LESERBRIEFE
Es geht um den Begriff der Sedisvakanz. Ich will mit diesem
Schreiben keine Kritik an den Sedisvakantisten äußern, doch möchte ich
die Befürchtung zum Ausdruck bringen, daß dieser Begriff rein
akademisch geworden ist und im Volke nie verstanden wird. Die Zeit ist
vorbei, in der noch Gegenpäpste möglich waren. Diese Zeiten haben
gezeigt, daß dabei nur Kirchenpolitik herauskam, also ein scheußlicher
Mißbrauch der religiösen Idee. Soll man auf einer Idee beharren, die in
keiner Weise mehr realisierbar ist, weil kein Gremium mehr existiert,
das einen anderen Papst wählen könnte? Auch ist die totale Autorität
eine Erscheinung unserer Zeit, weil niemand mehr metaphysisch denkt,
also nichts mehr dagegen zu setzen hat. Ich hätte mir den Kampf anders
gedacht. Gehen wir vom Vater-Begriff aus (und wenden ihn auf unsere
Situation analog an). Manche Familie hat einen Vater, der seine eigene
Familie zerstört. Er sitzt in allen Kneipen, treibt sich mit anderen
Frauen herum und hat die zu Freunden, die seine Familie hassen. Die
Familie muß zuschauen, wie er das Vermögen, die Ehre und den Frieden
der Familie zerstört und die geheimnisvolle Mystik der göttlichen Idee
der Ehe und Familie blaspemisch in den Schmutz tritt. Wäre der Kampf
gegen einen solchen 'Papst' nicht zielbewußter und verständlicher
geworden, wenn man ihn öffentlich als einen solchen 'Vater' bezeichnet
hätte? Auf die Idee des Sedisvakantismus geht niemand ein, weil sie als
utopisch empfunden wird. Es ist eine rein akademische Idee, die den
Herrn 'Papst' nicht beunruhigt. Wir wollen ihn aber beunruhigen!
***
Das 'Herumtreiben' des 'Heiligen Vaters' (in dem Vergleich mit
dem Familienvater) meinte ich im Sinne des Alten Testamentes als eine
totale Ungebundenheit des Geschöpfes gegenüber dem Schöpfer. Es gibt
keine Treue und keine Wahrheit für einen solchen Menschen, dafür aber
eine Welt als Wille und Vorstellung.
Ich glaube als Kirchenhistoriker nicht an lauter saubere Papstwahlen.
Wenn man die Wahlkapitulationen kennt, weiß man, daß manche Papstwahlen
auf simonistische Weise zustande kamen. Im Jahre 1933 war ich schon im
4. Semester. Als "Studierter" habe ich auch damals darüber debattiert,
ob Hitler auf gesetzlichem Wege an die Macht gekommen war. Er war es
nur auf eine sehr formelle Art geworden. In Wirklichkeit geschah alles
auf den enormen Druck und unter der brutalen Bedrohung durch seine
politischen Organisationen. Was half uns das? Die Debatte war längst
völlig unwirklich geworden. Sei es Staat oder Kirche, immer wird die
Führung nur auf eine menschliche Weise an die Macht kommen. Und doch
ist eine Führung durch den Heiligen Geist möglich. (...) Hier taucht
die Wirklichkeit der Unfehlbarkeit auf. Es ist Schuld der Gläubigen,
wenn die Unfehlbarkeit so übertrieben wird, daß alles, was ein Papst
persönlich meint, schon mit diesem Stempel besiegelt erscheint, daß
also aus der Kirchenführung eine Art heidnischer römischer Kaiser wird,
dem göttliche Ehren erwiesen werden müßten. Das Mysterium, aus dem die
Religion lebt, kann nicht so einfach und so billig im "Heiligen Vater"
materialisiert werden. Auch ist die Institution Kirche der Zweck ihres
Gründers, nicht das Papsttum. Der Diener ist wegen des Herrn da, nicht
der Herr wegen des Dieners, d.h. der Papst ist für die Kirche da, und
nicht die Kirche für den Papst. Der Diener hat aber schon öfters seinen
Herrn zu entmachten versucht. Darum haben wir heute in der Kirche nicht
den Triumph und die Herrlichkeit Christi, sondern stoßen überall
auf...'Menschen'. Der Triumph Christi ist abgelöst worden von einem
triumphalen Prälatismus.
Wenn wir auf einer Ebene der philosophia perennis den Fall betrachten
wollen, so müssen wir bei den Begriffen von potentia und actus
verweilen. Jede Berufung zu einem Amt ist eine potentia, die erst durch
die Tat ausgefüllt wird, d.h. aktualisiert, verwirklicht wird. Die
potentia ist zwar kein "ouk on", aber doch ein "mä on". Heute glauben
alle Geweihten, daß sie durch die Weihe schon ihr Amt am verwirklichen
sind. "Hurra, ich bin geweiht, hurra, ich bin in der Karriere ein gutes
Stück weiter gekommen." Darum nennt man solche Kleriker Etablierte,
weil sie meinen, durch die Weihe als solche, alles schon erreicht zu
haben. Daß Gott actus purus ist, geht diesen Etablierten nicht mehr
ein. Daß aber ihre Herrlichkeit ohne actus reine Einbildung bleibt, das
überspielen sie mit theatralischen Gewändern und festlichem Auftreten.
Was Christus damals über die solchermaßen gewandeten Etablierten seiner
Zeit gesagt hat, trifft auch heute zu. Weil sie z.B. alle zu faul sind
zu lehren, ist ganz Europa geistlos geworden. Wir haben lauter
Etablierte und keine Lehrer, Priester und Hirten.
Auch Judas hatte die Berufung, also die potentia. Die Aktualität
bestimmte auch bei ihm die Wirklichkeit. Daß uns berichtet wird, daß
unter den Zwölfen es einer versucht hat, den Kompromiß zwischen
Christus und dem Tempel zustande zu bringen, ist nicht irgend eine
nebensächliche Erzählung, sondern sie ist zu unserer Belehrung
geschrieben. Auch die höchste Weihe verhindert nicht die Existenz eines
Judas. Bei uns ist es üblich, bei jeder kirchlichen Ernennung vom
Ernannten gnadenvolle Herrlichkeit zu erwarten. Es wird dem frisch
ernannten Prälaten sofort eine enorme Heiligkeit und Tapferkeit
zugesprochen, was einfach jeder Erfahrung widerspricht. Welch armselige
Figuren in den herrlichen Gewändern! Lauter Personen des "mä on". Und
am Ende eines solchen Lebens hat man das Gefühl des "ouk on", wenn
nicht gar das totale Desaster. Das ist für mich Realität. Wenn formale
Thesen und Deduktionen durchführbar sind, ist es gut. Dann geht die
theologische Rechnung wunderschön auf. Heute geht sie aber nicht mehr
so einfach auf. 'Päpste' gibt es immer genug, jedenfalls mehr als
Seelsorger. Wenn einer von ihnen gehen müßte, käme ein zweiter, und
dann ein dritter. Es ist scheint toll zu sein, der Oberste, ja sogar
der 'Heilige Vater' zu sein. Wer schert sich da um den heiligen Willen
Christi! (...)
Ihr G.P. aus L.
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