flog
Taiwan im hohen Bogen aus der UNO hinaus, damit die Volksrepublik China
Mitglied dieses freimaurerischen Staatenbundes werden konnte.) Wäre die
Taiwan-Frage endlich gelöst, könnte Schritt Nummer 2 folgen: die
Bischöfe Chinas flögen nach Rom, besuchten dort den 'Papst', würden von
der Exkommunikation befreit und begäben sich in die Peterskirche, um
zusammen mit dem Oberhaupt der neuen 'Kirche' zu konzelebrieren. So
könnte die neugewonnene Einheit mit dem 'apostolischen Stuhl'
manifestiert werden..!
Das alles ist jedoch reine Spekulation, denn das Problem "Taiwan" läßt
sich nicht so einfach lösen wie eine Mitgliedschaft in der UNO. Der
'Vatikan' kann nicht so elegant den Nuntius aus Taipeh zurückpfeifen
und die dortige Nuntiatur schließen, auch wenn Ungeheuerlichkeiten aus
'pastoralen Gründen' mit der Zeit Schule machen. Man denke nur an die
1971 erfolgte Absetzung von Kardinal Mindszenty als Primas von Ungarn
und Erzbischof von Gran / Esztergom.
Dennoch hängt das Schicksal der Kirche Chinas an einem seidenen Faden:
Wenn für's erste die katholische patriotische Kirche in China momentan
wieder neue Freiheiten genießt und der Staat sogar mithilft,
verlotterte und profanierte Kirchen zu restaurieren (damit sie wieder
dem katholischen Gottesdienst dienen können), stellt sich trotzdem die
Frage, wie lange dieser Zustand wohl andauern mag. **) Es könnte sein,
daß neue Leute in bestimmten Regierungsämtern plötzlich wieder
umschwenken und die Kirche wieder neuen Verfolgungen aussetzen. So
meinte unlängst Frau Chao Jiru, die Vizepräsidentin des Büros für
religiöse Angelegenheiten in Peking und selbst überzeugte Marxistin:
"In einer Gesellschaft, die das Stadium des Kommunismus erreicht hat -
was noch nicht der Fall ist -, wird die Religion von selbst
verschwinden. Jedoch werden die Religionen nach und nach verschwinden
mit der Hebung des intellektuellen Niveaus der Bevölkerung und nicht
durch Verfolgung wie zur Zeit der Kulturrevolution. Denn die religiöse
Verfolgung während dieser Zeit der Verwirrung war kontraproduktiv."
(SCHWEIZERISCHE KIRCHENZEITUNG vom 26.1.89, Artikel von Jacques Berset,
S.51.) Soweit diese Dame, welche sich gegen eine Verfolgung ausspricht.
Es fragt sich nur, was geschieht, wenn die Religion doch nicht
aussterben sollte, auch im vollendeten Stadium des Kommunismus nicht?
Eine zweite Gefahr für die katholische Kirche Chinas droht von der
modernistischen 'Kirche'. Chinas Katholiken sind durch das Feuer der
Verfolgung in ihrer Glaubenstreue erprobt worden. Sie haben gelitten
für die unabänderliche katholische Kirche. Bestimmt haben sie davon
gehört, daß in den 6oer Jahren in Rom das II. Vatikanische Konzil
abgehalten wurde. Was sie aber nicht wissen und was sie sicherlich auch
nicht verstehen könnten, ist die Tatsache, daß die 'Kirche' im Westen
nach dem Konzil wesensmäßig nicht mehr viel zu tun hat mit der Kirche
unter Pius XII. Ich will damit weniger auf die Konzilsdekrete als
solche - welche ja Mgr. Jin Luxian in chinesischer Übersetzung
herausgibt - anspielen, sondern vor allem darauf hinweisen, was mit
Berufung auf dieses Konzil in der 'Kirche' geschehen ist. Unsere
offizielle 'Kirche' ist heute regelrecht ein sterbender 'Lotterladen'
geworden. Das sehen auch einige Insider, hüten sich aber peinlichst,
Konsequenzen zu ziehen. Man sollte einmal nur all die Ereignisse
betrachten im Umfeld über die angebotene Wiederzulassung der
tridentinischen, vom hl. Papst Pius V. kodifizierten hl. Messe, die
Korrespondenzen mit den einzelnen Reformer-Ortsbischöfen, die nach wie
vor andauernde Verfolgung - es bleibt nur ein Kopfschütteln. Und diese
'Kirche' möchte mit der Kirche in China zum jetzigen Zeitpunkt wieder
volle Gemeinschaft aufnehmen? In der Liturgie, d.h. konkret in der
Feier der hl. Messe , wird die Kirche für den durchschnittlichen
Gläubigen in erster Linie sichtbar und wahrgenommen. Es wäre zu
befürchten, daß es Rom vorrangig darauf ankommen würde, flugs den
'N.O.M.' Pauls VI. auch nach China zu exportieren. Für die Katholiken
in China wäre das verhängnisvoll!
Es soll hier noch gar nicht über die Frage gesprochen werden, wie sich
Häresie und Orthodoxie unter einen Hut bringen lassen. Auch Bischof Jin
Luxian sieht vorläufig (noch) keine Gemeinschaft mit Rom. Er besteht
darauf, daß Chinas Katholiken ihre Bischöfe selbst bestimmen, die dann
von Rom (?) allenfalls bestätigt werden könnten. Rom seinerseits würde
dies unter keinen Umständen akzeptieren.
Mit gemischten Gefühlen vernimmt man, daß Mgr. Jin Luxian an eine
Liturgiereform denkt, die allerdings 'nur' darin bestehen soll, die hl.
Messe Pius V. ins Chinesische zu übersetzen. Selbstverständlich würde
und könnte von ihm der 'N.O.M.' nicht angenommen werden, weil damit in
politischer Hinsicht (!) - und nur in ihr - all zu große Einigkeit und
Abhängigkeit von Rom demonstriert würde. Aber schon die bloße
Übersetzung des Meßformulars ins Chinesische würde zu einem heiklen
Problem bei den I Gläubigen und Priestern führen - bei vollem
Verständnis dafür, daß der Chinese von der lateinischen Sprache weiter
entfernt ist als wir Europäer. (Man kann sagen, für den Chinesen ist
Latein ebenso fremd wie für uns Deutschprachige das Chinesisch.) Der
Jesuit Matteo Ricci und seine Mitbrüder wollten im 17. Jahrhundert eine
chinesische Liturgie schaffen. Trotz der sich abzeichnenden
Missionserfolge hatte Rom diese verboten! Und heute ist es ausgerechnet
die Kirche in China, welche der lateinischen Liturgie die Treue hält.
Darf und soll sich daran etwas ändern? In China sollen 3,3 Millionen
Katholiken leben, angeblich kaum mehr als 1949. Demgegenüber sollen
sich die 5 Millionen Protestanten von 1949 bis heute versechsfacht
haben. Mgr. Jin Luxian glaubt, daß vor allem die junge Generation
schlechter den Zugang zu einer Kirche mit lateinischer, d.h.
fremdsprachiger Liturgie findet. Das ist eine bloße Annahme, vielleicht
ein Trugschluß. Es ist zu hoffen, daß der Bischof von Shanghai sieht,
daß jede noch so gringfügige Änderung bei den Gläubigen Verunsicherung
und Verwirrung stiften würde, nachdem man durch die schlimmsten Jahre
der Verfolgung "nichts an der Religion" geändert hat, mochte sich eine
Veränderung auch noch so aufdrängen. Wäre zudc.m eine solche Änderung
geringfügig? Wir haben es bei uns erleben können: Die Zelebration in
der Volkssprache, der 99,9 % der Pfarrer huldigten, hatte zur Folge,
daß der sog. 'Volks'-Altar eingeführt wurde. Damit verschwand zugleich
der ominöse "Rücken zum Volk", die Kommunionbank. Daraufhin erfolgte
die Verfälschung des Meßopfers in eine Mahlfeier... und schon haben wir
den sog. 'N.O.M.'.
Der chinesische Katholik, sei er auch Priester oder sogar Bischof, hat
all die leidvollen Erfahrungen, die wir seit über 25 Jahren erlebt
haben, nicht. Wir können nur hoffen, daß Chinas Katholiken, die schwere
Verfolgungszeiten erlitten, von dieser bitteren Erfahrung verschont
bleiben.
Chinas Katholiken sind arm, vor allem die Kirchen, die Priester.
Offiziell dürfen sie aus dem Ausland keine Hilfe annehmen. Die Armut
habe ich in so manchen Kirchen und Sakristeien erlebt. Während der
Kulturrevolution wurden die hl. Gefäße zerstört, die Paramente und die
Altäre verbrannt. In den wenigen Jahren danach mußte alles wieder
aufgebaut werden. Liebevoll wurden hunderte von Meßgewändern von Frauen
neu genäht und bestickt. In den Kirchen außerhalb Pekings muß man sich
mit Kelchen billigster Machart begnügen. Nur in der Pekinger
Nanthang-Kathedrale, welche der fremden Diplomaten wegen nur kurze Zeit
geschlossen blieb, fanden sich noch schöne alte Paramente und prächtige
Meßkelche in Cloisonné-Arbeit. Die Altarmissale sind überall sehr alt
und verschlissen - es kamen durch Jahrzehnte keine Neulieferungen aus
Europa oder Amerika! Manche Pfarrgemeinde bemüht sich, sich durch den
Verkauf von landwirtschaftlichen Produkten eine Einnahmequelle zu
sichern, wie das Beispiel von Kweilin zeigt.
In aller Schlichtheit und Armut wird in China noch der integrale
Katholizismus gelebt und praktiziert, wie wir ihn seit mindestens 25
Jahren nicht mehr kennen. Manches ist für uns deswegen erfreulich,
anderes wiederum nicht bzw. unverständlich - z.B. soll es in China auch
Bischöfe und Priester geben, die verheiratet sind. Wir in Europa haben
unsere Gründe, weshalb wir dem Meßritus des hl. Pius V. treu bleiben
wollen, wir wurden informiert und instruiert durch Bücher,
Zeitschriften, Vorträge, Reden und Predigten - wir sind beinahe
theologische Experten! Der chinesische Katholik hat diese Hilfen nicht,
auch wenn er Priester oder Bischof ist. Religiöse Informationen,
theologische Bücher und Zeitschriften sind nicht nur rar, sondern
überhaupt nicht erhältlich oder zugänglich! Man muß sich vorstellen,
daß bis etwa 1977/78 China während knapp 30 Jahren von der übrigen Welt
hermetisch abgeschlossen war. Kaum ein Ausländer konnte China besuchen,
es sei denn, er war ein von der Regierung akkreditierter Journalist
Oder Geschäftsmann. Darum war es mir völlig verständlich, daß ich in
Lingling-Yungchow von den dortigen Einwohnern beglotz wurde wie ein
Mensch von einem anderen Planeten, da ‚iese Stadt für "Ausländer mit
langen Nasen"nicht zugänglich ist.
Heute ***) ist die Situation total anders. China lockt Ausländer
förmlich an! Nehmen wir an, ich käme zu den Stadtbehörden von Chengtu
und ersuchte sie, mir ein Grundstück zur Verfügung zu stellen, damit
ich darauf eine Fabrik errichten könnte, in der Anzüge für europäische
Mannsbilder hergestellt würden, wodurch zweihundert Chinesinnen oder
Chinesen beschäftigt würden: Die Honoratioren der Stadt würden mich in
Dankbarkeit stundenlang liebevoll umarmen, so glücklich wären sie. Man
kommt heute problemlos mit den Chinesen in Kontakt, auch wenn man nicht
gleich anfangen muß, am ersten Tag über Politik oder Religion zu
sprechen. Und gerade über diese Fragen herrscht ein Informationsmanko,
welches sich nicht in einigen Stunden aufholen läßt. Zudem gibt es
gerade im religiösen Bereich Dinge, welche uns nebensächlich
erscheinen, dem Chinesen aber enorm wichtig sind, und umgekehrt. Die
bei verschiedenen Priestern und Bischöfen mancherorts gelockerte
Zölibatspraxis ist ein beredtes Beispiel dafür!
Der chinesische Katholik lebt und praktiziert seinen Glauben wie wir
ihn lebten und praktizierten vor 30 oder 40 Jahren. Aber nicht, weil er
sich dafür klar entscheiden konnte, indem er die modernistischen
nachkonziliaren Auswüchse erkannte und folgerichtig ablehnte: Nein, er
hat nie etwas anderes kennen lernen können. Das war völlig
ausgeschlossen! Und für das eine, was er gekannt hat, hat er gelitten,
und seine Angehörigen haben dafür ihr Blut vergossen und mit dem Leben
bezahlt!
Freilich, in dieser Unvoreingenommenheit und Unwissenheit liegt eine
latente Gefahr und gefährlicher Zündstoff! Sollte es einmal soweit
kommen, daß der Nuntius von Taipeh doch nach Rom zurückgepfiffen würde,
um der Pekinger Regierung die Zustimmung für eine Zusammenarbeit
zwischen der patriotischen Kirche Chinas und Roms abzuringen, damit die
Bischöfe Chinas von ihren Exkommunikationen 'entlastet' werden
könnten... dann würde sich auch die Konzelebration in St. Peter zu Rom
als Menetekel erfüllen. Die armen betrogenen chinesischen Bischöfe
würden umfallen wie die Puppen, und man könnte es ihnen nicht einmal
verübeln.
Gebe der allmächtige Gott, daß verhütet werde, daß die katholische
Kirche in China durch die 'katholische' Reform-'Kirche' zerstört werde,
was dem atheistischen und kommunistischen Staat in einer
jahrzehntelangen und in einer der blutigsten Verfolgung nicht gelungen
ist!
EIN NACHWORT
Den Bericht über meine China-Reise im Frühjahr 1988 habe ich Anfang
April 1989 fertiggestellt. Kurz danach drangen die ersten Berichte von
Studentendemonstrationen auf dem Tiananmen-Platz in Peking zu uns. In
einem gewissen Sinne hat sich damit das bestätigt, was ich in meinem
Bericht mehrfach habe anklingen lassen: der Chinese wird sich sukzessiv
vom Kommunismus distanzieren - viele Anzeichen dafür sind schon
vorhanden. Anfänglich schien es auch, daß mit dem Studentenaufstand
eine wichtige Etappe im Freiheitskampf erreicht werden könnte - in der
Zeit, als noch der sowjetische Staats- und Parteichef Michael
Gorbatchow auf Staatsbesuch in Peking weilte. Der 21-jährige
Studentenführer Wui Kai Xi konnte sogar mit Ministerpräsident Li Ping
diskutieren - allerdings soll er seinen Unwillen erregt haben.
Für die Weltöffentlichkeit war deshalb das am 4. Juni 1989 inszenierte
Massaker völlig unbegreiflich und unerwartet. Innerhalb weniger Stunden
sah man sich wiederum in die schlimmsten Zeiten der Kulturrevolution
zurückversetzt. Die Art und Weise des Vorgehens läßt sich
beispielsweise mit der Niederschlagung des Ungarnaufstandes vom 4.
November 1956 durch die Armee der Sowjetunion nicht vergleichen. Damals
wußte man, daß die Westmächte Ungarn keine Hilfe gewähren würden, und
vor allem, daß Janos Kadar die Sowjetunion um 'brüderliche
Hilfestellung' gebeten hatte. Die Niederschlagung konnte man sich also
nur gewaltsam vorstellen. Es waren auch nicht ungarische Soldaten in
erster Linie, welche gegen ihre eigenen Volksgenossen mit Waffengewalt
vorgegangen sind. Damals war man noch allzusehr dem Andenken von
Väterchen Stalin verpflichtet, was heute nach allgemeinem Empfinden als
längst überwunden betrachtet wird. Irrtümer können sich manchmal zäh am
Leben erhalten... durch Jahrzehnte hindurch, wie die chinesischen
Massaker unübersehbar beweisen!
Enorm schrecklich war auch das, was sich nach der brutalen
Niederschlagung des Pekinger Aufstandes abspielte, bei dem auch Frauen
und Kinder meuchlings niedergeschossen und von Panzern überrollt
wurden. Ganz im Stil von Orwells "1984"-Vision wurde eine beispiellose
Hexenjagd inszeniert: Dutzende von Studenten-Führer wurden als
"Unpersonen" abqualifiziert und steckbrieflich gesucht. Mit Hilfe von
Video-Aufnahmen verfügte die Polizei über Photos, welche im ganzen
Lande verbreitet wurden, wobei die Bevölkerung unter massiven Drohungen
angehalten wurde, die gesuchten Personen zu denunzieren.
Als Heldin des Volkes wurde jenes Mädchen hochgejubelt, welches es
angeblich fertig gebracht haben soll, den eigenen Bruder zu
denunzieren, um ihn seinen Henkern auszuliefern. Ich persönlich kann
diese Geschichte nicht recht glauben und halte sie für eine gut
zusammengebastelte Propaganda-Zwecklüge! So wurde auch ein Video-Film
'gedreht', welche die am meisten gesuchten Studentenführer bei einem
opulenten Schmaus in einem der besten Hotels von Peking zeigte. Via
Fernsehen gelangte der Streifen in alle chinesischen Wohnungen! Worüber
der Video-Film schweigt, ist die Herkunft des nötigen Kleingeldes,
womit die Studentenführer sich die Schlemmerei im Hotel hätten leisten
können, in dem ja nur mit Foreign-exchange-Cards als Zahlungsmittel
etwas erstanden werden kann, indes die chinesische Bevölkerung nur über
"Reminbi" verfügt.
Nach schnellen Schauprozessen wurden bis jetzt in Shanghai und Peking
bereits zehn Studenten durch Genickschuß öffentlich hingerichtet! Und
trotzdem, der nicht-kommunistische Westen bleibt nach wie vor
interessiert an wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit Rot-China und will
von Sanktionen nichts wissen!
Vor ein paar Tagen kam die überraschende Meldung, daß der
Studentenführer, der von den chinesischen Häschern am meisten gesucht
wird und von dem die besten Photos und Video-Filme existieren, da er ja
mit Ministerpräsident Li Peng öffentlich diskutierte und auf dem
Tiananmen-Platz mit dem Megaphon die Anweisungen für die Organisation
der Studenten gab - mit zwölf Kommilitonen nach Hongkong fliehen
konnte. "Ich glaube, daß unser Leben uns selbst nicht mehr gehört.
Unser Leben gehört denen, die für Freiheit und Demokratie gestorben
sind." Das waren die Worte des 21-jährigen Wui Kai Xi. Wenn man sich
die ungeheure Weite Chinas vorstellt - die Entfernung Peking - Kanton
beträgt 2.500 km, d.s. 36 Bahnstunden, von Kanton nach Hongkong
nochmals 3 Bahnstunden; dazu das minutiöse Überwachungssystem und die
eiligst aufgenommene Suchaktion der staatlichen Polizeibehörden - mutet
diese Flucht wie ein Wunder an. Wie dieser Student mit seinen zwölf
Kommilitonen flüchten konnte, weiß man nicht, und vermutlich wird er
dieses Wissen einmal mit ins Grab nehmen. Zur Zeit befindet er sich in
Gewahrsam einer US-Botschaft. Er rechnet damit, daß auch die jetzige
Pekinger Führung sich langfristig nicht an der Macht halten kann, weil
sie ein Feind des Volkes sei.
Es stellt sich nach all den schrecklichen Ereignissen von Peking und
anderen chinesischen Städten die Frage, wie es der katholischen Kirche
wohl ergeht und ob sie neuen Verfolgungen ausgesetzt sein wird. Noch in
den Wochen vor dem Studentenaufstand kamen ab und zu Meldungen durch
die Presse, daß "Untergrundkatholiken", d.h. Katholiken, welche nicht
der patriotischen Vereinigung angeschlossen sind, sondern nach wie vor
zu (dem in ihren Augen noch immer: ewigen) Rom stehen, verhaftet wurden
oder sonstigen Repressalien ausgesetzt sind. - Mit Sicherheit kann man
annehmen, daß die für dieses Jahr geplante Reise des Bischofs von
Shanghai, Mgr. Alois Jin Luxian, die ihn in die Schweiz zu
verschiedenen Vorträgen und Veranstaltungen führen soll, ins Wasser
fallen wird. Er wird kaum eine Ausreisegenehmigung erfahren. Im übrigen
stellt sich nun die Frage, inwieweit hat die katholische patriotische
Vereinigung mit der Studentenbewegung sympathisiert, inwieweit wurden
derartige eventuelle Kontakte für die Regierung ruchbar? Sicher ist,
daß die Machthaber sich eiligst bemühen werden, nach der
Niederschlagung der Bewegung möglichst schnell wieder zur Normalität
des Alltags zurückzukehren. Werden bei der Kirche Urheber gesehen oder
bloß Mitläufer? Das ist die entscheidende Frage! Ich glaube kaum, daß
die Machthaber die Kirche a priori davon ausschließen werden, mit der
Studentenbewegung eventuell kooperiert zu haben, nachdem nun an den
unmöglichsten Orten nach Sündenböcken gesucht wird. Die Kirche galt ja
im kommunistischen Staat seit jeher als potentieller Gegner des
Systems, mochte sie sich auch noch so loyal zum Staate wie nur möglich
verhalten. Für China können wir im Moment nur hoffen und bangen, daß
nicht wieder eine erneute Verfolgungswelle losbricht, nachdem die
chinesischen Katholiken seit 1976 unter schwierigsten Bedingungen und
drückender Armut beachtliche Aufbauarbeit geleistet haben.
Für mich steht eines fest: eine Reise, wie sie mir im April 1988
möglich war in China, wird sobald nicht mehr durchzuführen sein. Und
wäre nach langer Zeit dazu wieder einmal Gelegenheit gegeben, es würde
kaum wieder das gleich sein.
Kpl. Dr. Felix Jeker
Anmerkungen:
*) Anm.d.Red.: Man darf davon ausgehen, daß diese Gläubigen im Irrtum
sind hinsichtlich der sich in Rom verändert habenden Verhältnisse und
daß sie in Johannes Paul II. den Nachfolger Petri und nicht den
Okkupanten auf dem päpstlichen Stuhl sehen.
**) Anm.d.Red.: Vgl. dazu den "Nachtrag".
***) Im Frühjahr 1988.
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