§ 3. Der Reichsgründer und sein erstes Tatwirken
Das damals wie heute von vielen gar nicht so leicht zu erfassende
einzig—eine Reich Gottes unter den Menschen mit seiner auch ihm eigenen
Mitte bedarf jedoch unbedingt, eben weil es ein echtes Reich (imperium,
regnum) und eine Herrschaft (dominium) ist – nicht aber eine "Gemeinde"
bzw. Großgemeinde mit einem "Vorsteher" oder Präsidenten –,eines
wirklichen Herrschers, eines Königs oder Fürsten, der nicht bloß
Hoheitlichkeit (majestas) ausstrahlt und mächtig (potens) ist, sondern
von seiner Macht auch Gebrauch macht, und zwar sowohl einen ständigen
als auch einen wirksamen, sonst käme seine herrscherliche Gewalt oder
Herren—Macht den Beherrschten gar nicht zum Bewußtsein. Sagen wir es
doch einmal unmißverständlich und ohne Umschweife: wenn Jesus Christus,
der HERR, als frommer Bußprediger und mönchischer Asket aufgetreten
wäre oder als ein enthusiastischer Frohbotschaftsverkünder, dann hätte
Er, populär gesprochen, bei den Hebräern keinen Hund hinter seinem
warmen Ofen hervorgelockt und auch niemals in der jüdischen
Gesellschaft einen derart diabolischen Haß auf sich hervorgerufen.
Pontius Pilatus, der in die Enge getriebene Repräsentant des Römischen
Reiches, begriff gar nicht die doppelte Lüge in dem frenetischen
Geschrei des Volkes, das die Pharisäer und Hohenpriester angeheizt
hatten: "Wenn du diesen freiläßt, bist du kein Freund des Kaisers", was
bereits eine unsinnige Behauptung war; "(denn) jeder, der sich zum
König macht (was Christus gar nicht getan hatte), widersetzt sich dem
Kaiser (was ebenfalls nicht wahr war)" (Joh 19,12). Die großen und
kleinen Herren des "auserwählten Volkes" verstanden sich immer schon
auf's Lügen, obwohl ihnen bekannt war, "wer Lügen redet, der geht
zugrunde" (Spr 19,9). Indes heuchelten und logen sie, daß sich die
Balken bogen. Man lese das Alte Testamen, um auch davon den richtigen
Eindruck zu gewinnen.
Der göttliche Menschensohn aber war weder ein oder der "König der
Juden" noch ein völkisch—nationaler "Messiaskönig", auf den viele
spekulierten, indessen freilich nicht das Gesindel der Herodianer. Es
hat auch noch nie einen Herrscher gegeben, der auf Gebrauch seiner
Macht und den Einsatz von Machtmitteln verzichtet hätte, um seinen
Willen durchzusetzen, gleichgültig ob diese Mittel hiefür auch geeignet
und berechtigt waren oder nicht. Zudem weiß jeder Herrscher, daß, wenn
er darauf verzichten würde, sich dann selbst zu einer Witz- und
Spottfigur machen würde, die niemand ernst nehmen, geschweige denn
fürchten könnte. War Christus etwa ein Popanz mit einer Narrenkappe auf
dem Kopf oder eine lächerliche Galionsfigur an einem sinkenden Schiff,
das nicht einmal so stabil war wie die Arche des alten Noah? Oder war
Er in seiner 'übertriebenen' Menschenliebe und Himmelsreichverkündigung
vielleicht doch nur ein bemitleidenswerter Phantast und religiöser
Eiferer, der sich selbst maßlos überschätzte und dann auf politische
Abwege geriet? Stand Er denn nicht "am Ende seiner Karriere" ganz
alleine da? Sollte die Sache mit dem Reiche Gottes in der Welt in
Wirklichkeit doch nichts anderes gewesen sein als nur eine religiöse
Utopie eines großen und alle Menschen liebenden Menschenfreundes? Warum
aber sagte dann Christus zu den Aposteln, was im Grunde für alle Seine
echten Freunde gilt: "Nehmt euch in acht vor den Menschen; denn sie
werden euch den Gerichten übergeben und in ihren Synagogen euch
geißeln. Vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um
meinetwillen, ihnen und den Heiden zum Zeugnis" (Mt 10, 17-18)?
Wohlgemerkt, es heißt nicht: um Gottes oder des Menschen willen oder
wegen eurer Frömmigkeit und Menschenliebe. – Dies alles muß man sich
einmal in einer ruhigen Stunde ganz klar machen, um sich nicht in
falschen Vorstellungen zu bewegen und dann auf Irrwege zu geraten. Denn
hier schürzt sich ein 'Gordischer Knoten', der sich allerdings nicht
mit einem einzigen Schwertstreich auflösen läßt. Auch der Herrscher,
König oder Fürst des Reiches Gottes auf Erden muß herrschen und also
seine Macht tatsächlich ausüben, selbst wenn man ihn einkerkern oder in
Ketten legen würde; darauf kann er gar nicht verzichten, schon um
seiner Ehre willen nicht! Darum muß jetzt auf etwas hingewiesen werden,
das erstaunlicherweise sehr oft übersehen wurde und wird. Man sollte,
anstatt in religiösen Phantasien zu schwelgen, eben zuerst einmal die
Hl. Schrift genau und mit Verstand lesen sowie auch bestimmte Vorgänge
und Situationen zu verstehen suchen. Andernfalls nämlich hat es
überhaupt keinen Sinn und wirkt nur peinlich, frommen Glaubens mit viel
Gefühl, aber erkenntnisleer, zu bekennen: "Christus vincit, regnat et
imperat!". Deshalb kann man ja auch von vielen Seiten die ironischen
Frage hören: wo denn, wie denn und über wen denn?
Als Christus gleich nach seinem öffentlichen Auftreten und ohne
Umschweife vom Nahen oder Kommen des Reiches Gottes sprach und diese
Sache sogar durch seine Jünger "propagieren" ließ, da meinte er damit
einen Gründungs—Vorgang in der Gegenwart (nicht etwa in grauer
Zukunft!), der einzig und allein durch Ihn getätigt oder ins Werk
gesetzt und auf ein konkretes Ziel hingeordnet wurde. Man darf diesen
Sachverhalt niemals aus den Augen verlieren, aber auch nicht, wie es so
oft geschehen ist, verspiritualisieren, sonst verfällt man zwangsläufig
einem geistlosen und erkenntnisleeren "Glaubensmystizismus", der,
nebenbei bemerkt, hervorging aus dem von klerikalistischen
Priestertheologen überall verbreiteten Irrtum, der einer Häresie
gleichkam, das Reich Gottes könne wegen seiner geistigen Natur "nur im
Glauben erkannt und erfaßt werden". Damit aber wurden alle, die trotz
großer Bemühungen gar nichts "im Glauben" erkannten, für ungläubig, ja
für glaubenslos oder dumm gehalten und erklärt. In einer solchen
"religiösen Atmosphäre" gediehen dann natürlich die seltsamsten
Phantasmagorien, über die man ein satirisches Buch schreiben könnte.
Vom Gründer und der Gründung des einzig—einen Reiches Gottes unter den
Menschen aber wußte man in Wahrheit nichts mehr. Was geschah denn am
See von Tiberias nach der ersten wunderbaren Brotvermehrung, die
fünftausend Männer (Frauen und Jungendliche nicht mitgezählt) miterlebt
hatten (einschließlich der Spione aus Jerusalem und anderer
'Informanten' des Hohen Rates)? Die Reaktion des Volkes, insbesondere
des jüdischen mit seiner Wundersucht, war vorhersehbar und typisch,
sowohl wegen seiner Begeisterungsfähigkeit als auch wegen seines
Fanatismus. Christus sah, was sich da zusammenbraute (wir würden heuten
sagen, die Volksseele war am Kochen), und hörte, was die Leute
lautstark von sich gaben, z.B. "Dieser ist wahrhaftig der (verheißene)
Prophet, der in die Welt kommen soll!", der große Führer und Befreier
von einem religiösen und politischen Joch! Es gehört nicht viel
Vorstellungskraft dazu, um sich auszumalen, was sich damals abgespielt
haben muß. Als Christus, der das jüdische Volk durchschaute, "aber
merkte, daß sie kommen und ihn ergreifen wollten, um ihn zum König zu
machen, da zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein" (Joh.
6,14-15). Dieser lapidare Satz bringt in seiner Bescheidenheit so gut
wie nichts von dem zum Ausdruck, was er beinhaltet.
Durch dieses Verhalten Christi wird nämlich ein mehrfaches offenkundig:
an erster Stelle die Zurückweisung einer Proklamation zum König oder
Fürsten eines Volkes von seiten des Volkes oder irgendeiner
Gesellschaftsgruppe desselben – aber nicht aus Demut oder Lieblosigkeit
oder weil dafür 'die Zeit noch nicht reif war', sondern weil dies
völlig unsinnig und moralisch verwerflich gewesen wäre, da kein Mensch
den göttlichen Menschensohn "zum König machen" kann oder könnte und
dies auch nicht darf oder dürfte. Christi Herrschaft ist weder ein
Wahlkönigtum noch eine Erbmonarchie noch ein Königtum von 'Volkes
Gnaden' oder von Gnaden einer Priesterkaste, die Ihn in ihrer Hybris
hätte "salben" können. Außerdem vermag der göttliche Menschensohn aber
auch gar nichts vom Menschen zu empfangen und erst recht nicht etwas,
das seine Macht und Würde begründen, vermehren oder erhöhen könnte. Er
braucht und benötigt den Menschen nicht, um Sein Werk zu vollbringen,
sonder genau umgekehrt: alle brauchen und benötigen Ihn und sind auf
Ihn verwiesen, um in das Reich Gottes zu gelangen. Die Aussage "er zog
sich zurück, er allein" aber hat die Bedeutung, daß sich Christus allen
entzog, auch den Jüngern und Aposteln, weil sie in Ihm etwas 'sahen',
das er nicht war, und weil sie in ihrer Konfusität und falschen
Erwartung Sein einzigartiges und unvergleichbares Königsein entweder
überhaupt nicht erkannten oder gänzlich verkannten. Dieses plötzliche
und derart entschiedene Sich—entziehen trug gegenüber allen Anwesenden
einen unübersehbaren Zeichencharakter und war so vollständig, daß
niemand ausmachen konnte, wohin sich Christus, nachdem Er sich auf den
Berg zurückgezogen hatte, hinbegeben haben könnte. Die einen meinten
dieses, die anderen jenes…. Und dann ging man halt wieder nach Hause
und erzählte den Daheimgebliebenen, was sich ereignet hatte. Es gibt
auch heute noch "aufgeklärte", aber ausgesprochen dumme Leute, die
allen Ernstes sogar behaupten, der "Hexenmeister Jesus" sei nach seinem
gelungenen "Zaubertrick mit den Broten", an dem seine Jünger mitgewirkt
hätten, wegen der sich zeigenden Folgen aus Furcht vor einer hysterisch
gewordenen Volksmenge geflohen. – Alles, was Christus sagte und tat
oder auch wie er sich verhielt, hatte heils-geschichtlich einen tiefen
Sinn und eine große Bedeutung! So etwas aber erkennt man nicht "im
Glauben", sondern immer nur "per fidem et rationem" und durch das, was
wißbar ist. Darum sollt man auch die damalige Motivation Christi im
Anblick des Volkes deutlich erfassen hinsichtlich dieser Zurückweisung
und Seines dem Volke Sich—entziehens.
Später wedelten Christi Volksgenossen gleichen Typs mit Palmzweigen,
die sie von den Bäumen gerissen hatten, und riefen "Hochgelobt sei das
kommende Reich unseres Vaters David! Hosanna in der Höhe!" (Mk 11,10).
Diese gläubigen Leute wußten gar nicht, wovon sie überhaupt redeten!
Die Pharisäer hinwiederum gerieten in Wut und forderten die Jünger auf,
sofort dafür zu sorgen, 'daß dieses Theater endlich aufhört!' Die Sache
mit dem Reiche Gottes nahm seltsame Formen an, spitzte sich zu und
wurde gefährlich. Indessen war damals das jüdische Volk oder irgend
eine Gruppe in ihm genau so wenig ein "Königs-Macher" wie später irgend
eine "christliche Gemeinde" mit ihren Presbytern ein(e)
"Christkönig-Macher(in)" auf spiritueller Ebene. Denn bald darauf
schrie das aufgehetzte Volk von Jerusalem, das sich um 180 Grad gedreht
hatte, unter dem genüßlichen Grinsen der Hohenpriester dem Pontius
Pilatus in Gesicht: "Wir haben keinen König außer dem Kaiser" (Joh.
19,15). Darüber wiederum wird sich der König Herodes sicherlich nicht
gefreut haben. Nun aber kann man spätestens zu diesem Zeitpunkt im
heilsgeschichtlichen Prozeß der Frage nicht mehr ausweichen: war das
einzig-eine Reich Gottes unter den Menschen bereits im Untergang
begriffen und auch seine Gründung nur ein frommer Wunsch gewesen?
Schauen wir einmal genauer zu, aber ohne sich von äußeren Dingen
beeindrucken oder gar überwältigen zu lassen. Denn sogar auf seinem
Wege nach Golgotha war Christus höchst ungehalten über die Ihn
belästigenden lärmenden Gaffer und die Klageweiber mit ihrem schrillen
Gekreische, so daß Er die zornigen Worte sprach : "Ihr Töchter
Jerusalems, weint nicht über mich", denn das ist sinnlos und nützt
niemandem; "doch weint (weint vielmehr) über euch selbst und über eure
Kinder!" (Lk 23,28). Unter diesen Frauen waren gewiß auch solche, die
Ihm nachgelaufen sind und sein Loblied in den höchsten Tönen gesungen
haben, als die Situation noch nicht gefährlich war und 'man sich das
leisten konnte'!
Am schauerlichen und mit Blut getränkten Karfreitag in Jerusalem trafen
drei Mächte oder Gewalten wie eine "unheilige Dreifaltigkeit"
verschiedener Qualität unmittelbar aufeinander und verstrickten sich zu
einem unauflöslichen Knäuel, in dessen Mitte der dem Anschein nach
machtlose göttliche Menschensohn stand: 1.) das Tempeljudentum (eine
geistliche Macht), 2.) die Herodianer (ein illegales Fürstentum im
jüdischen Volke) und 3.) die römische Besatzungsmacht. Was aber sagte
und wie verhielt sich Christus als der Gründer eines Reiches im Anblick
dieser Machtkonzentration? Als "Galiläer" aus Nazareth stand Er
zuständigkeitshalber unter der Regentschaft des Herodes. Darum erklärte
sich Pilatus für nicht zuständig und schob in an Herodes ab. Dieser
jedoch erklärte sich ebenfalls für nicht zuständig und schickte den
"Nazoräer" zu Pilatus wieder zurück, d.h. er schob ihm den "Schwarzen
Peter" zu, obwohl er an diesem Manne aus Nazareth sehr interessiert
war, von dem er schon so manches gehört hatte. Darum stellte er Fragen
und versuchte, ihn auszuforschen, um ihm 'das Genick zu brechen' (wie
schon dem Propheten Johannes dem Täufer, der es gewagt hatte, ihm seine
Verbrechen vorzuhalten). Doch Christus antwortete ihm auf keine einzige
Frage, d.h. Er würdigte ihn überhaupt keiner Antwort und was einer
Verachtung gleichkam - im Gegensatz zu Pontius Pilatus. Man kann es
sich auch denken, wonach ein Herodes, der nur auf seine Macht bedacht
war, gefragt hat. Einen auf einem Thron sitzenden Gewaltverbrecher oder
eine kriminelle 'Obrigkeit' aber würdigt man nicht einer Antwort, sonst
verliert man selbst seine Ehre! Auch das Schweigen Christi ist beredt!
Nur diejenigen, die taube Ohren oder ihre Ohren verstopft haben, hören
nicht. Heutzutage jedoch führen (angebliche) Christen in allen
Machtbereichen (auch auf religiösem Gebiet) mit Kriminellen und
politischen Ganoven sogar "Dialoge", was ohne geheime Freundschaft gar
nicht möglich ist, und reden ohne Stottern von der "Menschenwürde" und
"Religionsfreiheit". Dies alles erinnert uns an ein Märchen, in dem es
heißt: "Ach wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß!".
Warum eigentlich scheut(e) und weigert(e) man sich, eine komplexe
Situation in der "Fülle der Zeit", das heißt hier: an einem
entscheidenden Kreuzweg der Heilgeschichte, realistisch und nüchtern zu
erfassen? Und warum wurde diese ganze Sache mit konstanter
Regelmäßigkeit in religiöse Pseudogeheimnisse getaucht und dadurch
verdunkelt?
Der Statthalter des Römischen Reiches hatte nicht bloß die
Propagandalügen der Tempeljuden (der Hohenpriester und Pharisäer), die
das Volk aufhetzten, durchschaut, denn er kannte diese "feine
Gesellschaft", sondern auch sehr bald klar erkannt, daß dieser
eigenartige Mann mit Namen "Jesus" weder ein Kapitalverbrecher noch ein
"Bandenchef" noch ein Volksaufwiegler (turbator vulgi) noch ein
Römerfeind war, ja nicht einmal ein kleiner Dieb und Gauner, aber auch
nicht ein fanatischer religiöser Eiferer, sondern ein rechtschaffener
und moralisch völlig unbescholtener Mensch, der ihm jedoch Respekt
einflößte wegen seiner offenkundigen Furchtlosigkeit und Unbeugsamkeit
seines Willens. Zudem entging dem Pilatus nicht, daß die ihm regelrecht
aufgezwungene "Rechtssache" "gewaltig stank", wie man zu sagen pflegt,
so daß er sie auch bis zum Überdruß als lästig empfand, einschließlich
des Lamentierens seiner Ehefrau, die ihm ständig in den Ohren lag, die
Hände von diesem "Jesus" zu lassen. Pilatus stand gleichsam mit dem
Rücken an der Wand und versuchte dann, diese Rechtssache loszuwerden –
vergeblich; denn sie hatte sich inzwischen 'im Zuge des Verfahrens'
unter Mitwirkung der jüdischen Plebs von Jerusalem zu einem politischen
Schauprozeß entwickelt, dem ersten in der Weltgeschichte. Ein solcher
Prozeß aber ist immer von erbitterter Feindschaft und von glühendem Haß
diktiert, so daß es auch zu grotesken Verhaltensweisen und absurden
Forderungen kommt. So auch damals, nämlich: lieber einen ausgemachten
Mörder und Räuber freizupressen als einen verhaßten 'religiösen
Volksverführer' laufen zu lassen, gleichgültig was die Zukunft bringt.
Das "ganze Volk" schrie mit erhobener Faust: "Sein Blut komme über uns
und unsere Kinder!" (Mt 27,25). Pilatus jedoch hegte weder Feindschaft
noch Haß gegen diesen "Nazoräer", da er von seiner Unschuld überzeugt
war, und er war ihm derart wohlgesinnt, daß er ihn von diesem
Mordgesindel sogar retten wollte, und zwar nicht bloß persönlich als
honoriger Römer, sondern auch in seiner Eigenschaft als Statthalter des
Römischen Reiches. Das ehrt diesen Römer, auch wenn auf ihn letztlich
das Wort zutrifft: der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.
(Seine Mitschuld am Tode Christi, der ein Justizmord war, steht auf
einem ganz anderen Blatt.) In dieser Gesinnung jedoch, nämlich gerecht
sein zu wollen, liegt der Grund, weswegen Christus den Pilatus
überhaupt einer Antwort auf Fragen würdigte; denn Er hätte sich genau
so wie vor Herodes in Schweigen hüllen können, wenn Er es gewollt und
für richtig befunden hätte.
Man sollte es auch niemals übersehen, daß Christus, der Herr, im
gesamten Prozeßverlauf allem Anschein zum Trotz auf eine eigentümliche
Weise 'Herr der Lage blieb'. (Schon bei Seiner Gefangennahme genügte
ein einziges Wort, um die Schergen zu Boden zu werfen und
handlungsunfähig zu machen. Daraus aber folgt, daß Er nie Seiner Macht
beraubt war. Im übrigen sollte man wissen, daß, wenn Christus eine
Frage stellte, dies niemals getan hat, um etwas in Erfahrung zu
bringen, wovon er nichts wußte, sondern um dann Seine und immer
belehrende Antwort zu geben. Christus, der Herr, dialogisierte nicht
und veranstaltete auch keine "Heilsdialoge", sondern lehrte mit Macht
und Autorität, was etwas ganz anderes ist. Das fiel sogar dem Pontius
Pilatus auf, sonst hätte er sich gar nicht auf einen prekären
Wortwechsel eingelassen, der zudem noch zu seinen Ungunsten ausfiel.
Pilatus kannte (auch von seiten seiner ihn warnenden Ehefrau) die in
Umlauf gesetzt Propagandaparole von einem 'neuen' "König der Juden" aus
einem 'mysteriösen' "Hause Davids", das dann wohl ein anders Geschlecht
oder eine andere Sippschaft sein müsse als das "Haus des Herodes"!?
Sollte das etwa dieser "Nazoräer" sein? Von daher versteht man die
erste Frage des Pilatus an den ihm zur Aburteilung vorgeführten
"Angeklagten", der bereits von den Tempelherren zu einem Schandtode
verurteilt worden war: "Du bist der König der Juden?". Das war keine
rhetorische Frage, sondern eine überraschte Feststellung in Frageform.
Noch überraschter aber war er, als ihm ein zur Todesstrafe verurteilter
"Verbrecher" sofort eine Gegenfrage stellte: "Sagst du das von dir
selbst oder haben es dir andere von mir gesagt?" (Joh 18, 33-34 f.).
Was aber sollte der verblüffte Pilatus, der ein gebildeter Heide war,
darauf antworten? Er war schon in dieser Situation in die Defensive
gedrängt. Darum erwiderte er auch nur und ziemlich ungehalten: "Bin ich
denn ein Jude?", und womit er sagen wollte: nur Juden glauben an die
Fiktion eines kommenden "Messiaskönigs" oder nationalen Volkserretters.
Doch darum ginge es jetzt nicht, sondern nur um das Faktum: "Dein Volk
und die Hohenpriester haben dich mir überliefert; was hast du getan?".
Auf diese Frage jedoch antwortete ihm Christus nicht. Warum nicht? Um
dies zu verstehen, muß man die ganze Situation in ihrer Brisanz
erfassen und sich noch folgendes vergegenwärtigen:
Es stand nämlich im Tagesgeschehen am Karfreitag in Jerusalem eine
Frage im Raum, die nur durch die schrecklichen Vorgänge und Ereignisse
verdunkelt oder verdeckt wurde, mit der sich aber auch Pontius Pilatus
konfrontiert sah, nämlich die Frage nach dem König- oder Fürst –sein
Jesu Christi. Nun aber hätte Christus dem Pontius Pilatus sicherlich
nicht auf seine Frage "was hast du getan?" antworten können: ich habe
das Reich Gottes gegründet. Denn dies hätte auch er überhaupt nicht
verstanden und darüber vielleicht nur gelacht, obwohl eine solche
Antwort wahr gewesen wäre. Christus jedoch wußte, was gerade einem
Römer und römischen Machthaber durch den Kopf geht, wenn die
"Königsfrage" aufgeworfen wird, die ja eine besondere Macht- und
Rechtsfrage ist. Als Christus versicherte, daß Er tatsächlich ein König
sei, also im Besitz herrscherlicher Macht wäre, da lachte Pilatus
nicht, sondern dachte sofort an zwei Dinge, die damit gegeben sind: 1.
an seinen trotz allem noch möglichen Machtgebrauch, z.B. auch durch
eine die Ankläger zerfetzende Verteidigungsrede oder durch eine
flammende Rede an das jüdische Volk von Jerusalem; und 2. an Seine
zahlreichen Anhänger unter den Juden; oder hatte etwa der "Nazoräer",
der ja erst neulich in Jerusalem einen 'feierlichen Einzug' gehalten
hatte, den auf ihn eingeschworenen Gefolgschaftsleuten die Weisung
erteilt, sich vorerst ruhig und abwartend zu verhalten, da nichts von
ihnen zu sehen und zu hören war? Pilatus dachte nicht im Traume daran,
in Sachen "Königtum" die Versicherung Christi für Lüge, Geflunker oder
Großsprecherei zu halten. Auch dies sollt in einer komplexen Sach—lage
gebührend beachtet werden, in der es um Leben oder Tod ging –
unausweichlich! Indessen war es für einen Heiden, der den Kaiser in Rom
mehr fürchtete als alle römischen und griechischen Götter,
einschließlich des "Judengottes", völlig unverständlich, wie ein
Mensch, wenn dieser tatsächlich ein König oder Fürst ist, herrschen
könnte, ohne von seiner Macht und den gewöhnlichen oder üblichen
Machtmitteln (worunter auch eine Gefolgschaft fällt) Gebrauch zu
machen? Christus wußte, welche Gedanken und unausgesprochene Fragen dem
Ihm wohlgesinnten Pilatus durch den Kopf gingen, der weder dumm noch
ein Schwächling war, wie man ebenfalls schon behauptet hat. (Im übrigen
wäre und ist es sinnlos, dumme Menschen über hochgeistige Dinge
belehren zu wollen.) Und hier liegt der Grund, weswegen unverzüglich
eine belehrende Antwort erfolgte, indem Christus einem Heiden (!)
erklärend und offenbar machend erwiderte: "Meine königliche Herrschaft
(β α σ ι λ ε ί α) ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Königreich von
dieser Welt, (dann) hätten meine Untergebenen (wörtlich: meine
Gefolgschaftsleute und Diener (ύ π η ρ έ τ α ι) gekämpft, daß ich den
Juden nicht ausgeliefert würde" (Joh 18,36). Von Nicht—Juden ist hier
nicht die Rede, und unter "kämpfen" ist hier ein Kampf mit Waffengewalt
gemeint, da Christi Wort an Pilatus gerichtet ist, einen Statthalter
der römischen Besatzungsmacht! (Wie viele Katholiken verstehen noch die
damalige religiöse und machtpolitische Situation an der drei Mächte und
Gewalten beteiligt waren??!! Dieser Knoten war nach menschlichen
Ermessen nicht mehr auflösbar.) Man kann freilich auch jemanden an
Feinde ausliefern, indem man es aus Feigheit unterläßt, mit anderen
geeigneten Mitteln zu kämpfen. Tatsache nämlich ist, daß in der
damaligen Situation von den Jüngern und Aposteln weit und breit nichts
zu sehen und zu hören war; alle waren sie verschwunden wie 'vom Winde
verweht'. Auch darüber hat sich Pilatus gewundert, da er doch wußte,
daß nicht alle Juden, die damals in Jerusalem anwesend waren, auf die
Tötung des "Nazoräers" hinarbeiteten. Des weiteren aber belehrte
Christus den Heiden Pilatus noch über etwas anderes, das in einem
unmittelbaren Zusammenhang mit Seiner königlichen Herrschaft steht,
indem Er zu ihm sagte: "Du hättest keine Macht (= richterliche
Vollmacht) über mich, wenn sie dir nicht von oben (= von Gott) gegeben
wäre; darum hat derjenige, der mich dir ausgeliefert hat, eine größere
Sünde" (Joh 19,11 f.). Dies wiederum muß Pilatus verstanden und auch
tief bewegt haben, denn "daraufhin suchte Pilatus ihn freizulassen",
natürlich mit dem nötigen Schutz, um Christus nicht wieder einer
drohenden Lynchjustiz auszuliefern.
Es ist überflüssig, auf die falschen und unsinnigen Schlußfolgerungen
einzugehen, die aus dem Satz "meine königliche Herrschaft ist nicht von
dieser Welt" gezogen wurden und werden (ganz abgesehen von seinem
Mißverstehen) und die immer schon verheerende Auswirkungen in der
'religiösen Praxis' hatten. Was sich dadurch an Übeln gezeigt hat, das
spottet jeder Beschreibung. Es klingt schon heute wie ein Märchen aus
Tausendundeiner Nacht, daß man vor noch gar nicht so langer Zeit mit
viel Tamtaramtamtam und Weihrauch auch ein traditionelles (d.h.
barockkatholisches) 'Christkönigsfest' gefeiert hat. Was aber dachten
sich die "Priester und Gläubigen" dabei? Nun, einige von uns wissen es
noch, nämlich: in der Regel entweder überhaupt nichts oder etwas ganz
Abwegiges. Denn liturgische Gewohnheiten und kultisches Brauchtum
hatten eine Problematik verdeckt und vergessen lassen, mit der schon
Pontius Pilatus konfrontiert war, die ihm zu schaffen machte.
Der ganze heils- und unheils—geschichtliche Karfreitag in Jerusalem
stand typologisch in Zeichen der Macht und der im Menschengeschlecht
wirkenden Mächte und Gewalten. Seither ist zu jeder Zeit in gewisser
Hinsicht (secundum quid) immer 'Karfreitag', was viele noch nie haben
wahrhaben wollen, weil sie die Härte einer Wahrheit nicht ertragen und
ihr ständig ausweichen. Christus aber wich niemandem und keiner Gewalt
aus und war auch nicht jenes "Lamm", das man sehr oft "verkündete"...
'um selbst an der Macht zu bleiben'! Es hat einen sehr tiefen Sinn und
ist von großer heilsgeschichtlicher Bedeutung, daß der göttliche
Menschensohn in einer dem Anschein nach total verfahrenen und völlig
aussichtslosen Lebenssituation das Reich Gottes im Menschengeschlecht
und unter den Menschen mit Seiner königlichen Herrschaft identifizierte
und bereits als existierend bezeichnete, auch wenn von Seiten der
"Untergebenen" nichts zu sehen war. Der Statthalter des Römischen
Reiches stand vor einem Rätsel, das er sich nicht lösen konnte und
dessen Rätselhaftigkeit ihm einige Furcht einjagte (die Römer und
andere Heiden waren, besonders wenn sie öffentliche Ämter verwalteten,
ungemein abergläubisch). Darum wusch sich Pilatus in aller
Öffentlichkeit die Hände, was eine religiöse Geste war, währenddessen
er die beachtenswerten Worte sprach, die schließlich auch Christus
gehört hat: "Ich bin unschuldig am Blut dieses Gerechten. Seht ihr zu!"
(Mt 27,24). Damit durchkreuzte eine sich verdichtende Unheilsgeschichte
die Heilsgeschichte, ohne sie jedoch aufheben oder vernichten zu
können, und machte zugleich die Machtlosigkeit de Statthalters des
Römischen Reiches offenkundig, der Recht sprechen wollte, aber nicht
konnte. Das machtlos gewordene Recht verkehrte sich in Unrecht, und die
Ungerechtigkeit mitsamt der "größeren Sünde" nahmen ihren Lauf.
Geschichtliche Vorgänge und Ereignisse sind keine physischen oder
biologischen "Naturprozesse"; vielmehr gründen sie in der Freiheit
vernunftbegabter Kreaturen, gleichgültig ob zum Guten oder Bösen. So
ist es nun einmal in diesem "Tal der Tränen", das nie zu einem
'Paradies auf Erden' werden kann. Es ist uns auch nichts davon bekannt,
daß Christus jemals als ein "Menschheitsbeglücker" aufgetreten oder in
Erscheinung getreten sein soll. Er versprach auch niemandem "Brot und
Spiele" oder ein geruhsames Leben bei einem Eintritt in Sein Reich,
sondern vielmehr das reine Gegenteil. Dies alles war, wie wir heute
sagen würden, nicht bloß "wenig attraktiv", sondern lief zudem noch den
gewöhnlichen Wünschen des Menschen schurstracks entgegen. Nur die
'Herr—schaften' "von dieser Welt" verheißen den Leuten ein goldenes
Zeitalter, eine rosige Zukunft, einen großartigen Fortschritt oder eine
hohe und ständig wachsende "Lebensqualität" und natürlich auch Freiheit
für jedermann und im Übermaß. Wir befinden uns auch heute in einem
unheilsgeschichtlichen Prozeß, dessen Ursachen keineswegs unbekannt
sind und der sich sogar global ausgeweitet hat. Bedauerlich dabei ist
nur, daß es so wenige sind, die dies klar genug erkennen, und daß auch
ihre Warnungen auf taube Ohren stoßen. "Denn es werden", so prophezeite
Christus für jede kommende Weltzeit, "falsche Messiasse und falsche
Propheten aufstehen; und sie werden große Zeichen (setzen) und
(Schein-)Wunder tun, um auch die Auserwählten, wenn möglich, zu
verführen" (Mt 24,24) – bis die Endzeit anbricht und es dann noch viel
übler zugehen wird. Für einen orthodoxen katholischen Christen aber ist
nach der "Fülle der Zeit" immer "Endzeit"!
Aus der Offenbarungstatsache, daß die königliche Herrschaft des
göttlichen Menschensohnes nicht "von dieser" Welt ist, folgt jedoch
nicht, daß sie nun außerhalb dieser Welt läge und nicht in ihr sei. Im
Gegenteil, denn sie kann sich nur und muß sich sogar in dieser Welt
realisieren und zum Ausdruck bringen, wenn sie nicht wertlos oder zu
nichts nützlich sein und bleiben will. Dies hinwiederum läßt sich ohne
den Menschen nicht verwirklichen, aber auch nicht gegen ihn, sondern
immer nur mit ihm in einem ständigen Prozeß, in dessen Mitte von Anfang
an der göttliche Menschensohn gestanden hat und steht. Dadurch aber
kontrahiert sich das einzig-eine Reich Gottes unter den Menschen, d.h.
es verdichtet sich und zieht sich zusammen (entitative) in eine
konkrete Gestalt "inmitten" der Menschen und wodurch sicht dann der Weg
eröffnet zu der Gründung jenes gesellschaftlichen Gebildes, das
Christus, der Herr, Seine Kirche genannt hat. Die auf der königlichen
Herrschaft des göttlichen Menschensohnes beruhende Gründung des Reiches
Gottes unter den Menschen und die Gründung der Kirche inmitten der
Menschen sind nur zwei verschiedene Aspekte im Hinblick auf ein und
dieselbe Sache in ihrer Verwirklichung. "Er kam in das Seine, aber die
Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er
Vollmacht, Kinder Gottes zu werden..."(Joh 2,11-12). Damit aber erhebt
sich die Frage: wodurch und wie? Indessen sollte man sich jetzt mit
einer Antwort viel Zeit lassen, denn eine vorschnelle Antwort verdirbt
die ganze Sache. Vieles ist hierbei nüchtern zu überdenke und möglichst
realistisch zu erfassen, anstatt sich auf den Irrweg frommer Phantasien
zu begeben, wie es so oft geschehen ist. Denn die geistigen Realitäten
der Heils- und Unheils—geschichte im Menschengeschlecht aktualisieren
sich immer innerhalb der Profangeschichte, nicht jedoch außerhalb oder
über derselben. "Heute wurde euch in der Stadt Davids der Heiland
geboren; er ist Christus der Herr" (Lk 1,11). Von daher zieht sich eine
gerade Linie zum Karfreitag in Jerusalem, als Christus dem Statthalter
des Römischen Reiches ausdrücklich versicherte, daß Seine
"Untergebenen" (zumindest einige von ihnen), sogar mit Waffengewalt für
Ihn und Sein Reich gekämpft haben würden, wenn Seine königliche
Herrschaft von dieser Welt gewesen wäre. (Es gab freilich schon Leute,
die sich Christus wie einen 'himmlischen' König und Heerführer
vorgestellt haben, thronend über der Welt und 'Menschheit'.) Nun fand
sich aber unter Seinen "Untergebenen" in einer entscheidenden Stunde
niemand, der vielleicht auf eine andere Weise und mit anderen Mitteln
für den göttlichen Menschensohn gekämpft und sein Leben für Ihn
eingesetzt hätte, nicht einmal das! Im Gegenteil, man hatte Ihn
verraten und verkauft, ähnlich wie Judas Iskariot, ja sogar dreimal
gesschworen, Ihn überhaupt nicht zu kennen, wie Simon Petrus, der
angebliche "Felsenmann", der immer so schnell mit Worten bei der Hand
war. Simon Bar Jona (der Sohn, 'Bar', eines ansonsten unbekannten
'Jona') war anfangs ein sich überschätzendes Großmaul, und es dauerte
ziemlich lange, bis er zu der Einsicht gelangte, gegenüber Christus,
dem Herrn, nur ein großes Nichts zu sein.
Warum wurde den "Gläubigen" über die frommen Apostel, die man sogar mit
Heiligenschein darstellte, Märchen erzählt, die bestens geeignet waren,
die Tatsache zu verschleiern, daß die Apostel für Christus auch eine
schwere Last waren? (Im übrigen begann das Leiden Christi nicht erst am
Karfreitag, sondern bald nach seiner Geburt.) Man sollte die wißbaren
Dinge und Sachverhalte sehen, wie sie sind, nicht jedoch wie sie nicht
sind, sonst wird der Wunsch zum Vater des Gedankens. Am Karfreitag in
Jerusalem schien eine totale Katastrophe eingetreten zu sein: aus
Christi Freunden wurden Feinde, aus Getreuen Verräter, aus Liebenden
Hassende, aus Tapferen Feiglinge, aus Starkmütigen Schwächlinge, aus
Interessierten Gleichgültige, aus Hosianna—Rufern brüllende
Kreuzige—ihn—Schreier... usw. usf... Dies alles aber hatte und hat
heils- und unheils-geschichtlich eine paradigmatische Bedeutung für
alle Zukunft. Darum gilt nach wie vor, "suchet zuerst das Reich Gottes
und seine Gerechtigkeit"... und erst dann, wenn man beides gefunden
oder wenigstens einen Begriff davon bekommen hat, sollte man von der
Kirche reden. Schließlich aber sei noch darauf hingewiesen, daß die
Offenbarungsaussage, das Reich Gottes, welches mit der königlichen
Herrschaft Christi identisch ist, stamme nicht von dieser Welt,
zunächst nur die Bedeutung hat, daß es auch eine (aber nicht
außer—natürliche, sondern) über—natürliche Wurzel hat oder
supranaturalen Ursprungs ist und sich dadurch nicht auf die "natura
hominis completa" und ihre Prinzipien reduzieren läßt. Anderseits aber
darf man wiederum nicht das natürliche Element in dieser Sache
verkürzen oder gar zerstören, sonst landet man in dem Dunstkreis des
Mystizismus oder in der Erkenntnisleere eines blinden religiösen
Glaubens.
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