DER HL. FIDELIS VON SIGMARINGEN
von
Eugen Golla
Der Himmel ist nicht überreich an Heiligen, die dem deutschen
Sprachgebiet entstammen. Man kann aber behaupten, daß die Deutschen auf
sie stolz sind und sie gerne verehren. Zu den besonders Bevorzugten
gehört ohne Zweifel der heilige Fidelis von Sigmaringen. Markus Roy -
dies war sein bürgerlicher Name - wurde 1577 in Sigmaringen als Sohn
des Schultheißen Johann Roy geboren. Wie schon der Name verrät, war er
väterlicherseits nicht schwäbischer Abstammung: sein Großvater war aus
Antwerpen zugezogen. Seine Mutter, eine Tübingerin, konvertierte
anläßlich ihrer Heirat. Obwohl früh verwaist, erhielt Markus - ebenso
wie auch sein einziger Bruder Georg - durch die nach seines Vaters Tod
erfolgte Pflegschaft eine sorgfältige und gottesfürchtige Erziehung.
Schließlich besuchten beide Brüder die Universität Freiburg im
Breisgau. Während sein Bruder Georg in den Kapuzinerorden eintrat,
widmete sich Markus zunächst dem Studium der Philosophie, welches er
mit der Promotion abschloß, und danach der Rechtswissenschaft. Sein
Universitätsleben hinderte ihn nicht, seine Lebensweise streng
asketisch zu gestalten, indem er z.B. niemals Wein trank und stets ein
Bußkleid auf dem bloßen Leib trug. Nachdem er im Alter von 25 Jahren
seine Studien beendet hatte, suchten einige vornehme junge Männer einen
Hofmeister für eine Bildungsreise, die einige Jahre dauern sollte. Sie
waren auf Markus aufmerksam geworden und hatten ihm diese Stellung
angeboten. Nach einigem Zögern nahm er sie unter der Bedingung an, daß
er sie eher als Freund denn als Erzieher begleiten dürfe. Die Reise
dauerte insgesamt sechs Jahre. Überall, wo sie hinkamen - am längsten
weilte die Reisegesellschaft in Paris, Mailand, Venedig und Rom -
suchte Markus Roy Kranke in den Hospitälern auf, spendete reichlich
Almosen und wohnte täglich der hl. Messe bei. Gleichzeitig legte er
aber auch Wert darauf, sich wissenschaftlich weiterzubilden. Er hörte
Vorlesungen bei den damals bekannten Lehreren und nahm an Disputationen
teil.
1610 in seine Heimat zurückgekehrt, entschloß er sich endgültig für die
juristische Laufbahn. Nachdem er im Jahre darauf den Doktortitel beider
Rechte - des kirchlichen und des weltlichen - erlangt hatte, begann er
seine Tätigkeit als Rechtsanwalt in der kleinen elsässischen Stadt
Ensisheim nördlich von Mühlhausen, das damals einige Bedeutung hatte,
da es der Sitz der Regierung Vorder-Österreichs war, d.i. die im
Südwesten des Deutschen Reiches gelegene Ansammlung der zerstreuten
österreichischen Herrschaftsgebiete. In der kurzen Zeit seines Wirkens
in Ensisheim hatte sich Roy den Titel eines "Advokaten der Armen"
erworben. Aber diese uneigennützige Unterstützung der mittellosen
Bedrängten war seinen Kollegen ein Dorn im Auge. Als ihn einer von
ihnen belehren wollte, ein Advokat müsse, um zu Geld zu kommen,
möglichst viel aus den Streitigkeiten herausschlagen, d.h. die Prozesse
in die Länge ziehen, glaubte er, sein Beruf führe ihn wohl zwangsläufig
in die ewige Verdammnis. So reifte in ihm der Entschluß, das Weltleben
zu verlassen und im Kloster das Heil zu suchen.
Er überlegte zunächst, ob er in d. Karthäuserorden wegen seiner Strenge
und vollkommenen Abgeschiedenheit oder in die in der Welt wirkende
Gesellschaft Jesu, die damals in vorderster Front des Abwehrkampfes
gegen die neuen Häresien stand, eintreten sollte. Schließlich entschloß
er sich jedoch, wie sein Bruder Kapuziner zu werden, da dieser Orden,
der erst wenige Jahrzehnte zuvor seine segensreiche Tätigkeit außerhalb
Italiens begonnen hatte, harte Askese mit Missionstätigkeit beim Volk
verband.
Markus Roy meldete sich deshalb beim Privinzial in Altdorf in der
Schweiz und empfing bereits ein Jahr darauf vom Weihbischof von
Konstanz die niederen und höheren Weihen. 1612 durfte er im Kloster zu
Freiburg im Brsg. unter großem Zulauf des Volkes - denn der Ruf seines
heiligmäßigen Lebenswandels war schon zu dieser Zeit weit verbreitet -
sein erstes hl. Meßopfer darbringen. Nach der Feier übergab ihm der
Guardian das Ordensgewand, wobei er ihm den Ordensnamen Fidelis
zuteilte. Hierbei sprach er die Worte, die sich als prophetisch
erweisen sollten: "Sei getreu bis in den Tod, und ich will dir die
Krone des Lebens geben". (Apk. 2,lo) Im folgenden Jahr gab Fidelis sein
gesamtes Vermögen einer Stiftung für arme Studenten, um sich so für
immer von den Gütern dieser Welt loszusagen und um endgültig in den
Orden aufgenommen zu werden.
Von nun an war ihm die strenge Lebensführung der Kapuziner noch
nicht streng genug. Deshalb nahm er in der Advents- und Fastenzeit
sowie an den Vigiltagen nur Brot, Wasser und gedörrtes Obst zu sich. Er
hielt sich für den geringsten der Brüder und war glücklich, wenn er
Demütigen ausgesetzt war. Ein besonderes Hilfsmittel auf dem Wege der
Vervollkommnung und Selbstverleugnung war ihm die Verehrung der
allerseligsten Jungfrau Maria.
Nach Absolvierung der noch erforderlichen theologischen Studien konnte
er schließlich seine Tätigekit als Seelsorger beginnen. Sein
Wirkungskreis als Prediger, Beichtvater und bald auch als Guardian
erstreckte sich auf verschiedene Orte der schweizerisch-schwäbischen
Provinz seines Ordens. 1621 wurde das erste Jahr der großen Bewährung
für Pater Fidelis: Er übernahm die Leitung des Kapuzinerklosters
Feldkirch in Vorarlberg. Hier wartete auf den rastlos tätigen Mann
besonders viel Arbeit. Sein dortiges Wirken kann nur dann richtig
verstanden und geschätzt werden, wenn man berücksichtigt, daß damals
der Kampf zwischen Katholizismus und Protestantismus um Sein oder
Nicht-Sein bereits 100 Jahre wütete. Nachdem die Katholiken seit dem
Konzil von Trient neue Kraft zu schöpfen begonnen hatten, gingen sie
nunmehr selbstsicher zum Angriff über. So verlangte Fidelis vom
Magistrat der Stadt Feldkirch die Durchführung des Verbotes häretischer
Schriften, spürte persönlich solchen Büchern nach und ließ sie
verbrennen. Eine protestantische Dame, die öffentlich eine Predigt über
das Fegfeuer verspottete, suchte er zunächst durch Milde zu bekehren.
Als sie aber hartnäckig blieb, veranlaßte er ihre Vertreibung aus der
Stadt. Von glühender Liebe zum Glauben und nicht von Haß geleitet, bat
er Gott unter Tränen, sie bekehren zu können, was ihm schließlich auch
gelang.
Ein weiteres umfangreiches Betätigungsfeld boten ihm die in der Nähe
Feldkirchs stationierten kaiserlichen Truppen. Nicht nur, daß er sich
(ohne Unterschiede im Bekenntnis zu machen) der verwilderten und an
einer gefährlichen Seuche erkrankten Soldaten widmete, er vermochte es
auch, die unter ihnen immer wieder aufkeimenden Streitigkeiten zu
schlichten und so einen schwelenden Aufruhr im Keim zu ersticken. Von
daher wäre es falsch, in Pater Fidelis einen "Ketzerverfolger" zu
sehen. Gewiß, er war ein Kind seiner von Glaubenskämpfen erfüllten und
geprägten Zeit, die in der Reformation das große Unglück sah. Ihm waren
sicherlich unsere modernen Begriffe von der sog. Toleranz und der sog.
Ökumene fremd. Nichtsdestoweniger lehnte er eine gewaltsame Bekehrung
ab. Es war vor allem die Bewunderung seines heiligmäßigen Lebenswandels
und seiner unermüdlichen Nächstenliebe, nicht minder aber auch die
Wirkung seiner hinreißenden Beredsamkeit, welche die Bekehrung einer
nicht unbedeutenden Zahl von Protestanten in Vorarlberg und den
angrenzenden Gebieten der Ost-Schweiz zur Folge hatte.
Graubünden war damals - schon vier Jahre tobte der Dreißigjährige Krieg
- kein Gebiet friedlicher Neutralität. Vielmehr befand es sich im
Spannungsfeld der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Österreich
und Frankreich. Der Besitz dieses Landes, das im Süden an die auf
Seiten Frankreichs stehende Republik Venedig und die zu Spanien
gehörende Lombardei, im Norden und Osten an Österreich grenzte, war
nämlich für die beiden Großmächte wegen der Beherrschung der nach
Italien und Tirol führenden Pässe von ausschlaggebender Bedeutung. Mit
diesem politischen Machtkampf waren aber auch schwere konfessionelle
Auseinandersetzungen gekoppelt. Der von Venedig und Frankreich
unterstützte Protestantismus (Kalvin) hatte sich seit einigen Jahren
rasch verbreitet. In Chur, der Residenzstadt des Bischofs, gäbe es
außer den Angehörigen der Kurie keine Katholiken mehr, und der Besuch
des katholischen Gottesdienstes war verboten. 1618 bemächtigten sich
die Protestanten des Veitlins und versuchten auf brutale Weise auch
dort die Reformation durchzusetzen. Daraufhin erhoben sich die
Bewohner, vom spanischen Statthalter in Mailand dazu angehalten. Bei
den Kämpfen wurden sämtliche dort wohnenden Protestanten ermordet. Auf
einen neuen, aber mißlungenen Aufstand der Kalvinisten erfolgte die
Unterwerfung des Landes unter Österreich, in deren Zuge eine
Gegenreformation im Unterengadin und im Prätigau eingeleitet wurde. Die
eben erst errichtete Kongregation zur Glaubensverbreitung (Sacra
congregatio de propaganda Fidei) übertrug den Kapuzinern diese
dornenvolle Aufgabe, zu deren Durchführung das Ordenskapitel acht
Patres unter der Leitung des Pater Fidelis bestimmte. Als Programm für
diese Tätigkeit hatte er folgendes Religionsstrafmandat verfaßt, das
von der österreichischen Besatzungsmacht verkündet wurde:
1. Daß man die Prädikanten (Prediger) aus dem Lande abschaffe,
2. alle Religionsausübung außer der katholischen verbiete,
3. daß die Einwohner sich nicht heimlich zusammenrotten noch ihre sektirerischen Bücher vorlesen sollten;
4. daß sie ohne Nachteil der Hausgeschäfte die doch, wie etwaige andere
ehrenhaften Ursachen des Ausbleibens, zu erweisen sein werden, sollen
verbunden sein, die römisch-katholischen Predigten und die Kinderlehre
zu besuchen.
5. Diese Kinderlehre soll an Sonn- und Feiertagen, also wenigstens
einmal die Woche, und zugleich der neue Kalender gehalten werden.
6. Keiner soll gezwungen werden, den katholischen Glauben anzunehmen,
und den seinen als falsch abzuschwören, bis er durch Unterricht und
freundliche Gespräche überzeugt, beides ohne Zwang zu tun, sich
erkläre. Inzwischen wird keiner zum Besuch der heiligen Messe und
Ablegung der Beichte verhalten.
7. Den Kapuzinern soll erlaubt sein, an allen Orten Altäre und Predigtstühle aufzurichten.
8. Das Land soll in der Devotion zum Hause Österreich erhalten werden.
Gewiß waren dies harte Maßnahmen. Aber sie entsprachen dem von den
Protestanten längst bis zur letzten Konsequenz durchgeführten Grundsatz
"wessen Land, dessen Religion" ("cuius regio, eius religio"). Der
Erfolg der Kapuzinermission im Prätigau war gering. Die Bevölkerung
begann vielmehr wieder zu revoltieren, griffen Truppenteile der
Kaiserlichen an, entweihten Kirchen und bedrängten die katholischen
Gläubigen.
Zur Feier des Osterfestes Ende März 1622 begab sich Pater Fidelis
nochmals in sein Kloster nach Feldkirch. Auf seinen Posten
zurückgekehrt, wurde seine Ahnung, in Kürze das Martyrium zu erleiden,
zur Gewißheit. So unterzeichnete er seine Briefe mit: "Pater Fidelis,
in jurzem eine Speise der Würmer". Er verbrachte ganze Nächte im Gebet
vor dem Allerheiligsten Sakrament oder dem Kruzifix und flehte die
Gottesmutter um ihren Beistand an.
Gleich nach Mitternacht begann am 24. April an mehreren Orten im
Prätigau gezielt der Aufstand, der vor allem als Racheakt gegen die
Ausschreitungen so mancher österreichischer Söldner gelten sollte.
Binnen weniger Stunden erschlugen die Bauern mit ihren
eisenbeschlagenen Keulen etwa 35o Personen. Am Morgen beichtete P.
Fidelis in dem Ort Grüsch, las dort die hl. Messe und bestieg die
Kanzel, wo er mit wunderbarer Kraft predigte. Danach bat er seinen
Mitbruder, die Beichte zu hören, während er sich nach Seewies begeben
werde, wo man seine Predigt wünsche, obwohl er sich dessen bewußt sei,
was ihn dort erwarte, denn man hatte Arges im Sinn.
In Begleitung eines Offiziers und mehrerer Soldaten - vergebens suchte
er diesen Begleitschutz abzulehnen - langte er in Seewies an, wo er
über die Paulusworte: "ein Herr, ein Glaube, eine Taufe" predigte.
Gegen Ende der Predigt begann vor der Kirchentür ein Aufruhr zu toben,
die Wachsoldaten wurden niedergemacht oder gefangen genommen und einer
der Aufständigen richtete sein Gewehr auf P. Fidelis und schoß. Die
Kugel schlug dicht neben der Kanzel in der Wand stecken, der Pater
blieb unverletzt. Daraufhin warf sich Fidelis vor dem Altar nieder.
Nach einem kurzen Gebet verließ er furchtlos und ohne angegriffen zu
werden das Gotteshaus, um sich auf den Rückweg nach Grüsch zu begeben.
Plötzlich stand ein Trupp bewaffneter Bauern vor ihm, die sich auf ihn
stürzten mit den Worten: "Du übler Fanatiker, der du den Propheten
machen willst, gestehe ein, gelogen zu haben, oder dur wirst durch
unsere Hände sterben!" Fidelis erwiderte: "Ich fürchte nicht den Tod,
ich verteidige die Wahrheit, zu welcher die Märtyrer standen. Meine
Sache ist die ihrige, ihr Los wird auch meines sein!" Darauf erhielt er
einen Schwertstreich über den Kopf. Verletzt erhob er sich noch einmal,
um zu beten:
"Herr verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Jesus sei mir gnädig, Maria, Mutter Jesu, stehe mir bei."
Das sollten seine letzten Worte sein, denn gleich darauf zertrümmerten
Keulenschläge seinen Schädel. Ein Säbelhieb trennte sein linkes Bein ab
und bald gab es an seinem Körper keine Stelle, die nicht zerschlagen
oder zerfetzt war. Als die Mörder geflohen waren, kam eine fromme Frau
herbei, in der Hoffnung, bei P. Fidelis letztem Atemzuge noch
gegenwärtig sein zu können. Aber der heiligmäßige Glaubenszeuge war
bereits verstorben. Ein kalvin. Prediger, der unfreiwilliger Zeuge des
Mordes war, gestand, daß ein Glaube, der so zu sterben lehre, der
richtige sein müsse, und er bekehrte sich. Einige Monate später
unterwarfen die österreichischen Truppen das Graubündner Land. In der
Folgezeit ermöglichte ein Vertrag wenigstens eine teilweise
Wiederherstellung des Katholizismus und garantierte das Weiterbestehen
des Bistums Chur.
Fidelis, dessen Reliquien sich teils in der Kapuzinerkirche von
Feldkirch (das Haupt wird dort aufbewahrt), teils in der Stuttgarter
Fideiiskirche und in der Domkrypta von Chur befinden, wurde 1729 selig-
und 1746 heiliggesprochen. Er ist der erste Märtyrer des
Kapuzinerordens und der Propaganda de fide. Er ist auch der erste
kanonisierte Deutsche Heilige nach der Reformation. Er ist der Patron
Voralbergs und Freiburgs i.Br. Die bildliche Darstellung zeigt ihn mit
einer Stachelkeule, seinem Marterwerkzeug, in Händen. Die Kirche feiert
seit 1771 sein Fest am 24. April.
Benützte Literatur:
Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, Leipzig 1846.
Stadler, J.E.: "Vollständiges Heiligen-Lexikon" 2. Band, Augsburg 1861.
"Vie des Saints" Bd. IV, Paris 1946.
Pastor, Ludwig v.: "Geschichte der Päpste...", 13.Bd., Freiburg 1928 (l.Abtlg.)
Gossens, B.: "Der hl. Fidelis", München 1933.
Heller, K.: "Der hl. Fidelis" Feldkirch 1933.
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