ÜBER DIE GRÜNDUNG DER "Una et Sancta ECCLESIA"
DURCH DEN GÖTTLICHEN MENSCHENSOHN
- Hinweise auf eine vergessene Problematik und ihre realen Hintergründe -
von
ass. Prof. Dr. D. Wendland
Vorwort: Allgemeine Ratlosigkeit – eine seltsame Frage katholischer Christen
Schon seit längerer Zeit werden wir von besorgten Katholiken, denen,
wie sie betonen, vieles "an der heiligen-katholischen Kirche" nicht
mehr so ganz geheuer vorkommt und auch gänzlich unverständlich ist, mit
der eigenartigen Frage konfrontiert: "wo ist eigentlich die 'wahre
Kirche' und wo kann man sie heute finden?"; zudem wird nicht selten mit
Nachdruck, sowohl ärgerlich als auch ironisch, hinzugefügt: "ja, wo
existiert sie denn noch – die 'wahre Kirche'? Können Sie mir das
sagen?!". Katholiken, die sich heute zu einer solchen Frage geradezu
gedrängt fühlen, sind keineswegs ungläubige oder gar glaubenslose
Christen, auch wenn sie bereits zu der Überzeugung gekommen sind (oder
gekommen sein sollten), daß es möglicherweise die 'wahre Kirche'
heutzutage nicht mehr gibt. Vielleicht sind diese Skeptiker sogar in
einer viel besseren Lage als diejenigen "Gläubigen", die ohne Probleme
und bedenkenlos in eindeutig häretischen "Kirchen"—Gebilden leben,
deren Mitglieder und Träger sie sind, und die immer noch frommen
Glaubens "an die", ja sogar "an die eine, heilige" Kirche glauben, und
wobei der Akzent auf "heilig" liegt. Merkwürdig dabei ist nur, daß von
einem solchen Gegenstand des Glaubens aber auch rein gar nichts zu
sehen ist oder wahrgenommen werden kann, wohl aber das erschreckende
Gegenteil, wenn man die Augen aufmacht und die 'kirchliche Sach- und
Lebens-lage' ohne Wunschdenken in das Licht einer kritischen
Betrachtung stellt.
Zudem ist es auffällig, daß die obige Frage insbesondere von Katholiken
gestellt wird (sie findet sich aber auch bei Nichtkatholiken), die der
Ökumenismus-Häresie nicht auf den Leim gingen; dies jedoch nicht oder
kaum aus theologischen Gründen und Einsichten in etwas Unwahres und in
sich Widersprüchliches, sondern in der Regel aus einem "religiösen
Instinkt" heraus, der sich gegen eine Häresie und ihre Auswirkungen
sperrte. Ähnlich verhält es sich bei der obigen Frage, die ebenfalls in
einem solchen Instinkt ihre Wurzel hat, d.h. man "wittert" eine noch
nicht klar erkannte Häresie und möchte sie abwehren, und zwar eine
Häresie, die sich direkt auf das wahre (vere) Sein (esse) und Wesen
(essentia) der Kirche bezieht. Gleichzeitig aber erschwert man sich die
Erfassung und das Begreifen der nämlichen Sache durch eine falsch
gestellte Frage, ohne sich dessen überhaupt bewußt zu sein. Außerdem
machen falsche Fragestellungen echte Antworten unmöglich und führen
immer zu Schein-Problemen, aus denen man hernach nicht mehr
herausfindet. Man kann sich heute im kirchlichen Bereich der vielen
Schein-Probleme kaum noch erwehren, mit denen die "Gläubigen"
daherkommen, so daß man fast resignieren könnte, wenn nicht hie und da
ein echtes Anliegen dahinter stehen würde. Denn manchmal schreibt Gott
in seiner Vorsehung 'auch auf krummen Zeilen gerade' ( Georges
Bernanos), so daß bisweilen sogar eine falsche gestellte Frage dazu
verhelfen kann, ein echtes Problem zu entdecken bzw. wiederzuentdecken.
Darum geben wir auf die Frage "wo ist die 'wahre Kirche'?" zunächst
keine andere Antwort als die: überall und nirgendwo, um zugleich auch
darauf aufmerksam zu machen, daß man mit Hilfe einer solchen Frage und
in dieser Perspektive die 'wahre Kirche' nie finden und vergeblich
suchen wird. Denn das echte Problem hinsichtlich dessen, wonach hier
die besorgten und verärgerten Katholiken fragen, steckt hinter der
nämlichen Frage und kommt in ihr überhaupt nicht zum Vorschein. M.a.W.:
man muß die Frage nach der 'wahren Kirche' grundsätzlich anders
stellen, und zwar angefangen mit der kritischen Frage nach den
Bedingungen der Möglichkeit einer realen oder der Kirche überhaupt, da
diese doch einzig und allein ein auf eine bestimmte Weise gewirktes
Werk (opus operatum) Jesu Christi, des göttlichen Menschensohnes, war
und ist, und zwar ein sowohl menschliches als auch göttliches Werk zum
allgemeinen (universalen) Wohl und Heil des Menschengeschlechtes.
Nun hat aber die Frage und Suche nach der 'wahren Kirche' von heute
noch einen anderen Hintergrund, der von Katholiken, die weder bornierte
Traditionalisten noch wilde Progressisten sein wollen, entweder gar
nicht gekannt oder viel zu wenig beachtet wird, so daß es dann auch von
dort her zu falschen Problemstellungen kommt, die wiederum negative
Auswirkungen haben und echte Antworten erschweren. Man darf so etwas
nicht unterschätzen oder unterbewerten und sollte sich auch nicht dem
Irrtum hingeben, als gäbe es auf schwierige Probleme religiöser Natur
leichte und handliche Antworten. Denn das genaue Gegenteil ist hier der
Fall. Nichts aber ist schlimmer als das "Rezeptedenken" der frommen
Pragmatiker oder die "Problemflucht" von noch frömmeren "Gläubigen",
die jedem religiösen Problem ausweichen mit der dummen Bemerkung,
dieses oder jenes sei eben "Glaubenssache", obwohl es sich überhaupt
nicht um eine Sache des religiösen Glaubens handelt, sondern des
Wissens und der religiösen Erkenntnis – ganz abgesehen davon, daß der
christliche Glaube ein bestimmter und besonderer Modus geistiger
(intellektiv-rationaler) Erkenntnis ist; deshalb sollte man auch nicht
die biblische "fides" mit der Tugend des Glaubens (virtus fidei)
verwechseln, wie es überall und nicht erst seit heute der Fall ist.
Auch dies hat schon eine ziemliche lange "Tradition". Doch selbst davon
wissen die Traditionalisten und Konservativen im allgemeinen nichts und
was man sehr leicht im Erfahrung bringen kann, wenn man nur die
richtigen Fragen stellt.
Schon eine sehr lange Zeit vor der Einberufung eines sog.
"Pastoralkonzils" (das den Namen "Zweites Vatikanum" völlig zu Unrecht
trägt und nichts mit "Seelsorge" zu tun hatte) durch einen klar
erkennbaren Häretiker, dem alle Bischöfe mit großer Freude und Hoffnung
("gaudium et spes") Folge leisteten, war in der römisch-katholischen
Kirche eine tiefgreifende und weitgehende Verwirrung und Verdunkelung
eingetreten zwischen dem "credere in Deum" und dem "credere Ecclesiam",
was absolut nicht dasselbe "credere" bedeutet. Zudem wurde nicht mehr
klar und schließlich überhaupt nicht mehr unterschieden zwischen dem
subjektiven Akt des Glaubens und dem objektiven, subjektunabhängigen,
Akt-Inhalt des Glaubens, so daß man zwangsläufig in einem geistlosen
"Gefühlsglauben" landete, der dann den "kirchlich gesinnten" Katholiken
in Predigten und erbaulichen Schriften als "Herzensglaube" angepriesen
und eingeredet wurde; ein anderes Wort dafür hieß "kindlicher Glaube",
der als der 'wahre Glaube' ausgegeben wurde. Überall war auch die
Parole zu hören: "glauben heißt: nicht wissen". Damit aber wurde jeder
Glaubens-Begründung das Grab gegraben.
Warum stellt man sich hier nicht die Frage: was waren das für Leute,
die in der Kirche solche Spielchen trieben und ohne daß sie daran
gehindert wurden? Dies alles jedoch führte dann auch zu dem
vernunftswidrigen und a-logischen 'Meinungs-Glauben', man könne "an
Gott" auf die gleiche Weise und genau so glauben wie "an die" Kirche
oder auch umgekehrt. Es waren nicht sehr viele, denen es deutlich zu
Bewußtsein kam, daß an dieser Sache eine ganze Menge faul war,
einschließlich des ständigen und sachentfremdeten Geredes von einer
"heiligen-katholischen" Kirche (ohne Komma dazwischen), an die dann die
merkwürdige Gesellschaft der "Priester und Gläubigen" ebenfalls mit
Inbrunst glaubte. Heute freilich sind diese "herrlichen Zeiten" vorbei
und in einem großen Tohuwabohu untergegangen, so daß es wiederum
verständlich ist, wenn Katholiken nach der 'wahre Kirche' fragen und
sie suchen, ohne sie jedoch zu finden. Das häretische und apostatische
Vatikanum 2 hat auch in diesen Zusammenhängen nur offenkundig gemacht
und weltweit sichtbar werden lassen, was im "Schoße der Kirche" bereits
seit Jahrzehnten, teils offen teils verdeckt, vorhanden gewesen war und
sein Unwesen getrieben hatte. Ein solcher Zerstörungsprozeß ist keine
"Krise", die plötzlich, überraschend oder unvermutbar auftritt und dann
wieder abklingt, sondern eben ein Prozeß, der im Geiste beginnt und von
dem niemand sagen kann, wo er noch endet. Darum darf man auch nicht der
Frage ausweichen: haben die früheren Päpste bis zu Pius XII. (dem
bislang letzten rechtmäßigen Nachfolger Petri auf dem Apostolischen
Stuhl) diesen Zerstörungsprozeß erkannt und was haben sie dagegen
getan? Denn es ist ja eine altbekannte Tatsache und schon von Anfang an
so gewesen, daß der sich im Menschengeschlecht abspielenden
Heils—geschichte, in die auch die Kirche eingebunden ist, immer eine
Unheils—geschichte parallel läuft und von ihr sogar durchkreuzt wird.
Warum hat die Mehrzahl der "religionsmündigen" Mitglieder und Träger
der 'heiligen Kirche' sich in dem dumpfen Glauben gewiegt oder so
getan, als ob dies nicht der Fall wäre oder sie gar nicht berühre? War
man sich als "gläubiger Katholik" seines Heiles schon gewiß, wie auch
andere christlichen Sektierer? Es blieb nämlich im geschichtlichen
Heils- und Unheilsprozeß die allgemeine Warnung Christi durch die Zeit
hindurch unveränderlich gültig: "...Doch wird der Menschensohn bei
seinem Kommen (zum Letzten Gericht) den Glauben finden auf Erden?" (Lk
18,8) und worunter der heils-notwendige wahre Glaube (vera fides)
gemeint ist, den die "Kirche in der Welt" zu lehren hat. Indessen
lehren die Träger und Mitglieder der "römischen Konzilskirche" bereits
seit 1965 mit viel Geschick und großem Engagement das reine Gegenteil,
was sogar Nichtkatholiken auffällt. Von einer 'wahre Kirche' ist bei
diesem monströsen Gebilde mit seinen "Klerikern" und "Laien" allerdings
nichts mehr zu erblicken. Im übrigen ist die Verwechselung der alten
römisch-katholischen Kirche, die nie eine "Papstkirche" gewesen war,
mit der neuen "röm. Konzilskirche", weil diese auch einen 'heiligen
Papa' als Oberhaupt besitzt, heutzutage gang und gäbe, aber immer ein
Indiz dafür, daß man weder von der einen noch von der anderen
zureichende Kenntnisse hat. Dies läßt sich sehr leicht überprüfen und
feststellen. Nur der pluralistischen Gesellschaft wie auch dem
demokratischen Staate ist es gleichgültig, worum es sich bei "Kirchen"
oder kirchenähnlichen Gebilden handelt oder welche Namen ihre
Oberhäupter tragen. Ein orthodoxer Katholik sollte sich hier nicht
irremachen lassen und vor allem nicht glauben, es bestünde irgendwo ein
sog. 'öffentliches Interesse' an der Ecclesia des göttlichen
Menschensohnes. Auch diese Zeiten sind lange vorbei. Es gibt auch kein
christliches Europa mehr, denn ganz Europa liegt im Trend des gottlosen
Sozialismus und Liberalismus sowie eines sich überall ausbreitenden
Neuheidentums, das wie eine Seuche die Völker befallen hat. Wie aber
soll man dann unter solchen Gegebenheiten, die einer geistigen
Umweltverschmutzung größten Ausmaßes gleichkommt, die 'wahre Kirche'
noch zu Gesicht bekommen? Es ist jedoch die Kirche auch eine sichtbare
und infolgedessen sogar eine für viele wahrnehmbare, auch wenn viele
sie weder sehen noch hören – dies aber nicht deswegen, weil sie etwa
physisch blind oder taub sind, sondern aus ganz anderen Gründen.
Ein weiteres unheils-geschichtliches Übel im kirchlichen Bereich, das
verheerende Auswirkungen zeitigte und mit den eben genannten Übeln
zusammenhing, war die Fixierung der (wie sie genannt werden)
"Kirchengläubigen" auf die Kirche als einer bloßen "res fidei et
mysterica", so als ob ihr Sein und Wesen überhaupt keine "res realis"
sei, also nichts objektiv Wirkliches in der menschlichen Gesellschaft,
so daß sie dann natürlich auch keine entitative Eigenwesen in ihr haben
konnte, das sich von anderen Gesellschafts—Gebilden, sei es natürlichen
oder künstlichen, grundlegend unterschied, und zwar trotz mancher
Ähnlichkeiten realiter, nicht bloß idealitert. Das Ende vom Lied aber
zeigte sich in der Auflösung des gesellschaftlichen Phänomens der
Kirche in eine pseudomystische und mystagogischen Phantasmagorie, in
der fortan die "frommen Seelchen" einer "Glaubens—Gemeinschaft"
(communitas credentium) lebten, anstatt als christgläubige Menschen in
der Sozietät der Kirche – nüchtern, wachsam, kritischen Geistes und
ohne Servilität. Darum hatte nicht zuletzt sogar Pius XII. in einer
Enzyklika, in der man so etwas kaum vermuten würde, den katholischen
Klerikern und Laien die Warnung ins Stammbuch geschrieben: "...es
zeigen sich (in bezug auf die Kirche) unleugbar auch bei den
Christgläubigen weniger richtige oder ganz verfehlte Ansichten, die vom
rechten Wege der Wahrheit ablenken können. Während nämlich auf der
einen Seite noch immer ein flacher Rationalismus alles, was menschliche
Geisteskraft übersteigt und hinter sich läßt, für sinnlos betrachtet,
während ein diesem verwandter Irrtum, ein flacher Naturalismus, in der
Kirche nichts anderes sieht noch sehen will als ein rein rechtliches
und gesellschaftliches Band, schleicht sich auf der anderen Seite ein
falscher Mystizismus ein, der die unverrückbaren Grenzen zwischen
Geschöpf und Schöpfer zu beseitigen sucht und die Heilige Schrift
mißdeutet." ("Mystici Corporis", 1943) Das war deutlich genug. Wer aber
nahm das zur Kenntnis von denen, die sich einbildeten, das "Salz der
Erde" zu sein? Es ist uns nach dieser letzten Warnung kein Priester
oder Bischof bekannt geworden, der dann damit aufgehört hätte, den
"lieben Gläubigen" wundersame Märchen über die "heilige-katholische"
Kirche zu erzählen und über die dort stattfindende "heilige
Liebesgemeinschaft im Glauben", besonders wenn sie "Eucharistie feiere"
mit dem "mystischen Christus", den man auch als einen "kerygmatischen"
bezeichnete. Die kirchliche Situation im Katholizismus nahm mehr und
mehr Züge des Gespenstischen an, so daß auch von einer "Ecclesia
militans" weit und breit nichts mehr zu erblicken war. Pius XII. stand
bereits auf verlorenem Posten, aber auch seine Vorgänger erreichten
nicht mehr die Basis der Kirche, nämlich die Laienschaft in der Kirche,
die größtenteils wie eine verwirrte Herde richtungslos und unaufgeklärt
durcheinanderwogte oder sich in einem dumpfen "Milieukatholizismus"
erschöpfte, der zudem noch von einer falschen und ebenfalls
mystizistischen (pseudomystischen) Mariologie "in Jesus und Maria"
geprägt war. Heute beten nur noch katholisierende Sektierergruppen in
abwegigen Kult—Gemeinschaften: "Maria mit dem Kinde lieb uns allen
deinen Segen gib."
Es kam jedoch – und worauf wir leider hinweisen müssen – die Warnung
vor dem die Ekklesiologie verderbenden falschen Kirchenmystizismus viel
zu spät. Denn dieser hatte bereits seit Jahrzehnten sein Unwesen in der
katholischen Kirche getrieben, eingeleitet und verbreitet von
sentimentalen und auffallend geistlosen Priestern gewisser "Orden" (vor
allem neuerer), und war noch viel gefährlicher als der von Pius XII.
beklagte flache Rationalismus und Naturalismus, da er aus dem Verlust
des sich auf den menschlichen Intellekt beziehenden christlichen
Glaubens, des typisch katholischen "vernünftigen Glaubens", hervorging,
dem wider besseres Wissen überall das Grab geschaufelt wurde. Diese
sich immer so fromm gebenden, alles und jedes beurteilenden, aber
durchaus strohköpfigen "Priesterlinge" (Leon Bloy) hielten in den "res
religiosae" (den religiösen Dingen und Sachverhalten) jedes kritische
Denken und Fragen schon für Rationalismus und warnten dann in ihrem
"geistlichen Wirken" die naiven "Gläubigen" vor den "Akademikern" oder
"Studierten", die sie sogar als nicht mehr "katholisch" und "kirchlich
gesinnt" verleumdeten und diskriminierten.
Der bereits (soweit wir sehen) am Anfang des 19. Jahrhunderts
entstandene und vom niederen Klerus ausgegangene falsche
Kirchenmystizismus war ein recht seltsames Phänomen; denn er war sowohl
anti-rational bis zum Exzeß als auch unglaublich
primitiv-naturalistisch; sein konträres Gegenstück aber war der ihm
schon vorausgegangene kirchliche Klerikalismus, der die Laienschaft
unterdrückte, ja sogar terrorisierte, wo er dazu in der Lage war. Der
Weg der apostolischen Ecclesia Romana wurde, heils-geschichtlich
betrachtet, "urbi et orbi" immer enger und schwieriger, zumal sich ja
auch die Gesellschaft rapide veränderte und umstrukturierte, ganz
abgesehen von den verschiedensten Ideologien, die die sog. öffentliche
Meinung prägten und beherrschten. So manche orthodox katholische
Diözesanen und Parochianen, die ihren Verstand noch nicht in der
Sakristei abgegeben hatten, stellten sich im Anblick der realen
kirchlichen Situation, die überall gleich war, die bange Frage: schläft
das kirchliche Lehramt oder wird es nur falsch darüber informiert, was
tatsächlich in der Kirche vorgeht und zum Vorschein kommt? Wie oft
hörte man die ärgerlichen Fragen: warum eigentlich wird von Rom die
theologisch gebildete Laienschaft nie und schon gar nicht unmittelbar
konsultiert? Gehört die Laienschaft etwa nicht zur Kirche? Oder ist
etwa das "Wehen" (Wirken) des Hl. Geistes nur auf den Klerus
beschränkt? Bei Hirtenbriefen hatte man oft den Eindruck, als seien sie
an geistige Analphabeten und geistlich Schwachsinnige geschrieben, um
sie bei gewissen Anlässen bei der Stange zu halten. Und manche
Hirtenbriefe wurden auch nur auszugsweise vorgelesen, "um das
Kirchenvolk nicht zu ermüden." Doch nicht einmal der "liebe Heiland"
hatte jemals verheißen: selig, die Armen an Geist! Es blieb den
klerikalen und laikalen Traditionalisten und Konservativen vorbehalten,
über die "heilige—katholische" Kirche und die ganze Situation vor dem
Vatikanum 2 die reinsten Märchen zu erzählen. Darum sollte man sich
auch darüber klar werden, daß ein Wieder—Aufbau der katholischen Kirche
nicht durch eine Restauration möglich ist oder erreicht werden kann,
sondern viel tiefer ansetzen müßte, vor allem aber, wenn man so sagen
will, unmittelbar, um keinen unnützen Ballast mitzuschleppen. Dazu aber
gehört viel Mut und Bescheidenheit, sowie eine große Portion
kirchlicher Realismus, der sich von jeder Phantastik in religiösen
Dingen fernhält. Man kann ein zerbombtes Haus nur dann wieder aufbauen,
wenn man zuvor den Schutt wegräumt und die Grundmauern freilegt. Das
ist zwar eine Binsenweisheit, aber dennoch eine sehr heilsame.
Es ist somit nicht bloß verständlich, sondern auch als ein positives
Zeichen zu bewerten, wenn sich Katholiken heutzutage (na endlich,
könnte man jetzt sagen!) auf eine eigentümliche Weise sogar gedrängt
fühlen, nach der 'wahre Kirche' zu fragen, sei es nach ihrer möglichen
Existenz oder auch nach dem Ort ihres Dasein in der Welt, obwohl es
sich, wie schon gesagt, um eine falsche Fragestellung handelt. Dennoch
aber sollte diese Frage ernst genommen werden, da sie sich auf ein
echtes Problem bezieht, das immer schon vorhanden war oder bestand,
indes durch falsche Perspektiven verdeckt wurde. Nur die alten und
neuen Rationalisten, Naturalisten und Mystizisten, die im übrigen Pius
XII. haßten wie die Pest, sind nach wie vor unfähig, aber auch gar
nicht willens, die hier aufbrechende Problematik zu erfassen und sich
ihr zu stellen. Zudem sollten sich Katholiken davon hüten (denn dies
ist ein Fallstrick), immer nur oder allein "im Glauben" zu bejahen und
zu bekennen, "daß die Kirche existiert" und somit "auch eine ontische
Wurzel hat." Denn dies ist sowohl vernunftwidrig als auch nichtssagend
und erkenntnisleer. Das Große CREDO der Kirche setzte auch in Sachen
"Kirche" eine Erkenntnis "per fidem et rationem" (durch den Glauben und
die Vernunft) voraus. Diese Erkenntnis jedoch ging im Laufe der Zeit
mehr und mehr verloren, bis sie schließlich gänzlich aus dem religiösen
Bewußtsein vieler Glieder der katholischen Kirche verschwand. Deshalb
war es ja auch so leicht, aus einer Kirche der Religionsmündigen und
Erwachsenen ein geselliges Kirchentum für Kinder oder für fromme Leute
mit "kindlichem Glauben" zu machen, damit sie nur nicht das "Vollalter
Christi" erreichen, obwohl dies schon der hl. Paulus ausdrücklich für
den existentiellen Bestand eines Kirchenwesens gefordert hatte. Die
Warnung Pius' XII. kam mindestens hundert Jahre zu spät; denn der Zug
war bereits abgefahren, wie man zu sagen pflegt. Außerdem gab es eben
auch noch andere schwerwiegende Unheilsfaktoren, die die Ecclesia
Romana von innen heraus bedrohten. Bereits der hl. Petrus sah sich
veranlaßt, allen mündigen Gliedern der Kirche einzuschärfen: "Seid
nüchtern und wachet! Denn euer Widersacher, der Teufel, geht (unter
euch) umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen
könne." (1Petr 5,8) Nirgendwo stand geschrieben, daß der Teufel und
seine Gefolgschaft in der menschlichen Gesellschaft immer nur außerhalb
der Kirche ihr heilloses Unwesen treiben würden. Es war schon lange
nichts mehr mit "ein Haus voll Glorie schauet"; vielmehr stank es an
allen Ecken und Enden, und man sah auch Dinge, die in einem totalen
Widerspruch standen zur Kirche Jesu Christi, angefangen mit
'Geistlichen', die sich Hochwürdige, ja sogar Hochwürdigste Herren
nannten, oder die den alles glaubenden Gläubigen weismachen konnten,
jeder katholische Priester sei ein "zweiter Christus" und habe "heilige
Hände". In einem solchen Dunstkreis stellte niemand mehr die Frage nach
der 'wahren Kirche'. Es hat viel Wahrheit für sich, wenn manche meinen,
daß ein Vatikanum 2 kommen mußte – um ein großes Übel auf eine
besondere Weise "pastoralkonziliar" perfekt und allgemein 'sichtbar' zu
machen! Auch in der Hölle muß ein Freudengeheul ausgebrochen sein, das
den Jubel in der Welt begleitete. Man erinnere sich und streue Asche
auf sein Haupt!
Schließlich aber sei noch auf etwas Grundsätzliches aufmerksam gemacht,
das sehr oft übersehen wird, wenn man eine Sache nicht kritisch genug
angeht: man kann nämlich nach der 'wahren Kirche' in der Welt nur dann
sinnvoll fragen, wenn sie in ihrem Sein und Wesen auch wirklich (in
actu esse) existiert, also nicht etwa wie eine platonische Idee über
den Dingen in transzendenten "himmlischen Sphären" schwebt oder bloß
ein "ens rationis" sei (ein bloßes Gedankending), das immer nur im
Denken existiert und außerhalb desselben überhaupt kein reales Sein hat
(es war sinnlos und nur ein großer Bluff, von einer Kirche "in uns" zu
reden); denn die Kirche in der Welt ist philosophisch und theologisch
vor allem anderen, was sie auch noch sein kann, ein "ens reale et
categoriale", das heißt: ein wirkliches und ein auf eine bestimmte
Weise Seiendes, und zwar ein lebendiges Seiendes (ens vivens), das
jedoch, was ebenfalls nicht übersehen werden sollte, nicht er—schaffen,
sondern, nur ge—schaffen worden ist. Wer die Begriffe "creatio",
"procreatio" und "productio" miteinander verwechselte oder in einen
Topf warf, machte aus der Kirche ein irreales und wesenloses Etwas und
aus ihrem Gründer ein Gespenst. Die Feinde der Kirche lachten sich
eines ins Fäustchen und rieben sich die Hände im Anblick derer, die die
Kirche von innen heraus durch Wahnvorstellungen zersetzten, zumal sie
wußten, daß auch die Kirche nur etwas Geschaffenes ist und somit im
Raum und Zeit einmal ein Ende haben mußte. Darum kämpften einige dieser
Feinde auch nicht mehr direkt und offen gegen die Kirche, sondern
verlegten sich schlauerweise darauf, die in Erscheinung tretenden
Zersetzungsprozesse innerhalb der katholischen Kirche auf eine
geschickte Weise zu unterstützen, um sie zu beschleunigen. Dem auf
seine Wiese gläubigen Kirchenvolk blieb dies alles verschlossen, aber
auch gänzlich unerkennbar, denn es war in seinem sog. "katholischen
Glauben" auf drei Dinge fixiert (worden): die "geweihten" Priester, die
"geweihten" Bischöfe, die als "vom Heiligen Geiste erleuchtet" gehalten
wurden, und den "Heiligen Vater" im Rom, auf den man sich doch
"unbedingt und fraglos" verlassen könne. Nur manchmal war unter den
mehr oder weniger Gebildeten ein zaghaftes Grollen zu hören gegen die
sog. "Amtskirche" 'vor Ort'. Eine mögliche Frage nach der 'wahre
Kirche' kam gar nicht auf oder wurde im Keime erstickt. Dennoch aber
wäre es grundfalsch, hierfür allein den Teufel verantwortlich und
haftbar zu machen, denn die ersten Verursacher unheilsgeschichtlicher
Prozesse sind immer Menschen, und zwar nicht selten sogar
hochangesehene und überaus fromm erscheinende, und dumm sind diese nie!
Orthodoxe Katholiken, die in der Kirche schon vor dem Vatikanum 2 auf
eine, wie sie es nannten, "kritische Distanz" gingen, hatten ständig
das Bild des göttlichen Menschensohnes vor Augen auf Seinem Wege nach
Golgotha.
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