§ 6. Das einzige Ziel–Gut der wahren Kirche in ihrer Realität
Nun gilt aber für jede Gesellschafts—Form das fundamentale Prinzip: der
Zweck bestimmt (prägt und bezeichnet) das Wesen der Gesellschaft, und
zwar, was leider oft übersehen wird, sowohl durch eine "determinatio
activa" als auch "passiva" (Thomas von Aquin), die in ihr liegt.
Diesbezüglich jedoch macht auch das Gesellschafts—Ganze der Ek—klesia
keine Ausnahme. Indessen ändert sich die Sach—lage vollständig, wenn
man im Zweck ein doppeltes unterscheidet, nämlich den vorangehenden
oder näheren und den nachfolgenden oder entfernteren Zweck; das sind
keine zwei Zwecke, sondern nur einer. Der vorangehende (nähere) Zweck
bestimmt eine Ek—klesia zu einer religiösen Gesellschaft eigener Art,
d.h. konkret: zu einer spezifisch christlichen Gesellschaft – im
Gegensatz zu einer profanen mit ihren verschiedenen Formen und zu allen
anderen religiösen Vereinigungen oder auch Religions-'Gemeinschaften',
einschließlich der sog. 'Konfessionen' - ; der nachfolgende
(entferntere) Zweck aber bestimmt eine Ek-klesia in ihrem Wesen
dahingehend, daß er das christliche Gesellschaft—Ganze auf den
hinordnet, der es geschaffen oder hervorgebracht hat und der sein
einziges Ziel—Gut ist, das als ein solches, wie Thomas von Aquin sagt,
das "bonum secundum esse essentiale" dieser Ganzheit schlechthin ist
und an dem alle Glieder, sofern sie nicht "tote Glieder" sind,
partizipieren, was man ebenfalls nicht übersehen sollte. So war es
schon am Anfang, als Christus eine neue, gänzlich andere und
einzigartige Gesellschaft eduzierte, die Er Seine Ek—klesia nannte, und
so wird es auch immer bleiben, wenn dieses lebendige Ganze sukzediert.
Seit dieser Zeit steht immer die beunruhigende Frage im Raum: "Herr, zu
wem sollten wir gehen? Du (allein) hast Worte ewigen Lebens!" (Joh
6,68), Jeder halbwegs vernünftige Mensch weiß es doch oder sollte es
wenigstens wissen, daß keine Gesellschaft sich selbst Zweck ist und
deshalb auch nicht um ihrer selbst willen existiert. Zudem sollte man
bei der Zweckbestimmung der Kirche etwas Bestimmtes deutlicher erfassen
und unterscheiden, weil man sonst sehr leicht einem religiösen
Irrglauben verfällt, ohne sich dessen bewußt zu sein. Denn ihr einziges
Ziel—Gut ist weder Jesus, der Mensch, noch Christus, der Messias,
sondern Christus—Jesus, der göttliche Menschen—sohn, der weder ein
vergöttlichter Mensch noch ein menschliche Person war und ist. – [Das
Wort "Gottmensch" besagt wegen seiner Abstraktheit so gut wie nichts
und hat darüber hinaus auch zu manchen Mißverständnissen Anlaß gegeben,
so daß es besser ist, dieses Wort erst gar nicht zu gebrauchen. Weder
die Jünger noch die Apostel noch sonst wer haben jemals einen
"Gottmenschen" wahrgenommen, 'gesehen' oder 'erlebt'. Pontius Pilatus
und andere sahen schließlich nur noch einen blutig geschlagenen "Ecce
homo", und sogar nach der Auferstehung glaubten die Apostel, ein
"Gespenst" zu sehen; auch Maria Magdalena hatte nur ihren "Rabbuni"
wiedererkannt. Wenigstens dies sollte einigen zu denken geben, anstatt
auf den Schwindel von "Begnadeten" hereinzufallen, die vorgeben, daß
ihnen "Jesus erschienen" sei, ja sogar ständig erscheine, und die dann
sogar auf seinen Auftrag hin Bilder von einem "barmherzigen Jesus"
malen, bei denen es einmal übel werden kann. Die Zeit ist gekommen, wo
auch kleinere Dämonen ihre 'Wunder wirken', ohne in eine Schweineherde
fahren zu müssen.]
Nur dann, wenn der immanente Zweck der lebendigen Ganzheit der Kirche
in ihrem einzigen Ziel—Gut intellektiv und rational erfaßt wird,
bekommt die Aussage Christi ihr volles Gewicht: "Jedes Reich, das mit
sich selbst entzweit ist" oder "wider sich selbst uneins ist" (also
keine Real—union und innere Personalunion besitzt oder zu eigen hat),
"wird verwüstet werden, und ein Haus fällt über das andere"(Lk 11,17).
Mithin besteht eine solche Möglichkeit auch in bezug auf das
einzig—eine Reich Gottes unter den Menschen und seine konkrete Gestalt,
die Kirche. Und diese Möglichkeit zeigte sich bereits zu Lebzeiten
Christi auf Seinem einsamen Wege zum Kreuz, wie wir oben darlegten.
Daraus aber erhellt, daß zwischen dem göttlichen Menschensohn und
Seiner Kirche ontologisch weder eine absolute Identität noch eine
absolute Verschiedenheit besteht und woraus dann folgt, daß Er immer
nur "inmitten" (nicht: der, sondern) Seiner Kirche lebt – damals wie
heute, aber nicht auf dieselbe Weise. Indessen lebt Er nicht im
Herzenskämmerlein von Einzelpersonen und 'begegnet' auch niemandem; Er
lebt auch nicht in "religiösen Gemeinschaften", gleich welcher Art,
sondern nur "inmitten" einer, ein Eigenwesen besitzenden, sozialen
Ganzheit mit ihren Gliedern, da dieses ganzheitlich Eine nur auf Ihn
bezogen ist und in Ihm sein Fundament hat. Und deshalb stehen auch alle
Glieder, sofern sie nicht "tote Glieder" sind oder zu solchen geworden
sind, in einer unmittelbaren Beziehung zum göttlichen Menschensohn. Man
muß eben die Gründung der einzig—einen "una Ecclesia", die ein
ganzheitlich Eines ist und das schon von Anfang an auf Dauer angelegt
war, klar unterscheiden von ihrem erst nachfolgenden Aufbau. Sonst
verwechselt man, wie es auch bei anderen Dingen sehr oft der fall ist,
die Erscheinung einer Sache mit ihrem Wesen, verwirrt ein Wesens—Ganzes
und stellt schließlich alles auf den Kopf. Dann freilich ist von der
"Ecclesia sua" Christi auch nichts mehr zu erblicken; man steht nur
noch da und wundert sich wie schon der Heide Pontius Pilatus am
schauerlichen Karfreitag in Jerusalem. Heute freilich gibt es infolge
eines langen Mißbrauches eines Begriffswortes eine Menge "Kirchen" bzw.
einen Haufen von "Kirchen", die überhaupt kein Fundament in der
ursprünglichen Gründung Christi haben, sondern bloßes Menschenwerk
sind. In Wahrheit jedoch handelt es sich bei diesen "Kirchen", um
'christliche' Sekten—Gebilde verschiedener Art und Größe, die in der
menschlichen Gesellschaft ihr Unwesen treiben, untereinander verfeindet
sind und nur nach außen hin 'Gemeinsamkeit' vortäuschen und
Freundschaft heucheln. Es genügt bereits, an ihrer Fassade ein wenig zu
kratzen, und schon kommt der Pferdefuß zum Vorschein! Der "Ökumenismus"
ist das Pflaster, um einem großen Schmierentheater den Anschein einer
bedeutenden "Weltbühne" zu geben. Und so etwas gibt dann halt wieder
Anlaß genug für die Frage: "wo ist die 'wahre Kirche'?".
Der göttliche Menschensohn war, blieb und ist, wie gesagt, das einzige
Ziel—Gut der Kirche als eines durch Ihn hervorgebrachten und eduzierten
Gesellschafts—Ganzen. Damit aber stand von Anfang an die Frage im Raum:
wodurch und wie ist dieses durch nichts ersetzbare Gut, des Christus
selber ist, von den einzelnen Gliedern bzw. den gliedhaft oder
gliedmäßig Einzelnen auch tatsächlich erreichbar? In dieser Sache sollt
man sich der größten Nüchternheit befleißigen und sich aber auch gar
keinen Illusionen hingeben. Denn schon im natürlichen menschlichen
Leben ist ein als einziges Ziel—Gut Erstrebbares sogar von vielen
erstrebbar, ohne von ihnen jemals erreicht zu werden oder auch erreicht
werden zu können. Im Hinblick auf die Kirche aber verhält es sich so,
daß kein Glied derselben ihr einziges Ziel—Gut durch sich selbst und
schon gar nicht aus sich selbst zu erreichen vermag. (Es gibt freilich
eine Menge 'Christen', die sogar glauben, die Gliedschaft der Kirche
sei dasselbe wie ein Mitgliedschaf in einem Verein oder Verband in
einer als Religionsgemeinschaft organisierten "Körperschaft des
öffentlichen Rechts".) Wer stand noch beim Tode Christi unter dem Kreuz
auf Golgotha? Es hatte den Anschein, als sei das Gesellschafts-Ganze
der (wie sie Christus nannte) "Kleinen Herde" zusammengeschrumpft zu
einem schäbigen, völlig bedeutungslosen und hilflosen Rest! Die meisten
Jünger und Apostel und alle sonstigen "Anhänger Jesu" waren davon
überzeugt: jetzt ist es aus und vorbei mit dem Reiche Gottes in dieser
Welt. Nur der Hohepriester Kaiphas und andere Leute vom Hohen Rate
waren davon nicht so ganz überzeugt, denn ihr Haß glühte weiter.
Außerdem geschahen seltsame Dinge, die sogar den römischen Soldaten
auffielen, und auch den schweren Vorhang im Tempel konnte kein Mensch
mitten entzwei gerissen haben. Doch dies sei nur nebenbei bemerkt. Denn
wesentlich allein ist die Tatsache, daß das einzige Ziel—Gut der Kirche
tot war (allerdings nur in seiner leiblichen Existenz) und diese
dennoch nicht unterging. Im übrigen konnte sie gar nicht untergehen.
Denn Christus hatte "den Seinen" der Ek—klesia geoffenbart und sie
ermahnt: "Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater
gefallen, euch das Reich zu geben" (Lk 12,32), und zwar durch Mich,
denn "Ich und der Vater sind eins" (d.h. ein Eines der gleichen
Wesenheit) (Joh 10,30). Also muß das einzige Ziel—Gut der Kirche auch
für jedes lebendige Glied unmittelbar erreichbar sein. Aber wie und
wodurch, wenn es niemand durch sich selbst und aus sich selbst
erreichen kann? Die gewöhnliche Antwort auf diese Frage "durch
Partizipation" ist zwar richtig, aber sie besagt so gut wie nichts.
Darum müssen wir diese Sache ein wenig aufhellen.
In einer sich infolge der Lehraussagen Christi gefährlich zuspitzenden
Situation, in der die Juden wieder einmal zu murren und zu geifern
anfingen, fiel das eine göttliche Wahrheit offenbarende Wort: "Niemand
kann zu mir kommen, wenn ihn der Vater, der mich sandte, nicht zieht"
(Joh 6,44). Damit aber ist ein erster Hinweis für die Lösung des obigen
Problems gegeben. Nur darf man jetzt nicht gleich wieder auf das Denken
vergessen oder es ausschalten und einen Saltomortale in irgendeinen
'religiösen Glauben' machen. Denn Gott, der Vater, wirkt nicht gegen
die erschaffene Wesens—Natur des Menschen, und auch der Hl. Geist hat
in seinem "Wehen" (Wirken) noch nie das mühselige Denken ersetzt. An so
etwas glauben nur die exaltierten Illuminaten, Charismatiker und
Pneumatiker, Indessen war und ist nur der inkarnierte Logos—Sohn "das
wahre Licht" (Joh 1,9), das in die Welt kam und jeden erleuchtet, der
wenigstens guten Willens ist und nicht den menschlichen Intellekt
verachtet. Wären alle 'vom Vater gezogenen' Jünger, Apostel und
Anhänger Christi "die Seinen" geworden und geblieben sind, dann hätte
sich am Karfreitag in Jerusalem nicht das gezeigt, was in Erscheinung
getreten ist. Der Vater zieht nämlich Menschen zum Sohne immer nur
durch den Sohn, der und weil er als der göttliche Menschensohn "der Weg
und die Wahrheit IST". Dieses Ziehen (trahere) ist kein Zwang
(coactio), kein zwanghaftes Geschehen am Menschen, aber auch kein
gewalttätiger Eingriff (violentia) in die Natur und Freiheit des
Menschen, sondern ein Hinbeziehen und Hinordnen des menschlichen
Geistes auf ein notwendiges Ziel—Gut zum Wohle des ganzen Menschen.
Dieses aber besteht einzig und allein im göttlichen Menschensohn und
Seinen Heils—lehren, und zwar in allen, nicht etwa bloß in denen, die
einem 'zusagen' oder 'schmecken'. "Niemand kommt zum Vater außer durch
mich. Hättet ihr mich erkannt, würdet ihr auch meinen Vater kennen"
(Joh 14,6-7). Somit geschieht das Ziehen zu Christus hin zuerst im
Bereich der menschlichen Erkenntnis, nicht jedoch des religiösen
Glaubens, und zwar durch die göttliche Wahrheit Seiner Lehren, wodurch
sich, wenn sie wirklich intellektiv—rational erfaßt und ergriffen
werden, eine erste Partizipation am Geiste Christi vollzieht, so daß
dadurch schon das einzige Ziel—Gut der Kirche erreicht und tangiert
wird. Ob man sich dieses Gut aber auch willentlich aneignet und was
ohne eine Unterwerfung unter die Wahrheit Christi wiederum nicht
möglich ist, das steht auf einem ganz anderen Blatt. Am Karfreitag in
Jerusalem zeigte es sich, daß viele der vom Vater zum Sohne Gezogenen
wieder vom göttlichen Menschensohne abgefallen und zu "toten Gliedern"
Seiner Kirche geworden waren, obwohl sie Ihn als den erkannt hatten,
der Er ist. Daraus aber folgt, daß das lebendige Ganze der Kirche
dieses Stigma immer an sich tragen wird. Darüber sollte sich niemand
täuschen, sondern sich viel lieber darum bemühen, die "toten Glieder"
von denen zu unterscheiden, die wirklich am Geiste Christi
partizipieren und sich auch tatsächlich Seiner Wahrheit unterwerfen, im
Denken und im Tun. Dieses Kriterium läßt so manches unübersehbar in
Erscheinung treten, wenn man von der Frage bewegt wird "wo ist die
'wahre Kirche'?" (obwohl es sich um eine falsche Fragestellung
handelt).
Es ist gar nicht so einfach, sondern bisweilen sogar eine äußerst
schwierige Sache, zu Dem, der der einzige Weg zu Gott, dem Vater, ist,
zu kommen und dann auch noch bei Ihm zu bleiben! Immer wird zuerst die
Frage Christi im Raum stehen und wie ein Damoklesschwert über den
Köpfen hängen: "Für wen (oder was eigentliche?) halten die Leute den
Menschensohn?" (Mt 16,13). Hier sind nicht Neigungen, Annahmen,
Vermutungen oder subjektive Überzeugungen gefragt und von Interesse.
(Christus stellt keine Fragen, um etwas in Erfahrung zu bringen,
sondern um zu belehren.) Von Wert allein ist eine wahre Erkenntnis und
eine 'Unterscheidung der Geister' in concreto, damit man nicht auf
falsche Propheten, falsche Messiasse falsche Lehrmeister oder falsche
Heils- und Frohbotschaftsverkünder hereinfällt, wie es im Zuge des sog.
"Pastoralkonzils", das ein Häretiker zusammenbrachte, in masse
geschehen ist. So manche Laien trauten ihren Augen nicht mehr, als sie
feststellen mußten, daß sogar die 'heilige Hierarchie' in der Ecclesia
Romana die "Ecclesea sua" Jesu Christi nicht mehr erreichte und von
ihrem einzigen Ziel-Gut abfiel. Das war noch viel schlimmer als das,
was seinerzeit am Karfreitag in Jerusalem in Erscheinung trat. In Rom
"zog" nicht mehr der Vater Jesu Christi, sondern es zog der "Fürst
dieser Welt(zeit)" an seinen Fäden. Schon in einem Psalm Davids war die
Warnung ausgesprochen: "Setzet auf Fürsten nicht euer Vertrauen, auf
einen (irgendeinen) Menschensohn, bei dem es Hilfe (Errettung) nicht
gibt!" (146). Es war nicht bloß naiv und unlogisch, sondern auch ein
großer Irrtum, wenn der vielzitierte hl. Cyprian (Bischof von Karthago,
Märtyrertod 258) lehrte: "Wo der Bischof, dort die Kirche" oder "
Niemand kann mehr Gott zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter
hat", und woraus dann schon im 19. Jhd. die besonders Frommen (vor
allem Klosterleute) ein 'heilige' "Mutter Kirche", ja sogar
"Mutterkirche" gemacht haben; es fehlte nur noch eine "Vaterkirche" mit
einem freundlichen Urgroßvater an der Spitze dieser 'heiligen
Großfamilie'. Parallel dazu aber hatte man in seinem dunklen Drange
auch aus Gott, dem Vater, einen "lieben Gott" und "Himmelvater"
gemacht, ja sogar einen heidnisch—mythischen "Vater—Gott", dem nur noch
eine mütterliche Gottheit oder "Mutter—Göttin" fehlte. Es gibt sogar
noch heute Theologen, die den Leuten die Idiotie verkünden, daß es "in
Gott ein Vater-(väterliches) und Mutter-(mütterliches)-Prinzip" gäbe.
Diese Leute sind nie exkommuniziert worden. Warum eigentlich nicht?
Etwa weil sie Bischöfe oder Freunde von ihnen waren?
Zudem sei darauf hingewiesen, daß nirgendwo geoffenbart ist, daß Gott,
der Vater, alle Menschen zu Seinem Mensch gewordenen Sohne zieht,
sondern nur diejenigen, die er aus reiner Barmherzigkeit durch
Begnadigung ziehen will und die sich auch ziehen lassen. Der hl.
Augustinus ist diesem Problem ausgewichen, als er im Johanneskommentar
schrieb: "Niemand kommt, außer er wird gezogen. Wen er zieht und wen er
nicht zieht, warum er den einen zieht und den anderen nicht zieht,
darüber sollst du kein Urteil fällen wollen, wenn du nicht abirren
willst. Ein für allemal vernimm und verstehe: du wirst noch nicht
gezogen. Bete, damit du gezogen werdest." Das ist nur Rhetorik und
vermittelt keine Erkenntnisse, die in dieser Sache unbedingt nötig
sind, im nicht ins Vage abzuirren. Außerdem versteht man die
Barmherzigkeit Gottes in ihrem Begnadigungsakt nicht, wenn man sie über
die Gerechtigkeit Gottes stellt oder sie in einen ausschließenden
Gegensatz zu ihr bringt. Denn Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sind in
Gott identisch. Im übrigen liebt Gott nicht den Menschen, indem er sich
auf ihn bezieht, sondern indem er ihn auf sich bezieht. Alle diese
Dinge waren schon lange vor der glaubensirren Generalversammlung des
Vatikanum 2 aus dem Bewußtsein der "Gläubigen" ausgemerzt worden, vor
allem durch Leute, die ein "geistliches Kleid" trugen, sich als
"Geistliche" aufspielten und ständig bis zum Überdruß von der Liebe
Gottes redeten. Die "Ungläubigen" aber zeigten dann mit Fingern auf die
zum Himmel stinkenden Übel 'in Kirche und Welt' oder, um mit Christus
zu reden, auf das "böse ehebrecherische Geschlecht", und grinsten
hämisch. Andere wiederum fragten ironisch, warum eigentlich die von
Gott Erlösten und Hallelujasinger so wenig erlöst aussähen? Der Ernst
der Sache, daß auch ein Glied der Kirche ihr einziges Ziel—Gut nicht
durch sich selbst, geschweige denn aus sich selbst, zu erreichen
vermag, war damit aus der Welt geschafft. Es gab Leute und Nester einer
"Natternbrut" genug, die alles darauf abstellten, die Kirche des
göttlichen Menschensohnes von innen heraus zu zerstören. Die
super—frommen Heilsegoisten, die immer nur an ihrem eigenen (privaten)
und selbstgefälligen 'Seelenheil' auf Kosten anderer interessiert
waren, störte eine solche Situation nicht im mindesten, ja sie
bemerkten sie nicht einmal, d.h. sie waren bereits vom einzigen
Ziel—Gut der Kirche abgefallen, sonst hätten sie ein solches Übel doch
bemerken müssen. – Es war ein frommer Irrtum, wenn der hl. Augustinus
mit Vehemenz meinte: Bete, damit du gezogen werdest. Richtig allein ist
die Ermahnung: Bete, damit du das mit Gottes Hilfe erreichte einzige
Ziel—Gut nicht wieder verlieren mögest! Der erste, der die "tractio
Patris" richtig interpretiert hat, war der hl. Thomas von Aquin.
Somit kann für jeden, der sich in religiösen Dingen und Sachverhalten
(res religiosae) um eine intellektive Erkenntnis der "Wahrheit der
Dinge" (veritas rerum) bemüht, evident und zur Gewißheit werden: Gott,
der Vater, zieht und zog schon von Anfang an durch Gott, den Sohn, in
einem rechtserheblichen Begnadigungsakt (nicht durch 'Ausgießung'
irgendwelcher Gnaden) eine Vielheit von des Heiles bedürftigen Menschen
zum göttlichen Menschensohn als dem Gründer der Kirche, die etwas in
einem gesellschaftlichen Prozeß Geschaffenes, Hervorgebrachtes und ins
Leben Gerufenes ist und deshalb auch von ihrem Gründer in ihrem Sein
und Wesen gänzlich (totaliter) abhängt. Die Kirche hängt nicht von
Menschen und irgendwelchen gemeinsamen Zielsetzungen ab, die sie sich
selbst setzen, weil sie dies für gut und nützlich eracht, sondern von
ihrem einzigen und absoluten Ziel—Gut, das diesem Gesellschafts—Ganzen
mit allen seinen Teilen oder Gliedern vorgegeben ist, und zwar als ein
unbedingt notwendiges auf die Weise einer 'conditio sine qua non'. Das
Da—sein der Kirche (in fieri et in facto esse) beruht nicht auf einer
"Gemeinde"—bildung, und deshalb hat es auch nie eine Ur—gemeinde in
Jerusalem gegeben, sondern nur eine, wenn man so will, Ur—gemeinschaft
von Menschen mit einem gemeinsamen (neuen) Glauben, die sich aber noch
gar nicht vom Tempel gelöst hatten. Darum wurde diese Gruppe ja auch
für eine jüdische bzw. juden—christliche Sekte gehalten. Es ist eben
nicht so leicht sich von lieben Gewohnheiten und von einer Gesellschaft
von "Fremden" zu trennen, wenn man immer noch glaubt, sie seien
"Brüder"! Auch die Apostel hatten das noch gar nicht begriffen, bis sie
durch äußere widrige Umstände eines Besseren belehrt wurden und die
harten 'Zeichen der Zeit' endlich verstanden. Man muß eben die Dinge
sachgerecht unterscheiden und darf nicht Verschiedenes zu einem Brei
zusammenrühren. Keine Gemeinschaft vieler (communitas plurium), auch
nicht eine Glaubensgemeinschaft (communitas credentium), ist ein
Gesellschafts—Gebilde (societas con—gregata); denn
gemeinschaftsbildende Prinzipien unterscheiden sich wesentlich von
gesellschaftsgebildenden.
Christus hat im jüdischen Volke weder eine neue religiöse Gemeinschaft
unter gläubigen Volksgenossen gestiftet noch einen esoterischen
Freundeskreis um sich versammelt, um ihn in Geheimlehren einzuweihen,
sondern eine neue gesellschaft hervorgebracht und eduziert und ihr
zugleich eine individuell—konkrete Form—Gestalt gegeben, deren Grund
und Maß Er selbst als der göttliche Menschensohn ist. Dieser
hinwiederum zeigte nicht bloß einen sicheren Weg zum Vater, sondern Er
war und IST (realiter, nicht etwa nur idealiter) der einzige und einzig
und allein mögliche Weg zu Gott, dem und Seinem Vater. Dieser Weg aber
wird zuerst im Medium der menschlichen Glaubens—Erkenntnis "per fidem
et rationenem" beschritten, die weder eine geistige Intuition noch
irgendeine Vision ist. (Im übrigen besitzt der Mensch keine geistige
Intuition, da die menschliche Seele kein reiner Geist ist.) Darum wies
Christus ausdrücklich auf folgendes hin, damit man sich nichts
einbilde: "Niemand kennt den Sohn als der Vater: und auch den Vater
kennt niemand als der Sohn und wem es der Sohn offenbaren ( =zur
Kenntnis und Erkenntnis bringen) will" (Mt 11,27), und womit wiederum
die Abhängigkeit vom göttlichen Menschensohne zum Ausdruck gebracht
wird. Es blieb allen Gnostikern, Mystizisten und Visionären
vorbehalten, dagegen revoltiert zu haben und dann in die Hände des
"Fürsten dieser Welt(zeit)" und "Vaters der Lüge" gefallen zu sein.
Auch auf diesem Wege wurden im Handumdrehen aus lebendigen Gliedern der
Kirche tote, und deren Werke bestanden dann hauptsächlich darin, den
Geist der 'einfachen Gläubigen' zu verwirren, was im übrigen leicht
gelang, weil diese sie für "begnadet" hielten. Es ist nun einmal so:
viele sind berufen, aber nur wenige auserwählt, und unter den Berufenen
finden sich dann wiederum viele, die ihrer Berufung verlustig gehen.
Außerdem hatte Christus schon von Anfang an nicht das geringste
Interesse an Nach- und Mitläufern und lehnte auch die Volks-"Masse" mit
ihrem dumpfen Herdeninstinkt ab. ("Vox populi vox Rindvieh")
Die Gründung der Kirche als eines Reiches Gottes in dieser Welt, d.h.
im Menschengeschlecht (den "Adamiten") und unter den Menschen mit ihren
Gebrechen, vollzog sich, was man begreifen und nie vergessen sollte, in
einem gesellschaftlichen Prozeß, der sich aus einer von Christus
ausgelösten religiösen Bewegung im jüdischen Volke herausschälte und
eine neue Gesellschaft gänzlich anderer und eigener Art hervorbrachte.
Das Eigentümliche und Einzigartige dieses Prozesses aber zeigt sich
daran, daß er zwar einen zeitlichen Anfang, aber kein Ende hat (und
auch nicht mit dem Tode Christi gehabt hat). Dies jedoch bedeutet, daß
er die Wesensbestimmung und den Charakter von etwas Immerwährenden
(sempiternum) und durch die Zeit hindurch Dauernden an sich hat, so daß
er sich in gewisser Hinsicht ständig wiederholt bzw. zu wiederholen
vermag. Auch ein Generationswechsel kann diesen Prozeß nicht
beseitigen, denn das Königtum des göttlichen Menschensohnes ist eben
nicht von dieser Welt, d.h. es hängt nicht ab von den Menschen und
ihrem Wollen. Oder bildet sich da jemand ein, er habe Macht über das
Wirken der göttlichen Vorsehung unter den Menschen und könne es aus der
Welt des Menschen vertilgen? Schon den alten Macht besessenen
Pharisäern hatte Christus im Stammbuch geschrieben: "ihr aber wißt
nicht woher ich komme oder wohin ich gehe" (Joh 8,14) und wißt
ebenfalls nicht, warum ich diese oder jenes tue, sonst hättet ihr ja
auch nicht die Lüge in die Welt gesetzt, ich sei ein "Volksverführer".
Man darf jedoch den durchaus re—volutionären (um—wälzenden)
Gründungsprozeß der Kirche nicht verwechseln mit den neuzeitlichen
Revolutionen in Staat und Gesellschaft; denn diese haben, weil sie
bloßes Menschenwerk sind, einen Anfang und ein Ende und "fressen"
schließlich "ihre eigenen Kinder", wie mit Recht gesagt wurde. Nur
Schwachsinnige, Dunkelmänner und verhinderte 'Berufsrevolutionäre'
propagieren heute eine "Befreiungstheologie". Alle diese Leute sind
gescheitert an der Wesens—Gestalt des göttlichen Menschensohnes. Das
ist alles. Mehr steckt nicht dahinter, es sei denn eine gähnende Leere.
Damit aber erhebt sich die Frage: wo zeigt sich heute unter 'Christen'
das revolutionäre Element im Wesen der Kirche in bezug auf ihr
notwendiges und einziges Ziel—Gut, das doch schon zu erreichen nicht
leicht ist? Es hat nicht bloß den Anschein, daß weltweit eine
Neuauflage des Jerusalemer Karfreitags im vollen Gange ist. Ja, mehr
noch. Denn es haben, was noch nie dagewesen und wirklich 'neu' ist, die
"toten Glieder" der Kirche die lebendigen in die Diaspora getrieben, so
daß die "una Ecclesia" zu einer Diasporakirche geworden ist. Das ist
die wirkliche 'kirchliche Situation' von heute seit dem 'unheiligen'
"Pastoralkonzil", das sich heuchlerisch und verlogen Vatikanum 2
nannte. Traurig dabei nur ist, daß so viele der 'Kirchengläubigen', die
sich als katholisch bezeichnen, dies sogar noch für wahr halten.
Dadurch aber wird ein Wieder–aufbau der Kirche nicht bloß erschwert,
sondern direkt verhindert. Darüber sollte man sich klar werden. |