Die "Geheimen Verführer" unserer psychologisierenden Theologen
von
Rudolf Willeke
Karl Marx (1818-1883) und Sigmund Freud (1856-1936), beide Söhne des
jüdischen Bürgertums und beide dem aufgeklärten Atheismus zuzurechnen,
verstanden sich beide als Stifter einer neuen, innerweltlichen
wissenschaftlichen Religion, der "Religion" des Sozialismus der eine,
bzw. der "Religion" des Sexualismus der andere.
Während Marx die Selbsterlösung des Menschen durch die endgültige
Niederringung und Ãœberwindung des Kapitalismus und den Sieg des
Kommunismus "verkündigte", den qualitativen Sprung - nämlich aus dem
Reiche der Notwendigkeiten in das Reich der Freiheit, der Freiheit des
Arbeiter- und Bauernparadieses, stellte Freud die Selbsterlösung, das
Heil des Menschen durch Befreiung der menschlichen Sexualität von allen
religiös-ethischen und gesellschaftlich-kulturellen Bindungen (Normen,
Geboten, Sanktionen) in Aussicht: Erlösung durch Emanzipation.
Beide sahen sich zu ihrer Zeit als Gründer/Stifter einer neuen "Kirche
des Fortschritts", einer profanen Gegenkirche, die den bis dahin nahezu
unumschränkt herrschenden höchsten Autoritäten (Gott, Papst, König)
eine Absage und Niederlage erteilen wollten. Marx und Freud sahen sich
selbst als wissenschaftlich legitimierte Gegen-'Päpste' gegenüber
höchsten religiösen und politischen Autoritäten ihrer Zeit.
Thomas Mann, der 1929 zum ersten Mal einen Vortrag über Freud und die
Freudsche Psychoanalyse hielt, wies darauf hin, daß Freuds Denken
insbesondere von Friedrich Nietzsche (Nihilismus) und Arthur
Schopenhauer (Atheismus) vorgeprägt sei, daß sich Freud schon als
Student einem Wiener Lesezirkel angeschlossen habe, in dem er sich mit
der Philosophie des Atheismus/Nihilismus vertraut gemacht habe.
Karl Marx hat "Das Kapital" und das"Kommunistische Manifest" als
"Bibel" des atheistischen Mate-rialismus/Sozialismus bzw. als Handbuch
der ökonomisch-sozialen Revolution verfaßt, die 1917 in Rußland
ausgelöst wurde und eine schreckliche Zahl von Menschen in den Tod riß.
Sigmund Freud hat uns die Psychoanalyse und Psychotherapie als Rezeptur
der anthropologischen und kulturell-religiösen Revolution hinterlassen,
die nach dem Zweiten Weltkrieg und in Deutschland nach 1960 die
Psychowelle auslöste und die kulturrevolutionär-gruppendynamische
Bewegung (angeleitet von Jacov Levy Moreno) auf den Weg brachte.
Für Marx war Religion nichts anderes als "Opium des Volkes", im Namen
des Marxismus wurden Kirchen zerstört und Christen verfolgt und
ausgehungert. Freud betrachtete den religiösen Glauben als "allgemeine
menschliche Zwangsneurose", als "Illusion", gewissermaßen als Defekt am
psychischen Apparat und als "unaufgeklärtes Bewußtsein". Er erwartete,
daß die Psychoanalyse den Tod der Kirche herbeiführen werde. In diesem
Aufklärungsprozeß - angeleitet durch die Psychoanalyse - gebe es keine
Aufhaltung. Je mehr Menschen die Schätze unseres Wissens zugänglich
gemacht würden, desto mehr verbreite sich der Abfall vom religiösen
Glauben (Zukunft einer Illusion).
Freud haßte die Kirche zeitlebens: Einem Besucher, der ihn gegen Ende
seines Lebens vor dem Ein-zug der Nationalsozialisten in Wien warnte,
antwortete er: "Helfen Sie mir lieber, meinen wirklichen Feind zu
bekämpfen, die römisch-katholische Kirche."
Diese tiefverwurzelte, antikirchliche Grundeinstellung teilte Freud mit
seinem geistigen Ahnen, dem großen Widersacher des Christentums,
Friedrich Nietzsche (1844-1900) und dem aufgeklärten französischen
Freimaurer François Marie Arnet, genannt Voltaire (1694-1778), Mitglied
der Loge "Neuf Soeurs" (Neun Schwestern).
In einer seiner letzten Stunden vor dem endgültigen Versinken in die
geistige Umnachtung schrieb Nietzsche den Satz: "Ich verurteile das
Christentum, ich erhebe gegen die christliche Kirche die furchtbarste
aller Anklagen, die je ein Ankläger in den Mund genommen hat, sie ist
mir die höchste aller denkbaren Korruptionen, sie hat den Willen zur
letzten auch nur möglichen Korruption gehabt. Ich heiße das Christentum
einen großen Fluch, die eine große innerliche Verdorbenheit ... ich
heiße das Christentum den unsterblichen Schandfleck der Menschheit."
Voltaires Parole "Ecrasez l'infame!", "Rottet sie aus, die Verruchte
(Kirche)!", ist in die Geschichte eingegangen. 200.000 Bauern und
Kleinbürger in der katholischen Vendée wurden 1894 förmlich ausgerottet.
Dieses psychoanalytische, (materialisisch-atheistische) Denken Freuds
hat sich auf Generationen von Psychologen, Psychotechnikern, Theologen
und Pädagogen übertragen: Normfrei ausgelebte Sexualität gegen
christlich-normierte Sexualaskese ist das Programm zur Unterhöhlung der
Fundamente, der Kirche. Psychoanalyse, neben dem Marxismus die
Großideologie des 20. Jahrhunderts mit ihren über 700 teilweise sehr
fragwürdigen "therapeutischen" Unterformen, hat mit "Seele", Seelsorge,
Seelenheil nach einem gottgefälligen Leben nicht das Geringste zu tun.
Psycho-Therapie, - Technik, -Kult sind nicht die Lösung der Probleme in
der Kirche, sie sind das Problem!
(aus: AKTION LEBEN, Rundbrief Nr. 1/2003)
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