DIE BEDINGUNG DER GNADE
- AUSZUG AUS EINER PREDIGT -
von
+ H.H. Dr. Otto Katzer
Liebe Christen,
wir haben uns schon darüber verständigt, daß die heiligmachende Gnade
eine innere, d.h. der Seele anhaftende übernatürliche Gabe ist.
Übernatürlich deshalb, weil der Mensch keinen Rechtsanspruch auf diese
Gabe hat. Sie gehört nicht zu seiner Natur, wird ihm aber über seine
natürlichen Bedürfnisse hinaus geschenkt. Sie ist der lebendige Abglanz
des dreieinigen Gottes in seinem Herzen.
Der Mensch ist also nicht nur ein natürliches Ebenbild Gottes. Nach dem
Willen Gottes besitzt er auch einen unsterblichen Geist, ist begabt mit
Vernunft, einem freien Willen und einem fühlenden Herzen. Da Gott in
seiner unendlichen Liebe sich entschloß, sich selbst dem Menschen zu
schenken, in ihm zu wohnen und mit ihm vereint zu bleiben, deshalb ist
der Mensch ein übernatürliches Ebenbild Gottes... wenn, ja wenn er
mitspielt, wenn er mit seiner Vernunft, seinem freien Willen, seinem
fühlenden Herzen dieses Geschenk der göttlichen Liebe ergreift und
behält. Das ist die Bedingung dieser einzigartigen, dieser
heiligmachenden Gnade!
Der hl. Petrus macht uns schon darauf aufmerksam, daß dieses - durch
die heiligmachende Gnade uns eingegossene - übernatürliche Ebenbild
Gottes, nichts anderes ist als die Teilhabe an der göttlichen Natur.
Auch den Engeln ist diese Gottes-Ebenbildlichkeit gegeben. Sie behalten
und beglaubigen durch ständige treue Erfüllung der ihnen aufgetragenen
Aufgabe dieses göttliche Ebenbild: Ihrem Gott und Herrn treu zu dienen
und in beständiger Anbetung IHN zu verherrlichen. Doch einige von ihnen
sahen nur noch ihr eigenes Bild und wollten keinen Herrn mehr
anerkennen.
Und so war es auch mit dem Menschen. Deshalb konnte der Engel, nachdem
er selbst gefallen war, den Menschen versuchen und zu ihm sagen: "Wenn
du essen wirst... wirst du sein wie Gott." Ich wies bereits darauf hin,
daß er erkannt hatte - und auch erkennen mußte -, das übernatürliche
Ebenbild Gottes zu sein, aber nicht anerkannte, daß er lediglich
deshalb ist (und so ist), weil Gott es in seiner unendlichen Güte so
eingerichtet hat.
Hier trat dann das "mysterium iniquitatis", das "Geheimnis der Bosheit"
zutage, das die Engel dazu provozierte, Gott ihr "non serviam", "ich
will nicht dienen" ("Ich bin wie DU, ich brauche DICH nicht, ich
brauche DIR auch nicht zu gehorchen") entgegenzuschleudern. Es war
jener Augenblick, den der Heiland so kennzeichnete: "Ich sah den Teufel
wie einen Blitz zur Hölle fahren." Das war keine lokale Bewegung von
einem Ort zum anderen, sondern der Fall aus der ewigen Glückseligkeit
in die ewige Unglücksbestimmung.
Um uns das Geheimnis der Bosheit einigermaßen klarzumachen, bedienen
wir uns eines Gleichnisses: Wie sich in einem kleinen Tautropfen der
wunderbare Glanz der Sonne kristallklar widerspiegelt, so spiegelte
sich Gott in den Engeln und den ersten Menschen. Würde aber nun das
Tautröpfchen behaupten: "Ich bin so schön wie die Sonne" - es wäre
nicht einmal eine so falsche Behauptung. Wollte es aber sagen: "Weil
ich jetzt so schön bin wie die Sonne, brauche ich die Sonne nicht mehr,
ich genüge mir selbst", so wäre dies ein Irrtum, der nicht gravierender
sein könnte. Was wäre nämlich, wenn sich vor die Sonne eine Wolke
schieben würde? Aus der kleinen reflektierenden Tautropfen-Sonne würde
wieder ein unscheinbares Wassertröpfchen - ohne allen Glanz, ohne
inneres Leuchten. Sobald jedoch die Wolke vorübergezogen wäre und die
Sonne wieder den Tautropfen bestrahlen würde, würde er sogleich wieder
das sein, was er vorher war: ein kleiner Abglanz eben dieser Sonne.
Das Bild des Tautropfen und der Sonne können wir auf das Verhältnis des
Menschen zu Gott übertragen: mit Gott und dessen Gnade ist er von Licht
erfüllt und strahlt es auf andere ab. Ohne Gott führe er ein
Schattendasein. Und dennoch besteht ein entscheidender Unterschied, auf
den schon Pascal aufmerksam gemacht hat: Es ist etwas anderes, wenn ein
König zum Bettler wird oaer ein Sehender erblindet, als wenn man von
Geburt ein Bettler oder blind ist. Ein Mensch also, durchdrungen von
Gott und im Stande der heiligmachenden Gnade, ist das natürliche und
übernatürliche Ebenbild Gottes. Durch die Sünde erlischt dieses Licht,
Dunkel und Schatten um ihn sind die Folgen seiner Verschuldung.
Vor Jahren sah ich das beeindruckende Bild einer Kreuzigung, das ein
junger Student einer Lehrerbildungsanstalt gemalt hatte: das Kreuz, an
das Christus schon genagelt ist, wird von den Schergen emporgehoben. In
diesem Augenblick wird es größer und größer und umspannt den ganzen
Horizont. Und der obere Teil, als wäre er ein Keil, wird
hineingetrieben in die dunkle, düstere Wolke der Sünde, die sich
zwischen Mensch und Gott geschoben hat. Aus dem dadurch entstandenen
Spalt ergießt sich der Glanz der Sonne über das Kreuz, den Leib Christi
und alle, die um das Kreuz herumstehen und nun erneut von den Strahlen
der göttlichen Sonne durchdrungen werden. Dieses Bild zeigt sehr schön,
wie der Strom der heiligmachenden Gnade durch die Verdienste Jesu
Christi dem Menschen wieder zufließt. Daß es Christus war, der die
Wolke zerriß und es ermöglichte, daß der Glanz der Liebe Gottes sich
wieder über diese Erde ergießen würde, ist klar. Der liebe Gott hatte
nicht umsonst den Menschen diesen Abglanz gegeben.
Der erste Bund lautete: Ich gebe dir mein Ich! In diesem Abglanz, in
diesem übernatürlichen Ebenbild gab sich Gott uns selbst. Der heilige
Petrus schreibt: "Der Mensch nahm Anteil an der Natur Gottes und wurde
wirklich so wie Gott!" - Ich gebe Dir mein Ich, aber gib Du mir dein
Ich! Der Prüfstein war die Warnung: "Wenn du... essen wirst, dann mußt
du sterben." Wir wissen, daß die ersten Menschen diesen Bund brachen.
Der Mensch wandte sein Herz von Gott ab und verlor auf diese Weise das,
was ihm Gott geschenkt hatte. Die Folge davon war: Verlust des
übernatürlichen Ebenbildes; Vernunft und Wille wurden geschwächt, das
Herz mit Eigenliebe erfüllt, und endlich kam noch hinzu: Krankheit, Tod
und Hölle. Wir haben uns in einem gewissen Sinne alle in unserem
Stammvater Adam zusammengefunden und den mystischen Leib Adams
gebildet: In Adam, durch Adam und mit Adam haben wir alle gesündigt;
denn er ist in uns, so wie wir in ihm waren. Seine Wege sind unsere
Wege, und so wie er sein Ich verloren hatte, haben wir unser Ich in ihm
verloren. Dieses Ich verfiel der Hölle. So bildeten und bilden wir
weiter eine Einheit. Der Bund wurde nicht erfüllt und die traurigen
Folgen blieben nicht aus. Es wird wohl so gewesen sein, und es war
sicherlich auch so, daß Adam versucht hatte, das verlorene
Gottes-Ebenbild zurückzugewinnen. Er verfügte aber nicht mehr über die
Mittel, die dafür zu bezahlen waren. Er hatte nicht den
Opfergegenstand, der notwendig war, dieses Ebenbild wieder zu erwerben
und zu behalten. Jesus Christus erst war durch seinen Opfertod der
hierfür genügende Preis. Alle Opfer des Alten Testamentes waren nur
stellvertretende Opfer. Als Abraham seinen Sohn opfern sollte, gab er
das Teuerste, was er geben konnte, aber er gab nicht, was er eigentlich
geben sollte: Sein eigenes Ich. Er besaß es nicht (mehr).
So waren alle diese Opfer nur stellvertrende Opfer. Und wenn ihnen eine
gewisse Gewalt und Kraft zukam, so einzig und allein als Hinweis auf
das Opfer Christi. Jesus Christus, der von sich selbst sagte: "Deshalb
liebt mich mein Vater, weil ich meine Seele hingebe, um sie wieder zu
nehmen. Niemand nimmt sie mir, ich selber gebe sie hin. Ich habe die
Macht, sie hinzugeben und sie wieder zu nehmen." Durch dieses Opfer ist
es Ihm gelungen zurückzugewinnen, was wir verloren hatten: unser Ich.
Wenn wir nun im Glaubensbekenntnis beten: "Descendit ad inferos" -
"Abgestiegen zur Hölle" -, was hat das zu bedeuten? "Et captivam duxit
captivitatem" - Er nahm die Gefangenschafts-Gefangenen, nahm diese
unsere Iche, die der Hölle verfallen waren, gefangen, brachte sie
wieder zurück und gab sie einem jeden von uns zurück, jedem sein Ich.
Nicht, daß wir damit tun, was wir wollen, sondern um nun dieses Opfer,
welches wir durch Adam, mit Adam und in Adam im Paradies verweigert
hatten, nun erneut bei der unblutigen Erneuerung seines Opfers in
Christus, mit Christus und durch Christus darzubringen und so die Gnade
Gottes zurückzugewinnen.
Der zweite Punkt lautet: Gib mir Dein Ich, dann gebe ich Dir mein Ich!
"Wenn du aber ißt, mußt du sterben!" Und dieses Mal auf ewig! Weshalb
kommen wir, meine Lieben, immer und immer wieder auf die hl. Messe zu
sprechen? Um unser Ich als Opfer darzubringen! Weshalb sollten wir
unser ganzes leib-seelisches Ich, unser ganzes Leben dem Leben Christi
anpassen? Damit nicht mehr wir leben, sondern Christus in uns lebe! Der
Altar hier in der Kirche sollte das Grab unseres eigenen Ichs sein, in
der Weise, wie der hl. Apostel uns ermahnt: "Ihr seid gestorben und
euer Leben ist begraben in Christus, in Gott!" So kommen wir dann zum
Kreuze Christi und werden dort von Licht erfüllt; denn "Ich bin das
Licht der Welt" sagt Christus von sich selbst. Da wir nun selbst von
Licht erfüllt sind, sollten wir auch dieses Licht in die Finsternis der
Welt hineintragen. Mahnt uns doch der Heiland: "So leuchte euer Licht,
damit die Menschen eure guten Werke sehen und den Vater preisen, der im
Himmel ist." Ja, wir sollten das Licht Christi hinaustragen, das Licht
unseres guten Beispiels.
Das wird gelingen, wenn wir uns IHM annähern, uns IHM angleichen, wenn
Seine Gedanken unsere Gedanken werden, Seine Worte unsere Worte, Seine
Taten unsere Taten. Das ist gewiß nicht leicht, doch mit Hilfe der
Gnade Gottes ist es möglich.
Wenn z.B. den Pygmäen ein Kind geboren wird, nimmt es der Häuptling auf
den Arm und geht aus der Dunkelheit des Urwaldes zu einer von der Sonne
durchfluteten Lichtung, wo er das Kind der Sonne entgegenhebt, nicht,
als ob er in der Sonne Gott sehen würde, er sieht in ihr nur den
Abglanz Gottes. Das Kind emporhaltend, spricht er ein sehr schönes
Gebet: "Dir, o Schöpfer, Dir Allmächtiger, opfern wir dieses frische
Blut, die neue Blüte des alten Baumes. Du bist der Herr und wir sind
Deine Kinder!" Wie häufig tragen heutzutage Eltern ihre Kinder zur hl.
Taufe, ohne zu wissen, was sich dabei abspielt. Ist das denn nicht
jener Augenblick, in dem wir auch dieses Kind zum Licht - zum Licht der
Welt, Christus - emporheben, um es durchfluten zu lassen von eben
diesem göttlichen Licht?
Sind wir denn nicht schließlich auch hier versammelt, um bei der hl.
Wandlung, bei der Elevation, wenn der Priester den Leib des Herrn und
im Kelch das Blut des Herrn emporhebt, unser Herz ebenfalls mit in
diesem Opfer emporzuheben, um es durchleuchten zu lassen von eben
diesem Licht, um Licht vom Lichte zu werden? Amen.
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