Die Krise des Glaubens und der Verfall der röm.-kath. Kirche
- Antwort an 'Kard.' Ratzinger
von
Dr. Carlos A. Disandro
übersetzt von Elfriede Meurer
VORWORT DES AUTORS
Im Wortlaut dieser "Antwort" findet der Leser die Einzelheiten, die
ihre Abfassung, ihre kerygmatische Bedeutung, vor allem aber ihre
Gründe und Voraussetzungen betreffen. Die "Antwort" wurde zum letzten
Mal korrigiert und ergänzt am 15. August 1985. Seit diesem Zeitpunkt
blieb sie unter Verschluß in einer Mappe, ohne daß ich sie jemandem
mitgeteilt hätte, obwohl mein erster Impuls war, 'Kard.' Ratzinger
selbst eine Kopie zu schicken. Schließlich kam mir diese Geste unnütz
vor.
Inzwischen haben mindestens zwei bezeichnende Ereignisse stattgefunden, die ich in dieser Vorbemerkung erwähnen muß:
1. die Abhaltung der angeblichen Synode von Rom,
2. die Veröffentlichung des
vatikanischen Dokuments "Instruktion über christliche Freiheit und
Befreiung" am 22. März 1986, unterschrieben eben von 'Kard.' Ratzinger.
Diese Ereignisse in ihren kongruenten lehrmäßigen Umrissen ändern
absolut nichts, weder am Umkreis meiner Ãœberlegungen, noch an ihren
zwingenden Begründungen, noch an meiner Schlußforderung, die ach! an
einen angeblichen defensor fidei gerichtet ist, der - ich weiß nicht
durch welches Rätsel der Geschichte - schillernd und abstoßend wird in
einer an sinnlosen Zerstörungen, grenzen-loser erosionsartiger
Finsternis, unheilverkündenden semantischen Revolutionen übervollen
'Kirche'. Im Gegenteil, einige meiner Äußerungen erweisen sich
angesichts dieser und anderer jüngster Ereignisse als zu vorsichtig und
fast kraftlos, wenn ein prophète de malheur (Unglücksprophet) überhaupt
vorsichtig sein kann gegenüber dem Hochmut der 'Nibelungen', gegenüber
der Grausam-keit der biblischen Nomaden, letztlich gegenüber der von
allen Vätern und Kirchenlehrern verdammten "superbis iudeorum".
Ich erhalte sehr wohl diese Äußerungen aufrecht, ohne irgendetwas zu
streichen, ohne eines der Fenster zu sperren, durch die der
erschreckende Verfall Roms schimmert. Der kniefällige K. Wojtyla,
Apostat des Kreuzes Christi, verläßt außerdem den Herrn und liefert ihn
an Kaiphas aus, jetzt Hoherpriester der finsteren Welt von der Synagoge
zu Rom, dem Sitz des Antichristen. Die Kuppel von St. Peter ist
eingestürzt, und der Stuhl Pétris ist nicht nur vakant, wie wir seit
mehr als zwanzig Jahren gelehrt haben, sondern seine Finsternis
verbreitet sich in der ganzen Welt, um mit dem angeblichen Licht der
Logen in eins zu fallen. Das ist das unheilvolle Bild der Kirche und
der Christenheit.
In solchen widersprüchlichen Verhältnissen muß jedoch der Glaube
erstrahlen, die erhabene pistis, die nicht abgeschafft werden kann, die
das Licht des Evangeliums, das Gott-Menschentum Christi, seine
gottmenschliche Kraft unversehrt bewahrt. Dieses bescheidene Heft aber
schöpft aus den Tiefen der Lehre des hl. Athanasius, unseres
Lehrmeisters in dieser argentinischen, amerikanischen Thebais. Und wenn
auch sein Verfasser schwach und schwankend ist wie eine vorüberziehende
Wolke, das Kerygma, das er jedoch frei heraus und makellos bekräftigt,
ist fest und unerschütterlich wie der Himmel; Fides autem catholica
haec est, ut unum Deum in Trinitate et Trinitatem in Unitate veneremur.
Es stürzt alsdann die Synagoge von Rom, und es erstrahlt die
Auferstehung Christi.
Alta Gracia (Argentinien), 2. Mai 1986
(gez.:) Carlos A. Disandro
I.
Eine wirklich beeindruckende Partie - oder wie das italienische
Original mit journalistischem Verstand sagt "un rapporto sulla fede"
("ein Bericht über den Glauben") in lebendigem Dialog zwischen 'Kard.'
Joseph Ratzinger, dem Präfekten der vatikanischen Kongregation für die
Verteidigung des Glaubens (des Ex-Heiligen Offiziums), und dem
Journalisten Vittorio Messori, - spielt sich vor unseren Augen ab, die
es schon müde sind, Trümmer über Trümmer anzusehen, und vor unseren
Ohren, die es müde sind, die zerstörerischsten Häresien, die
unheilvollsten und raffiniertesten Sophismen, die wahnsinnigsten
Phantastereien über die Kirche, das Evangelium und den Glauben zu hören
innerhalb der Römischen Kirche, ehemals Bild einer eindrucksvollen
Übereinstimmung in Lehre und Liturgie... für uns, die wir viele Jahre
lang (schon zu Lebzeiten Pius XII.) unerbittlich die modernistische
Häresie bekämpften, die wir zwanzig Jahre hindurch die Exzesse des
Konzils und der nachkonziliaren Zeit in zahlreichen Unterrichtsstunden,
Konferenzen und Kursen angeprangert haben, die wir bescheiden, aber mit
Entschlossenheit die Auslegung der hl. Glaubenslehre in Angriff nahmen,
wobei wir uns an die unbestreitbaren und unschlagbaren Quellen hielten;
für uns, die wir den Höhepunkt dieses langen und schmerzlichen
Kreuzwegs erreichten mit der Edition des lateinischen Textes der Bulle
Pauls IV. "Cum ex apostolatus officio" (1559), mit ihrer spanischen
Übersetzung und kurzen Erklärung, mit der Widerlegung der sogenannten
"Theologie der Befreiung" und der Anthroposophie Karol Wojtylas. All
das gehört in die Jahre von 1982, nachdem wir diesen schriftlichen
Kampf 1956 gegen die historizistische Theologie von J. Daniélou
eröffnet hatten. Für uns also bleibt dieser peinliche Bericht dunkel
und dramatisch, und er bestätigt in gewisser Weise unsere
Schlußfolgerungen der Vergangenheit, in der Zeit vor dem Konzil
(1956-1961), während des Konzils (1962-1965) und nach dem Konzil
(1965-1985). Natürlich gehen die impliziten oder expliziten
Auffassungen über die Ursachen der Katastrophe, über die Feststellung
ihrer näheren oder ferneren Wurzeln, über die Art ihrer geistigen,
kulturellen, theologischen, pädagogischen etc. Folgen auseinander. Vor
allem differieren die theologischen Grundlagen, die, verwurzelt in der
ältesten griechischen Aussage der ersten Konzilien der Kirche - und
selbstverständlich des Neuen Testaments - weiterhin absolute Norm eines
jeden Glaubensverständnisses bleiben.
In dieser kurzen Einleitung möchte ich auch darlegen, daß in diesem
Falle weder die Würde zählt, die Joseph Ratzinger als
'Kardinal-Erzbischof' von München zur Schau stellt, noch die Autorität,
die der durch die Berufung Johannes Pauls II. zum Präfekt der erwähnten
vatikanischen Kongregation zu bekleiden vorgibt. Solche Betrachtungen
würden uns sicherlich zum Probelm der legitimen kanonischen Autorität
von 'Kardinal' J. Ratzinger führen, was uns von den wesentlichen Fragen
ablenken würde. In der Tat, mag der Bischofsstuhl von München vakant
sein oder nicht, mag die apostolische Präfektur des Heiligen Offiziums
eben wegen der Vakanz des Apostolischen Stuhles vakant sein oder nicht,
mag die Institution des Konklaves durch die kanonische Nichtigkeit des
Kardinalskollegiums aufgehoben sein oder nicht, das Dokument Ratzingers
stellt sich mit unverwechselbaren Federstrichen zur Schau, hebt, wenn
auch auf die sanfte Tour, lehrmäßige Gegensätze auf und nimmt eine
semantische Beständigkeit des Glaubens im ausgesprochenen Wort dessen,
der ausspricht, wieder auf.
Das ist es, was interessiert und folglich die zweckmäßige Bestimmung
seiner Begriffszusammenhänge. Ich achte die Person Ratzingers. Er
stellt sich nicht wie ein Häresiarch dar, wenigstens nicht in dem
Dialog mit dem Journalisten; im Gegenteil, er scheint geschickt und
überzeugend die jahrhundertealte Glaubensnorm der Kirche ins Treffen zu
führen und unverhohlen, in wenigen Fällen zwar, der Häresie
entgegenzutreten, wenn er auch den oder die Namen der Verantwortlichen,
Anstifter oder Mitläufer derselben, verschweigt. In diesem Sinn ist die
dialektische Folge des Ratzinger-Messori-Dokuments widersprüchlich,
umso mehr als, nachdem, was wir feststellen können, der Name von Mgr.
Lefèbvre zu den härtesten Beschuldigungen antreibt, vom Spottnamen
"Integrist" bis hin zu der schwachen Argumentation über die Kontinuität
der konziliaren Autorität von Vaticanum II. Aber keine Autorität, kein
Name eines Kleriker-Theologen, der für soviel Unsinn, Geistlosigkeit,
Albernheit und Veruntreuung des Glaubens verantwortlich ist, mit einem
Wort, kein Progressisten-Name hält die Waage im Gleichgewicht, wie es
sich für historisch-kritische, theologische und kanonische
Argumentationen, die von dieser Stelle kommen, schicken würde.
In der Tat, um die entsprechende Passage anzuführen und die Frage
unbeachtet zu lassen, die, obwohl eine Randfrage, gerade deswegen
wichtig ist; um ohne falsche Resonanzen die wirklich interessierenden
Fragen in den Mittelpunkt zu stellen, auf den Seiten 37-39 (die man
aufmerksam lesen muß) tritt Ratzinger der kanonischen Beschaffenheit
Mgr. Lefèbvres entgegen, er nennt ihn mehrere Male und macht ihn
verantwortlich für die Möglichkeit eines Schismas. "Es ist offenkundig,
daß alles nur Mögliche getan werden muß, damit diese Bewegung nicht zu
einem wirklichen Schisma degeneriert, in das sie hineingeriete, wenn
sich der Erzbischof entschließen sollte, Bischöfe zu wei-hen." - Worte
Ratzingers. Er kommt bei anderen Gelegenheiten auf den lefèbvrianischen
Integrismus zurück, insbesondere in Kapitel IX (Liturgie zwischen
Althergebrachtem und Erneuerung) - S. 131 ff., obgleich von der Frage
des Journalisten, was ein Integrist sein oder nicht sein könnte, in
Ein-wendungen gegen die liturgische Subversion abgleitend. Gegenüber
dieser Erwähnung, die erbittert diskutiert wurde, gibt es vieles, sehr
vieles, was seltsamerweise verschwiegen wird wie z.B. die Lehrschreiben
von St. Pius X., von Pius XII., (die nur zwei- oder dreimal nebenbei
erwähnt wer-den), die Arbeiten von großen Liturgikern, von
Gregorianikern des 19. und 2o. Jahrhunderts, das bösartige Schweigen
gegenüber dem Gregorianischen Gesang einerseits. (...)
Es bestehen keine Zweifel für Kardinal Ratzinger - sagt Messori -: Das,
was sich vor allem als alarmierend herausstellt, ist die Krisis der
Auffassung von der Kirche, der Ekklesiologie. "Hier ist der Ursprung
eines guten Teils der Verwechslungen und der echten Irrtümer, die
sowohl die Theologie als auch die allgemeine katholische Auffassung
bedrohen."
Drei Bilder des 'Kardinals' gewinnen die Oberhand wie die
Manipulationen einer graphischen Werbung auf dem Umschlag eines
modernen Buches: dasjenige, was sich von seiner polem. Intervention
gegenüber der "Theologie der Befreiung" - vorgestellt in einem
Sondertreffen im Vatikan und publiziert in der März-Nr. 1984 der
italienischen Zeitschrift "Trenta Giorni" - herleitet. Ich kenne die
portugisische Version, besorgt vom Jornal do Brasil, Sonntag, 22. April
1984. Diesen Text findet man (publiziert von Messori) in "Informe sobre
la Fe", B.A.C. Madrid 1985, S. 192-2o6.
Dieses erste Bild wird durch offizielle Dokumente verstärkt, die von
Ratzinger in seiner Eigenschaft als Präfekt der ständigen vatikanischen
Kommission unterzeichnet sind, darunter natürlich, mit Datum vom 6.
August 1984 (oder vorzeitig zu dem Interview des Berichts), die
Instruktion über einige Aspekte der "Theologie der Befreiung"
(Zeitschr. Criterio, Buenos Aires, Okt. 1984, S. 517-527). Darauf
bezieht sich auch flüchtig der Journalist V. Messori. Das erste Bild
würde als mit dem Nimbus eines antifreimaurerischen Glanzes auf der
Linie Leos XIII. umgeben erscheinen, wenn wir uns an die von Ratzinger
unterschriebene "Erklärung über die Freimaurerei" vom 26. Nov. 1983
halten, die zumindest in Argentinien als traditionalistisches Banner
eines bekehrten Modernisten vorgestellt wurde.
Das zweite Bild formt sich im Kontext des Dialogs mit Messori nach zwei
verschiedenen Profilen und Momenten mit sicherlich ausgearbeiteten
Schattierungen, wenn wir den zuerst in der Zeitschrift "Gesù" (Nov.
1984) veröffentlichten Text mit dem vollständigen oder angeblich
vollständigen des "Rapporto" nach dem Dialog selber vergleichen, der
nicht im Januar, wie man erhoffte, sondern erst im Juli veröffentlicht
wurde. Mir liegt die schon erwähnte spanische Ausgabe vor, in deren
Kolophon es heißt: Dieser Band wurde gedruckt am 4. Juli 1985. Es ist
ein Bild von Bonhommie, Schlichtheit, deutsch-bajuwarischer
Frömmigkeit und geistreicher Tiefe, das bei einem so intelligen-ten,
informierten und strengen Mann wie dem Abbé de Nantes eine Begeisterung
hervorrief, die jedoch schnell nachgelassen haben muß, wie ein
Vergleich der beiden Nummern der CONTRE-REFORM vom Januar 1985, Nr.2o7,
und vom Mai 1985, Nr.211 nahe legt.
Das dritte Bild wird vom modernistischen Glanz seiner zwischen 1972 und
1982 geschriebenen oder publizierten theologischen Arbeiten vorgeführt,
"Les Principes de la Théologie Catholique" (Febr. 1985), die, wie der
Abbé de Nantes bemerkt, anstelle des vollständigen "Rapporto" und mit
dem für dieses vorgesehene Datum, nämlich Anfang 1985, gedruckt werden.
Man muß hier ebenfalls seine "Einführung in das Christentum"
einschließen, "eine Art immer wieder aufgelegten Klassiker, mit dem
eine ganze Generation von Klerikern und Laien ausgebildet wurde", wie
Messori sagt (a.a.O., S.22). Über dieses Werk und über das oben
angeführte empfiehlt es sich, die ausführlichen Zitate und Kommentare
des Abbe G. de Nantes zu vergleichen, CRC Nr.211 vom Mai 1985, Nr.212
vom Juni 1985 und seinen Artikel über "Ratzinger und die Wiedertäufer",
CRC Nr.213 vom Juli/August 1985. Dieses dritte Bild, das in seinem
rußigen Glanz die beiden anderen absorbiert, ist das eines ökumenischen
Denkers, der auf der Linie von Johannes Paul II. zwanzig Jahrhunderte
theologischen Denkens und der Dogmenformulierung für ausgelöscht
erklärt und vorschlägt, den auf dem Vaticanum II begonnenen Vormarsch
wieder aufzunehmen, d.h. die 'Kirche' des "neuen Advent" aufzubauen.
Wie fügen wir diese drei Bilder ineinander und bringen sie zu einer
Einheit? Man kann es nicht bewerkstelligen! Denn sie werden nur von
einer einzigen bedingenden Triebkraft zusammengehalten: Beseitigung und
Ersetzung der hellenischen Semantik des Glaubens, wie er in Nicäa,
Ephesus und Chalcedon formuliert worden ist. Das ist alles. Es handelt
sich um eine historizistische Theologie, wenn auch nicht mit
philologischen Grundlagen wie die von Kardinal Daniélou, so doch mit
spekulativen Ursprüngen, die in der Phänomenologie und im deutschen
Immanentismus nach-kantischer Herkunft wurzeln. Außerdem ist es eine
anti-metaphysische Theologie, die die Philosophie des Seins verabscheut
und folglich all das, was die parmenidische und platonische Größe
ausmacht.
All diese chronologischen und kritischen Präzisierungen waren notwendig, um
1.meine Informationsquellen näher anzugeben und die Hilfsmittel einer
Manipulation, die man jetzt noch nicht besonders gut versteht;
2.wieder einmal zu unterstreichen, daß, wenn wir nicht den semantischen
Kompaß des hl. Athanasius gebrauchen, wir Gefahr laufen, die
wesentlichen Fragen durcheinanderzuwerfen und den Horizont der in ihnen
beschlossenenen semantischen Kontroversen zu minimalisieren;
3.zu ermöglichen, daß alles nochmals gelesen, überdacht, reaktualisiert
werden kann, weil der Mensch ein geschichtliches Wesen ist, aber auch,
um
4.hervorzuheben, daß die heilige Überlieferung des göttlichen Lebens in
der Kirche nicht davon abhängt und nicht darin gegründet ist.
Nach solchen Hintergründen, die auch in anderen Momenten des Dialogs zu
bemerken sind, und nach den impliziten Hinweisen, die in der
Argumentation des Befragten liegen, halte ich es für notwendig, einen
systematischen ekklesiologischen Rahmen abzustecken, um die - gewiß
ohne größere Stringens vertretene Grundhaltung des Kardinals zu
sichten. Dieser Rahmen geht aus von der ontologischen Ebene: dem
Geheimnis der Kirche, betrachtet dann kurz die Breschen in der Semantik
des Glaubens und im Geheimnis des Kultes. Von dort aus können wir dann
zu allen Themen, zu allen konkreten Dingen hinabsteigen, in denen heute
- und darin stimmen wir natürlich mit Ratzinger überein - der
katholische Geist vom rechten Wege abgekommen ist in diesem finsteren
Wald, weit entfernt von seinen wesentlichen Ursprüngen und seinen
ontischen Quellen und niedergedrückt in den Morast eines prophetischen
und utopischen Modernismus, in dem gleichzeitig die giftige Atmosphäre
eines plumpen Empirismus und der nicht weniger gefährliche Nebel der
jüdisch-orientalischen Gnosis wirkt. Ich werde rekapitulieren und mich
kurz fassen.
II.
In einem Augenblick seiner Überlegungen und lehrmäßigen Präzisierungen
stellt Ratzinger im Zusammenhang mit der Katechese, der Mißachtung, der
Kaltstellung oder einfach der Zerstörung des klassischen
tridentinischen Katechismus die vier Grundkapitel der Katechese heraus:
Credo, Pater noster, Dekalog, Sakramente. Einverstanden! Um Kinder,
Jugendliche oder einen Erwachsenen, der getauft werden will, zu
unterweisen, braucht man eine Richtlinie. Aber die Katechese mit dem
Wesen zusammenzuwerfen, wäre eine unverzeihliche Verwechslung, es wäre,
wie wenn man die Methode mit dem Gegenstand, das Subjekt mit dem
Erkenntnisvorgang verwechselte.
Gewiß, ein so fleißiger und durch die moderne Philosophie geprägter
Mann, der einen Teil seiner forma mentis einer Scholastik sui generis
und einen Teil seiner grundlegenden Theologie dem jesuitischen
Tridentinismus verdankt, in dem er vielleicht ausgebildet wurde, könnte
sich wohl dergleichen Verwechslungen nicht zuschulden kommen lassen.
Einverstanden. Aber wenn es sich schon um das Panorama handelt, das der
Kardinal zeichnet, so ist die Krise oder der Konkurs der Katechese
gewiß ein sehr ernstes Ergebnis, aber zweiter oder dritter Klasse.
Wegen seiner modernistischen, strukturalistischen, progressistischen,
prophetischen Theologie wählt er, obwohl er die Ebenen nicht
verwechselt, die Phänomenologie des Seins und nicht das Sein selber,
die Neubildung der Ökumene und nicht die Kirche und ihre
gottmenschliche Wesenheit, er wählt die historische Erfahrung der
Quelle und nicht die Quelle selber. Niemand wird die theologischen
Irrtümer Rahners, Daniélous, Küngs, Boffs etc. und vieler anderer einer
Frage der Katechese zuschreiben. Nein! Was eingestürzt ist, ist die
theologische Struktur des Mysterium Christianum als glaubens- und
erkenntnismäßige Rechtsgültigkeit des Gottmenschentums Christi, nämlich
Trinitarisches Mysterium, Mysterium Christi und Mysterium der Kirche.
Und dieser Zusammenbruch hat sich in der hierarchischen Kirche
ereignet, bei Bischöfen und Klerus, bei den Theologen, seien sie
Bischöfe oder nicht, in der post-tridentinischen und modernen
theologischen Wissenschaft und schließlich nicht bei den Kindern oder
Jugendlichen, sondern bei den Erwachsenen des christlichen Volkes. Die
von Ratzinger mit so harten Worten beschriebene Glaubenskrise erweist
sich als ein wahres Schisma des Episkopats: auf der einen Seite die
hierarchische Kirche , ihre res mysterica, Gegenstand, Inhalt, Prinzip
und Quelle des Glaubens, auf der anderen Seite die angeblichen Christen
(an erster Stelle natürlich die Bischöfe), deren religiöser Erfahrung,
deren Gebet, Geist, Lob und Erkenntnis diese res mysterica nicht
innewohnt, obwohl sie die Taufe empfangen haben. Die Ursache dieses
Zusammenbruchs liegt nicht in der Aufgabe einer Katechese und ihrer
Ersetzung durch eine andere, das ist eine Angelegenheit, die zu den
sekundären Ursachen gehört, ohne selbstverständlich der Tatsache Ernst
oder Bedeutung absprechen zu wollen.
Zusammenfassend kann man sagen: Die Ekklesiologie hat sich immer mehr
von der Auffassung entfernt, die noch bei einem Theologen wie Scheeben
gelehrt wurde, und diese unheilvolle Spaltung hat das ganze Gebäude des
Glaubens mit sich fortgerissen und hat die Konturen des Christ-Seins im
Sinne von Gläubig-Sein verschwommen werden lassen.
Oft haben wir es in unseren Kursen und Vorträgen beschrieben. Die
Väter, die Konzilien, die Theologen: die Kontroversen, die Häresien,
die Systematisierungen etc. sind ausgegangen vom trinitarischen
Geheimnis, um sich im Mysterium Christi zu wiederholen und seine
Ãœbertragung auf das Wesen und die Sendung der Kirche anzuregen. Ein
spezifisch ekklesiologisches Konzil hat es nicht gegeben. Auch das
Konzil von Trient machte keinen Schritt in diese Richtung und krönte
das theologische Gebäude nicht mit einer Formulierung über das
Geheimnis der Kirche. Das Vaticanum I war gedrängt durch eine andere
Atmosphäre und wurde, wie wir wissen, wegen weltlicher Fragen
unterbrochen. Es ist gerade die große Verantwortung des Vaticanum II,
daß es nicht nur nicht über eine geeignete Ekklesiologie nachdachte,
sondern den Weg bahnte für eine unerwartete und für den Glauben
verderbliche Umkehrung.
Die ekklesiologischen Irrlehren von heute, tägliches Brot in der ganzen
'Kirche', beleben neu und verdichten in anderer Tonart die
trinitarischen und christologischen Häresien, die endgültig beseitigt
schienen. Und es ist eine halbe Wahrheit, wenn Ratzinger versichert,
daß heute kein Theologe in der römischen 'Kirche' den Satz von den zwei
Naturen und die Einheit der göttlichen Person in Christus diskutiere.
Obwohl er es andererseits so sagt: "Es ist natürlich schwierig, einen
katholischen Theologen zu finden, der zugibt, daß er die alte Formel
leugnet, die Jesus als den Sohn Gottes bekennt. Alle werden sagen, daß
sie sie annehmen, dabei jedoch hinzufügen, in welchem Sinne jene Formel
ihrer Meinung nach verstanden werden müsse. Und hier ist es, wo oft
Unterscheidungen eingeführt werden, die zu Abstrichen am Glauben an
Jesus als Gott führen." (S.85 f.) Was letztlich zusammengebrochen ist,
ist nicht die Katechese, sondern der Glaube an das Mysterium der
Kirche, in deren Leben wir Zugang haben zum trinitarischen Mysterium
und zum Mysterium Christi. Und gerade dieses alarmierende Schweigen
Ratzingers in einem systematischen Sinn entzieht dem "Rapporto" die
solide Grundlage, obwohl die Beschreibung der Katastrophe, womit
Ratzinger uns zum Nachdenken bringen will, wahr ist. Bei zwei oder drei
Gelegenheiten läßt er wohl Ausdrücke fallen, die das Geheimnis der
Kirche umreißen, aber nur flüchtig, und niemals stellt er die
Grundfrage: in der Kirche scheinen erloschen zu sein das Wissen, die
Erfahrung, die Mystik, der Lobpreis, die Erforschung, die Theologie
dieses Geheimnisses. Sollten nicht aus diesen verborgenen Gründen die
Triebkräfte sich verbünden, die den Zusammenbruch der Katechese
beschleunigen? Wird es nicht so sein, daß die Apostasie gegenüber
diesem Geheimnis die Apostasie des corpus episcopale und der "communio
sanctorum" in dem von Ratzinger dargelegten Sinne hervorbringt?
Die ganze Argumentation des Dialogs beschränkt sich nämlich im
wesentlichen auf eine einzige Auseinandersetzung: Die Kirche ist jetzt
"eine bloß menschliche Einrichtung, ein von uns geschaffenes Werkzeug,
das wir folglich selbst frei reorganisieren können nach den
Erfordernissen des Augenblicks. Und so hat sich in die katholische
Theologie ein Kirchenbegriff eingeschlichen, der nicht nur vom
Protestantismus im klassischen Sinne ausgeht. Einige postkonziliare
Ekklesiologien scheinen sich direkt am Modell gewisser
nordamerikanischer Freikirchen zu inspirieren." (Vgl. Kap. Ill, S.53
f.) Es soll sich also um eine menschliche Gemeinschaft, allenfalls mit
einer göttlichen Sendung handeln, die jede Epoche gestalten, planen,
umreißen kann je nach den Zeiterfordernissen. Mit anderen Worten: die
Kirche wird nicht konzipiert, gedacht, gelebt, formuliert, übertragen,
gelehrt, verinnerlicht, gewollt, verteidigt, proklamiert als res
mysterica, theandrica, also als gott-menschliche Einrichtung.
In diesem Zusammenhang müssen wir viele Äußerungen Ratzingers sehen,
vor allem das, was die Anbetung des Vaters, die Perspektive der
Schöpfung und in besonderer Weise alles, was Christus und den Spiritus
Paraclitus betrifft. Nach dem athanasianischen Glaubensbekenntnis
(perfectus Deus et perfectus homo) ist damit die vollständige
Definition des Menschensohnes, Spiritus Perichoreticus, die Gegenwart
der dritten göttlichen Person für uns angesprochen. Ebenso gibt es
andere Ursachen, die von Ratzinger überhaupt nicht erwähnt werden,
obwohl sie wenigstens hätten angeführt und entsprechend kommentiert
werden müssen, unter anderem die Art und Ausrichtung der Predigt in der
'Kirche', die darin besteht, Steine statt Brot zu geben, und die
unmittelbar vom wahrlich verderbten Priesterstand ausgeht. Eine
Phänomenologie der Krise könnte auch eine Flucht darstellen, um das
Heilmittel unmöglich zu machen, das nicht kommen kann, wenn es nicht
durch die Heiligkeit erfleht wird. Aber die Heiligkeit ist nicht die
Frucht des Gesetzes, schon gar nicht des verderbten Gesetzes des
Konzils. Gerade das umfassende Ergebnis der von Ratzinger so sehr
gepriesenen vatikanischen Dokumente ist eben eine andere Ekklesiologie,
die derjenigen direkt entgegengesetzt ist, die wir bis vor dreißig
Jahren gelernt, gelebt und geteilt haben. Woher kommt denn dieser jähe
Absturz, wenn nicht von der Verderbtheit an der Spitze?
Ich beschließe diesen ersten Teil meiner Antwort, indem ich eine
griechisch-christliche Ekklesiologie rekapituliere, die das
Vorhandensein des trinitarischen Mysteriums und des Mysteriums Christi
im Mysterium der Kirche ergründet. Diese (die Kirche) wiederholt, wenn
man so sagen darf, die trinitarische "Kurve", die von ihrer einzigen
unauslotbaren Quelle aus die Regentschaft über die Kreatur veranlaßt,
über die ganze ktisis (Schöpfung) in einem wiederholenden Kreislauf,
der nichts zu tun hat mit den ökumenischen Phantastereien. Die res
ecclesia ist vor jeder Kreatur, sie ist durch sich, mit sich und in
sich. Ratzinger versucht, eine ökumenische Ekklesiologie zu
formulieren, indem er jedes historische Segment, jede theologische
Linie, jede in den Jahrhunderten vorgekommene Öffnung, jedes Schisma
und jede Häresie auf den Ausgangspunkt zurückführt, in welchem sich ein
neuer prophetischer Anfang, ein neuer Weg, eine neue Erfahrung, Vision
oder bahnbrechende Konzeption ereignete, um so eine Art theologische
Ökumene zu erhalten, die die Grundlage der neuen Ekklesiologie von der
wieder erlangten Einheit sein soll. Es ist eine reduktionistische
Ekklesiologie, die als Programm der theologischen Vernunft präsentiert
wird, so wie ein politischer Reduktionismus durch eine Ideologie der
Macht vorgestellt werden kann. Der theologisch-ökumenische
Reduktionismus Ratzingers konvergiert mit dem weltumfassenden
Reduktionismus Johannes Pauls II., wie wir ihn bei seinen Reisen,
besonders auf der letzten Reise nach Afrika im August 1985, offen
sehen.
All das ist ein Blendwerk, ein Anreiz zur Apostasie, der mit dem Munde
eines Drachen redet. All das ist semantische Folge der philosophischen
Strömungen, aus denen Ratzinger seine Bildung hat, Ergebnis seiner
rationalistischen und charismatischen Utopien, die sich durch eine
Phänomenologie des Glaubens und durch den Abbau seiner geschichtlichen
Ausprägungen auf eine prophetische Einheit ausrichtet, die man als die
Aufgabe des Menschen proklamiert. Die Kirche dieser Ekklesiologie hat
eines der konstitutiven Prinzipien von Chalzedon verloren: die
Göttlichkeit. Sie hat sich im Sekundären niedergelassen, in der
Menschlichkeit, und von ihr aus versucht sie, die Gott-Mensch-lichkeit
wiederzufinden. Aber die Offenbarung geschieht von oben nach unten und
nicht von unten nach oben (...), sie ist konstitutiv und ontisch, nicht
von den Erscheinungen ausgehend. Es ist wahr, Ratzinger weist nach
zwanzig Jahren konziliarer Torheiten die soziomorphe 'Kirche' zurück,
ohne aber mit Nachdruck das gott-menschliche theomorphe Kennzeichen
herauszustellen, das uns erlaubt, nicht nur das Sein der Kirche zu
erfassen, sondern auch ihr Eingebettet-Sein in die Geschichte. Der
soziomorphen 'Kirche' stellt er eine ökumenische 'Kirche' entgegen,
deren Einheitsprinzip die biblische Prophétie ist und nicht die
gott-menschliche Unio. Aber die biblische Prophétie ist nicht Ursache
der Menschwerdung, sondern Wirkung, die entfernteste im herabsteigenden
Rhythmus, dem geschichtlichen Menschen am nächsten im aufsteigenden
Rhythmus. Weder die Prophétie noch das biblische Wort sind Fundament
der Kirche, weil das eine und das andere nur existieren in Bezug auf
Christus, d.h. auf die Semantik der drei Teilhaben, die sich als
unerläßlich für jede theologische Reflexion über die Kirche erweisen.
III.
Von allem Vorhergehenden hängt eine thematische Konstellation ab, die
Ratzinger verschiedentlich übernommen und behandelt hat, z.B. die
Vorstellung von der Kirche als "Volk Gottes" (op.cit., S.55). Aber er
vergißt das Dokument seines Vorgängers, F. Seper, der am 24. Juni 1973
gerade dieses mit Häresien verseuchte Zeugnis über das Thema"Mysterium
Ecclesiae" veröffentlicht hat. (Ich gehe nicht näher darauf ein, weil
ich bereits eine gründlichere Analyse solcher Lehren gemacht habe. Man
vgl. mein Buch "La HerejÃa Judeo-Cristiana" Buenos Aires, S.169-180.)
Ich ziehe es vor, eine ein-heitliche Antwort zu geben in diesem
Kapitel, das ich nicht ohne Absicht "Die Semantik des Glau-bens"
betitele.
Vor allem betone ich, daß ich in keinem der drei Bilder eines
Theologen, mit denen sich J. Ratzinger vorstellt, eine tiefe,
mystische, schlußfolgernde und fromme Klarheit dem Glauben gegenüber
finde. Aber da ständig Fragen auftauchen, die sich in solch spekulative
Horizonte einschreiben ließen, wie sie ein großer Teil des "Rapporto"
über die Krise des Glaubens behandelt, halte ich es für angebracht,
dieses zweite Bild meiner Antwort mit einer wiederholenden,
zusammenfassenden Sentenz zu beginnen wie ein Bezugszentrum, das nach
einem einzigen Prinzip alle variablen Fäden dieser magna quaestio
(großen Frage) vereinheitlicht. Diese Sentenz lautet: der Glaube
(pistis) ist trinitarische Perichoresis (Umgebung), so real wie die
innergöttliche perichoresis in der Fülle der Gottheit, denn die pistis
ist Bezeichnung für die circuminsessio zwischen den beiden Naturen in
Christus. In der Kirche vollendet gerade der Glaube diese aufsteigende
Perichoresis von der inkarnierten Gottheit zur trinitarischen Gottheit,
bis zum sinus Patris. Die Ekklesia ist inkorporiert in die göttliche
Bewegung und diese manifestiert sich gerade im Glauben der Kirche, an
dem wir durch unseren Glauben teilhaben.
Wir müssen den kombinatorischen syntaktischen Inhalt so geläufiger
Ausdrücke wie "der Glaube der Kirche", der Glaube in der Kirche", "die
Aussagen oder der Kampf des Glaubens" klarstellen (über dieses Thema
vgl. mein Buch "FilologÃa y Theologîa" Buenos Aires 1973, Kapitel: "San
Atanasio y el combate de la Fe", besonders S.67-69), Ausdrücke, die
immer im konkreten Zusammen-hang betrachtet werden, der so sehr von
Ratzinger hervorgehoben wird. Diese vorausgehende linguistische Prüfung
räumt Hindernisse weg, vertreibt Zweideutigkeiten und bietet eine
andere Klarheit und eine entscheidendere Tiefe als die Feststellung
einer Katechese im Verfall.
In Wirklichkeit schützt die syntaktische Zusammensetzung auf dem Gebiet
der Semantik, sie vermag eine Einschränkung über die Beziehung des
Substantivs "Glaube" auszudrücken, nicht in seinem formalen Inhalt, in
seinem trinitarischen und gott-menschlichen Prinzip, sondern für sein
Vorhandensein in der Welt, so wie es der Herr kennzeichnet in seiner
dramatischen Frage (Lk 18,8): "Verum tamen Filius hominis veniens,
putas, inveniet fidem in terra?" Für die Übersetzung folge ich dem
griechischen Text: "Wird aber der Menschensohn bei seinem Kommen etwa
den Glauben auf Erden finden?" Der griechische Text sagt: ten pistin
(den Glauben), mit Artikel, was eine absolute Aussageweise anzeigt.
Kehren wir also zu unserem Vorhaben zurück. Wenn wir sagen "der Glaube
der Kirche", definieren wir zuerst durch den Genitivus subiectivus den
Glauben, den die Kirche hat, oder durch den Genetivus possessivus den
der Kirche eigenen Glauben: die Kirche glaubt hä pisteuein. Im
Griechischen erleichtern pistis (fides - Substantiv) und pisteuein
(credere - Verb) durch die Zugehörigkeit zu einer einzigen Wurzel die
Semantik des Ausdrucks (im Deutschen im Gegensatz zu den romanischen
Sprachen auch; Anm.d.Übers.). Selbstverständlich bedeutet es in einem
abgeleiteten Sinn auch der allgemeine Glaube der Christen, jedes
einzelnen, jeder Zeit usw., was die feste syntaktische Wen-dung "der
Glaube in der Kirche" betrifft. Sie entspricht zunächst dem Artikel des
Credo: unam, sanctam, catholicam et apostolicam Ecclesiam und dann der
lokativen Bedeutung, d.h. der Glaube, wie er sich innerhalb der Kirche
ereignet. Aber in der kanonischen Formulierung des Credo lautet die
eine syntaktisch-semantische Aussage "credere in Deum" und die andere
"credere Eccle-siam". Diese Frage verlangte von uns die Erklärung
syntaktischer Kategorien des Griechischen und Lateinischen, die im
Vulgärlatein und folglich in den romanischen Sprachen untergegangen
sind. Ohne auf diese durchaus wichtigen linguistischen Gesichtspunkte
einzugehen, hebe ich hervor, daß "credere Ecclesiam" bedeutet,
1. durch den dreifaltigen und gott-menschlichen Glauben bejahen, daß die Kirche existiert (Ecclesiam esse);
2. daß ihre Existenz "mysterica" ist, gebunden an die gott-menschliche Hypostatische Union;
3. daß daher diese Existenz nicht nur eine geschichtliche und
prophetische Wurzel, sondern auch eine ontische Wurzel hat, die der
Glaube, gerade weil sie ausgeht von der Sentenz "Credo in unum Deum",
bejaht.
Hinsichtlich der Wendung "Aussagen oder Kampf des Glaubens" bevorzugen
wir den starken Sinn des Genetivus subiectivus: der Glaube sagt aus und
entscheidet, der Glaube kämpft, und nicht bloß den spezifizierenden
Sinn, um diese Aussagen oder diesen Kampf von anderen Beweggründen oder
anderen ebenfalls möglichen Verbindungen zu unterscheiden.
Bei diesem linguistisch-syntaktischen Hintergrund also ist es dieses
semantische Umfüllen, das in dem auch vom gott-menschlichen Sensus
vollen Hauch geschieht; ist es dieses organische Verbun-densein
zwischen der Semantik als offener kombinatorischer Syntax und der
realen gott-menschlichen perichoresis, es ist dieses geheimnisvolle
In-einander-Gefügtsein, das eingestürzt, beseitigt und verwischt ist
innerhalb der römischen 'Kirche', deren Epitheton nicht die
konstitutiven Merkmale der Ekklesia vollständig beinhaltet. Dort, in
diesem Zusammenbruch, liegt die tiefe Ursache für die von Ratzinger
beschriebene Glaubenskrise. Weil die monophysitischen, doketistischen,
adoptianistischen etc. Häresien verschiedenen Zeichens, Namens,
verschiedener Zeiten etc. seit der lutherischen und calvinistischen
Reformation in einem großen jüdisch-christlichen Sammelbecken
zusammen-geflossen sind als reduktionistischer Abguß des
athanasianischen und chalzedonischen Theandris-mus. Dieser Abguß
wiederum war der Ausgangspunkt einer vollen Invasion des Judaismus, der
gerade die Leugnung der göttlichen Vaterschaft und Sohnschaft und von
daher auch eine revolutionäre semantische Umformung über die Gegenwart
und die Ausgießung des Heiligen Geistes ist, die unter anderem schon
durch Luther angekündigt war. Gerade diese Invasion in das semantische
Feld der durch die rationalistische und nominalistische Theologie der
Gesellschaft Jesu und durch den Voluntarismus der sogenannten
ignatianischen Mystik geschwächten römischen Kirche, also diese
Invasion des barocken Judaismus in den von Ratzinger so sehr
bewunderten katholischen Barock, ist eine der Hauptursachen der
Katastrophe.
Arbeiten wir diese Frage etwas genauer heraus nach den summarischen vom
"Rapporto" vorgestellten Kapiteln. Ergänzende Auskünfte beiseite
lassend, unterscheidet der Kardinal vier Leitgedanken dieses Glaubens
in der Krise:
1. Krise des Glaubens an den Schöpfergott;
2. Krise des Glaubens an die Kirche;
3. Krise des Glaubens an die Dogmen und die Sittenlehre der Kirche;
4. Krise des Glaubens an die Schrift, so wie die Kirche sie auslegt.
Diese vier Punkte bringen wirklich grundlegende semantische Kategorien
ins Spiel. Was den zwei-ten betrifft, so haben wir schon auf seine ganz
besondere theologische Konnation aufmerksam gemacht: von ihm sind wir
ausgegangen, d.h. vom credere Ecclesiam (mit Akkusativ, ohne
Präposition), von der Existenz des Mysterium Ecclesiae, das, wie wir
sagten, im Ratzinger-Messori-Dialog verwischt wird. Greifen wir jetzt
kurz die anderen drei auf.
Bei der Analyse des ersten Motivs, des Glaubens an Gott, den Vater und
den Schöpfer der Welt, müssen wir wieder einmal zurückkehren zur
Semantik des Credo von Nizäa, Konstantinopel, Chalzedon, um gerade die
besondere geschichtliche Situation der römischen 'Kirche' von heute zu
deuten.
Tatsächlich würde die erste Sentenz "Credimus in unum Deum" - notieren
wir auch, daß der Plural im Griechischen und Lateinischen erhalten
blieb; diese Feststellung ist wichtig! -, wenn wir dem hl. Johannes v.
Damaskus folgen, die Prophétie des Alten Testamentes zusammenfassen und
wäre die Verbindungslinie mit der Prophétie des Neuen Testamentes und
mit seiner implizierten Ekklesiologie. Aber halten wir fest, daß bei
der Weiterführung zuerst gesagt wird "Patrem omnipotentem" - und dann
"factorum", d.h. im Credo von Nizäa ist die Schöpfungstat, wie es nicht
anders sein konnte, der Triadologia untergeordnet. Außerdem muß man
darauf aufmerksam machen, daß im athanasianischen Symbolon die
Gegebenheit der Schöpfung (aus dem Pentateuch) als bekannt
vor-ausgesetzt wird. Es wird sofort gesagt: "Fides autem catholica haec
est: ut unum Deum in Trinitate, et Trinitatem in unitate veneremur".
("Der katholische Glaube aber ist dieser, daß wir einen Gott in der
Dreifaltigkeit und die Dreifaltigkeit in der Einheit verehren".) Diese
Semantik ist es, die zusammengebrochen ist, und nicht der Glaube an den
Schöpfergott. Aber Ratzinger, wie jeder Progressist, mag er
scharfsinnig sein oder phantasieren, judaisiert: der Begriff des
Schöpfergottes nämlich bedarf keines gottmenschlichen Glaubens. Dieses
Glaubens bedarf dagegen die Offenbarung, welche sagt: "unus Deus in
Trinitate, Trinitas in unitate" ("ein Gott in der Dreifaltigkeit,
Dreifaltigkeit in der Einheit"). Diese Kohärenz hat nichts mit dem
Judaismus zu tun, im Gegenteil! sie ist ihm völlig entgegengesetzt.
Die Krise des trinitarischen Glaubens aber hat sich seit dem 17.
Jahrhundert heimlich ausgebreitet, sie wurde beschleunigt durch die
Judaisierung des Barock.Dieser Glaube ist in vielen Bereichen der
Kirche gestorben, besonders in bischöflichen und sogenannten
theologischen Kreisen, und natürlich in vielen Generationen von
Gläubigen, die den Wölfen der alten und neuen Häresien, der
vermeintlichen Erleuchtung durch den Zeitgeist preisgegeben sind, der
Flut räuberischer und giftiger Bücher und Lehren.
Schließlich ist die Schöpfung das Wahrzeichen der Genesis, aber nicht
das die Fülle schaffende Zeichen des Evangeliums. Um diese so kurz
gefaßte Aussage ohne lange Abhandlungen zu verstehen, wollen wir uns
dem patristischen Begriff der tertium genus zuwenden, nämlich: jüdisch,
heidnisch oder griechisch, christlich mit der starken Bedeutung, die
der griechische Terminus in den ersten fünf Jahrhunderten unserer
Zeitrechnung voraussetzt.
Jüdisch: das ist die ausschließliche Einzigkeit Gottes, Schöpfung, die
Nichtigkeit ist, Eingegliedertsein durch das Gesetz und dessen
universale und absolute, prophetische und weisheitliche Reichweite, es
ist ein Volk, hierateuma unter allen Völkern, rassisch definiert durch
seinen Ursprung, seine Ausbreitung und seine Herrschaft. Die Sentenz
"Schöpfergott" ist jüdisch, aber sie definiert weder die Natur des
Evangeliums noch das Wesen der Kirche und noch viel weniger die Sentenz
"Deus unus et Trinus".
Griechisch: Essenz und Existenz vereint in der Entität der Welt oder
des Kosmos oder in der Kraft im absoluten esse (sein) des Parmenides:
Sein, Denken, Sagen ist ein und dasselbe, es gibt kein Geschöpf,
sondern
monogenetische
(Natur).
Christlich: Drei johanneische Sätze führe ich an, um alles zusammenzufassen:
1. "Deus lux est" (1 Joh. 1,5);
2. "si quis diligit mundum, non est caritas Patris in eoV (1 Joh.2,15)*
3. "Deus caritas est" (1 Joh. 4,8).
Wenn Gott caritas (agapä) ist, was ist die caritas (agapä) des Vaters?
Diese definiert innertrinitarisches Leben, das für das Judentum
unannehmbar und undenkbar isti sie definiert auch durch die Sohnschaft
die Gottmenschlichkeit Christi, der Kirche, der Sakramente, der
Schrift. Und diese Aussage ist wichtig für andere beschreibende Kapitel
Ratzingers. Schließlich definiert sie auch durch den Geist die
innergöttliche agapä und ihr geheimnisvolles Nach-außen-Treten, das,
was die Väter in der Schöpfung ergründen. Eine großartige Theologie,
die des hl. Johannes v. Damaskus, die für die nach-trinitarische
Christenheit verloren, jetzt vollständig verneint wird durch das
judaisierende ökumenische Rom. Deswegen singen wir: "Veni creator
Spiritus, mentes tuorum visita, imple superna gratia, quae tu creasti
pectora." Der Kommentar zu dieser Strophe würde genügen, um die
schwache Theologie Ratzingers zusammenbrechen zu lassen, die nur eine
mit Biblismus und deutscher Philosophie, natürlich anti-metaphysischer
Philosophie, beladene prophetische Ãœberlegung ist.
Mit einem Wort, in Rom glaubt niemand mehr, was der hl. Athanasius
sagt: Unum Deum in Trinitate, Trinitatem in unitate (einen Gott in der
Dreifaltigkeit, die Dreifaltigkeit in der Einheit). Und wenn sie in
einigen Fällen bei den liturgischen Lesungen den Anfang des Evangeliums
des hl. Johannes unterdrückt haben, werden sie auch das Symbolum aus
den Texten des Göttlichen Offiziums entfernen, falls diese liturgische
Kategorie überhaupt noch existiert. Das ist keine Frage der Katechese,
es ist dies eine Frage der klerikalen Subversion, die jetzt das zweite
Pharisäertum begründet und integriert, das Pharisäertum des
Evangeliums, nicht des Gesetzes: Man möge aushängen und zur Schau
stellen die Phylakterien (Schutzmittel) des judaisierenden Ökumenismus
und alles wird gutgehen. Wir dagegen gehen dazu über, Zöllner,
Galiläer, Samariter, Heiden, oder irgend etwas zu sein, nicht aber
Kinder der 'Kirche'. Hier ist das Geheimnis dieser Zeiten: die
Verfolgung der Kinder des Glaubens in der 'Kirche', derer, die ohne
Umschweife die unaufhebbare Pistis (Glauben) verkünden, derer, die die
via crucis (Kreuzweg) gehen müssen zwischen den Pharisäern, Sadduzäern
und Schriftgelehrten des ökumenischen Gesetzes. Ich beklage mich
natür-lich nicht, das entspricht dem Wesen des Evangeliums. Ich stelle
nur fest und unterscheide gegenüber der Analyse eines Repräsentanten
des klerikalen römischen Pharisäismus.
Von diesen Phylakterien (Schutzmitteln) hängt auch die Frage der
Schriften ab, die von den Lehrern des neuen Gesetzes hartnäckig
verdunkelt werden, wie die ehemaligen Lehrer das Licht der noah'-schen,
abrahamischen, mosaischen Offenbarung verdunkelten. Das stellt ein
semantisches Kapitel dar, das durch Ratzinger kaum erhellt wurde und
das sich auch für die Zwänge des Pharisäertums eines sich christlich
nennenden Gesetzes anbietet.
Fassen wir also in wenigen Sätzen die komplexen Fragen zusammen, die
für das Thema "biblisches Wort" interessieren: Die Schrift ist von der
Kirche abhängig, nicht die Kirche von der Schrift. Bevor die Schrift
entstand, gab es schon die Kirche. Die Schrift entstand, wurde
abgeschrieben und weiter-gegeben wegen der lebendigen Kirche und
existiert folglich als Organ dieses Lebendig-Seins. Nicht die Kirche,
Organ der innergöttlichen Perichoresis, existiert durch die Schrift.
Die Schrift ist eine Gabe für die Kirche, nicht die Kirche eine
Körperschaft im Dienst der Schrift. So wurde es einmütig verstanden bis
zu Luther, Calvin und den anderen Reformatoren. Adam, Noe, Abraham,
Moses und die Propheten existieren, sprechen, füllen Gottes Botschaft
in menschliches Wort, weil sie in Christus gegründet sind, und eine
andere Bedeutung können sie in Ecclesia nicht haben, und das gerade ist
das typologische Fundament zwischen dem Alten und dem Neuen Testament,
das gerade die Inkardination des AT in das NT, das seinerseits ein
absolutes Fundament bezeugt: die Auferstehung Christi. Diese Sätze
zusammenfassend: Nicht die Prophétie begründet die Kirche, in keinem
möglichen oder denkbaren Sinne, sondern umgekehrt: die Kirche ist die
Ursache der Prophetie. Von diesen Sätzen her kann man einen irrigen
Ausdruck Ratzingers korrigieren, der unerlaubterweise vom Glauben an
die Schriften spricht. Nein! Das ist eine Täuschung oder ein Irrtum
oder ein Schwindel. Im Credo gibt es keinen Artikel, der sagt:
"Credimus in Sanctas Scripturas", auch das athanasianische Symbolum
schließt das nicht ein. Wohl werden vom Konzil von Konstantinopel an
die Schriften erwähnt, aber gerade in dem Abschnitt über die
Auferstehung Christi: "et resurrexit tertia die secundum scripturas"
(kata tas graphas) "und auferstanden am dritten Tag gemäß den
Schriften".
Warum es notwendig war, diese Ergänzung anzufügen? Eben deshalb, weil
es die Sorge aller Synoden, Konzilien, Glaubensnormen, Canones etc. der
ersten fünf christlichen Jahrhunderte war, eine Kohärenz zu schaffen,
die die Aussage des Glaubens erhellt und ergründet, die immer die
Mystik des Evangeliums betont und einen Schutzwall aus agapistischem,
theologischem, kultischem etc. Sensus zu errichten gegen die
zahlreichen und sich widersprechenden Häresien, welche die beseligende
Lehre von der Dreifaltigkeit und den konstruktiven und grundlegenden
Theandrismus angriffen. Diese semantische Kohärenz, die aus der
Bemühung um Klarheit, Einsichtigkeit und Aussage-kraft des Dogmas
stammt, diese außerdem im Geheimnis der Heiligkeit wurzelnde Kohärenz
hat ein bedeutendes Beispiel in der Geschichte des Konzils von Ephesus,
wie wir wissen, den Terminus theotokos Gottesgebärerin - im Gegensatz
zu christotokos Christusgebärerin, womit nur die menschliche
Komponente der Geburt Christi durch Maria bejaht werden sollte,
Anm.d.Red.) betreffend. Ich habe die griechisch semantische Geschichte
dieses Problems dargestellt in einer anderen, von "Tyrern und
Trojanern" totgeschwiegenen Arbeit über den Titel oder das Maria
verliehene Vorrecht. (Vgl. Disandro, Carlos A. : "Cuestiones semánticas
en la Iglesia: Theotokos" Buenos Aires 1979.)
Schließlich ist da die Frage der Dogmen und der Horizont der Ethik, die
diskutiert oder beseitigt wurde von den 'Bischöfen', um nicht zu sagen
von der Gesamtheit der angeblich christlichen Gesellschaft des Westens.
Aber das sind die letzten Konsequenzen eines geheimnisvollen Knicks,
nicht nur im Willen der entarteten Menschen. Wenn man den "Eckstein"
verworfen und beseitigt hat, wie will da der (angebliche) Erzbischof
von München erreichen, daß dann noch die dogmatischen "Formeln", das
Licht ihres theandrinischen Sensus oder die konstruktiven Tugenden des
Mensch-Seins in der Welt wirksam sein können?
Was das Dogma und das Problem der dogmatischen Aussagen angeht, so
haben wir diese Streitfrage für den modernen Geist summarisch in
unserer Antwort an 'Kardinal' Seper hinsichtlich der entsprechenden
Kapitel in dem schon erwähnten Werk "Mysterium Ecclesiae" von 1973
behandelt. Nur noch wenig bleibt hinzuzufügen (vgl. "La herejÃa
judeo-christiana", S.169 ff.).
Ratzinger sagt diesbezüglich eine nicht zu verheimlichende und
tragische Wahrheit: "Inmitten einer Welt, in der im Grunde der
Skeptizismus auch viele Gläubige angesteckt hat, ist die Überzeugung
der Kirche, daß es eine großgeschriebene Wahrheit gebe, und daß diese
Wahrheit erkennbar, ausdrück-bar und innerhalb gewisser Grenzen auch
genau definierbar sei, ein wahres Ärgernis. Es ist ein Ärgernis auch
für viele Katholiken, die das Wesen der Kirche aus den Augen verloren
haben, der Kirche, die keine bloß menschliche Einrichtung ist und die
ein Depositum verteidigen muß, das nicht ihr gehört, dessen
Verkündigung und Weitergabe sie durch ein Lehramt garantieren muß, daß
es wiederum in angemessener Weise den Menschen aller Zeiten nahebringen
muß."
Der Abschnitt selbst ist schon ein semantisches Angebot an
unberechenbaren revolutionären Projektionen. Aber Ratzinger sagt nicht,
daß das Band zwischen Dogma und Glaube gewiß nicht herrühren kann von
einem äußerlichen Band der Autorität das jetzt vom 'Ungeist' des
Konzils und seinen mehr oder weniger immanentistischen Prälaten
geleugnet wird - noch auch von einer lockeren semantischen Entwertung,
die z.B. peri pollon (für viele) und peri panton(für alle) gleichsetzt.
Der Kardinal selbst gibt uns das Maß für diese Widersprüche in den
Ausführungen über das Gleichnis: den Splitter im Auge des anderen
sehen, den Balken im eigenen Auge aber nicht. Der befragte Kardinal
sagt tatsächlich auf S.59 bezüglich des Gebetes "Domine Jesu Christe":
"Heute führt in vielen Übersetzungen (und auch im neuen lateinischen
Text) des Ordinariums der Messe die Formel 'wir' anstelle des 'ich'
ein: 'Schaue nicht auf unsere Sünden'. Aber eine solche Auswechslung
scheint irrelevant, und dennoch kommt ihr eine große Bedeutung zu."
Ratzinger gibt dann eine psychologische Erklärung, die keine Lösung
bringt, und rechtfertigt schließlich die neue Semantik (einschließlich
der lateinischen), um alles in einer wahren semantischen Indifferenz zu
vermengen, auch das, was unabänderlich sein sollte wie der Kanon. Aber
was wollen wir da schließlich tun? Alles wurde erlaubt, alles was die
unverletztlichen Grundlagen des Glaubens angreift, ihnen abträglich ist
und sie verstümmelt, und jetzt beklagt sich Ratzinger über eine
universale Krise der Kirche bezüglich der dogmatischen Lehrsätze? Es
wurde doch die Semantik des Kultes, die Semantik des Glaubens geändert,
d.h. der Glaube wurde geändert.
Die Dogmen - ich würde eher die Bezeichnung die "universalen Canones
der Kirche" vorziehen -, die von den sieben ersten Konzilien der Kirche
formuliert wurden, sind effektiv die Leuchttürme für die Seefahrt des
Glaubens. Aber wenn sie keine leuchtenden Leuchttürme sind, wozu sind
sie dann da? Und wenn ihr Feuer in weiten Bereichen der römischen
Christenheit erloschen ist, wieso ist es zu diesem Erlöschen gekommen,
und was tritt an ihre Stelle? Das wäre die korrekte Perspektive, um der
ein wenig haltlosen Phänomenologie Ratzingers entgegenzutreten, als
Anregung zur Wiederbelebung des Glaubens. Jedoch im Hintergrund dieser
historischen Situation des Glaubens verbirgt sich ein
semantisch-theologisches Problem, das Ratzinger mit seinen Parametern
nicht angeben kann, nämlich: die semantischen Risse in der Kirche
während zwanzig Jahrhunderten, die in der linguistischen Diaspora des
Konzils und der Nachkonzilszeit ihren Höhepunkt erreichten, haben das
Band zwischen Glaube und Semantik geschwächt, weil der Glaube in der
zeitlichen Bedingtheit der Geschichte Glaubensaussage ist. Können das
Guaranà oder die Kanakensprache oder die Stammesdialekte Afrikas das
Geheimnis in Worte fassen wie das Griechische, das Lateinische, das
Deutsche? Ist der Übergang vom Hebräisch-Aramäisch-Syrischen zum
hellenistischen Griechisch des Neuen Testamentes und der ersten
Konzilien etwa gleichgültig? Ich beschränke mich darauf, diese
weitläufige Problematik in Worte zu fassen zur Lösung des Problems der
Dogmen, der dogmatischen Formulierungen und des erloschenen Feuers
ihrer veralteten und durch die geschichtliche Brandung der
konstitutiven Immanenz des nachmittelalterlichen Menschen
ausgewaschenen Leuchttürme. Dieses Feuer kann nur wiederbelebt werden
durch mystische Erfahrung, und diese wiederum kann sich nur im Kult als
der Feier der Geheimnisse ereignen. Aber zu diesem Thema kehren wir im
folgenden Kapitel zurück mit anderen Überlegungen, die auch für die
Perspektive und die semantischen Probleme von Bedeutung sind.
Wie eine Folge dieser Katastrophe in der Semantik erscheint das
Erlöschen der sogenannten christlichen Ethik, dessen Ursachen von
Ratzinger auf soziologische, technokratische Konnotationen
zurückgeführt werden, die eine neue Stellung des westlichen
christlichen Menschen mit sich brachten. Aber auch das ist eine zu
einfache und zu äußerliche Erklärung, wenn man sie mit dem
folgenschweren geistigen und ethischen Zusammenbruch bei den
sogenannten christlichen Völkern vergleicht, dem Bruch in der
lebendigen Zustimmung zu einer konstruktiven Ethik, die nicht bloß
Äußerlichkeit des Gesetzes sein soll.
Auch hierbei empfiehlt es sich, die wahren Hintergründe der Frage mit
wenigen Worten aufzudecken. Zwei Punkte müßten wir bei einer
summarischen Durchleuchtung dieses philosophisch-theologischen Themas
gegenüberstellen:
den radikalen Unterschied zwischen jüdischer und christlicher Ethik!
Dieses lebendige, menschenfreundliche, für Verbesserungen in der
christlichen Gesellschaft offene Herzstück ist seit dem 17. Jahrhundert
allmählich dahingeschwunden, ist durch das Pharisäertum der ethischen
Gewohnheit ersetzt worden, was nicht das gleiche ist, und ist
schließlich durch einen unfruchtbaren Feuereifer der Immanenz, wo alles
gleichgültig ist, vertrieben worden.
Die christliche Ethik ist "Agapistica" (?), sie geht auch hervor aus
der Kraft und Fruchtbarkeit des gottmenschlichen Geheimnisses, und ohne
dieses hat sie weder Halt noch Wirkung.
Die jüdische Ethik ist die des Deuteronomium, die des Gesetzes, sie hat
keine Verbindung mit der Gnade noch setzt sie diese voraus oder
behauptet sie als zeitlich-geschichtliche Grundlage. Der hl. Johannes
macht diese wesentliche Unterscheidung im Evangelium am Ende seines
berühmten Prologs, um ausdrücklich jede Verwechslung mit dem jüdischen
Prophetismus auszuschließen. Er sagt: "Das Gesetz wurde gegeben durch
die Vermittlung des Moses, die Gnade und die Wahrheit kam durch Jesus
Christus." Nicht umsonst gebraucht der griechische Text - ebenso wie
der deutsche - zwei verschiedene Verben: wurde gegeben (edothe), was
eine eingeschränkte Vermittlung des Moses als Prophet angibt; kam
(agéneto), was den Urheber der Gnade und der Fülle der Wahrheit
hervorhebt.
Das zweite Kapitel seinerseits sollte den Plan der Ethica agapistica
(Liebesethik) in ihrer geschichtlichen Ãœbersetzung vorlegen, was die
Herrschaft des Menschen durch die Heiligkeit wäre. Das glatte Erlöschen
dieser Herrschaft in der Kirche dürfte die nächstliegende und absolute
ontologische Ursache des von Ratzinger beschriebenen Verfalls sein,
auch die Ursache der Judaisierung der Ethica agapistica und ihrer
Ersetzung durch den Pharisäismus des Evangeliums, weiter zurückliegende
geschichtliche Ursache seit den Anfängen des Christentums, Ursache, die
seit den ersten christlichen Jahrhunderten schleichend wirkt und die es
vom 17. Jahrhundert an bis heute erreicht hat, sie zu beseitigen
einschließlich der hierarchischen Kirche. Es könnte daher die legale
Gültigkeit der Ethik nicht wiederhergestellt werden durch eine
tyrannische, nominelle Herrschaft des Judäo-Christianismus. Im
Gegenteil, die vermeintliche naturalistische Universalität ihrer
zwingenden Einzelheiten - das heißt der Buchstabe - wird alles
auslöschen bis zum letzten geschichtlichen Überbleibsel dieser
geistigen Konstellation, so wie die römische Ethik des mos maiorum, der
patriae caritas, der amicitia, der res publica usw. durch den Einfluß
der Liebe (caritas, agapä) des Evangeliums und ihrer offenkundigen
Früchte ausgelöscht wurde. Die ethica agapistica dagegen wird nur von
wenigen geteilt werden, sehr wenigen, von denen gerade, welche die
perichoresis
des Glaubens annehmen und praktizieren und zu göttlichem Leben erwachen
durch den Hunger nach Heiligkeit. Sie können unvollkommen sein, fehlbar
und gelegentlich sogar verkommen, aber der unaufhebbare Glaube, der
keinen Berührungspunkt mit dem Gesetz hat, wird den Weg bahnen für den
Geist, der das Wunder der Heiligkeit bewirken wird für jene, von denen
der Hymnus singt: "Quae tu creasti pectora". ("Welcher Du die Herzen
erschaffen hast.")
Laßt uns die Konfliktebenen, die ich erwähnt habe, zusammenfassen. Sie
sind natürlich immer klar, wenn man die Herrschaft der Semantik
beachtet, die sie begründet und bedingt.
1. Evangelium und Kirche fassen
das trinitarische Leben zusammen in der Vision des Sohnes Gottes. Die
Schöpfung - in jeder ihrer möglichen Bedeutungen - ist im
trinitarischen Leben begründet und drückt es aus, zeugt davon, aber
sie, die ktisis (Kreatur), gibt uns keinen Zugang zum innergöttlichen
Leben. Die Gegenwart Christi in der Kirche und im Evangelium ist die
bewirkende Kraft des realen unersetzbaren ontologischen Weges.
2. Die Schrift und insbesondere
das Alte Testament sind das prophetische Alphabet, das als
sinnträchtiger semantischer Hauch nicht die Kirche gründet, wohl aber
sie entfaltet, sie verinner-licht, sie verehrt, sie mitteilt, sie
proklamiert, immer wenn man das beachtet, was wir die Ontologie des
Wortes nennen konnten. Deshalb ist die lectio (Lesung) in Ecclesia von
Bedeutung in jeder ihrer mystischen und geistigen Strömungen, vor allem
aber im Gottesdienst (vgl. Dom Jean Leclercq: "L'amour des lettres et
le désir de Dieu" Paris 1957).
3. Das semantische Licht der
dogmatischen Formeln hat ein System von linguistischer Kraft im
hellenistischen Griechisch des Alten Testaments und des Neuen
Testaments, im christlichen Griechisch der Konzilien, Kirchenlehrer und
Theologen der ersten christlichen Jahrhunderte, das man nicht einfach
beiseite schieben kann. Und wenn wir eine genaue Grenze festsetzen
wollen, die für die ganze Kirche annehmbar ist (ohne
historisch-kulturelle Wertung), und überprüfbar als generative
Grundvergangenheit vom semantischen Gesichtspunkt aus, so würden wir
die Gestalt des hl. Johannes Damaskus (+756) angeben, ohne daß damit
irgendeine Art von Grenze, sondern eher Zügel für die dogmatische
Aussage bedeutet. Die Rückkehr auf diesen festen Boden dürfte, vor
allem für Amerika, den Weg öffnen für einen Wiederaufstieg zur
trinitarischen Mystik am Rande des jesuitischen Barock und am Rande
auch der judaisierenden Philologie.
4. Die christliche Ethik
unterscheidet sich formal von der Ethik des Deuteronomium. Die ethica
agapistica geht aus von der Heiligkeit und der communio sanctorum (der
Gemeinschaft der Heiligen), nicht in dem von Ratzinger erwähnten Sinne,
sondern in der ontischen Funktion, um die in der Auferstehung Christi
grundgelegte Verwandlung der Welt und des Menschen zu bewirken. Die
ethica agapistica ist das geschichtliche Ziel der trinitarischen
perichoresis. Wenn sie das nicht ist, wenn wir sie nicht so auffassen,
wird sie einen Hang zum Judaisieren annehmen. Das ist es, was sich in
den letzten drei Jahrhunderten ereignet hat. Das ist alles, und es ist
natürlich nicht wenig. Aber es ist so, nicht in anderem Zusammenhang
und nicht auf irgend eine andere Weise. Der versteckte oder
ausgesprochene Historizismus Ratzingers erklärt nichts und schafft
keinerlei Abhilfe. Und das ist gerade das Tragische, das Zeichen des
größten Verfalls.
IV.
Das Geheimnis des Kultes hat für Ratzinger keine größere Bedeutung, und
durch die näheren Ausführungen am Rande bezüglich der barocken
Atmosphäre, die ihn in seinem katholischen und gegen-reformatorischen
Bayern genährt hat, erscheint es eher eine Frage komplementärer
Äußerlichkeit, die ihm seiner Meinung nach die Reinheit des Glaubens
gegen das Luthertum bewahrt hat. Vor allem, wenn er zu unterscheiden
weiß zwischen "Feierlichkeit" und "Triumphalismus". Er zeigt auch nicht
die Physiognomie eines Humanisten, noch die eines für die Tiefe der
Poesie (der alten oder der modernen, der deutschen oder der
christlichen) offenen Geistes, noch die eines Intuitiven, der sich
nährt von der Schönheit, der Innerlichkeit, die sie weckt, von ihrem
möglichen, empfehlenswerten und zweckmäßigen Weg zum Herzen des
lebendigen Gottes. Mit anderen Worten: nach einer Erzie-hung in der
ratio studiorum jesuitischen Ursprungs geht seine Frömmigkeit ohne
Zweifel aus der ignatianischen Disziplin hervor, sein philosophischer
Stil, welcher der Tiefe des Thomismus wenig verdankt, ist
wahrscheinlich heimisch in der deutschen Phänomenologie, im sogenannten
christ-lichen Existenzialismus, bei Romano Guardini, Max Scheler und
anderen. Seine Theologie kommt von Karl Rahner her, und seine Bibel
wird gemäß der judaisierenden Philologie dieses halben Jahr-hunderts an
exegetischer Arbeit gelesen. Es ist daher klar, daß von keinem dieser
mutmaßlichen, wenn auch nicht explizierten und systematisch
ausgeführten Gesichtskreise aus, irgendein Weg zum Herzen des
liturgischen Geheimnisses gangbar wäre, umso mehr, wenn man die
Unbedarftheit oder das ästhetische Unvermögen seines rationalistischen
Geistes hinzurechnet, der voll ist von einem naiven und verheerenden
Historismus und der glaubt, das Neue Testament sei eine Verkehrsampel,
oder umgekehrt, die "Botschaft", die er nach seinen Analysen
wiederzufinden meint, sei das onti-sche Fundament der Kirche. Dieser
lange Abschnitt spekulativer Identifikation ist in keiner Form eine
überhebliche Kritik - bei der Zeichnung seines intellektuellen Lebens.
Nein. Mein Problem besteht darin, in Erfahrung zu bringen, ob man von
diesen Ufern aus und mit diesen Parametern die Frage nach der Existenz
der Kirche und vor allem das Geheimnis des Kultes in der Kirche angehen
kann; und folglich, ob man eine Ekklesiologie aufbauen kann, die für
immer den Unsinn des Kon-zils oder wie er sagt, den "Konzils-Ungeist",
beseitigt. Ich glaube, daß das nicht möglich ist. Und das ist
dramatisch, um nicht zu sagen katastrophal.
Nichts über die griechischen Väter, nichts über die trinitarische
Mystik, nichts über Dionysius Areo-pagita, nichts über die Kappadozier
etc. All das ist vielleicht zulässig, auch als formativer Kompro-miß
oder als geistige Vorliebe für andere Wege, die niemand ausschließen
will. Aber nicht zulässig, mehr noch, inkongruent, kontradiktorisch und
in gewisser Weise ungeheuerlich ist es, zu behaup-ten, man bekämpfe den
semantischen und religiösen Umsturz, der in der Apokalypse im voraus
beschrieben ("loquebatur sicut draco" - Ap. 18,11) und von dem
deutschen Prälaten irgendwie er-kannt wird, ohne auf die
unverletzlichen Quellen zurückzugreifen. Oder man stelle die Einheit
zwi-schen Kult und göttlichem Mysterium wieder her mit dem sogenannten
Konzils-Geist, ich würde, den 'Kardinal' imitierend, sagen: dem
Unkonzils-Geist. Das bedeutet, eine Kirche postulieren, die im
prophetischen Wort gegründet, durch eine jahrhundertealte, unheilvolle
semantische Operation zergliedert, durch die ökumenische Perspektive
wieder zusammengesetzt wird, der eine von der historischen und
faktischen Immanenz lebende Mentalität eigen ist. Von hier kommt die
übertriebene Bewertung anderer zeitgenössischer |