KATHOLISCH, ABER UNABHÄNGIG VON ROM
- BERICHT EINER REISE NACH CHINA -
von
H. H. Dr. Felix Jeker
Vorwort:
Seit Jahren versuchen wir, authentische Nachrichten über die
religiös-kirchliche Lage in der Volksrepublik China zu erhalten, weckte
doch das Bekanntwerden, daß dort nach der Kulturrevolution das
religiöse Leben wieder zu keimen begann und in der Liturgie "alles wie
früher sei", naturgemäß unser Interesse. Um so dankbarer sind wir H.H.
Dr. Felix Jeker für den ausführlichen Bericht seiner Reise nach China,
zu der sich ihm im Frühjahr 1988 Gelegenheit bot. Er verfolgte damit
zwei Zeile: einmal wollte er wie wir die Situation der Kirche dort
kennen lernen und zum anderen nach Spuren des Wirkens von Bischof
Blasius Kurz OFM (+ 1973) suchen, der in China Apostolischer Präfekt
gewesen war und der ihn nach seiner Vertreibung später zum Priester
geweiht hatte. Die Massaker von Peking bedeuten sicherlich auch eine
Zäsur für das wiederererstandene religiöse Leben.
E.Heller
***
EINLEITUNG
Es war um die Mitte der 7oer Jahre, am Ende der chinesischen
Kulturrevolution: Mao war ein frisch einbalsamierter Leichnam, und der
sog. "Viererbande" zusammen mit Maos Witwe wurde das Handwerk gelegt.
Da traf ich eines Abends mit einem jungen Diplomaten aus Wien zusammen,
der mir folgende merkwürdige Geschichte erzählte: Aus einem bestimmten
Anlaß hatten sich in Peking zahlreiche ausländische Gäste und
Diplomaten eingefunden, darunter auch der Wiener Erzbischof, Kard.
Franz König. China und seine Führung begannen sich gerade zu bemühen,
ein besseres Image zu erwerben oder dieses aufzupolieren, insbesondere
auch hinsichtlich der Freiheit, die man künftig auch der Ausübung
religiöser Bekenntnisse zugestehen wollte. Es sollte demonstriert
werden, daß u.a. die katholische Kirche nicht mehr verfolgt würde und
daß sie genau so präsent sein dürfe in der Öffentlichkeit wie
beispielsweise der Konfuzianismus. Deshalb wurde - es war gerade der
15. August, der Festtag Maria Himmelfahrt - in der Pekinger
Mariä-Himmelfahrtskathedrale für die zahlreichen ausländischen Gäste
ein Pontifikalamt gefeiert. Vorgängig hatte sich Kard. König darum
bemüht, mitzelebrieren zu dürfen. Dies wurde ihm aber, wie zu erwarten
war, abgeschlagen. König wohnte dem Gottesdienst bei, der von Anfang
bis Ende in lateinischer Sprache nach dem unter idem hi. Pius V.
kodifizierten Ritus zelebriert wurde. König soll dabei grollend die
Bemerkung fallen gelassen haben: "Hier hätte Erzbischof Lefebvre seine
helle Freude daran!"
In den folgenden Jahren hat man immer häufiger in Zeitungen und
Zeitschriften lesen können, daß sowohl ein religiöses Leben in China
wieder möglich sei als auch, daß die Gottesdienste noch so gefeiert
würden wie zu den Zeiten von Papst Pius XII. Im Herbst 1985 erschien in
der Zeitschrift CHRIST IN DER GEGENWART sogar ein Aufruf, der sich
vermutlich vor allem an die Leser aus dem Klerus richtete, daß man die
alten lateinischen Altarmissale, welche man ja ohnehin in den hiesigen
Kirchen nicht mehr gebrauchen könne, der Kirche in China zur Verfügung
stellen solle. Dort hätten die liturgischen Neuerungen des II.
Vatikanums noch keinen Eingang gefunden oder noch nicht finden können.
Zudem sei die Kirche dort arm, und da die Gottesdienste noch in der
herkömmlichen Form gefeiert würden, könnte man mit diesen alten Missale
den Glaubensbrüdern im fernen Asien einen trefflichen Dienst erweisen.
In den letzten Jahren hat kaum eine Zeitung oder Zeitschrift, sei sie
katholisch, reform-katholisch oder religiös neutral, es unterlassen, in
dem einen oder anderen Artikel oder in Reportagen über das Phänomen der
"Katholischen Kirche in China" zu berichten. Für Publizität hatte in
den letzten Jahren auch der damalige Weihbischof von Shanghai, Alois
Jin Luxian S.J. (* 1916) gesorgt, der einst in Rom studiert hatte und
nun mehrere Vortragsreisen durch Europa unternahm. Jin Luxian war dann
1985 ohne Zustimmung Roms zum Weihbischof von Shanghai erwählt und
geweiht worden. Im Februar 1988 wurde er Erzbischof dieser Stadt. Im
Ausland gilt er gleichsam als Galionsfigur des chinesischen
Katholizismus.
All diese Ereignisse und Nachrichten weckten mein brennendes Interesse,
dieses ungeheure Land und dessen katholische Kirche einmal slbst mit
eigenen Augen zu sehen und zu erleben. Im April 1988 war es dann
soweit. Bevor man jedoch eine solche Reise antritt, befaßt man sich mit
Land und Leuten, mit den klimatischen und sozialen Gegebenheiten. In
meinem Fall befaßte ich mich mit der Geschichte des Reiches der Mitte
sowie mit der Kirchen- und Missionsgeschichte, welche auf unserem
Erdball kaum ein Vergleichsbeispiel findet. Ich glaube, es ist auch
nützlich, wenn ich in meinem Bericht nun vorgängig auf diese Frage
etwas eingehe.
KURZER BLICK AUF CHINAS GESCHICHTE UND AUF DIE MISSIONSTÄTIGKEIT DER KATH. KIRCHE
Bei den Chinesen haben wir es mit einem der ältesten Kulturvölkern der
Erde zu tun. Bereits im 3. Jahrtausend v.Chr. besaßen sie eine voll
ausgebildete Wortschrift. Um 2200 v.Chr. lebte der erste Kaiser
Chin-Shih-Huangti. Er wurde in unserer Zeit bekannt durch die
Auffindung seines Grabes in Xian, welches mit zahlreichen
Terrakottafiguren als Wachmannschaft umgeben war. Diese Grabanlage ist
heute eine Touristenattraktion ersten Ranges. Schon in dieser Frühzeit
hatten die Chinesen Ackerbau, Seidenzucht, Metallgeld und Porzellan.
Das Staatswesen war theokratisch organisiert. Gegen feindliche Angriffe
aus dem Norden wurden Erdwälle errichtet: die Vorläufer der berühmten
Chinffiischen Mauer, deren oberer Abschluß zugleich als Heerstraße
diente. (Dieses Bauwerk allein soll vom Mond aus mit bloßem Auge
sichtbar sein.) Um 6oo v.Chr. wurden in China als Religionen der
Taoismus und der Konfuzianismus praktiziert. Später faßte auch der
Buddhismus in China Fuß. Der Ahnenkult hatte und hat in der
jahrtausendalten Geschichte eine enorme Bedeutung. Auch der Kommunismus
in unseren Tagen vermochte es nicht, ihn auszurotten.
Im 7. Jahrhundert brachten syrische Mönche das Christentum in der
häretischen Abweichung des Nestorianismus nach China. Nach einer kurzen
Blüte starb aber dieses Christentum - aufgerieben durch Verfolgung -
wieder aus, noch vor der Jahrtausendwende. Im Mittelalter kamen
Franziskaner als Missionare nach China, welche durch Papst Innozenz IV.
ausgesandt worden waren. Zur Zeit von Dschingis-Khan wurde durch
Johannes von Montecorvino die Meßliturgie, das Neue Testament und der
Psalter ins Mongolische übersetzt. 13o7 wurde dieser Missionar erster
Erzbischof von Peking. Nach einer kurzen Blütezeit verschwand auch
diese kirchliche Organisation wieder - ebenfalls durch kriegerische
Wirren und Feindschaft der Mohammedaner aufgerieben. Die
nationalistische Politik der Ming-Kaiser verhinderte die Einreise
weiterer Missionare, zumindest vorerst.
1583 traf dann der berühmte Jesuitenpater Matteo Ricci in China ein.
Seine Gelehrsamkeit imponierte sogar dem Kaiser. Ricci und seine
Mitbrüder hatten enorme Erfolge in der Missionsarbeit. Aber mit dem
Namen Ricci ist auch der berühmte Ritenstreit verbunden. Ricci und
seine Mitbrüder hatten nämlich die Meßliturgie nach chinesischem
Geschmack umgestaltet, ebenso die übrigen Riten der
Sakramentenspendung. Päpstliche Legaten meldeten ihre Wahrnehmungen
nach Rom. Es kam zum Streit und zur Verurteilung dieser chinesischen
Riten durch Papst Clemens IV. im Jahre 17o4. Leider wurde in der Folge
1724 das Christentum in China staatlicherseits verboten - eine Folge
des Ritenstreites: der chinesische Staat wollte keine fremden Riten und
Gebräuche dulden. Trotzdem verbot Papst Benedikt XIV. 1742 endgültig
die chinesischen Riten. Die Verfolgung der Missionare in China nahm
stetig zu, ebenso der Christen, bis 1814 der illegale Aufenthalt von
Missionaren in China mit der Todesstrafe geahndet wurde. Die Verfolgung
dauerte bis 1842. Daraufhin erreichten zuerst die Engländer, gefolgt
von den Franzosen, durch Verträge eine neue und günstigere Ausgangslage
für die christliche Mission. 1858 endlich wurde die freie
Religionsausübung gestattet sowie die Einreise christlicher Missionare
aus Europa. Ein erbitterter Fremdenhaß von Seiten chinesischer
Extremisten verursachte 1870 das Blutbad von Tiensin und den
Boxeraufstand im Jahre 1900 - tausende von Christen und dutzende von
Missionaren, katholische wie protestantische, fielen zum Opfer.
Trotzdem ging die Missionsarbeit stetig weiter. Vom 16. bis 19.
Jahrhundert war die Kirchenprovinz China dem Erzbischof von Macao
(später Goa), welches unter portugiesischer Herrschaft stand,
unterstellt. Im 19. Jahrhundert wurden sukzessive Apostolische
Vikariate und Präfekturen errichtet.
1911 wurde in China die Monarchie abgeschafft. Nach dem Tode von Dr.
Sun Yatsen änderte sein Mitarbeiter auf dem politischen Parkett,
Tschiang-Kai-Scheck, seine aggressive Haltung und leitete mit seiner
Kuomingtang-Bewegung eine Periode für eine nationale Versöhnung ein.
Für die christliche Mission war diese Zeit besonders günstig, auch wenn
sie oft kritisiert wurde. So wurden christliche Missionare als
Störenfriede dargestellt (so im Buch von Tang Leang-li: "China im
Aufruhr" Leipzig 1927) oder als über China herfallende Verbreiter
wesensfremder Religionen und Kulturen (so der Engländer Sir Reginald
Fleming Johnston, der in den 2oer Jahren Erzieher des letzten Kaisers
Pu-Yi war). Am 28. Oktober 1926, am Christkönigsfest, konsekrierte
Papst Pius XI. die ersten 6 chinesischen Bischöfe. Zahlreiche
Apostolische Vikariate und Präfekturen entstanden in den 2oer Jahren.
Nach dem Einfall Japans auf Befehl Kaiser Hirohitos in die Mandschurei
und der Errichtung des Kaiserreiches Mandschugo 1935 (wobei die Japaner
den letzten chinesischen Kaiser Pu-Yi als Marionette einsetzten), wurde
die Missionsarbeit sehr erschwert. Die Mandschurei war im besonderen
den Bethlehem-Missionaren von Immensee anvertraut. Mehrere von ihnen
wurden ermordet. Als dieses Gebiet 1945 vom japanischen Joch
befreit.wurde, richtete sich eine Art von Volkswut gegen die
christlichen Missionare, als wenn mit der feindlichen Besatzungsmacht
gemeinsame Sache gemacht hätten. (Vgl. dazu auch P. Ambros Rust SMB:
"Die rote Nacht" Luzern 1956.) Am 29. Oktober 1939 weihte Papst Pius
XII. in St. Peter von Rom elf Missionsbischöfe, darunter die ersten
beiden Neger, Bischof Blasius Sigibald Kurz OFM - der später H.H. Dr.
Jeker und S.E. Mgr. Storck zu Priestern weihen sollte; Anm.d.Red. - und
Bischof Thomas Tien-Chen-Sin (Peking).
DIE ENTWICKLUNG NACH DEM II. WELTKRIEG
Die darauffolgenden 40 Jahre sollten die katholische Kirche in China
vor Situationen stellen, für die man auf der ganzen Welt keine
Parallele findet! 21. Februar 1946: Erstes feierliches Konsistorium,
bei dem Papst Pius XII. eine Reihe neuer Kardinale kreiert; darunter
befinden sich einige geschichtsträchtige Namen: von Galen, von
Preysing, Frings, Mindszenty... und Tien Chen-Sin. 11. April 1946: Pius
XII. errichtet in China wieder die Hierarchie. 105 Apostolische
Vikariate werden in 20 Erzbistümer und 85 Bistümer umgewandelt. In den
kommenden Jahren werden immer mehr einheimische Priester zu Bischöfen
ernannt. Die seit 1934 bestehende Apostolische Delegatur wird
umgewandelt in eine Internuntiatur, die von Erzbischof Antonio Riberi
geleitet wird. China hatte bereits seit 1943 eine diplomatische
Vertretung beim Vatikan.
Im jahrelang schwelenden chinesischen Bürgerkrieg trugen die
Kommunisten schließlich den Sieg davon. Am 1. Oktober 1949 rief Mao
Tse-Tung auf dem Tijananmerrplatz in Peking die Volksrepublik China
aus. Der Startschuß für eine groß inszenierte Verfolgung der Kirche
wurde gegeben. Die Missionare begannen bald zu spüren, wie die Schraube
sukzessiv angezogen wurde, besonders, nachdem am 23. Juli 195o ein
Dekret über die Unterdrückung konterrevolutionärer Tätigkeiten erlassen
worden war. Tausende von Priestern und Bischöfen wie auch zahlreiche
Nonnen wurden verhaftet und in Gefängnisse gesteckt. Sehr oft wurden
sie auch gefoltert. Ausländische Missionare wurden dann in der Regel
nach einiger Zeit über die Grenze abgeschoben. 1953 wurden die letzten
ausländischen Missionare aus China ausgewiesen. Einzig Bischof James
Walsh wurde erst nach 20 Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Wie viele
Missionare umgebracht wurden, weiß Gott allein. Das Programm des neuen
Chinas für die religiösen Bekenntnisse, also auch für die katholische
Kirche basierte fortan auf dem Prinzip der "Drei Selbst":
Selbst-Erhaltung (finanziell und materiell auf eigenen Füßen stehen;
keine ausländische Hilfe ist gestattet), Selbst-Verkündigung (das
Evangelium darf nur von einheimischen Klerikern verkündet werden) und
Selbst-Verwaltung (die Kirche in China regiert sich selbst, unabhängig
vom ausländischen Rom).*)
Werfen wir einmal einen kurzen Blick auf die kirchlichen Sprengel in
China um 1950: Es gab 20 Erzbistümer, 85 Diözesen und 29 apostolische
Präfekturen. Hinzu kam noch eine apostolische Administratur in Hrabin
(Mandschurei) und ein Exarchat für die unierten Gläubigen des
byzantinischen Ritus. Schauen wir auch auf die Herkunft der Bischöfe,
welche damals einen (oder mehrere) Sprengel in China regierten: die
Chinesen stellten bereits 36 Bischöfe, die Italiener 17, die Franzosen
16, die Deutschen 10, die Spanier 9, Amerikaner 8, Kanadier und
Holländer je 4, Belgier 3, Irländer 2, Österreich und Polen je einen.
Bei den apostolischen Präfekten (die normalerweise nicht Bischöfe sind)
finden wir 7 Deutsche, je 4 Italiener und Franzosen, je 3 Amerikaner
und Holländer, 2 Spanier, je ein Chinese, Kanadier, Belgier, Ungare,
Irländer und Schweizer. Bei den Bischöfen fällt auf, daß von Rom noch
drei im Jahre 1951 ernannt wurden, und einer sogar noch 1955. Bei
diesen - alle Chinesen - steht nicht fest, ob sie noch die
Bischofsweihe erhalten konnten. Wie in kommunistischen Diktaturen
üblich, wurde die Kirche einesteils verfolgt ( 1955 waren mindestens
loo chinesische Priester, 50 Theologiestudenten, 20 Ordensschwestern,
lo Brüder und etwa 4ooo Gläubige in Gefängnissen), anderenteils wurde
sie aber auch gebraucht oder vielmehr: mißbraucht als angebliche
Mitkämpferin gegen den Imperialismus. So war es auch ein Bestreben der
kommunistischen Regierung Chinas von Anfang an, alle Katholiken und
sonstigen religiösen Gruppen zur Unterstützung der Partei und des neuen
Chinas zu bewegen. Ein guter Katholik sei auch ein guter Patriot, hieß
es. Wer dies ablehnen sollte, würde ins Gefängnis wandern!
Auf staatlichen Druck hin wurden die Gläubigen, Priester und Bischöfe,
welche sich der Kritik und Opposition gegenüber dem kommunistischen
Staat bis dahin enthalten hatten und deswegen (noch) auf freiem Fuß
lebten und tätig waren, angehalten, mit dem Heiligen Stuhl höchstens
noch eine geistliche Verbindung zu pflegen, aber keinesfalls eine
politische oder finanzielle. Die erste Verfassung von 1954 garantierte
in Art. 88 jedem Bürger auch die "Freiheit des religiösen Glaubens".
Am 9. April 1951 erließ Papst Pius XII. durch ein Dekret des Hl.
Offiziums eine Entscheidung, die für die weitere Zukunft sehr
folgenschwer gewesen sein dürfte: Wenn bis dahin z.B. ein Bischof einen
Priester zum Bischof ohne päpstliches Mandat konsekrierte, wurden der
Konsekrator und der Konsekrierte suspendiert. Von nun ab sollte dieses
Delikt mit der Exkommunikation belegt werden, die nur vom Papst
aufgehoben werden könne. Allgemein nimmt man an, daß Rom diese
Verfügung im Hinblick auf die Entwicklung der Kirche in China allein
traf. Es scheint jedoch verwunderlich, daß Rom so frühzeitig die
Verhältnisse in China durchschaute und zu einer solchen Erkenntnis zu
einem solchen Zeitpunkt gelangt sein sollte! Ich bin vielmehr der
Ansicht, daß der Anlaß Roms zu diesem Schritt nicht in erster Linie und
ausschließlich die sich abzeichnende Entwicklung in China war. Bereits
vorher waren diverse osteuropäische Staaten nach dem II. Weltkrieg dem
Kommunismus anheim gefallen: Polen 1945, Ungarn 1946, Rumänien und die
Tschechoslowakei 1948, Jugoslawien 1945. In diesen Staaten trachtete
die jeweilige Regierung danach - um die Kontrolle über die Kirche in
den Griff zu bekommen - Priester zu gewinnen, welche sich von Rom
distanzierten, aber loyal zur kommunistischen Regierung und zum
atheistischen Staat standen.**) Diese Priester nannte man in der
Folgezeit "Friedenspriester". Für all diese osteuropäischen Staaten
bestand also die latente Gefahr, daß sich - auf staatlichen Druck hin -
eine rom-freie, schismatische Kirche bilden könnte, deren vorrangigstes
Ziel darin bestehen sollte, durch diverse Machenschaften alles, was mit
Religion zu tun hatte, auszurotten, d.h. die Kirche sollte sich im
Verlaufe von ein paar Jahren selbst liquidieren. Sicher wußte man in
Rom, daß in China ebenfalls Bestrebungen bestanden, eine solche
patriotische Vereinigung zu bilden, also eine pseudo-kirchliche
Organisation, welche sich loyal zum Staat, aber auf Distanz zu Rom
verhalten sollte. Nachdem aber selbst heute immer noch nicht klar ist,
ob man die osteuropäische Institution der sog. "Friedenspriester" mit
der chinesischen patriotischen Vereinigung vergleichen kann und darf,
kann man es dem Rom der frühen 5oer Jahre kaum verdenken, daß es für
China die gleichen Entwicklungen befürchtete, die in Osteuropa bereits
realisiert worden waren.
Ein weiterer Anlaß zu diesem einschneidenden Dekret des Hl. Offiziums
könnte die dem Vatikan nicht unbekannt gebliebene Tatsache sein, daß
noch in den 40er Jahren in Südamerika (Brasilien und Argentinien) zwei
Fälle ruchbar wurden, wo (abgefallene ?) katholische Bischöfe
religiösen Abenteurern die Priester- und die Bischofsweihe erteilt und
so die Grundlage für schismatische Kirchen gelegt hatten (in
apostolischer Sukzession). Trotzdem muß man heute, 4o Jahre nach Erlaß
dieses Dekretes feststellen, daß auch ein heiligmäßiger Papst wie Pius
XII. nicht gegen Dummheiten und Fehler gefeit war, und daß sich die
verschärfte Strafandrohung im großen und ganzen gegen die Kirche selbst
richtete, also ein Eigentor wurde!
DIE CHINESISCHE KATHOLISCHE PATRIOTISCHE VEREINIGUNG
Sie wurde offiziell durch eine Delegiertenkonferenz chinesischer
Katholiken aus der Taufe gehoben, die sich aus insgesamt 241
Teilnehmern zusammensetzte, darunter 11 Bischöfe und 72 Priester.
Dieser Konferenz im Sommer 1957 gingen mehrere Konferenzen voraus,
welche seit Anfang 1956 ungefähr alle sechs Monate in Peking abgehalten
worden waren. Man beschloß, daß die Vereinigung die geistliche
Verbindung mit dem Vatikan beibehalten, jedoch keine finanzielle oder
politische Beziehung zu ihm pflegen solle. Die Teilnehmer wollten eine
Abordnung zur Berichterstattung über die neue Situation der Kirche in
China nach Rom schicken, was aber staatlicherseits nicht genehmigt
wurde.
Mit einem Urteil, inwieweit die patriotische Vereinigung in China ein
Werkzeug des Staates war und ist, sollte man vorsichtig sein, da man
nicht weiß, unter welchem staatlichen Druck die Vereinigung zustande
kommen mußte. In Rom war man über die Vorgänge in China noch weitgehend
im Bilde. Am 28. Juni 1951 wurde Internuntius Antonio Riberi verhaftet
und am 4. September des gleichen Jahres ausgewiesen. Zweifelsohne
erstattete er dem Papst unverzüglich Bericht. Trotzdem vergingen noch
einmal drei Jahre, bis am 7. Oktober 1954 Pius XII. eine Enzyklika an
die Katholiken Chinas richtete: "Ad Sinarium gentes", worin dargelegt
wird, daß das Prinzip der "Drei Selbst" für einen Katholiken nicht
akzeptabel sei. Nach dem "Annuario Pontificio" von 196o wurde für die
Diözese Yütze (Yuci) am 2o. September 1955 durch den Vatikan zum
letzten Mal ein Bischof in der Person des Franziskaner Antonius
Yang-Kuang ernannt. Das Annuario gibt jedoch kein Datum der
Konsekration an, sondern vermerkt nur: "in carcere per la fede" ("im
Gefängnis für den Glauben"). Vorher waren noch ein paar wenige Bischöfe
in den Jahren 1951 und 1952 ernannt worden. Aber die Tatsache, daß alle
ausländischen Bischöfe ausgewiesen worden waren und viele einheimische
sich in Gefangenschaft befanden, ließ der patriotischen Vereinigung
deutlich werden, daß ohne neue Bischöfe die Kirche in China bald
aussterben würde. Diese Notsituation veranlaßte die Delegierten der
patriotischen Vereinigung Anfang 1958," die dringend notwendige Wahl
neuer Bischöfe vorzunehmen. Die ersten zwei Namen von Gewählten, Dong
Guanquing und Yuan Wenhua, wurden telegraphisch nach Rom übermittelt,
damit der Vatikan sie bestätigen könne. Dieser sandte jedoch
telegraphisch das "non placet" nach China. Dort war man überzeugt, daß
Rom über die prekäre Situation im Reich der Mitte nicht richtig im
Bilde sei, weswegen die ablehnende Haltung als falsch beurteilt wurde.
Mit dieser Gewißheit schritt der Bischof von Shenyang, Mgr. Pi Shushi,
am 13. April 1958 in der Kathedrale von Hankou zur Weihe der ersten
Bischöfe ohne die Zustimmung Roms. Pius XII. antwortete auf diese
Weihen, die er als "Verbrechen gegen die Einheit" deklarierte und die
die Exkommunikation "specialissimo modo" - dem Apostolischen Stuhle
reserviert - nach sich zögen, mit der Enzyklika "Ad Apostolorum
Principis" vom 29. Juni 1958.
Dessen ungeachtet sah man in China keine Überlebenschancen für die
katholische Kirche, ohne daß weitere Bischöfe geweiht würden. So wurden
in den Jahren von 1958 bis 1962 insgesamt 45 neue Bischöfe konsekriert.
Die patriotische Kirche konnte in den folgenden Jahren bis zur
Kulturrevolution 1966 wirken, wenn auch scharf beobachtet und
kontrolliert durch staatliche Gremien, indes Priester, Bischöfe und.
Gläubige, welche sich loyal zu Rom verhielten und die patriotische
Kirche ablehnten,' nur im Untergrund wirken konnten und mit schwerer
Verfolgung rechnen mußten.
In den Jahren der "proletarischen Kulturrevolution" von 1966 bis 1976,
inszeniert durch Mao-Tse-Tung, wurde auch die patriotische Kirche
schwerstens verfolgt. Massenhaft wurden Bischöfe, Priester und
Ordensschwestern in Arbeitslager und Gefängnisse gesteckt. Sehr oft
wurden sie auch gefoltert oder umgebracht. Viele Geistlichewurden zur
Heirat gezwungen. Es gab Fälle, wo man einem Priester androhte, es
würden alle Gläubigen seiner Pfarrei umgebracht, wenn er sich der
Heirat widersetzen würde. Die Abhaltung von Gottesdiensten wurde
selbstverständlich im ganzen Land verboten. Sehr viele Kirchen wurden
demoliert oder zu Turnhallen, Kinos und Werkstätten umfunktioniert.
Erst 1971 wurde wieder erlaubt, daß in Peking die Nanthang-Kathedrale
wieder für Gottesdienste geöffnet wurde, und sie blieb bis 1979 die
einzige Kirche in China, die öffentlich zugänglich war. Vermutlich kam
diese Wiedereröffnung 1971 auf diplomatischen Druck hin zustande, und
fremde Diplomaten waren in dieser Zeit auch die hauptsächlichsten
Kirchenbesucher. (Vgl. dazu Lois Fisher-Ruge: "Alltag in Peking"
Fischer Taschenbuch Nr.3o61; auf S. 122 schildert er den Besuch einer
Weihnachtsmette im Jahre 1975.)
1976 starb Mao-Tse-Tung. Danach konnte die katholische patriotische
Kirche langsam mit dem Wiederaufbau beginnen, nachdem Hua-Go-Feng zu
verstehen gegeben hatte, daß China dringendere Probleme zu bewältigen
habe als die Ausrottung des religiösen Glaubens. 1979 wurde das
staatliche Büro für religiöse Angelegenheiten wieder eröffnet sowie
zahlreiche Kirchen. Oft wurden sie sogar mit staatlicher Hilfe
restauriert. 1979 wurde auch der Priester Fu Tieshan zum Bischof von
Peking geweiht, wo seit 1964 Sedisvakanz herrschte. Ausländische
Journalisten und auch Bischöfe der Reform-Kirche (Moser, Etchegaray,
König) statteten China einen Besuch ab und konnten mit den dortigen
Bischöfen diskutieren. Einige witterten bereits Morgenluft, daß bald
wieder eine Vereinigung der Kirche Chinas mit dem (modernistischen)
Vatikan angebahnt werden könnte, wobei man sich bereits ausmalte, wie
Rom die widerrechtlich geweihten Bischöfe anerkennen und sie von der
Exkommunikation 'befreien'würde. Aber ebenso bald wurde die Haltung der
chinesischen Regierung deutlich, welche eine solche Wiedervereinigung
nicht wünschte. Diese könne höchstens diskutiert werden, wenn der
Vatikan seine Nuntiatur in Taipeh auf Taiwan (Formosa) schlösse und die
diplomatischen Beziehungen abbräche. Bis heute wurde an dieser Haltung
nichts geändert. In den 8oer Jahren konnten auch mehrere
Priesterseminare wieder- oder neu eröffnet werden. Diese Seminare sind
gut besucht, was ein Hoffnungsschimmer für die Kirche in China
bedeutet, welche sehr unter dem Priestermangel zu leiden hat. 1985
wurde Jin Luxian S.J. zum Weihbischof von Shanghai geweiht. In der
Folge besuchte dieser Weihbischof mehrmals Europa und hielt Vorträge
über China. Seit dem Februar 1988 ist er Erzbischof von Shanghai.
MEINE REISE NACH CHINA
Meine Absicht bestand von Anfang an darin, die Kirche in China nicht
isoliert zu betrachten, sondern auch die Gegebenheiten, mit denen sie
sich auseinandersetzen muß und unter denen sie wirken soll. Es sind da
zu nennen: Land und Leute, kulturelle, soziale und auch klimatische
Gegebenheiten. Ich sah Zeugen einer jahrtausendalten Kultur, schöne und
pittoreske Landschaften, ein schwerfälliges Verkehrs- und
Transportwesen (besonders Flugzeuge haben große Schwierigkeiten, den
Fahrplan einzuhalten). In erster Linie beobachtete ich aber die
Menschen - zu tausenden.
Der Tag der Abreise war der 13. April 1988. Der Riesenblechvogel der
Thai-International flog von Zürich nach Kopenhagen. Nach kurzem
Aufenthalt ging der Flug weiter über das ungeheure Rußland, über
Usbekistan, Afghanistan, das Himalaya-Massiv, Indien und Burma nach'
Bangkok. Von dort erfolgte nach wenigen Stunden Aufenthalt der
Weiterflug nach Hongkong. Imposant war es zu sehen, wie nach dem
Überflug von Laos und Vietnam die Maschine zur Landung ansetzte: Man
hatte das Gefühl, der Pilot müsse eine enorme Geschicklichkeit an den
Tag legen, um ja nicht mit den Flügeln die Wolkenkratzer dieser Stadt
der Superlative zu berühren und sicher die Landepiste zwischen den
Häuserschluchten zu erreichen. Dann erlebte man die "Tuchfühlung" mit
der Masse: eine Riesenhalle voller Menschen; alle standen Schlange, und
ganz vorne dran saßen in ihren Häuschen, die wie größere Kästen
wirkten, die Zollbeamten und kontrollierten die Pässe. Gut zweieinhalb
Stunden verbrachte man in dieser monotonen Halle. Busse fuhren laufend
vom Flughafen in den Stadtteil Kowloon und entluden ihre Fahrgäste vor
den jeweils gewünschten Hotels. Mein Quartier bekam ich irgendwo im 13.
Stockwerk zugewiesen - der ganze Bau hatte 23 Etagen.
Bald fand ich auch eine Kirche, auf dem Vorplatz eine Lourdesgrotte.
Wenn auch die Kirche mit einem sog. Volksaltar bestückt war, gab man
mir bereitwilligstein lateinisches Missale Romanum. Der Pfarrer, ein
älterer freundlicher Herr chinesischen Zuschnitts, berichtete mir, daß
er schon über 35 Jahre an dieser Kirche wirke. Ich fragte ihn, weshalb
der Altar um 180 gedreht sei. Er meinte, es hätte ihm früher besser
gefallen, aber das sei nun so vom Papst und dem Bischof befohlen
worden... Auf der ganzen Welt das gleiche Lied: die frühere
Priestererziehung (zum Kadavergehorsam) erfüllte ihren Zweck.
In Hongkong sind so gut wie alle Religionen und Konfessionen vertreten,
auch eine Unzahl christlicher Sekten. Viel augenfälliger als das
religiöse Leben ist das geschäftliche Treiben. Man geht durch Straßen
und Gassen, und mehrmals wurde mir ein Textilballen um den Leib
gewickelt. Das sind alles Schneider-Ateliers auf Kundenfang. Ich sollte
mir dann jedesmal vorstellen, welchen Eindruck ich mit einem Anzug aus
dem angehaltenen Stoff machen würde!! Innerhalb von drei Stunden wäre
der Anzug auch fertig! Und immer von neuem mußte ich meine Rede halten,
daß ich im Moment keinen neuen Anzug benötigen würde. Augenfällig auch
die ungeheure Anzahl von Juwelengeschäften: die ganze Pracht des
Orients strahlt einem aus den Schaufenstern entgegen: Diamanten,
Rubine, Smaragde, Opale in Hülle und Fülle. Ich glaube, mit dieser
Unmenge von Juwelen könnten alle Menschen unseres Planeten wie
Opferstiere herausgeputzt werden.
Nach 24 Stunden war dieser Hongkong-Spuk überstanden. Die Reise ging
weiter in Richtung Peking, nun mit der chinesischen Fluggesellschaft.
Das Personal war ausgesprochen freundlich, und im Flugzeug saßen vor
allem Geschäftsleute und eine Handvoll Touristen. Nach vier Stunden sah
ich in der Tiefe ein riesiges Atomkraftwerk nahe einer Millionenstadt!
Tianjin (Tientsin) war die erste Station auf chinesischem Boden. Hier
hieß es, daß alle aussteigen müßten, um sich der Paß- und Visakontrolle
zu unterziehen. Im Gegensatz zu Hongkong ging dies reibungslos und
flink vonstatten: große Wartehalle, relativ wenige Reisende, überall
Beamte in grünen Uniformen. Plötzlich kam der Appell zum Weiterflug
nach Peking.
PEKING
Nach dem Start in Tianjin vergingen noch knapp 45 Flugminuten, dann
landete die CAAC-Maschine in Peking - einst das Ziel der Weltentdecker,
der Abenteurer und der Missionare, welche monatelange Reisen in Kauf
nehmen mußten. Aber jetzt gab es nicht einmal mehr die langweilige
Paßkontrolle, da diese bereits in Tianjin recht zügig durchgeführt
worden war. Somit blieb mir nur noch übrig, nach meinem Gepäck zu
fahnden und "landesübliches" Geld einzutauschen. Interessant ist, daß
es für ausländische Touristen eine andere Währung gibt wie für die
einheimische Bevölkerung. Der Ausländer wird nur mit Foreign exchange
cards bedient, indes die Chinesen wohl auch die Währung "Yuan" haben,
aber eben "Reminbi", welche in den Händen eines Ausländers wertlos
sind. Aber bevor ich noch zum Geldwechseln Gelegenheit hatte, kamen
zwei junge gutgekleidete Burschen auf mich zu und fragten mich, in
welches Hotel in der Stadt sie mich mit ihrem Wagen bringen dürften.
Die Fremdenführer und Taxifahrer tragen in China einen dunkelblauen
Anzug mit dunkelblau gemusterter Krawatte.
Das erste Mal in meinem Leben saß ich nun in einem Auto der Marke
"Hongki" (d.i. "rote Fahne"). Die Fahrt ging durch eine
Frühlingslandschaft. Die Bäume ließen gerade ihr erstes Grün sprießen.
Auf Nebenstraßen sah man zahlreiche Vehikel, beladen mit allem
erdenklichen Gerumpel und gezogen von Ackergäulen. Auffällig war, daß
einem, je mehr man sich der Stadt näherte, desto mehr Fahrradfahrer
begegneten. Mit dem Taxifahrer besprach ich einige Besichtigungspläne,
wie den Besuch der "Verbotenen Stadt", des "Himmelstempels", der Großen
Mauer und natürlich der katholischen Kirche. Über letztere müsse er
sich erst informieren, meinte er, er kenne sie nicht. Seine Religion
bestehe in erster Linie aus Essen und Trinken sowie aus der
Ahnenverehrung... So besorgte ich mir - angekommen im "Dong-Fang-Hotel"
- einen Stadtplan. Anhand der mitgebrachten Reiseführer fand ich dann
schnell heraus, daß die Nanthang-(oder Süd-)Kathedrale gar nicht so
weit vom Hotel entfernt lag.
Doch zunächst ging es erst einmal auf den Abend zu. Das Essen brachte
die erste Konfrontation mit chinesischen Eßgewohnheiten. Sie betraf
sowohl das Menue als auch die bockbeinigen Stäbchen als Besteck. Für
eine Großstadt wares fast unvorstellbar, wie ruhig es nach 21 Uhr
wurde. Auf den Straßen traf man kaum mehr eine Menschenseele an,
geschweige denn, daß es so etwas wie ein Nachtleben gab. Solche
westlichen Dekadenzerscheinungen sind in China fremd. Überhaupt geht es
in sittlicher und moralischer Beziehung sehr seriös zu: Pornographie
ist verboten, auf Prostitution steht sogar die Todesstrafe, Kinos
zeigen keine aufreizenden Filme; sie behandeln meist geschichtliche
oder politische Themen. Die Leute sind einfach und anständig gekleidet.
Fast alle Frauen tragen lange schwarze Hosen, selten sah ich eine
'verwegene' Dame mit Rock. Hosen seien entschieden praktischer zum
Fahrradfahren, erklärte mir der Taxifahrer. Hingegen sah ich
allenthalben riesige Plakate, welche für die Ein-Kind-Familie warben.
Anderntags ließ ich mich zur Süd-Kathedrale bringen, die an der
Xianwumen-Avenue liegt: ein riesiger Neu-Barockbau mit Kuppel. Das
dreischiffige Innere dürfte ca. 80 m lang sein. Hauptaltar und zwei
Seitenaltäre waren mit Altarbildern geschmückt, künstlerisch
bedeutungslos. Dennoch fühlte man sofort, daß man sich in einer
katholischen Kirche befand, wie man sie in unseren Gegenden kaum mehr
antrifft: kein sog. 'Volksaltar', dafür aber noch die Kommunionbank.
Ich wollte jemanden aufsuchen, der für diese Kirche zuständig war und
dar mir die Erlaubnis zur Zelebration erteilen sollte. So kam ich in
das Pfarrhaus, vorerst jedoch nur in das Empfangszimmer, welches einen
recht gemütlichen Eindruck auf mich machte. Zweifelsohne waren hier die
Räumlichkeiten noch durch westliche Missionare eingerichtet worden,
also vor Jahrzehnten: Plüsch-Sofas, Ständerlampen, Wanduhren, an den
Wänden zahlreiche Portraits von Bischöfen und Priestern, teils mit
europäischen Gesichtszügen, teils mit chinesischen. Vergeblich suchte
man nach dem Portrait eines Papstes. Kaum hatte ich mich in dem Raum
umgesehen, trat auch schon der Pfarrer ein. Er trug ein fast schwarzes
Mao-Kostüm. Seine Visitenkarte wies ihn als Vizepräsident der
"Patriotischen Vereinigung" aus. Mit der englischen Sprache hatte er
etwas Schwierigkeiten, so bat er mich, die Unterhaltung auf Latein
führen zu dürfen. Die Zelebrationserlaubnis war nicht gerade leicht zu
bekommen. Der Pfarrer fragte mich, zu welcher Kirche ich gehöre, wo und
was ich studiert habe, zu welcher Diözese oder zu welchem Orden ich
gehören würde. Die Fragen waren recht schlau gestellt, und ein Laie
hätte sie nicht richtig beantworten können, und somit wäre er als
solcher entlarvt gewesen, d.h. der chinesische Pfarrer wollte sicher
sein, daß er es mit einem Priester zu tun hatte. Ich meinerseits mußte
staunen, wie gut dieser Geistliche aus dem Reich der Mitte über Europa
informiert war. Er erzählte mir, daß aus Deutschland Bischof Moser da
war, der jedoch keine Zelebrationserlaubnis erhalten hatte, ebensowenig
wie bereits eingangs erwähnt 'Kard.' König. Sodann fragte er mich, wie
ich wohl zelebrieren wolle, auf englisch oder auf deutsch, und ob ich
ein Meßbuch bei mir hätte, denn in Europa hätte man ja andere
Meßbücher. Ich beteuerte ihm, daß ich die hl. Messe feiern werde genau
wie er, er könne dies gerne kontrollieren: nämlich in Latein unter
genauer Einhaltung des Ritus; und ich könne sein Meßbuch verwenden, das
sei selbstverständlich. Darauf sagte er mir, er wolle nun den Bischof
fragen. Nach kurzer Zeit trat der Bischof ein, Mgr. Paul Fu Tieshan. Er
verstand sogar etwas Französisch und war stolz darauf. Oft kämen
Reisegruppen aus Europa und den U.S.A., welche sich speziell für die
katholische Kirche in China interessieren würden, berichtete er. Diese
Gruppen würden meist von Priestern oder Bischöfen geführt, aber selten
würden sie Gottesdienste halten. Es sei auch problematisch, da diese
Herren eine andere Messe feiern würden. Schließlich fragte der Pfarrer,
ob ich denn in einer offiziellen Mission nach China gekommen sei, oder
ob ich gar von Rom oder von einem europäischen Bischof beauftragt sei.
Ich gab ihm zur Antwort, daß nichts von all dem zuträfe, ich sei rein
privat nach China gekommen, und überdies würde ich von der römischen
Kirche als das allerletzte und allergeringste Pfäffchen betrachtet,
welches nichts bedeute und auch nichts zu sagen hätte. Daraufhin
stimmte der Bischof zu, daß ich zelebrieren dürfe. Der Pfarrer solle im
"Konvikt" einen Theologiestudenten holen, um mir zu ministrieren.
Offenbar liegt neben der Kirche das Priesterseminar - meine Vermutung
hat sich bald darauf bestätigt. So konnte ich erstmals in China in
einer Kirche der patriotischen Vereinigung zelebrieren, und auch an den
folgenden Tagen. Am Sonntag besuchte ich den Hauptgottesdienst um 9
Uhr. Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Hl. Messe war das riesige
Kirchenschiff bis auf den letzten Platz gefüllt, hinten standen
Schlangen von Menschen vor den Beichtstühlen. Überraschend war,
wieviele Männer anwesend waren im dunkelblauen Mao-Gewand, aber auch
Europäer und Amerikaner, vermutlich Personal der verschiedenen
Gesandtschaften, die in Peking akkreditiert waren. Der Priester las
eine stille Messe, indes die Gläubigen in schrillen Melodien ein Lied
nach dem anderen sangen, zwischendurch ertönte Orgelspiel. Eine Predigt
gab es nicht, lediglich das Evangelium wurde von der Empore aus
chinesisch, englisch und französisch verlesen. Enorm viel Zeit nahm die
Kommunionausteilung in Anspruch, da sehr viele Gläubige kommunizierten
und nur der zelebrierende Priester austeilte. Alles war noch genau so
wie bei uns vor Jahrzehnten, jedes Kreuzzeichen, jede Kniebeuge.
Am Nachmittag dieses Sonntages - es war der Sonntag des Guten Hirten -
besichtigte ich auch die "Bei-Tang-Kathedrale" (die Erlöserkirche). Es
muß sich um eine Kon-Kathedrale handeln, denn in ihr wie auch in der
Nanthang-Kathedrale (Maria Himmelfahrtskirche) befand sich ein
erzbischöflicher Thron mit Baldachin und Wappen. Die Erlöserkirche war
1866 in neugotischem Stil erbaut worden, nachdem an deren Stelle schon
eine frühere Kirche gestanden hatte, wahrscheinlich die älteste Kirche
Pekings. Diese soll 1703 erbaut, 1827 aber anläßlich einer
Christenverfolgung konfisziert und demoliert worden sein. Von I860 bis
1958 war hier bei der Erlöserkirche die Residenz von acht Bischöfen
gewesen. In den Jahren der Kulturrevolution von 1966 bis 1976 war die
Kirche für den Gottesdienst geschlossen worden. Sie diente in der Folge
als Werkhalle und Lagerraum. Der Bau muß dabei enorm gelitten haben.
Erst 1985 beschloß die Stadtregierung und das Amt für religiöse
Angelegenheiten, die Kirche'dem katholischen Gottesdienst wieder zur
Verfügung zu stellen. Eine Gesamtrenovierung war dringend nötig, wobei
sogar staatliche Mittel zur Verfügung standen. Die Kathedrale wurde am
24. Dezember 1985 neu benediziert. Heute präsentiert sich das
Gotteshaus - etwas verkleinert und vereinfacht Notre-Dame von Paris
ähnelnd - wieder mit seinem zahlreichen figürlichen Schmuck in alter
Schönheit und muß sogar unter einer Art "Denkmalschutz" stehen.
Natürlich besuchte ich in Peking auch die verschiedensten
nicht-christlichen Sehenswürdigkeiten wie die "verbotene Stadt" mit den
ehemaligen kaiserlichen Palästen, den HimmelStempel, den
Tiananmen-Platz, angeblich der größte Platz der Welt, (der inzwischen
durch seine furchtbaren Massaker vom 3. Juni und-den folgenden Tagen
dieses Jahres traurige Berühmtheit erlangt hat, Anm.d.Red.) mit dem
Mao-Mausoleum, welches ich allerdings nicht betrat. Am meisten
interessierte mich die "Große Mauer", welche von zahlreichen Menschen
besucht wurde, die in ihr gleichsam eine Art National-Monument sehen.
Schließlich führte mich mein Taxifahrer noch zu den Ming-Gräbern, wo
die Kaiser dieser Dynastie bis 1644 bestattet wurden.
Über etwas mußte ich immer sinnieren: Sollen'diese zahlreichen
Menschen, denen ich in diesen Tagen begegnete, wirklich alles
waschechte Kommunisten sein?
Besonders junge Leute interessieren sich für westliche Mode, Musik,
Filme und die Technik - und die meisten erlernen die englische Sprache.
Ja, viele Menschen, auch Nicht-Christen, sind religiös interessiert.
Sowohl die alten Kulte des Konfuzianismus, Taoismus und der
Ahnenverehrung haben seit einigen Jahren regen Zulauf, ebenso die
katholische Kirche, welche ja eigentlich nicht missionieren darf.
Bestimmt, jedesmal, wenn man über den Tiananmen-Platz geht oder fährt,
sieht man Gruppen, welche mit roten Fahnen prozessionsähnlich zum
Mao-Mausoleum pilgern, wo der einbalsamierte Leichnam des "Vaters des
Vaterlandes" gleich Lenin in Moskau in einem Glassarg liegt. Aber was
tun die abermillionen übrigen Chinesen? Wie stehen sie zu Mao? Ich habe
das Gefühl, sie ertragen den Mao-Kult wie eine Art auferlegten Ballast.
Mao hatte in den Augen seiner Landsleute enorme Verdienste, aber mit
der Kulturrevolution hat er eigentlich sein Image zerstört. Im Grunde
genommen hätten Chinesen ihn am liebsten zum Teufel gewünscht, aber das
wagte man nicht einmal zu denken. Und als er endlich tot war, mußte man
ihm wider Willen angeblich geschuldete Ehren erweisen. Seine Witwe
wollte das Werk des Gatten in seinem Sinne weiterführen - aber China
wollte nichts davon wissen: die über diese Dame verhängte Todesstrafe
wurde umgewandelt in lebenslange Haft bei Wasser und Brot. Wäre China
in seiner Einstellung konsequent, müßten alle Stätten, die an Mao
erinnern, zerstört werden.
Es war am Samstagabend vor dem berei-ts erwähnten Sohntag des Guten
Hirten, dem 16. April 1988. Eben ging ein-zünftiges Gewitter nieder.
Ich schaute aus dem Fenster des Hotelzimmers im 15. S.tock über die
Tatarenstadt: in der Ferne zur rechten Seite der Himmelstempel, zur
Linken die "Chinesenstadt". Bei Nacht und Regen waren die Millionen von
Lichtern Pekings wunderbar anzusehen - ein Anblick für Stunden!
Plötzlich vernahm ich aus weiter Ferne einen dumpfen Knall und darauf
ein krachendes Getöse. Ich dachte, daß wohl so ein Wolkenkratzer
zusammengestürzt sein müßte - oder man würde Granatgeschosse
erproben... Wochen später, ich war schon einige Zeit wieder zu Hause,
las ich in einem religiösen Gesinnungsblatt, daß in besagter Nacht die
15 Meter hohe Statue von Mao-Tse-Tung auf dem Gelände der Pekinger
Universität in die Luft gesprengt und völlig zerstört worden war. Deo
gratias!
Dieser Vorfall ließ mich vermuten, daß der Chinese den Kommunismus bis
zu einem bestimmten Grad erträgt, und plötzlich ist es aus mit der
vielgepriesenen asiatischen Geduld. Ich frage mich auch, ob wir -
beispielsweise in der Schweiz - unter Umständen nicht einen viel
extremeren Kommunismus in viel kürzerer Zeit erliegen würden, einer
totalitären kommunistischen Diktatur, wie sie China während der
maoistischen Kulturrevolution kannte. Nehmen wir als Maßstab George
Orwells "1984": täglich neue Gesetze, neue Verordnungen, neue Maßnahmen
gegen die Bevölkerung, neue Kontrollen - das alles hat man in China
(und auch in Rußland und anderswo) angestrengt, aber ohne großen
Erfolg. Seit dem Ende der Kulturrevolution eroberte sich der Chinese
zahlreiche Freiheiten wieder zurück, Schritt für Schritt. Wir in Europa
indessen begeben uns in eine Tyrannei Orwell'scher Küche bis hin zum
Exzess. Diese Tyrannei kann bei uns sogar noch viel perfekter
verwirklicht werden, da in Westeuropa nur kleine oder Zwerg-Staaten
existieren. In China war es wesentlich schwieriger, eine perfekte
Kontrolle über die Menschen auszuüben, da das Land dafür viel zu groß
ist.
So interessant Peking auch für mich war, es stand für mich von
vorneherein fest, daß ich auch noch andere Städte besuchen wollte.
Schon am dritten Tag fragte ich meinen Fahrer, ob er mich zu einem
Reisebüro bringen könne, wo ich ein Flugbillet nach Shanghai bekommen
könne. Der freundliche junge Mann stimmte mir zu, wünschte aber, noch
zuvor in der "verbotenen Stadt" den "Palast des geistigen Wachstums"
mit mir zu besuchen. Ich fragte mich, ob und welche Bewandtnis dieser
Besucherplan des Taxifahrers wohl mit meinen weiteren Reisvorhaben
haben könnte...? Wie dem auch sei, geistiges Wachstum kann nie schaden.
Dummerweise mußte ich dann aber im Reisebüro erfahren, daß die Flüge
Peking-Shanghai für die nächsten 14 Tage ausgebucht seien. An der
Wahrheit dieser Auskunft zweifele ich noch heute sehr stark. Aber mir
blieb keine andere Möglichkeit, als mich nun untertänigst um einen
Platz in der Eisenbahn zu bewerben. Die Bahnfahrt dauerte für die ca.
1460 km fast 17 Stunden. Erstaunlich, wie schnell die riesigen
Dampfrosse fahren können. Chinas Züge scheinen die gewaltigen Strecken
in Betracht zu ziehen. Die 1. Klasse-Schlafwagen - obligatorisch für
Ausländer - sind recht bequem, und immer wieder wurde in den Abteilen
für heißen Tee gesorgt. Schlafen war natürlich ein Ding der
Unmöglichkeit: das Rattern war allzu laut.
SHANGHAI
An einem späten Vormittag traf der von Peking kommende Zug in dieser
Hafenstadt ein. Man war etwas geschockt: Peking - konservativ, auf alte
chinesische Traditionen bedacht - und hier Shanghai, das schiere
Gegenteil: mondän, amerikanisiert, lärmig, weniger Sehenswürdigkeiten
bietend. Im Gegensatz zu Peking soll es hier angeblich so etwas wie ein
'Nachtleben' geben. Shanghai war bis 1945 mit Abstand die größte Stadt
der Welt. Etwa 12 Millionen Menschen sollen damals hier gelebt haben -
oder leben noch heute da, nur sind inzwischen andere Städte wie Tokio
oder Kairo noch größer geworden. Die Jesuiten führten hier bis Anfang
der 5oer Jahre eine Universität von Weltruf. Shanghai war eine der
Perlen des Orients. Ein schwacher Schimmer davon ist noch heute unter
einer gewissen Patina sichtbar. Wer chinesische Teppiche oder
Seidenstoffe erstehen will, hat hier die größte Auswahl der Welt!
Klimatisch ist die Lage günstig, an der Mündung des Yangtse-Flusses
gelegen genießt es das dämpfende Meerklima des Pazifiks. Ein Sprichwort
besagt: Nördlich des Yangtse wird im Wintergeheizt. Shanghai liegt so
nahe am Äquator wie Kairo: kälteste Wintertemperaturen um -10 ,
heißeste Sommertage ca. 38 ; dagegen hat Peking auf dem gleichen
Breitengtad wie Neapel gelegen, Januar-Minima von ca. -28 °C und
Sommer-Maxima im Juli von 41 °C Klimatisch wird also mancher Shanghai
den Vorzug geben.
In unmittelbarer Nähe zum Bahnhof befindet sich die Kathedrale von
Shanghai. Gerade in kirchlicher Hinsicht tut sich etwas in dieser Stadt
und ihrer Diözese, was uns irritieren könnte... Mgr. Ignatius
Kung-Pin-mei, Jahrgang 1901, ist einer der ganz wenigen Bischöfe
Chinas, welche selbst noch im Annuario Pontificio von 1988 als
"regierende" Bischöfe einer chinesischen Diözese aufgeführt werden. Am
7. Oktober 1949, also eine Woche nach der Ausrufung der kommunistischen
Volksrepublik China, empfing er als Bischof von Soochow die
bischöfliche Konsekration. Im Jahre darauf wurde ihm zusätzlich die
Diözese Shanghai übertragen. Da er loyal gegenüber dem Vatikan war und
blieb, wanderte er bald ins Gefängnis. Erst nach der Kulturrevolution
(der Annuario Pontificio von 198o berichtet noch: "in carcere per la
Fede" - "für den Glauben im Gefängnis"; Anm.d.Red.) durfte der fast
Achzigjährige die Entlassung aus der Gefangenschaft erleben. Freilich
durfte er aber nicht als Bischof von Shanghai residieren. Bischof von
Shanghai wurde ein Mitglied der patriotischen Kirche, Mgr. Zhang
Jiashu, welcher im Februar 1988 im Alter von 87 Jahren starb. 1985
erhielt er einen Weihbischof, Mgr. Alois Jin Luxian, einen Jesuiten
Jahrgang 1916, inzwischen Mitglied dieser Vereinigung. Als junger
Priester absolvierte er theologischen Studien an der Gregoriana in Rom.
Natürlich war auch er jahrelang im Gefängnis. Im Frühjahr 1988 wurde er
zum Bischof von Shanghai gewählt.
Man könnte ihm möglicherweise Unrecht antun, trotzdem weise ich ihn
einmal für's erste dem 'linken Flügel1 oder der'modernistischen Gruppe'
im patriotischen Episkopat Chinas zu - falls er überhaupt "Mitläufer"
oder "Anhänger" hat. Er war schon mehrmals in Europa und hielt Vorträge
in Deutschland, Österreich, Frankreich; 1989 will er die Schweiz
besuchen. Er lehnt eine Wiedervereinigung der patriotischen Kirche
Chinas mit dem Vatikan unter Johannes Paul II. nicht grundsätzlich ab,
hat aber auch eine Reihe von Vorwürfen an die Adresse des Vatikans
parat: Er habe sich bei der Gründung des kommunistischen Chinas falsch
und ungeschickt verhalten, indem er ganz auf Tschang-Chai-Scheck und
seine Kuomingtang-Bewegung gesetzt habe. Dann sei die Aufrechterhaltung
der Nuntiatur auf Taiwan (Formosa) ein Affront gegen Rot-China, und der
Vatikan hätte wohl noch immer nicht begriffen, daß die Wahl und die
Ernennung chinesischer Bischöfe eine Angelegenheit der Kirche Chinas
sei. Eine diesbezügliche Einmischung von Seiten des Vatikans könne auch
in Zukunft nicht geduldet werden. ***) Andererseits hat dieser rührige
Bischof aber die Konzilsdokumente aus Rom mit nach Shanghai gebracht,
diese ins Chinesische übersetzt und in seiner hauseigenen Druckerei,
über welche er seit zwei Jahren verfügt, gedruckt, um seine Priester
mit Lesestoff zu versorgen. Übrigens: das Durchschnittsalter seines
Klerus beträgt über 70 Jahre! Zudem ist der Priestermangel noch immer
sehr drückend. Bischof Jin Luxian ist zugleich Regens des
Priesterseminars in Sheshan, etwa 50 Kilometer außerhalb Shanghais, wo
er auch residiert. Mit dem Nachwuchs ist er zufrieden, da seit einigen
Jahren ein reger Zulauf zum Priesterseminar festzustellen ist.
Die Muttergotteskathedrale von Shanghai, erbaut zu Anfang dieses
Jahrhunderts, ist ebenfalls jeden Sonntag brechend voll von Gläubigen.
Auch hier wird die hl. Messe in der altvertrauten Art gefeiert. Doch
wenn man verschiedenen Nachrichten Glauben schenken darf, denkt Mgr.
Jin Luxian an eine Liturgiereform. Er meint, die jüngere Generation
finde keinen Zugang zur alten lateinischen Messe. _Er weiß jedoch, daß
gerade die älteren Leute und auch die Priester gegen jede Reform
erbitterten'Widerstand leisten würden, da sie dieser Kirche, welche
sich in der Liturgie, in dieser Liturgie, manifestiert hat, auch in den
Zeiten der schlimmsten Verfolgung die Treue gehalten haben. Bischof Jin
Luxian denkt sich eine Liturgiereform, die darin besteht, daß der Ritus
des hl. Pius V. ins Chinesische übersetzt wird. Den sog. Ordo Pauls VI.
lehnt er deshalb ab, weil der nahe liegende Verdacht augenfällig würde,
man hätte sich nun Rom unterstellt.
Der Bischof macht also nicht theologische Gründe oder Einwände gegen
den 'Novus Ordo' geltend, sondern vielmehr disziplinarische oder
politische. ****)
Anmerkungen:
*) Anm.d.Red.: Das staatliche Kirchenkomitee, die
"Drei-Selbst-Bewegung, die seit den 50er Jahren die Kirche und die
anderen Konfessionen in der Volksrepublik überwacht hat, soll, so ihr
Vorsitzender 'Bischof K.H. Ting (Nanjing) bis Ende 1991 aufgelöst
werden. Damit würde sich der Spielraum für die Christen erhöhen, die
Überwachung jedoch nicht völlig aufhören.
**) Anm.d.Red.: So wurde auch der vor lo Jahren verstorbene H.H. Dr.
Katzer vor die Wahl gestellt, entweder die kommunistische Verfassung
der Tschechoslowakei zu unterzeichnen oder ins Gefängnis zu wandern.
Welche Entscheidung er getroffen hatte, ist bekannt. Die
(reform-katholischen) Priester in der CSSR sind Angestellte des
atheistischen Staates. Man stelle sich diesen Widersinn einmal
eindringlich vor!
***) Einmal abgesehen von der aktuellen Situation - wären diese
Einwände grundsätzlicher Natur, so würden sie einen falschen
Kirchenbegriff und einen handfesten schismatischen Geist verraten.
Anm.d.Red.
****) Nach Angaben, die dem verstorbenen H.H. Pater Mallach vorgelegen
haben, soll die patriotische Vereinigung Chinas in drei Gruppgn
gespalten sein: ein kleiner Teil ist Wojtyla-Anhänger ; etwa ein
Drittel würde sich zu der offenkundig schismatischen Haltung bekennen,
die keine Einmischung von außen, d.h. auch von einem rechtmäßigen Papst
dulden würde; die Mehrzahl dieser Gläubigen seien aber wie wir
Sedisvakantisten, die aus religiös-theologischen Gründen keine
Verbündung zu diesem abgefallenen Rom haben wollen. Anm.d.Red.
(Fortsetzung folgt)
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