§ 8. 'Die Vielen' oder die Anhängerschaft Jesu Christi
Jetzt aber müssen wir noch auf etwas anderes im Zuge der Gründung oder
des Geschaffen—werdens der Kirche hinweisen, das weder übersehen noch
unterbewertet werden sollte. Denn es bildet sich zuzüglich der
Jüngerschaft im engeren und eigentlichen Sinne aufgrund der "tractio
Patris" noch eine größere Anhängerschaft, bestehend aus Männern und
Frauen (unter denen sich auch Nicht—juden befanden), und die man nicht
mit dem Haufen der Nach- und Mitläufer verwechseln sollte (die zuerst
'hosianna' riefen, dann aber 'kreuzige ihn' schrieen). Diese
Anhängerschaft bildete sich nicht durch Berufung (evocatio) und
Erwählung (destinatio temporalis) Christi, sondern kraft Seiner
Aufforderung (vocatio et invitatio) und Verheißung: "Kommt zu mir alle,
die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken. Nehmt
mein Joch (nicht das der Pharisäer) auf euch und lernt von mir; denn
ich bin sanftmütig (nicht hartherzig und mitleidlos), und ihr werdet
Erquickung finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft und meine
Bürde ist leicht" (Mt 11, 28-30). Das Joch ist "sanft", weil es nicht
derart bedrückt, daß es den Willen zum Guten lähmt oder frustriert; es
wird nur schwer, wenn man sich dagegen sträubt. Die Bürde aber ist
"leicht", weil sie für jeden tragbar ist und niemand unter ihr
zerbricht. Wie oft aber hat man diese Worte Christi in ihrem
Sinn—Gehalt verfälscht und umgedeutet, so daß von einem Joch und einer
Bürde überhaupt keinen Rede mehr sein konnte? Und bald sang dann auch
die ganze 'Christenschar' in jubilierenden Koleraturen: es ist so schön
ein Christ zu sein, Halleluja! Was soll uns armen kleinen 'Sünderlein'
denn schon passieren, da wir doch im "Hause Gottes", unserem 'lieben
Vater', wohnen und ein "Tempel des Hl. Geistes" sind, der die Liebe "in
unsere Herzen ausgegossen hat" (sagte der Herr Pfarrer). Man glaubte
allen Ernstes, seinen "Seelenfrieden" bereits zu haben – ohne Joch und
Bürde! Heute sind das Fremdworte, die niemand mehr versteht. Ausnahmen
bestätigen nur die Regel. Zudem sollte man sich fragen: wer weiß
heutzutage überhaupt noch etwas oder etwas Genaueres darüber, daß der
Mensch mit der Erbsünde—Schuld und ihren realen Folgen "beladen" und
belastet ist und somit ein der Erlösung bedürftiges Wesen ist? Die
Erlösung des Menschen wurde verfälscht und umgedeutet in eine Befreiung
oder in ein Frei—werden von physischen und zeitlichen Übeln, so daß
schließlich auch die Begriffe des Bösen, der satanischen Bosheit und
der Todsünde aus dem Bewußtsein verschwanden. Dann aber wird die
Aufforderung Christi in bezug auf alle diejenigen, die immer "mühselig
und beladen sind", in ihrer tieferen Bedeutung überhaupt nicht mehr
verstanden und damit für viele gegenstandslos. Da kann man 'predigen',
so viel man will; es kommt nichts dabei heraus. Denn der Mensch ist im
allgemeinen mitnichten dazu geneigt, wirklich "von Ihm zu lernen". Dies
tat aber Seine Anhängerschaft, auch wenn es ihr bisweilen schwer fiel,
wie z.B. jener rührigen Frau, zu der Christus sprach: "Martha, Martha,
du machst dir Sorge und Unruhe um vieles; (aber) eines nur ist
notwendig" (Lk 10,41), nämlich zuerst das aufmerksame Hören auf Sein
Wort, um es zu verstehen und zu befolgen, und dann das Lernen von Ihm,
der ein anderes Joch und eine andere Bürde auferlegt. Alle Mühsale,
Belastung, Drangsale und sonstigen Übel, einschließlich eines
gewaltsamen Todes, die der Mensch in seinem Leben erleiden kann, sind
nichts im Vergleich zu jenem Übel, das ihn in seiner sittlichen
Existenz vernichtet und ihn des übernatürlichen Lebens in Gott beraubt,
das ihm Gott durch den göttlichen Menschensohn in Aussicht gestellt
hat, ja sogar verheißen hat, wenn... . Der 'moderne Mensch' von heute,
der schon morgen nicht mehr 'modern' ist, hat seinen Maßstab und seine
existentielle Mitte verloren. Darum braucht man sich auch nicht zu
wundern, wenn heutzutage die echte Jüngerschaft und die echte
Anhängerschaft Christi, die wesentliche Teile einer ekklesiologischen
Ganzheit sind, fast so unsichtbar geworden sind wie damals am
Karfreitag in Jerusalem. Indessen kann man anderes in einem
metaphorischen Sinne deutlich sehen: Hohepriester, Pharisäer,
Schriftgelehrte, Herodianer und Statthalter mächtiger Reiche! "Fürchte
dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater gefallen, euch das
Reich zu geben" (Lk 12,32). Außerdem hat Christus gesagt, daß seine
Worte nie vergehen, d.h. für alle Zeiten in Geltung bleiben werden.
Wenn also gefragt wird: wodurch und wie hat Christus eine und die
Kirche gegründet oder ge—schaffen, die ja ein individuell—konkretes
Sozial—Gebilde ist, dann kann die Antwort nur lauten: durch eine
Berufung und Erwählung vieler zu Seiner Gefolgschaft und Nachfolge
sowie durch Herausschälung vieler zu Seiner Anhängerschaft aus der
menschlichen Gesellschaft, indem Er eine neue Gesellschaft ins Da—sein
rief und ihr eine arteigene innere Form oder Wesens—Gestalt gab, die
diese soziale Ganzheit mit ihren und in ihren Teilen prägt. Zudem
vollzog sich die Schaffung dieser einzig—einen "res vomplexa er
somposita" kraft (ex auc—toritate) einer "tractio Patris" durch den
Sohn zum göttlichen Menschensohn hin, um das Reich Gottes im
Menschengeschlecht und unter den Menschen Wirklichkeit werden zu
lassen. Seit dieser Zeit existiert und sukzediert diese eine Ganze und
ganzheitlich Eine "in dieser Welt" mit seinen jeweils "lebendigen" und
"toten Gliedern". Es ist kinderleicht, zu plappern, aber gar nicht so
leicht, zu bekennen, wenn man erkannt hat, was das bedeutet: Credo
"unam Ecclesiam"! Außerdem handelt es sich um eine eminent geistige
Realität objekiver Natur, die immer nur mehr oder weniger "sichtbar"
oder wahrnehmbar ist. So war es schon am Anfang und so blieb es auch
durch alle Zeiten hindurch bis heute. Daran wird und kann auch die
Zukunft nichts ändern – bis Er wiederkommt, zu richten die Lebenden und
die Toten und alle Seine Feinde zu seinen Füßen gelegt hat, wie
geoffenbart ist. Es ist notwendig und gerade heute von großer
Bedeutung, die einzigartige Gründung der Kirche durch den göttlichen
Menschensohn zu begreifen oder wenigstens zu verstehen, um nicht in die
Fänge von gesellschaftlichen Scheingebilden zu fallen, die sich
"Kirchen" nennen, ohne Kirche zu sein. Im übrigen gibt es kein
Christentum ohne Kirche – dies haben immer nur die Feinde Christi
behauptet, die Sein "opus operatum" leugneten und damit die Kirche für
Menschenwerk erklärten -, da Christus kein Religionsstifter war,
sondern der eingeborene und inkarnierte Sohn des lebendigen Gottes und
der Messias, der gekommen war, zu retten, was verloren war, und zwar
durch Seine Kirche und in ihr, nicht aber außerhalb derselben. Die
ganzheitlich—eine Ek—klesia ist nie in eine Vielheit von "Kirchen"
zerfallen, sondern immer nur durch "tote Glieder" entstellt worden und
dies teilweise sogar bis zur Unkenntlichkeit – so wie auch heute in
einem schrecklichen Ausmaß, nicht bloß regional, wie es ja schon öfters
geschehen ist, sondern global. Das hat viele verwirrt, weil sie von
einem falschen Kirchenbegriff geprägt waren oder gar nichts mehr wußten
vom geschaffenen Sein und Wesen der "una Ecclesia", die eben keine "res
simplex" und auch nicht so leicht zu erfassen ist. "Im Glauben
(allein)" aber erfaßt man nichts, sondern gerät nur auf Irrwege, wie
leicht in Erfahrung gebracht werden kann.
Wir sprachen bereits vom göttlichen Menschensohn als dem einzigen
Ziel—Gut jener sozialen Ganzheit (in und mit ihren Gliedern), die Er
Seine Kirche oder mit einem bildhaften Ausdruck Seine Herde nannte.
Dies aber bedeutet nicht, daß Er ein Gut der Kirche wäre, das sie zum
endgültigen Besitz haben oder worüber sie verfügen könnte, sondern eben
'nur' ein "bonum ex fine", ein Ziel—Gut, auf das das Ganze in seinem
Sein und Wert hingeordnet ist und von dem es gänzlich abhängt - nicht
jedoch umgekehrt! Darum ist es hypothetisch denkbar, daß Christus
dieses Ganze auch verlassen könnte, obwohl dies de facto niemals der
Fall sein würde. Indessen hat Christus Seiner Herde deutlich genug
gesagt: "Bleibt in mir, (Komma!) und ich bleibe in euch" (Joh 15,4),
aber nirgendwo und niemals mit billigem Trost versichert, Er werde,
gleichgültig was die Herde treibt, immer in ihr bleiben. Hier sollte
man sich großer Nüchternheit befleißigen und gar keinen Illusionen
hingeben. Denn es ist schon gar nicht so leicht, zu Ihm zu kommen und
dann zudem noch sehr schwer, auch wirklich bei Ihm zu bleiben,
geschweige denn in Ihm! Wer das übersieht, verfällt bestenfalls
religiösen Träumereien. Dies alles lehrt schon der Gründungsprozeß der
Kirche, der sich, wie man wissen sollte, in der Heilsgeschichte auf
eigentümliche Weise ständig wiederholt. "Ein guter Mensch in seinem
dunklen Drange ist sich" keineswegs! " des rechten Weges wohl bewußt"
(wie Goethe in seinem Glaubenswahn verheißend dichtete und der es mit
seinen 'Jüngerlein' auch nie begriffen hatte, warum am Anfang nicht die
Tat, sondern das Wort war). Im übrigen ist ein Christ nicht deswegen
ein solcher, weil er ein guter Mensch ist, zumal da es viele guten
Menschen gibt, die keine Christen sind, auch wenn sie sich als 'Brüder
in Christo' bezeichnen. Wer kennt nicht diese "Rasse", der man überall
begegnen kann? Und wer kennt nicht diese frommen Betbrüder und
Betschwestern, die "plappern wie die Heiden, die sich einbilden, daß
sie erhört werden, wenn sie viele Worte machen" (Mt 6,7), oder gewisse
Kirchenchöre, die bei Gelegenheit in feierlichen Gewändern auftreten
und die, um mit Nietzsche zu reden, "den gehobenen Busen für den
Blasebalg der Gottheit halten"?? Man kann es schon an den Gesichtern
dieser Sänger und Sängerinnen ablesen, daß sie gar nicht wissen, was
oder wovon sie da singen: 'Lobet den Herrn, denn er ist freundlich
allemal'! 'Wir sind doch alle kleine Sünderlein, 's war immer a so'!
(sang der Kölner Milowitsch, der Komiker, am Rosenmontag!)
In einem solchen Klima blüht und gedeiht so manches, das sogar Greuel
verdeckt. Dies alles ist doch (sagen die Verführer), 'menschlich' oder
etwa nicht? 'Leben und leben lassen', heißt die Devise; wer dagegen
verstößt 'sündigt schwer'! Wie aber will man dann die Kirche und ihr
einziges Ziel—Gut erkennen und erreichen? Dieses Kunststück möge uns
doch jemand vormachen, damit wir wissen, wie man das macht! Schon zu
Lebzeiten rief Christus mit lauter Stimme: "O du ungläubiges und
verkehrtes Geschlecht. Wie lange noch soll ich bei euch sein und euch
ertragen?" (Lk 9,41). "Wehe dir, Chorazin! Wehe dir Bethsaida! Denn
wenn in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen wären, die bei euch
geschehen sind, so hätten sie längst in Sack und in Asche sitzend sich
bekehrt" (Lk 10,13). Sich bekehren heißt: radikal umkehren, falsche
Wege verlassen und aufhören mit allem falschen Denken, Glauben, Tun und
Sichverhalten; es heißt zurückgehen und hingehen zu dem, der allein
"der Weg und die Wahrheit IST". Aber nicht bloß 'im Geiste' durch
Gesinnungsänderung, denn das führt zu nichts und verendet im
Subjektivismus, sondern in Seinem Geiste und real. Anstatt zu fragen:
"wo ist eigentlich die 'wahre Kirche'?", sollte man sich lieber die
Frage stellen: wo finden sich Menschen Seiner 'wahren' (echten)
Gefolgschaft und Nachfolge und Seiner eindeutigen und unverwechselbaren
Anhängerschaft? Diese Frage erhob sich schon zu Lebzeiten Jesu Christi
und ist immer aktuell gebliebenen. "Was war, wird wieder sein; was
geschah, wird wieder geschehen, und nichts Neues gibt es unter der
Sonne" (Pred 1,9)! Traditionalisten und Progressisten, Konservative und
Modernisten sowie die vielen 'Kirchengläubigen', die in ihrer
'stultitia mentis' wie geistig Blinde "an die" Kirche glaubten, haben
nie etwas intellektiv erfaßt, geschweige denn etwas begriffen vom
realen Sein und Wesen der "una Ecclesia". Und deshalb erfassen sie ja
auch nicht das Wesen der häretischen und apostatischen "römischen
Konzilskirche" und halten sie sogar für das Werk des bzw. eines
'H(h)eiligen Geistes', obwohl es sich bei diesem kirchlichen Monstrum
um ein geschickt eingefädeltes Werk Satans und seiner Gefolgschaft
handelt. Diese redet schon seit Jahren ständig von einem "Geheimnis(!)
der Kirche", damit bloß niemand von den "Glaubenden" und Mitläufern
seinen Verstand gebrauche, sowie von einem neuen "Volk Gottes", das
sich angeblich weltweit (Urbi et Orbi) "sammelt". Selbstverständlich
"pilgert" auch dieses neue Volk, angeführt und an der Nase herumgeführt
von einem Oberpilger, und veranstaltet sogar (wie erst neulich) einen
"Fackellauf für Jesus". Es war recht amüsant, sich die dummen Gesichter
dieser Fackelläufer zu betrachten, die in der Tat gar nicht wußten, was
sie tun.
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