§ 1. Die Kirche, etwas Geschaffenes (ens procreatum)
Die heute aufbrechende und so manche beunruhigende Frage nach der
'wahren Kirche' hat ihre Hintergründe und beruht auch in keinerlei
Hinsicht auf einem Zufall oder auf irgendwelchen zufälligen Umständen
übelster Natur in vermeintlich kirchlichen Zuständen der Gegenwart.
Vielmehr hat sie ganz konkrete Ursachen, die sogar ziemlich weit
zurückliegen und einen schwerwiegenden Traditionsverlust zur Folge
hatten, der erstaunlich vielen Gläubigen nicht einmal bewußt wurde –
verständlicherweise, denn ein solcher Verlust beginnt nicht im
religiösen Leben mit seinen anerzogenen Gewohnheiten und ebenfalls
nicht im Glauben, ja nicht einmal in einem Mangel an Glauben, sondern
durch eine Zerstörung der intellektiven Glaubens—Erkenntnis und des
religiösen Erinnerungsvermögens oder Gedächtnisses, das nichts
Vernünftiges mehr dem Bewußtsein gegenwärtig zu setzen vermag. Dann
aber läuft zwangläufig ein Verdunkelungs- und Verwirrungsprozeß ab, ja
sogar ein religiöser Verdummungsprozeß, der im Leeren endet und viele
mit sich reißt. Ähnliche Prozesse treten auch im profanen Bereich eines
staatlich organisierten Gemeinwesens auf und führen dann zu
Erschütterungen und Katastrophen. Kirche und Staat haben mehr
gemeinsam, als man gewöhnlich annimmt und zugibt. Deshalb gibt es ja
auch in beiden Bereichen "Aussteiger", "Verweigerer", "Verdrossene" und
sogar Anarchisten, aber auch Obrigkeitshörige mit Sklavenmoral.
Gänzlich vergessen wurde jedoch die Tatsache, daß sowohl die Kirche als
auch der Staat etwas Ge—schaffenes sind und unbeschadet ihrer sonstigen
Eigenschaften den Charakter einer "res sacra" (heilige Sache) annehmen
können.
Nun ist aber jedes in Raum und Zeit Ge—schaffene ein auf irgendeine
Weise Seiendes, das aus etwas hervorgegangen ist. Deshalb darf und
sollt man auch nicht der Frage ausweichen oder so tun, als sei sie
überflüssig: woraus ist die Kirche oder das, was man als Kirche
bezeichnen muß, hervorgegangen? Ja, woraus eigentlich? Dies jedoch muß
erkennbar sein, da es sich um etwas in Raum und Zeit Ge—schaffenes
handelt. Oder waltet hier ein angeblich "dunkles Geheimnis", von dem
alle psychisch verklemmten Pseudomystiker und exaltierten Pneumatologen
immer schon geredet haben, um dann um so leichter einen komplexen
Sach—verhalt verfälschen und im Trüben fischen zu können?! Oder ist
etwa die 'heilige Kirche' als eine ge—schaffene sozusagen urplötzlich
vom Himmel heruntergefallenen, so daß dies niemand bemerken konnte,
abgesehen vielleicht von den "Erleuchteten"?! Nein, denn so verhält es
sich ganz und gar nicht, wie wir noch zeigen werden. Nur muß man bei
solchen und ähnlicher Fragen unbedingt vom Wissbaren ausgehen und darf
sich dabei auch nicht von einem Wunschdenken verführen lassen, zu dem
insbesondere religiöse Menschen neigen, wie die Erfahrung lehrt. Viele
täuschen sich selbst und andere, wenn sie meinen und verbreiten, es
ginge in religiöser Beziehung auch ohne ein die Dinge kritisch
unterscheidendes Denken. Immer dann, wenn diesem Übel im religiösen
"Glaubensleben", einschließlich des "Gebetslebens", Raum gegeben wurde,
verlor man den Boden unter den Füßen und ohne sich dessen bewußt zu
werden, so daß sich schließlich auch des "religiöse Leben" im
kirchlichen Bereich nur noch in einer dumpfen Erlebnisatmosphäre
abspielte. Der in allen Farben schillernde und emotionale
"Milieukatholizismus" mit seinen "Priestern und Gläubigen" wußte nichts
mehr vom Sein und Wesen der Kirche als einer Kirche in der Welt, d.h.
in Staat und Gesellschaft. Es half niemandem mehr, wenn immer nur
pathetisch und salbungsvoll verkündet wurde: "die Kirche lebt!", jedoch
niemals klar gesagt wurde, 'was Sache ist', und worüber sich dann nicht
wenige wunderten, vor allem aber diejenigen, die die Hl. Schrift
aufmerksam und mit Verstand lasen und meditierten. Der
"kirchengläubige" Durchschnittskatholik tat dies nie, sondern las
"Erbauungsschriftchen" oder fromme Traktätchen über das "Innere Leben",
auch das von irgendwelchen 'Heiligen'. Von ekklesiologischen Problemen
oder diesbezüglichen offenen bzw. offenen gebliebenen Fragen aber wußte
er nichts. Deshalb war es ja auch so leicht, diesen Katholiken ein X
für ein U vorzumachen und woran sich bis heute ebenfalls nichts
geändert hat; nur die "Themen" sind andere geworden.
Auch die Ek—klesia ist, wie schon gesagt, etwas im Raum und Zeit
Ge—schaffenes, das somit nicht immer schon dagewesen war und mithin
doch einmal zu sein angefangen haben muß. Das Problem liegt hier nicht
in der Frage, "ob" dem so ist, sondern allein in der gar nicht so
leicht zu beantwortende Frage, "wodurch" und "wie" dies geschehen ist?
Denn es ist eine unleugbare Tatsache, daß die Kirche vor dem
öffentlichen Auftreten Jesu Christi nicht existiert hat, weder im
Verborgenen (in occulto) noch keimhaft (in nuce). Außerdem wäre ohne
ein in Wort und Tat öffentliches Auftreten Christi ein kirchliches
Gemeinwesen nie entstanden (sondern nur ein frommer "Jünger—Verein"),
das sich auch gegen die jüdische Synagoge hätte durchsetzen können, die
im übrigen in keinerlei Hinsicht eine "jüdische Kirche" (Bousset) war
und schon gar nicht ein "Vorläuferin" dessen, was der göttliche
Menschensohn Seine Kirche nannte. Dieses in Wort und Tat derart
entschiedene und kompromißlose Auftreten in aller Öffentlichkeit,
worüber sich nicht bloß die einfachen Leute wunderten, sondern auch der
Hohe Rat in Jerusalem, verursachte im jüdischen Volke, das trotz aller
Klassengegensätze in einer geschlossenen Gesellschaft lebte (mehr
unglücklich als glücklich), eine religiöse Bewegung, die sich bisweilen
sogar zu einer "Massenbewegung" steigerte. Eines wurde von Anfang an
immer deutlicher: dieser eigenartige Mann aus Nazareth in Galiläa mit
dem Namen 'Jesus' war kein Johannes der Täufer, kein "Rufer in der
Wüste", aber auch kein frommer Wanderprediger, der im Lande umherzog
und 'frohe Botschaften' verkündete, um die armen Leute aufzumuntern
oder zu trösten oder auf bessere Zeiten, die bald kommen würden, zu
vertrösten. Davon steht nichts in der Hl. Schrift. Ein "lieber Jesus",
der alle liebte und zu allen freundlich war, hat nie existiert. So
etwas behaupten nur naive Gläubige oder religiöse Scharlatane, die
heute überall zu finden sind. Außerdem unterschied sich der "Nazoräer"
(ein Wort, das auch als Schimpfwort und diskriminierend gebraucht
wurde) unübersehbar von den Schriftgelehrten und Pharisäern und den
Hohenpriestern, so daß schon sehr bald und ständig folgendes generell
auffiel: "Sie staunten über seine Lehre; denn er lehrte wie einer, der
Macht hat und nicht wie die Schriftgelehrten", "denn sein Wort war voll
Macht" (Mk 1,22: Lk 4,32). Dieses Faktum fiel völlig aus dem Rahmen und
gab zu den verschiedensten Vermutungen Anlaß, so daß auch die
Gerüchteküche in Funktion trat, und Gerüchte haben bekanntlich schnelle
Beine. Ferner sollte beim öffentlichen Auftreten Christi nicht die
damalige macht—politische Situation, eine fürwahr unheilige
'Dreifaltigkeit', übersehen werden. 1. das fanatische Tempeljudentum,
2. die kriminellen Herodianer und 3. die römische Besatzungsmacht. Kein
Mensch käme unter solchen Gegebenheiten auf den Gedanken, ein
kirchliches Gemeinwesen zu schaffen oder ins Leben zu rufen, das eine
"res publica", d.h. eine "öffentliche Sache" ist. Als der letzte echte
Prophet Israels, Johannes der Täufer, der dem König Herodes und seinen
Huren ein Dorn im Auge war, die Bekehrungstaufe predigte und dann
hinzufügte: "Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes hat sich
genaht..." (Mk 1,15), da verstand ihn die theokratisch geprägte
jüdische Gesellschaft nicht im mindesten, zumal sie von ganz anderen
und völlig abwegigen "Messias—Erwartungen" erfüllt war. Nun aber trat,
menschlich gesprochen, zu allem Übel auch noch dieser Nazoräer auf und
sprach von einem "ehebrecherischen Geschlecht", von "falschen
Propheten" und "falschen Messiassen", oder von einer "Schlangenbrut" u.
dgl. und hatte sogar die 'Frechheit', allen Ernstes hinsichtlich seines
Lebens zu behaupten; "Niemand nimmt es von mir, sondern aus mir selbst
gebe ich es hin; ich habe die Macht, es hinzugeben, und ich habe die
Macht, es wieder zu empfangen" (Joh 10,18). Was Wunder, daß das
jüdische Volk in Bewegung kam und die jüdische Gesellschaft sich in
zwei feindliche Lager spaltete: "Die einen sagten: 'Er ist gut'; andere
aber sagten: 'Nein, sondern er verführt das Volk' " (Joh. 7, 12).
M.a.W.: man hielt ihn in religiöser Beziehung entweder für einen
positiven Sozialrevolutionär oder für einen negativen Volkstribunen
demagogischen Charakters. An beiden Meinungen war etwas Wahres daran.
In der Tat, es wird die obige Frage akut: woraus ist die Kirche als
etwas in Raum und Zeit Ge—schaffenes hervorgegangen? Die erste Antwort
aber lautet: aus einer religiösen Bewegung im jüdischen Volke, die mit
dem öffentlichen Auftreten Jesu Christi angefangen bzw. darin ihren
Anfang hat und wonach sich die jüdische Gesellschaft sogar spaltete.
Das ist der wahre Tatbestand, den man zwar leugnen oder verdunkeln oder
auch gar nicht erst zur Kenntnis nehmen kann, aber eben durch nichts
aus der Welt zu schaffen vermag. Indes wird von diesem Hintergrund her
offenkundig und leicht erkennbar, in welchem Wirklichkeits- und
Rahmen—bereich das Geschaffen—werden oder die Gründung einer und der
Kirche liegt bzw. gelegen hat. Darum war es auch irreal und absurd, von
einer "Stiftung" oder "Einrichtung" der Kirche zu reden. Der göttliche
Menschensohn war weder ein Kirchen- noch ein Religionsstifter, da Er
den heils—notwendigen Glauben an Ihn selbst und einen unbedingten
Gehorsam gegen Ihn forderte. Eine solche Forderung hinwiederum setzte
eindeutige und unbezweifelbare Macherweise durch Worte und Taten
voraus, die die Menschen in ihren Bann zogen und auf sie einwirkten.
Aus alledem aber erhellt, daß die Gründung eines und dieses
gesellschaftlichen Gemeinwesens niemals ohne die Macht eines Mächtigen
hätte bewerkstelligt werden können, und dies schon gar nicht in der
damaligen gesellschafts- und religions—politischen Situation, die mehr
als übel ausgesehen hat. Mit dem öffentlichen Auftreten Christi begann
nicht, wie manche gemeint haben, ein "Kampf um Gott", sondern ein Kampf
um das verheißene "Reich Gottes" (oder "Himmel-Reich") auf Erden, "das
sich genaht hat." In diesem Zusammenhang aber sagte Christus
ausdrücklich: "Das Reich Gottes kommt nicht äußerlich wahrnehmbar" (Lk
17,20), woraus jedoch nicht folgt (es sei denn für Mystizisten und
Dunkelmänner), daß dieses Reich und sein Kommen nicht intellektiv
erkennbar sei oder sein würde. Eine solche irrige Meinung verbietet
bereits und nicht zuletzt die Aussage Christi: "Wenn aber ich (nicht
jedoch andere Zeitgenossen) durch den Geist Gottes die Dämonen
austreibe, so ist ja das Reich Gottes (bereits) zu euch gekommen. –
Oder wie kann jemand in das Haus des Starken (=Satans) eindringen und
seine Habe rauben, wenn er nicht vorher den Starken gebunden hat?" (Mt
12,28-29). Auch der bestens informierte und unruhig gewordene Hohe Rat
in Jerusalem war sich darüber klar, daß man diesen Nazoräer mit seiner
Reich-Gottes-"Propaganda" ernst nehmen mußte, da ihm viel Volk
nachlief, anstatt geduldig und ohne Murren das ihm auferlegte schwere
Joch zu tragen. Darum schlich sich in der nämlichen Sache der
furchtsame Ratsherr Nikodemus bei Nacht, um nicht gesehen zu werden
oder unangenehm aufzufallen, zu diesem eigenartigen Jesus und
versicherte ihm: "Meister, wir wissen, daß du von Gott gekommen bist
als Lehrer (Israels): denn niemand vermag diese Zeichen zu tun, die du
tust, wenn nicht Gott (auf eine besondere Weise) mit ihm ist" (Joh
3,2)... aber, werter Rabbi: was eigentlich meinst du nun wirklich mit
dem Reiche Gottes, das sich bereits genaht habe oder im Kommen sein
soll? Dies möchte ich jetzt von dir persönlich wissen, um dann
vielleicht auch andere eines Besseren belehren zu können! Christus
jedoch beachtete sein 'Anliegen' gar nicht und gab ihm darauf überhaupt
keine Antwort. Denn er durchschaute auch diesen Ratsherrn, "wußte er
doch selbst, was im Menschen war" (Joh 2,23). Jeder scheiterte, der
sich mit Christus in Diskussionen anlegen wollte. Warum hat man aus dem
mit Macht lehrenden und Wunder wirkenden göttlichen Menschensohn einen
sentimentalen, lächerlichen und kleinkarierten Prediger und
Frohbotschaftsverkünder gemacht, den schon damals niemand ernst
genommen hätte? Wer hatte denn ein Interesse daran in der 'heiligen
Kirche'? Nun, das waren viele, ja sogar viel zu viele und an erster
Stelle geistlose "Priesterlinge" und andere "Geweihten". Auch das ist
eine unleugbare Tatsache. Und dementsprechend sah dann natürlich auch
die Ek-klesia aus, die auch sehr oft, damit sich das Übel noch
vermehre, als eine 'heilige' "Familie Jesu" bezeichnet und ausgegeben
wurde, bestehend aus vielen Brüderlein und Schwesterlein; allerdings
fehlte dieser innigen Familien—Gemeinsaft ein "pater familias", es sei
denn, manche 'Gläubigen' hielten den Bischof oder Papst für einen
solchen. Ein solches Schein- und Truggebilde (compago simulata) hatte
freilich nichts mehr mit "Kirche" zu tun. Der von Pius XII. beklagte
"flache (Kirchen-)Naturalismus" hatte sich bereits in einen noch viel
primitiveren verwandelt.
Die Gründung jenes eigentümlichen Sozial—Gebildes in seinem Werden und
Sein (conditio in fieri et in facto esse) durch (causaliter) den
göttlichen Menschensohn, die mit Seinem öffentlichen Auftreten begann
und das Er ausdrücklich als Seine Kirche bezeichnete, vollzog sich
vermittels eines gesellschaftlichen Prozesses im jüdischen Volke, das
sich unter allen anderen Völkern für das "auserwählte" hielt – indes
schon damals völlig zu Unrecht; denn "Er kam in das Seine (oder: in
sein Eigentum), aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die
ihn aufnahmen, gab er Vollmacht, Kinder Gottes zu werden..."(Joh
1,11-12). Wie man dies wird, ist erst eine zweite Frage. – (N.B.:
heutzutage läßt sich mit dem Worte von einem "auserwählten Volke"
nichts Vernünftiges mehr anfangen, wohl aber Politik machen, und zwar
eine ausgesprochen üble, da diese durch und durch anti-christlich
geprägt und ausgerichtet ist und sogar von Nichtjuden betrieben wird.
Die lieben christlichen Mitbürger aber schlafen noch viel tiefer als
seinerzeit die Apostel im Garten von Gethsemani (das war ein kleines
Weingut am Fuße des Ölbergs im Kidrontal östlich des Tempels, nicht
weit vom goldenen Tor.) und sind unvermögend geworden, die Judasse zu
erkennen.
Nun aber ist es unbedingt nötig, in bezug auf die Ek—klesia als eines
zu vollbringenden Werkes Jesu-Christi ein mehrfaches zu unterscheiden
und nicht durcheinanderzubringen oder auf den Kopf zu stellen, nämlich:
1.) die Verheißung, die schon bei den echten Propheten des Alten Bundes
vorlag, und die Erfüllung derselben durch ein Wirklich—werden der
Kirche in der Welt; 2.) die Gründung mit dem erst nachfolgenden Aufbau
gemäß einer vorgezeichneten Struktur; und 3.) die Gründung selbst, die
einen Zeitlichen Anfang und ein zeitliches Endziel hat, einen 'terminus
a quo' und einen 'terminus ad quem', zwischen denen sich sogar eine
Tragödie abspielte. Wer jedoch vom Gründungs-Anfang nichts weiß oder
davon nur dunkle Vorstellungen hat, der wird freilich nie zu einem
wahren Kirchenbegriff kommen und sich immer nur in religiösen
Phantasien oder Glaubens—Illusionen bewegen, die aus der realen Kirche
immer schon ein religiöses Wahngebilde gemacht haben. Hierzu gehört(e)
auch die weit verbreitete Irrlehre vom Entstehen oder der Gründung der
Kirche an Pfingsten zu Jerusalem. In Wahrheit jedoch wurde sie damals
gemäß der Verheißung Christi durch die Sendung der dritten göttlichen
Person "von oben her" als eine bereits bestehende 'nur' vollendet.
Darum hatte der göttliche Menschensohn ausdrücklich geoffenbart, damit
sich niemand irren möge: der "Geist der Wahrheit" werde nach seiner
Sendung "nichts von sich aus reden" und auch nichts aus sich selber
tun, sondern: "Er wird Mich ver—herrlichen; denn er wird von dem Meinen
nehmen und (nur dieses) euch verkünden", da ja "alles, was der Vater
hat, mein ist" (Joh 16, 13-15). Die Vollendung der Kirche ist nicht
dasselbe wie ihre Gründung und liegt auch auf einer ganz anderen
heils—geschichtlichen Ebene. Wenn man dies alles nicht intellektiv
erfaßt, nicht scharf unterscheidet und im Denken reflektiert, kommt nur
eine große Konfusion heraus, die dann sogar in einem wahnhaften
Irrglauben endet, nicht bloß in einem falschen oder irrigen Glauben. Es
läßt sich jedoch nicht feststellen, wann in der römisch—katholischen
Kirche der Prozeß einer Verdunkelung der Glaubens—Erkenntnis im
Hinblick auf das Sein und Wesen der Kirche angefangen hat. Man kann nur
so viel sagen, daß diese Verdunkelung nach—tridentinischen Ursprungs
ist, vom Klerus ausging und schon im frühen 19. Jhd. sehr weit
verbreitet war. Ein verehrungswürdiger Priester wie der hl. Pfarrer von
Ars machte sich darüber nicht die mindesten Gedanken,
verständlicherweise, denn er war, und dies sogar gegen seine
ursprünglichen frommen Wünsche, zu etwas anderem berufen, nämlich zu
einem echten Seelsorger und "Beichtpriester" "vor Ort" in einer
kirchlichen Wüstenei, wo nichts mehr von einem Weinberg des Herrn zu
erblicken war.
Die Gründung einer und der einen Kirche, die ohne einen
gesellschaftlichen Umwandlungs--Prozeß im "auserwählten Volke" gar
nicht gedacht werden kann – dennoch aber kam das Heil nicht aus den
Juden, sondern nur von den Juden (wohlgemerkt: damals, nicht heute!) -,
stand von Anfang an in engster Beziehung zum Nahen oder Kommen des
"Reiches Gottes" oder "Himmel-Reiches", zwei Worte, die sachlich
dasselbe meinen, nicht jedoch so etwas wie ein 'himmlisches Reich' oder
'Himmel-reich' jenseits von Raum und Zeit oder 'über der Welt'; auch
diese phantastische Auffassung war und ist sogar noch heute unter
Katholiken weit verbreitet, ohne sich dessen bewußt zu werden, daß man
Christus damit zu einem Schwätzer macht. Denn Christus sprach von einem
Reiche Gottes auf Erden und in der Welt und meinte zudem noch ein
wirkliches, echtes Reich, nicht aber ein unwirkliches Scheingebilde.
Nun aber weiß doch jeder halbwegs gebildete Mensch, daß Reiche
(imperia, regna), wie auch Staaten (civitates), reale Macht-,
Herrschafts- und Rechts—Gebilde sind, die in der Welt, d.h. im
Menschengeschlecht und unter den (oder einer Vielheit von) Menschen
existieren und die weder "gestiftet" wurden noch durch zufällige
Ereignisse auf eine mysteriöse Weise ins Dasein traten, sondern immer
nur durch überragende Persönlichkeiten gegründet wurden,
selbstverständlich auch mit Hilfe geeigneter Volksgenossen und getreuer
Mitstreiter, die man am besten als Gefolgschaft bezeichnet. Außerdem
gab es noch nie eine Reichs-Gründung, die sich ohne irgendeine Form von
Gewalt (vis) und ohne Blut und Tränen vollzogen hätte. Dies gilt auch
für das Kommen des Reiches Gottes, wenn es sich naht. Darüber sollte
sich doch niemand täuschen oder davon die Augen verschließen. Warum
wohl sagte Christus weder zu denen, die Ihm nachliefen, noch zu denen,
die Ihn zu ermorden trachteten, sondern nur und gerade zu denen, die Er
ausdrücklich Seine Freunde nannte: "Fürchtet euch nicht vor denen, die
den Leib töten, aber darüber hinaus nichts weiter zu tun vermögen. Ich
will euch zeigen, wen ihr fürchten sollt: Fürchtet den, der über das
Töten hinaus noch Macht hat, in die Hölle zu werfen. Ja, so sage ich
euch, den fürchtet!" (Lk 12, 4-5). Damit aber sollte auch klar sein,
daß zur wahren (echten) Gefolgschaft Christi nur diejenigen gehören,
die wahrhaft und wirklich Seine und nur Seine Freunde sind, nicht
jedoch Kumpane ("Brotgenossen") Seiner Feinde oder deren Mit- und
Nachläufer. Die Freunde Christi lassen sich leicht daran erkennen, daß
sie in Wort und Tat Feinde Seiner Feinde sind. Die Verwirklichung der
Reich—Gottes—Idee ist ohne das mit ihr zwangsläufig gegebene
Freund—Feind—Verhältnis gar nicht denkbar, so daß man auch mit einem
permanenten Kriegszustand rechnen muß.
Es ist mehr als traurig, daß diese simple Sache vielen Christen nicht
einmal zu Bewußtsein kommt. Warum wohl? Hat man etwa geglaubt, das
Reich Gottes in der Welt sei so etwas wie ein Paradies auf Erden oder
eine 'himmlische' Spielwiese für Kinder? Der "Fürst dieser Welt(zeit)",
vor dem Christus ausdrücklich gewarnt hatte, hat vielen mit Erfolg ein
Paradiesgärtlein vorgegaukelt und einsuggeriert mit einem "lieben
Jesuskind" oder einem sentimentalen und milde blickenden "barmherzigen
Jesus" in der Mitte. Christus war nichts von alledem, was sich
naiv—fromme Gemüter mit abwegiger Phantasie ausgedacht hatten, sondern
ein mit einer eigentümlichen Macht ausgestatteter und sie auch ständig
gebrauchender Gründer eines Reiches (conditor imperii vel regni), das
von Anfang an als ein gesellschaftliches Macht- und Herrschaftsphänomen
ins Dasein trat und zwei Wurzeln (radices)hatte: sowohl eine
geschichtliche und natürliche als auch eine übergeschichtliche und
übernatürliche. Dies läßt sich auch aus den Reaktionen der
Volksgenossen des göttlichen Menschen—sohnes entnehmen, die, populär
gesprochen, sehr oft nicht wußte, was mit diesem "Propheten und Lehrer
Israels" aus Nazareth in Galiläa (das zum Herrschaftsgebiet des Herodes
gehörte) los war und wie man ihn, der so ganz anders war, einordnen
sollte. Christus "stand quer" zu allem, was man erfahrungsgemäß gewohnt
war und machte sich dann seine Gedanken, sowohl vernünftige oder
unvernünftige als auch gute oder böse. Darum sagte Christus, der im
Zeichen des Widerspruchs auftrat und zum Zeichen des Widerspruchs
gesetzt war, "selig ist, wer an mir nicht Anstoß nimmt" (Mt 11,6).
Indessen nahm man Anstoß, und zwar einen gewaltigen und bösartigen.
Daran aber hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn man ihn durch
allerlei Täuschungsmanöver zu verschleiern sucht! Man sollte diese
Zeitgenossen nicht verwechseln mit jenen Schwachsinnigen und
Jahrmarktsnarren, die auf ihre Fähnchen schreiben "Jesus liebt dich"
oder "Jesus Superstar". Gleichermaßen sinnlos und lächerlich zugleich
aber war die bekannte Parole jener 'propaganda fidei': "Die Sache Jesu
geht weiter!" (Küng und Konsorten), da so etwas Inhaltsleeres und
Bedeutungsloses nie angefangen hat.
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