DAS VERZERRTE ANTLITZ DES ERLÖSERS
- AUSZUG AUS EINER PREDIGT -
von
+ H.H. Dr. Otto Katzer
Heute möchte ich einmal versuchen, euch die zeitbedingten Verzerrungen
des Bildes vom Erlöser zu erläutern, wie sie geschehen sind in den
Zeiten des Alten Bundes, zur Zeit der Apostel und zu dieser unserer
Zeit, der sog. Neuzeit.
Ich sprach vor längerer Zeit schon einmal über den"Vater Israels",
Abraham. Dieser kam zu Beginn des zweiten Jahrtausends v.Chr. zur Welt
als Nachfahre eines Adelsgeschlechtes, welches in Mesopotamien in Ur
unter dem Namen Terrach residierte. Die Namen Abraham und Sara bezeugen
die Zugehörigkeit zum Hochadel jener Zeit."Abraham" bedeutet soviel wie
"Erhabener" oder "mächtiger Vater". "Sara" läßt noch besser die hohe
Herkunft erkennen: der Namen "Sara" ist mit "Fürstin" zu übersetzen.
Diese Familie, und darin besonders Abraham, war von Gott für eine
Aufgabe von Bedeutung für die Geschicke der ganzen Welt ausersehen. Als
eine geistige Familie, eine Familie des Herrn, eine Kirche also, sollte
diese Gemeinschaft den Glauben an den einen, wahren Gott leben,
erhalten und verbreiten. In einer Welt, die in dumpfer Ahnung einer
übernatürlichen Macht in Vielgötterei und deshalb auch in
Sittenlosigkeit gefallen dahinvegetierte, sollte diese von Gott
auserwählte Gemeinschaft die ganze Welt auf das Kommen des Erlösers
vorbereiten.
Von Abraham an dessen Sohn Isaak weitergegeben, der ihn wiederum an
seinen Sohn Jakob übermittelte, der ihn seinerseits an seine Nachkommen
weiterleitete, verschwand jedoch der hohe Auftrag immer mehr aus dem
Gedächtnis der Söhne Israels, bis sie in der ägyptischen Gefangenschaft
für fast ein halbes Jahrtausend ihres Auftrages fast vollständig
vergaßen. Unterdessen wuchs dieses Geschlecht zu einer völkischen
Gemeinschaft heran. Da es sich zudem um das auserwählte Volk Gottes
handelte, sollten wir eher von einer Kirche, einer Familie des Herrn
sprechen, die keinen König haben sollte denn Gott, der das Volk als
König regieren, der es beherrschen sollte. Dieses Bild wurde erstmals
während der fünf Jahrhunderte dauernden Gefangenschaft in Ägypten
verzerrt, nachdem es sich aus dem Gedächtnis der Söhne Israels
verflüchtigt hatte. Erst durch Moses wurde es wieder klar während der
4ojährigen Wanderung durch die Wüste des Sinai herausgearbeitet und
präzise umrissen. Der Aufgabe, Träger einer göttlich-geistigen Sendung
zu sein, waren aber damals wie heute leider nur wenige gewachsen, die
willens waren, diesen ihnen von Gott gestellten Auftrag zu erfüllen.
Der Großteil der Menschen sank immer wieder in die alten Sünden zurück.
Und vom Bild des Messias, des Erlösers des Menschengeschlechtes, der
sie von Schuld und Sühne befreien sollte, blieb oft nur das Zerrbild
eines politischen Messias übrig, eines königlichen Valksführers, der
die Söhne Israels vom fremden Joch befreien sollte.
Von Zeit zu Zeit sandt Gott den Israeliten Männer als Vorsteher - die
sog. Richter -, um ihnen den rechten Weg zu zeigen. Unter Samuel, einen
der letzten Richter, erhob sich das Volk und forderte einen König als
Regenten. Dieses Verlangen mißfiel jedoch Samuel, der sie daran
erinnerte, daß sie doch nur den Herrn als Herrscher haben sollten. Er
trat vor den Herrn hin und klagte Ihm sein Leid. Und Gott gab ihm zur
Antwort: "Sei nicht betrübt, denn nicht dich, sondern mich haben sie
verworfen. Du sollst ihnen einen König geben und sie sollen sehen, was
es heißt, einen König zu haben." Es war dies ein wichtiger Moment in
der Menschheitsgeschichte. Auf diese Weise wurde Israel in zwei Lager
gespalten: a) das völkische Israel, das von Tag für Tag mächtiger
wurde, einem irdischen König Untertan und das nach immer mehr irdischen
Gütern strebend sich in der Befriedung materieller Bedürfnisse
verstrickte; und b) ein geistiges Israel, welches sich immer stärker
reduzierte und der Verfolgung seitens des mächtigeren Teiles des Volkes
Israel ausgesetzt war.
Dieses geistige Israel war auch in der Zeit der griechischen
Oberherrschaft vor dieser in die Wüste Juda geflüchtet. Dies geschah
wahrscheinlich zur gleichen Zeit, als dort die Gemeinde Qumran
entstand, die in den letzten Jahren wegen der Funde von
frühenBibelhandschriften für Aufsehen sorgte. Wo aber der Geist fliehen
muß, erlischt das Licht, das über diese Welt hinaus leuchten soll. Daß
nun wiederum der göttliche Auftrag vergessen und das Bild des kommenden
Erlösers zum politischen Führer degenerierte, war die Folge der Flucht
des geistigen Israel. Das völkische Israel wechselte nur seine Herren
und war zur Zeit Christi unter römischer Herrschaft. Kein Wunder also,
daß wieder ein politischer Erlöser - das Zerrbild des erwarteten
Messias - auch in dieser Situation in Christus erwartet wurde, eine
Fehlvorstellung, die sich in dem Ruf kristallisierte: "Hosanna, dem
Sohne Davids! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Es lebe der
König!" Wie bitter war jedoch das Volk enttäuscht, als es vernahm:
"Mein Reich ist nicht von dieser Welt!"... Und das Volk zu enttäuschen,
das wiederum ist ein bitteres Los für den, der solches wagt. Wir sehen
also, wie das Bild des Erlösers im völkischen Israel verzerrt wurde.
Nur bei wenigen blieb es unverändert und ungeschmälert, d.h. unverzerrt
bewahrt, aber auch bei diesen wenigen nicht ganz rein, selbst bei denen
nicht, die tagtäglich um Ihn waren, bei den Aposteln.
Am Ende seines öffentlichen Wirkens richtete der Heiland an seine
Jünger die Frage: "Für wen halten die Leute den Menschensohn?"und
erhielt von den Aposteln zur Antwort: "Die einen für Johannes, den
Täufer, die anderen für Elias oder Jeremias oder einen der Propheten."
"Und für wen haltet ihr mich?" fragt Jesus die Apostel, und Petrus
antwortet: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!" Da
spricht Jesus die den Stuhl Petri und die Seine Stellvertretung
begründenden Worte: "Selig bist bist du, Simon Barjona; denn nicht
Fleisch und Blut haben dir das geoffenbart, sondern mein Vater, der im
Himmel ist. Und Ich sage dir: Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen
Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden
sie nicht überwältigen. Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches
geben. Was immer Du auf Erden binden wirst, das soll auch im Himmel
gebunden sein! Und was immer du auf Erden lösen wirst, wird auch im
Himmel gelöst sein!" Doch nur kurze Zeit später, als Christus seine
erste Leidensankündigung machte, war das Christusbild bei Petrus wieder
in jener Weise verzerrt, wie wir es leider so häufig schon erlebt
haben: "Gott bewahre, Herr, das soll Dir nicht widerfahren." Christus
durfte nicht leiden, nicht sterben, diesen schmachvollen Tod!, er
sollte der König werden, der die Römer besiegen würde und Israel zur
Weltherrschaft führen sollte. (N.b. und Petrus würde dann Vizekönig.)
Doch die Entgegnung Christi fegte diese Verzerrung des Bildes vom
wahren Messias mit beißender Schärfe hinweg: "Hinweg von mir, Satan; du
bist mir zum Ärgernis. Du denkst nicht, was die Sache Gottes ist,
sondern was die Sache der Menschen ist." Und: "Wer mir nachfolgen will,
der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich. Denn wer sein
Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um
meinetwillen verliert, der wird es finden."
Das galt damals, das gilt auch heute noch! In welche Fehlformen wird
heute das Bild Christi verzerrt! Die sozialistischen Umverteiler
stecken ihn unter die Sozialrevolutionäre und stellen ihn an die Seite
von Marx, Mao und Che Guevara. Die öden Liberalen verschrotten ihn bei
Voltaire und dessen Epigonen. Die Kakophonisten lassen ihn bei den
Frauen- und Leibfeinden verrotten. Ein Teil der modernen sogenannten
Theologen reduzieren Christus zum bloßen politischen Befreier, andere
wiederum zum Märchenerzähler und wieder andere zum Ignoranten, der
nicht fähig war zu unterscheiden, der nicht wußte, daß alle Menschen
erlöst werden und daß es keine Verdammung geben kann, und der keine
Ahnung davon hatte, ob und wieviele und ob überhaupt jemand in die
Hölle verbannt würde, wie dies z.B. Urs v. Balthasar behauptet. Dann
gibt es noch die sog. neuen Konzils-'Päpste', deren erster den
Unterschied zwischen Christentum und Kommunismus relativierte, d.h.
Christus und Lenin in etwa auf die gleiche Stufe stellte (Johannes
XXIII.), deren zweiter (Paul VI.) Christus für unfähig hielt, zwischen
"vielen" und "allen" zu unterscheiden, und deren dritter den Heiligen
Geist an sämtliche selbstgestrickten oder hausgemachten Religionen
verpachtete.
So wird gerade heute wiederum das Bild des Erlösers, der den Menschen
von Schuld und Sünde zu erlösen vermag, und der Auftrag Gottes, den er
Moses erstmals auf die Gesetzestafeln schrieb und den Christus
durchvollzog durch Seine Offenbarung, Seine Wunder, Sein Leiden, Seinen
Tod am Kreuze und Seine Auferstehung, verzerrt, grotesk entstellt,
verfälscht und verbogen. Das Losungswort unserer Zeit heißt nicht mehr:
"Rette deine Seele!", sondern: "Frieden und Sicherheit" (für diese
Zeit, für diese Welt). Es wird also wie vor den Zeiten der
Gefangenschaft in Ägypten sein, als nämlich der Auftrag Gottes, den
Glauben an den wahren und einzigen Gott zu verkünden und den wahren und
einzigen Erlöser der Menschen zu erkennen und Seiner Offenbarung zu
folgen, mißachtet wurde von denen, denen er aufgegeben wurde.
Darum, liebe Christen, "Introibo ad altare Dei" ("Laßt uns hintreten
zum Altare Gottes"), solange uns dieses Glück noch ermöglicht ist, und
laßt uns der Sache Gottes zum Recht verhelfen, sie vor einem unheiligen
Volk vetreten und den Dreieinen Gott bitten, uns vor falschen und
frevelhaften Menschen zu retten.
Amen
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