ZUM 100. TODESTAG VON DAMIAN DE VEUSTER
Ein scheinbar alltägliches Malheur: ein Mann verschüttet kochend heißes
Wasser über seinen Fuß. Das Ungewöhnliche daran: er fühlt keinen
Schmerz! In diesem Augenblick wird es dem Mann zur Gewißheit: die
Schmerzunempfindiichkeit ist der Beweis dafür, daß er von jener
Krankheit befallen wurde, die er in über dreizehn Jahren bekämpft
hatte, die Lepra, und nicht nur sie! sondern auch noch das Leid, die
Verzweiflung, die Trostlosigkeit und die Hoffnungslosigkeit. Derjenige,
der es verstand, den geistigen Tod zu überwinden, ist nun selbst von
den Vorboten des Todes, des leiblichen Todes, eingeholt worden. Der
Mann, von dem ich spreche, ist Pater Damián de Veuster. Seit dreizehn
Jahren lebt er nun schon auf der Insel der Verdammten, auf Molokai,
einer Insel Hawaiis, von Riffen umgeben, wo die Regierung die von der
Lepra infizierten Menschen aussetzt und sie ihrem Schicksal mehr oder
weniger überläßt. Wir schreiben das Jahr 1886. Bis zwei Wochen vor
seinem Tod arbeitet Pater Damián normal weiter. Am Weihnachtsabend 1888
kann noch die neue Kirche eingeweiht werden. Pater Damián bricht
zusammen. Ihn überfällt große Traurigkeit und Verlassenheit, sein
Mitbruder und ehemaliger Schulfreund, Lamber Conrady, vesucht ihn zu
trösten. Als er am 15. April 1889 für immer die Augen schließt, stirbt
er in der Gewißheit, daß die Insel der Aussätzigen ihren Schrecken der
Hölle verloren hat und daß seine Arbeit fortgesetzt wird. Auch die Welt
vergißt das Opfer jenes Mannes nicht! Die Bekämpfung der Lepra erhält
weltweit eine bessere Unterstützung; es werden Aussätzigenhilfswerke
gegründet. Heute ist die Lepra sogar heilbar.
1936 läßt der Orden, dem Pater Damián angehörte, den Sarg mit den
Überresten von Molokai nach Belgien überführen, um den
Heiligsprechungsprozeß zu betreiben.
Die Heimholung des Leichnams entwickelte sich zu einem wahren
Triumphzug. In Antwerpen erwartet sogar der König und die belgische
Regierung die sterblichen Überreste des Missionars der Aussätzigen, der
wenig später in Löwen in der Kirche des Ordens vom Heiligsten Herzen
Jesu beigesetzt wird. Die Heimat hat ihren inzwischen berühmt
gewordenen Sohn wieder.
Die äußere Geschichte dieses heldenhaften, heiligmäßigen Mannes läßt
sich in kurzen Strichen schnell zeichnen. Josef de Veuster wurde als
Sohn eines brabantischen Bauern am 3.1.184o in Tremolo geboren. Nachdem
sein älterer Bruder sich entschlossen hatte, Priester zu werden, setzte
der Vater alles daran, den gut aussehenden, allgemein beliebten Josef
zum Erbbauern zu erziehen. Doch mit 19 Jahren teilte dieser dem Vater
mit, seinem Bruder in den Orden des Heiligsten Herzens folgen zu
wollen. Vom Orden wurde es ihm gestattet, kurz vor seiner Priesterweihe
seinen erkrankten Bruder als Missionar in Hawaii zu vertreten. Am 1.
November 1863 bestieg Pater Damián das Schiff, welches am 19. März des
folgenden Jahres im Hafen von Honolulu einlief. In der dortigen
Kathedrale wurde P. Damián zwei Monate später zum Priester geweiht. Die
nächsten zehn Jahre arbeitete er als Missinar auf den hawaiianischen
Inseln. Man vertraut ihm die lange verwaiste Station Puna an. Das
angeblich paradiesische Hawaii entpuppte sich als schwer bearbeitbarer
Weinberg. Tagelang kämpfte sich P. Damián durch Urwälder, um seine
Herdenteile zu betreuen. Er lernte schon hier das Elend der Aussätzigen
kennen. Der Gestank ist fast unüberwindlich. Doch der brabantische
Bauernsohn packte an: er legte Farmen an, baute Siedlungen.
Bei einem Treffen mit anderen Missionaren richtet dann Bischof Maigrets
die Bitte an ihn, "für wenige Wochen" nach Molokai zu gehen, um die
Leprosen zu betreuen. P. Damián folgt dem Ruf. Das Schiff bringt den
Bischof und den Missionar zur Insel der Aussätzigen. Als es kurze øeit
wieder ablegt, bleibt der Missionar zurück... bis zu seinem Tod bleibt
er bei den Aussätzigen. Der Empfang ist recht unterschiedlich: die
einen bewerfen ihn mit Steinen, die anderen weinen vor Freude. Am 12.
Mai 1873 feiert er bei den Aussätzigen sein erstes heiliges Meßopfer.
Die am lebendigen Leib verfaulenden Menschen schrecken ihn, der Gestank
ist ekelerregend. Die Aussätzigen sind völlig verwildert, sie haben
sich selbst aufgegeben. Und wieder sind es beide, der Priester und der
Bauernsohn, die Nächstenliebe nicht nur predigen, sondern auch
praktizieren: P. Damián baut Wohnungen, richtet ein Krankenhaus ein,
organisiert ein Warenhaus... und zimmert Särge. Er bringt es fertig,
die Kranken in die Arbeitsabläufe zu integrieren. Die Bildung der
leprösen Kinder liegt ihm am Herzen, er unterrichtet sie selbst. Und
auf einmal verliert die Insel für ihre unfreiwilligen Bewohner ihren
Schrecken. Selbst die Sterbenden scheiden getröstet. Die Anteilnahme
ihrer Leidensgefährten ist ihnen sicher. Die Toten erhalten ein
würdiges Begräbnis.
Freunde von P. Damián veröffentlichen in Europa seine Briefe, die voll
sind mit seinen Sorgen. Er erhält Hilfe und finanzielle Unterstützung,
selbst von der hawaiianischen Regierung, die seine Anstrengungen
anerkennt und seine Projekte fördert. Die Kraft für seine Aufopferung
schöpft Pater Damián aus der Betrachtung und der Anbetung. Man sagt, P.
Damián de Veuster habe ein großes Wunder dadurch vollbracht, daß er den
Kranken den Mut gegeben habe, sich nicht selbst aufzugeben. Das ist
menschlich, allzu menschlich geurteilt, obwohl auch das stimmt. P.
Damián, der Missionar, formuliert es anspruchsvoller und zugleich
einfacher: "Sie, die Leprakranken, sind häßlich anzusehen", schreibt er
in die Heimat, "aber sie haben eine Seele. Wenn ich sie schon nicht
heilen kann, so habe ich doch ein Mittel, sie zu trösten. So habe ich
die Zuversicht, daß viele von ihnen - eines Tages - durch die
Sakramente vom Aussatz der Seele gereinigt, des Himmels würdig sein
werden."
Eberhard Heller
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